Kölnpfad 2018, 133km, 23h
Vor einer Woche stand mal wieder der Kölnpfadlauf auf dem Programm, mein Jahres-Highlight. Der Kölnpfad ist ein Wanderweg einmal um Köln herum, ganz außen, meist durch's Grüne, insgesamt ca. 170 km. Mein Heimrennen quasi, ich war bislang immer in irgend einer Form dabei.
Rückblick
2009 gab es den ersten Kölnpfadlauf. Ich war damals gerade irgendwie in den Ultrabereich hineingestolpert, fand das alles ganz klasse und stand als absolutes Greenhorn am Start, ohne auch nur eine Ahnung, worauf ich mich da einlasse. Diese Unbefangenheit und die Euphorie war ein großer Vorteil. Einfach drauf los, wird schon irgendwie gut gehen und wenn nicht, auch egal. Ich habe es tatsächlich geschafft nach hartem Kampf, so gerade in der Zeitvorgabe. Mann, war ich stolz. Zwei Jahre später 2011 gab es die nächste Auflage, natürlich wieder mit mir, gleiches Spiel, wieder mit viel Euphorie, wieder harter Kampf, wieder geschafft. Danach machte der Kölnpfad ein paar Jahre Pause und kam 2015 mit neuem Ausrichter Tom Eller zurück. Natürlich war ich sofort angemeldet. Die Anfangseuphorie für die ganz langen Läufe war inzwischen so etwas wie "Erfahrung" gewichen. Ich wusste inzwischen, dass dies ein ganz dicker Brocken ist und das machte mir plötzlich in den Monaten vorher in der Vorbereitung arg zu schaffen. Etwa einen Monat vorher verweigerte mein Kopf, wie ein Springpferd, dem ein Hindernis beim Anlauf plötzlich zu hoch vorkam. Absage bzw. Tom Eller erlaubte mir außer Konkurrenz als Run & Bike Team mit einer Freundin an der Veranstaltung teilzunehmen. So konnten wir trotzdem das Event hautnah miterleben, gemeinsam mit und unter den Läufern. Dies war der legendäre Kölnpfad mit Temperaturen bis 40°C. 2016 war ich wieder am Start, als Einzelläufer auf der vollen Distanz. Die Todeszone hat mich nach 110 km hinweggerafft. Ich war da körperlich so am Ende, wie ich es bis dahin nicht gekannt hatte. Normalerweise geht Gehen ja immer irgendwie. In dem Moment musste ich um jeden einzelnen Schritt vorwärts mit mir kämpfen. Die Akkus waren total leergebrannt durch die Sonne. Ausstieg in Porz-Wahn. 2017 hat mir die Vernunft gesagt, der 110 km-Wettkampf, der inzwischen auch im Rahmen des Kölnpfadlaufs angeboten wurde, reicht eigentlich auch. Geschafft, hat viel Spaß gemacht in einer tollen Gruppe. In diesem Jahr sollte es dann wieder die volle Distanz werden.
Kölnpfad 2018
Ich stehe am Start um 0:00 Uhr am Samnstag Morgen im Thulweg, innerlich erstaunlicherweise total ruhig. Gedanklich gehe ich nochmal die Strecke durch, die ich mir in 20km-Stücke eingeteilt habe. Dies ist das erste mal, dass ich irgendwie "geplant" an die Sache gehen will. Die beiden Anfangszwanziger möchte ich kontrolliert in je 3h laufen, danach am Morgen schon bewusst das Tempo drosseln und gemütlich durch den heißen sonnigen Tag traben, damit ich gegen Abend hoffentlich noch Körner für die Todeszone und die Nacht habe. Erstes Ziel ist die 100km schaffen. Zweites Ziel ist die darauf folgende Todeszone durch die Felder vom Rhein rüber nach Libur zu überleben. Da habe ich ja noch eine Rechnung offen. Drittes Ziel ist durch die Nacht zu kommen und morgens dann das Ziel am Thuleweg wieder zu begrüßen.
0-20km - Das nördliche Rheinstück
Am Start wird runter gezählt und die Läufer setzen sich in Bewegung. Es geht direkt in ein kleines finsteres Waldstück. Alle sind mit Stirnlampen gut bestückt, nur ein Exot ist mit ner popligen Taschenlampe unterwegs. Ich. Nach 200 Metern spuckt uns der durch unzählige Stirnlampen taghell ausgeleuchtete Wald wieder aus. Danach geht es meist auf breiten gut zu laufenden Wegen gen Westen zum Rhein rüber. Der Vollmond ist inzwischen aufgegangen und leuchtet uns da, wo keine Straßenlaternen sind. Eine schöne Nacht. Die Temperaturen sind angenehm. Es geht gut voran. Am Stammheimer Schlosspark treffen wir auf den Rhein und immer am Rhein entlang bis zur Mülheimer Brücke, dort über den Rhein rüber und auf der Gegenseite wieder am Rheinufer in Richtung Norden weiter.
Ab der Mülheimer Brücke laufe ich mit einer Läuferin zusammen, die heute ihren ersten 100-Meiler läuft. Wir werden bis ganz in den Norden nach Worringen zusammen bleiben. Sie hat mich mit dem Satz "Ich werde das schaffen, irgendwie, und wenn ich länger als die Maximalzeit brauche, egal, ich ziehe das durch." Klasse. Genau mein Reden von den ersten beiden Läufen, der Lauf und die Wertung war nur zweitrangig, es ging einzig darum den Kölnpfad zu bezwingen. Ansonsten ist sie mit einer Ruhe und Fokussiertheit unterwegs, die ich sehr beeindruckend finde. Sie hat den Kölnpfad dann tatsächlich bezwungen, innerhalb der regulären Zeit. Tolle Läuferin, tolle Kämpferin. Respekt.
20-40km - Der Norden
Am Fordwerk verlassen wir den Rhein und umlaufen es in einem weiten Bogen. Hier geht es nochmal durch ein Stück dunklen Wald, dann am südlichen Teil des Fühlinger Sees entlang wieder zurück zum Rhein und dann auf ewig langen Geraden über den Rheindeich bis ganz in den Norden des Kölnpfads. Auf Höhe des Worringer Bruchs verlassen wir den Rhein. Der folgende lange Ackerweg immer am Waldrand entlang ist eine Hassstrecke von mir, absolut blöd zu laufen. Heute lasse ich mich nicht ärgern, ich gehe das ganze Stück, ich bin ja gut in der Zeit. Am Wasserwerk in Esch sind die ersten 40km geschafft. Zeitvorgabe waren 6h. Ich habe ein Polster von 30 min rausgelaufen, passt.
40-60km - Der Nordwesten
Es ist inzwischen hell. Es geht durch Esch, am Escher See und am Pescher See vorbei. Ich versuche Lauftempo rauszunehmen, um Körner zu sparen. Und ich versuche an den VP's möglichst kurze Aufenthaltszeiten zu schaffen, um trotzdem das Durchschnittstempo möglichst hoch zu halten. Ich fülle schnell meine Getränkevorräte auf, greife mir etwas zu Essen und schon geht's wieder weiter. Dadurch habe ich ein ganz anderen Rhythmus als die anderen Läufer. Ich überhole quasi am VP und werde irgendwann auf der Strecke wieder zurücküberholt. Das bedeutet aber auch, dass ich meist alleine unterwegs bin. Das geliebte Laufen in Grüppchen mit lockerem Gesprächen oder das Zusammensitzen an den VP's, kommt zu kurz. Dies wird mir am Ende sogar das Genick brechen.
Weiter geht's durch Bocklemünd und über breite Wege in Richtung Stadion. Hier ist mein Laufrevier, hier laufe ich privat und mit dme Lauftreff. Langsam wird es wärmer, aber ich komme gut voran, am Stadion vorbei, Jahnwiesen, Adenauer Weiher ... und schon ist der nächste 20'er Block geschafft. Mir geht's gut.
60-80km - Der Südwesten
Decksteiner Weiher, kurz den Beethoven Park gestriffen, durch den kleinen Klettenbergpark, Kalscheurer Weiher, Forstbotanischer Gaten ... der Grüngürtel zieht langsam aber beständig an mir vorbei. Die Sonne steigt, es wird wärmer. An den VP's fülle ich immer meine Colahydratvorräte auf, mein Energielieferant, und eine Wasserflasche. Das Wasser nutze ich hauptsächlich zum Befeuchten, für äußere Kühlung. Wo sich die Gelegenheit bietet nutze ich Wasserquellen, z.B. an einem kleinen Friedhof. Das war sooo herrlich, seinen Kopf unter den Wasserstrahl zu tauchen.
80-100km - Das südliche Rheinstück
Irgendwann nach gefühlt ewig langem Weg über die Wiesen und Felder ist endlich der Rhein erreicht. Es ist für's Gefühl soo schön, endlich am Rhein zu sein, am Rhein lang zu laufen, statt über blöde Felder. Erst geht's nach Norden bis Rodenkirchen. Hier ist viel Leben und Trubel und Radfahrer und Spaziergänger. Schön unter Menschen zu sein. Über die Rodenkirchner Brücke geht es auf die andere Rheinseite und auf der Gegenseite dann wider zurück. Körperlich fühle ich mich eigentlich gut, bin ja auch sehr langsam unterwegs, nur das langsame Tempo fängt langsam an zu nerven. Aber ich bleibe dabei, langsam, viel gehen, bloß nicht zu früh zu viel Energie verpulvern.
Am VP von Susanne sehe ich als erstes die Dusche, die dort aufgebaut ist, eine göttliche Dusche. In meiner gewohnten Rountine habe ich dann das übliche, Getränke auffüllen, essen, schnell erledigt und mache mich wieder auf den Weg. Sorry Susanne, Florian, Michael und die vielen anderen liebevollen VP-Betreiber, für die ich an diesem Tag so gar keine Zeit übrig hatte, für keinen, irgendwie fühlte ich mich getrieben, nur nicht lange stehen bleiben, du hast keine Zeit zu verschenken. Quatsch, aber wenn einem erstmal eine fixe Idee einer Strategie gepackt hat ...
Porz, Zündorf, es geht voran in langsamen Tempo, aber die steigenden Temperaturen am Nachmittag machen es einem so richtig schwer. Aber dann sind die 100 km erreicht. Ziel 1 geschafft. Juhu.
100-120km - Der Süden (Todeszone)
Als der Weg dann den Rhein nach Osten verlässt, dann gilt es, sich der Todeszone zu stellen. Ich habe sehr großen Respekt, fühle mich auch nicht mehr ganz frisch und mache noch langsamer als bisher. Hier werde ich von vielen Läufern überholt. Egal, bloß nicht noch einmal abkacken. Dann ein Highlight, am Pferdehof hat tatsächlich jemand privat eine Dusche installiert für die Läufer. Soooo schön. Vielen vielen Dank lieber Unbkannter, du bist ein Engel. Diesmal packe ich dann tatsächlich die Todeszone, ganz langsam, aber ich bin durch. Ziel 2 erreicht, juhu. In Libur gibt es zur Feier in einem Restaurant erstmal eine kalte Cola. Nach Libur gilt es aber noch weitere lange schattenlose Geraden zu bestehen. Die Strecke an der Bahnlinie entlang scheint nicht enden zu wollen, aber irgendwann ist es geschafft, endlich Porz-Wahn.
Die Todeszone hat mich heute nicht geschlagen, aber trotz langsamstem Tempo fühle ich mich doch etwas angeschlagen. Vor einem Wohnhaus in Wahn wieder eine schöne Überraschung. Privat hat jemand zwei Schüsseln mit Wasser an den Weg gestellt. Klasse, ich mache Kopf und Kappe nochmal richtig nass. Vielen Dank, das hat sehr geholfen. Danach geht es irgendwann durch ein kleines Waldstück. Ich bin soo dankbar, endlich keine Sonne, obwohl diese sich inzwischen schon stark gesenkt hat. Aber die Sonne hat nur noch genervt am Schluss. Nach dem Wald geht's noch durch Grengel. Am Ortsende ist die nächste VP, Freude.
120-140km - Der Osten
Als nächstes folgt die Wahner Heide. Diese erscheint mir heute als nicht enden wollend. Eigentlich war ja jetzt für den Abend geplant, dass ich die gesparten Körner einsetze und wieder etwas Tempo aufnehme. Davon bin ich weit entfernt. Im Moment ist nur noch Gehen drin. Das nervt. Und ich werde häufiger überholt von anderen Läufern, wobei, eher überfolgen. Ich bin langsam, ok, ich fühle mich auch langsam und das nervt zunehmend. Die Wahner Heide will einfach nicht enden. Sonst läuft man einfach rein und irgendwann wieder raus, aber bei mir kommt kein Ende in Sicht. Mist.
Dann bin ich doch irgendwann am Bahnübergang und kurze daruf an der Straße. Hier geht es eigentlich auf der anderen Straßenseite direkt wieder in den Königsforst rein. Da hatte uns dieses Jahr die Forstverwaltung einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Königsforst blieb für uns gesperrt und wir mussten den Landstraßen folgend außen drum herum laufen. Das fand ich ehrlich gesagt in dem Moment positiv. Jetzt ein Stück Asphalt kommt genau richtig. Also rechts ab, der Straße entlang und tatsächlich klappte das Laufen wieder. Meine Stimmung stieg merklich. Dann gings links ab nach Forsbach den Berg hoch. Also wieder gehen. Und der Berg zog sich elend lang hin. Die Stimmung war wieder im Keller. Es ging weiter und weiter und weiter bergan.
Irgendwann kam mir eine Radfahrer entgegen, der mich freudig grüßte. Es war ein netter Bekannter, dessen Frau bei der Nachtschicht mitläuft und zu der er gerade unterwegs war, um sie dann durch die Nacht auf dem Rad zu begleiten. Eine nette Begegnung, die meine Stimmung nochmal aufheitert. Am nächsten Tag bei der Feier sagte er mir, "Mann, hast du da Scheiße ausgesehen!"
Es geht weiter berghoch. Aus Richtung Forsbach hört man Livemusik. Ist das Kasalla? Mir doch egal. Es wird Dunkel und endlich ein Pfeil, der nach links von der elendigen Straße weg deutet. Ich hole meine Taschenlampe raus und kaum auf dem Waldweg, vermisse ich den ebenen Asphalt. Es geht einige Zeit durch den dunklen Wald, bis er uns an einem Waldparkplatz wieder ausspuckt. Hier stehen ein paar Leute an ihren Autos und fragen mich, was das denn für eine Veranstaltung sei. "Kölnpfad, einmal um Köln herum." "Wieviele Kilometer?" "170." Schweigen. Über den Tag bin ich einige Male angesprochen worden, wegen der Startnummer. Einmal war witzig, da kam aus einer Gruppe heraus "Kölle wat?" Ich antwortete "Alaaf!" und schon war die ganze Gruppe am singen "Kölle Alaaf Alaaf, Kölle Allaf!". Da hatte ich den Karnevalsschalter wohl voll getroffen. "Denn wenn et Trömmelche jeiht, dann stonn mer all parat, un mer trekken öm de Stadt ..."
Die nächste Landstraße von Forsbach rüber nach Bensberg war zwar nur wellig, zog ich aber wieder ewig hin. Ich sehnte mir den nächsten VP herbei. Irgendwie war das gerade alles zum Kotzen. Dann kurz vor Bensberg durften wir doch ein kleines Stück in den Königsforst hinein. Es ging von der Straße ab ein Stück den Berg hinunter, unter der Autobahn hindurch und dann auf der anderen Seite wieder hoch, um dann 200 Meter weiter wieder auf die Straße zurück zu kommen. "Was soll den der Scheiß?" Plötzlich war ich nur noch von negativen Gedanken umgeben. "Scheiß Weg!" "Scheiß Weg!" ... stampfte ich durch die Dunkelheit vor mich hin durch den Scheiß Königsforst. "Scheiß Glühwürmchen", "Scheiß alles". Irgendwann oben auf der Straße zurück war ich erstmal platt vom Aufstieg und sehnte mir eine Bank herbei. Einfach nur sitzen. Da kommt doch gleich in der Kurve eine Bushaltestelle. "Scheiß Leute! Warum müssen die ausgerechnet jetzt auf den Scheiß Bus da warten?" ...
Es ging jetzt nochmal richtig steil hoch. Ich war langsamer als die Spaziergänger, die gemütlich nach Hause schlenderten. Ich war platt. Ich war platt im Kopf. Das war doch alles Scheiße hier. Und es ging immer noch weiter steil hoch zu diesem Scheiß VP ...
Am VP setzte ich mich in den nächsten freien Stuhl und machte erstmal komplett dicht. Der ganze Trubel war mir zu viel. Einfach sitzen. Dann sah ich, wie ich die Sicherheitsnadeln öffnete, um mir die Startnummer abzumachen ...
Eine Viertel Stunde später saß ich in der Straßenbahn auf dem Weg nach Hause.
140-160km - Der Nordosten
Um 2 Uhr lag ich frisch geduscht im Bett. Schlafen, ja, ich war sooo müde.
160-168km - Zieleinlauf
Ich hätte noch bis 8 Uhr Zeit gehabt für das Reststück, also über 8 Stunden für gut 30 km, eigentlich machbar.
Um 8 Uhr bin ich wach geworden. Ausgeschlafen. Ein neuer Mensch. Und mir war sofort klar, was gestern falsch gelaufen war. Ich hatte mich selber geschlagen. Aber witzigerweise war ich nicht enttäuscht. Ich war stolz auf das erreichte. Dass ich 133 km schaffen würde, bei diesem Wetterbedingungen, das war keineswegs klar vorher.
Was war falsch gelaufen? Ich hatte mich durch das ewig lange langsame alleine Laufen und Gehen, bedingt durch meine tolle Taktik, selber zermürbt, mir selber den Spaß an der schönen Sache genommen, mich um die netten Gespräche mit den anderen Läufern gebracht, um das gemeinsam Kämpfen und Leiden, um die liebevolle Bemutterung an den VP's. Ich hatte noch nicht mal Zeit zum Fotografieren, was ich im nachhineien besonders Schade finde. Ich war die ganze Zeit getrieben, läuferisch wird es nicht reichen, mach es taktisch. Mein Körper war beim Ausstieg tatsächlich nur angeschlagen, der hätte noch weiter gekonnt ...
Normalerweise sagt man nach so einem Brett, "Nie wieder!" Ich habe mich am Montag für das nächste Jahr angemeldet und ich bin sicher, dass ich es dann wieder richtig mache.
Einfach laufen.
2022: erledigt: G1-Grüngürtel, Kölnpfad 100k, Burginsellauf Delmenhorst 24h Staffel(!), Mega Marsch Köln (63k) ... geplant: nix