Der Marathon ist geschafft. Ich liege gerade auf der Couch und bin am regenerieren. Heute habe ich frei, zum Glück. Meine Oberschenkel schmerzen bei jedem Schritt, besonders schwierig und schmerzhaft ist es auf die Kloschüssel zu kommen und vorallem wieder aufzustehen.
Der lange Weg zum Schmerz ist hier beschrieben:
Am Abend vor dem Marathon bin ich relativ früh eingeschlafen. Da ich die Tage davor wenig schlafen konnte, aus reiner Aufgeregtheit, hatte ich mir am Samstag im DM Baldriantabletten gekauft und diese um acht gefuttert, ca. eine Stunde nach meiner Gnocchi-Party. Um halb zehn lag ich dann im Bett und habe mir den kostenlosen Podcast "Deep Sleep" angehört. Das ist so eine meditative Einschlafhilfe. Ich bin dann wirklich relativ schnell eingeschlafen und konnte recht gut durchschlafen bis 5:00Uhr.
Immerhin. Ich war sehr zufrieden mit der Schlafausbeute von dieser Nacht.
Zwischen 6 und 7 Uhr habe ich mir dann Haferflocken, zwei Weckle mit Honig und zwei Bananen reingezogen.
Danach hab ich mich schon fertig angezogen und Trainingskittel drüber und um 8 ging es los von Stuttgart (wo mein Elternhaus ist) Richtung Kandel. Mit dabei waren meine Freundin, Mutter und der kleine Bruder (naja, der ist auch fast 30, aber er bleibt halt immer der Kleine).
An der Bienwaldhalle angekommen war es bereits 9:30 und so habe ich meine Freundin meine Startnummer holen lassen, während ich mich in die Schlange der Anwärter auf einen Platz auf dem Lokus eingereiht hatte. Irgendwie ist das glaub ich eine Läuferkrankheit, dieser Angstschiss vor einer großen Veranstaltung. Ihr kennt das wahrscheinlich auch.
Nach verrichtetem Geschäft habe ich mich dann startklar gemacht und bin um fünf vor zehn in Richtung Start. Das verlief alles sehr entspannt. In Kandel muss man sich nicht durch verschiedene Tore zwängen und durch Massen kämpfen, um in seinem richtigen Block zu starten. Es gibt ja nichtmal ein Absperrband, welches die Zuschauer vom Startblock trennt. So hatte ich sogar noch die Möglichkeit mit meinem Bruder, ungelogen, eine Minute vor Startschuss nach vorne zu gehen und mir das Läuferfeld von vorne anzuschauen. Dort entdeckte ich Sabrina Mockenhaupt (ist glaub ich allen bekannt) und Luisa Moroff (deutsche Meisterin im Triathlon auf der Mitteldistanz).
Luisa kommt aus meiner Gegend und ich hatte mich im Vorfeld über sie erkundigt, da ich in der Grundschule einen Schulkameraden hatte, der Michael Moroff (heute CDU-Funktionär) heißt. Ich wollte sie gerne nach dem Rennen fragen, ob eine Verwandschaft der beiden besteht. Wenn man sich zumindest Bilder in Google der beiden anschaut, ist eine Ähnlichkeit nicht von der Hand zu weisen. Ich verweise da vorallem auf das jeweils runde Gesicht mit den ausgeprägten prallen Wangen
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30 Sekunden vor dem Start stand ich dann endlich im Startfeld in der Nähe der 3:14 Pacemaker. Das Wetter war kühl bei 11 Grad und vom Wind, der für den Tag gemeldet wurde, war an dieser Stelle nicht viel zu spüren. Ich fühlte mich bestätigt mit meiner kurzen Hose und meinem Funktionsshirt.
Das Feld setzte sich dann nach dem Startschuss auch ziemlich schnell in Bewegung und ich wurde zu keiner Zeit ausgebremst. Das ist schonmal ein Riesenlob an Kandel. Bei meinen bisherigen drei Marathons gab es immer nervige Engpässe und ich musste immer einige Bremsen überholen.
Dementsprechend wurde der erste Kilometer mit einer Pace von 4:27/km sehr schnell gelaufen. Es ging durch den Ort Kandel und man konnte ein gutes Tempo machen. Auch der zweite Kilometer war mit 4:31/km recht flott. Dann ging es aber raus aus dem Ort Kandel auf die Überlandstraße zum Nachbarort Minfeld. Ich dachte ich müsste gegen eine Wand laufen, so stark bließ einem hier der Wind von linksvorne entgegen. Ich habe hier immer wieder versucht gut im Windschatten zu laufen, aber irgendwie hat das nicht viel gebracht. Mit meinen 190cm habe ich eine relativ große Angriffsfläche für den Wind. Die Pace für den dritten km von 4:44/km sagt einiges aus.
Im Ort Minfeld wurde es dann sofort besser. Geschützt von Häusern war es hier gut zu laufen. Nach verlassen des Ortes kam dann nochmal ein Stück, bevor es in den Bienwald ging, wo der Wind echt krass blies. Hier oder etwas später (bei km5-7) hatte ich dann für mich entschlossen, dass ich nicht auf Sub3:15 laufen werde, was ich eigentlich vorhatte, da der Wind für mich doch ein kräfteraubendes Handycap darstellt. Es war nicht nur der Gegenwind, sondern auch der Seitenwind der mir die Kräfte nahm. Zu dem Zeitpunkt war ich zwar noch auf gutem Kurs, aber ich war ziemlich am Schnaufen und erinnerte mich an meine bisherigen Marathons. Bei denen ging es mir nämlich bis Kilometer 30 immer sehr gut vom Körpergefühl. Dies war hier nicht der Fall. Ich konnte mir zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen, dieses Tempo bis zum Schluss durchzuhalten. Also nahm ich etwas das Tempo raus, und wurde sogleich von vielen überholt. Belohnt wurde ich dann etwa bei Kilometer 8, als ich mich dann an mein Tempo gewöhnt hatte, auf einmal ein super Körpergefühl bekam, und mich über den Marathon und den Bienwald freute. Das Tempo hatte sich da bei 4:40/km eingependelt und wurde von mir dann bis ins Ziel eingehalten.
Bei Kilometern 21-23 habe ich mich dann noch sehr nett mit einem Franzosen aus dem Elsaß unterhalten und wir verabredeten uns dann auf ein Bier im Ziel. Ab km30 fingen dann die Beine an zu schmerzen und ab km 35 war alles nur noch ein Kampf um die Pace beizubehalten. Die Glykogenspeicher waren fast völlig aufgebraucht. Mein Puls war bis km35 durchweg bei 84-85% von HfMax, um dann auf den letzten 7 Kilometern auf 87-88% hoch zu gehen. Hier war ich dann pausenlos damit beschäftigt meinen Körper und meinen Kopf davon zu überzeugen, dass es doch besser ist die Pace beizubehalten und dann strahlend ins Ziel zu rennen, als mich einfach flach in den Wald zu legen, um, wie jeder normale Mensch, den Sonntag zu genießen.
Es half alles nix, ich musste da durch. Vier Kilometer vor Schluss sah ich dann plötzlich meine Mutter am Wegesrand, sie feuerte mich an und machte Fotos von mir, zu einem Lächeln konnte ich mich da nicht mehr zwingen. Dementsprechend sahen dann später die Fotos aus, voller Leid, Qual und Kampf.
Dann ging es raus aus dem Wald und ich bekam von linksvorne nochmal extrem Gegenwind. Hier merkte ich dann, das meine Rumpfmuskulatur nicht mehr vorhanden war. Wie mit einer Plastiktüte spielte der Wind mit meinem Oberkörper, der hin- und herschwankte.
Der vorletzte Kilometer war absolut genial, Rückenwind! Ich dachte ich fange an zu fliegen. Leider währte das Gefühl nicht lange und ich bog ab auf den letzten Kilometer wo mir auf einmal ein starker Seitenwind von rechts kleine Hagelkörnerchen (Graupel) ins Gesicht peitschte. Der ganze Körper hatte zu diesem Zeitpunkt vor Schmerz geschrien, warum musste Petrus - der alte Sadist - dann noch diese Keule auspacken? Ca. 100 Meter entfernt erkannte ich meinen kleinen Bruder, der mir anfeuernd zurief. Er stand mitten im Siff, ganz alleine und wurde klatschnass. So ein Opfer seinerseits motivierte mich gekonnt und ich gab nochmals alles.
Als ich dann um die Ecke ins Stadion bog, hörte und sah ich meine Freundin, die mich noch kräftig auf den letzten Metern anfeuerte.
Kaputt und glücklich kam ich ins Ziel, die Zeit war mir in dem Moment egal und ich schaute erst viel später auf meine Uhr.
Die Helfer ließen uns ins Zelt und da habe ich mich dann mit anderen Marathonis unterhalten und gefuttert. Ein Bierchen - oder zwei - ist nach einem Marathon etwas Feines.
Alles in allem war es ein sehr schöner Marathon, sehr gut organisiert und eine schnelle Strecke (trotz Wind).
Und mit meiner persönlichen Bestzeit von 3:16:39 bin ich sehr zufrieden. Vielleicht wäre bei wenig Wind eine 3:15 drin gewesen, weiß ich nicht. Ist auch egal. Ich habe, so glaube ich, das Beste aus mir rausgeholt, und das ist, was zählt.