Ich fand mich ca. 75 Minuten vor dem Start im Startbereich ein und sah mich ein wenig im Gelände um. Zum Aufwärmen nutzten alle Läufer einen Kunststoffrasen (Fussballfeld), der direkt neben den Garderoben war, manche liefen auch hinter dem Gebäude auf einem anderen Fussballplatz (Naturrasen). Ich war ungefähr "nur" geschätzte 25 % so nervös wie bei meinem ersten Halbmarathon vor einem halben Jahr, vielleicht weil ich auf einiges vorbereitet war und gewusst habe, wie ich meine Pace besser kontrollieren kann und damit zu schnelle erste 10 Kilometer verhindern kann. Deshalb besorgte ich mir einen Garmin Laufsensor, den ich mit einer gebrauchten Forerunner 210 kalibrierte und der sehr genaue Ergebnisse abliefert und eine sehr wichtige "2.Meinung" zur aktuellen Pace liefert, denn GPS ist im Stadtgebiet nicht sehr zuverlässig, wie ihr wisst.
Es gab 3 Bewerbe - 7, 14 und 21,1 km, jeder Bewerber musste also 1,2 oder 3 Runden von diesem AIMS vermessenen 7 km Rundkurs absolvieren.
Eigentlich war mein gewolltes HMRT 4:16 min/km, aber aufgrund der Wärme wollte ich es lieber mit 4:19 probieren. Um 11 Uhr war Start und das Wetter war dann genauso wie vorhergesagt: bis 12 Uhr noch manchmal Wolken am Himmel, dann nur noch Sonne und doch auch recht warme Temperaturen. Zu Hause frühstückte ich um 9 Uhr nochmal ca. 900 kcal (Haferflocken, Joghurt, eine Banane und Honig) und packte alles zusammen inklusive einer Marschtabelle mit allen km Zeiten für die 2 Tempi 4:19 und 4:22, ein Gel nahm ich auch mit, nur um sicherzugehen, dass ich was dabei hätte im Falle des Falles, da es bei den 2 Versorgungsständen des Rundkurses (1 mal beim Start, 1 mal beim Hauptplatz) nur Wasser und Iso gab, aber nix Essbares. Sanitäter gab es auch nirgendwo, ich denke mal, dass selbige wohl nur bei einem Marathon vorgeschrieben sind.
Um 10:53 Uhr war ich noch schnell am WC, da ich vermeiden wollte, während des Laufes zu oft oder überhaupt aufs WC zu müssen, allerdings hab ich mir auch nicht allzuviel Gedanken gemacht, da der Lauf auch entlang der Mur am Rande des Augartens führt und dort im Notfall ....(ihr wisst schon, was ich meine). Übrigens - das Startersackerl holte ich am Vortag zu Mittag beim Gigasport (nähe Grazer Hauptplatz) ab und traf dort auch eine Bekannte, die ich beim Plasmaspenden kennengelernt habe und die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Im Startersackerl war eine optisch ansprechende Trinkflasche, ein 10 Euro Gutschein bei einem Gigasport Einkauf und noch ein paar nette Kleinigkeiten.
Bei den Damen WCs war immer eine Riesenschlange, bei den Herren WCs gab es keine Probleme mit Wartezeiten. Aufgewärmt hatte ich mich bereits eine halbe Stunde vor Start mit 10 Minuten einlaufen inklusive 3 Strides, danach setzte ich mich nochmal etwas hin. Um 10:55 Uhr ging ich nach oben zum Startbereich zu den anderen 1600 Läufern (obwohl sooo gefüllt war es nicht, ich hätte mir das viel gedrängter vorgestellt). Da ich spät dran war, dachte ich, ich würde irgendwo hinten stehen, aber dem war nicht so, ich bin gleich knapp 20 Meter hinter der Startlinie gestanden und es gab absolut KEIN Gedränge oder Geschiebe und ich ging dann locker noch ein paar Meter nach vorne, hab aber die richtigen schnellen Läufer vor mir gelassen und die meisten blieben sowieso eher hinten. Hier traf ich zufälligerweise wieder die oben genannte Bekannte wieder und wünschte ihr viel Spaß und mit einem Lächeln verabschiedeten wir uns voneinander.
Ich hab gleich gesehen, dass ich sofort mein Zieltempo anvisieren konnte, da die Straße auch sehr breit ist (Herrgottwiesgasse). Natürlich sind die letzten Minuten vor dem Startschuss etwas seltsam, da man nicht weiß, was jetzt kommt. "Wie wird sich meine 4:19er Pace anfühlen?" "Wird mir das schnell vorkommen oder wird es gehen"? ....sind nur einige Fragen, die einem durch den Kopf gehen. Los geht's.
Ich schaue direkt von Anfang an auf die Uhr(en), um das Tempo zu treffen und selbiges fühlt sich extrem locker an. Sei noch erwähnt, dass ich dann zur 1.KM Markierung komme, und meine Uhr fast 1,1 km anzeigt (wenn ich mich recht entsinne). Ich wusste damit sofort, dass ich höchstwahrscheinlich deutlich langsamer laufe, als die von der Uhr angezeigte 4:19er Pace, was mir aber egal war, da ich 1. nicht genau wusste, ob die Schilder korrekt stehen und 2. nur ein Problem damit hätte, wenn meine Uhr weniger Strecke anzeigt, denn dann wäre ich zu schnell und das wollte ich verhindern. Kurz vor km 2 frage ich einen anderen Läufer, welche Pace seine Uhr anzeigt und er sagte "4:10", was mich verwunderte, da meine Uhr eine langsamere Pace anzeigte - der Laufsensor zeigte zu dem Zeitpunkt eher sowas wie 4:20 an und von anderen Läufen weiß ich, dass der kalibrierte Sensor konstant ziemlich verlässlich eine 2 bis 3 Sekunden langsamere Pace als die Tatsächliche anzeigt. Daher gehe ich davon aus, dass ich eher 4:23 lief. Ich hatte in der Vorbereitung einen 16 km Tempolauf mit Pace 4:16 absolviert, bei dem der Pulsgurt einen völlig konstanten Durchschnittspuls von 170 anzeigte - allerdings waren an dem Tag ca. 8 Grad Plus, währenddem ich heute wohl eher bei über 20 Grad in der Sonne lief. Den 1.Versorgungsstand beim Hauptplatz hab ich fast übersehen und bin dann schnell nach rechts rübergeschwenkt, wusste aber nicht, dass da eine Läuferin war, die entsetzt aufschrie, worauf ich mich sofort entschuldigte und wir eine böse Kollision oder einen Sturz verhindern konnten. War definitiv mein Fehler...Die Dame erholte sich aber schnell vom Schreck und lief flott weiter.
Ich habe mir einen Tipp vom einem Forumskollegen zu Herzen genommen, der sagte, dass er sich bei warmem Wetter bei jedem Getränkestand kühlte, was ich über das ganze Rennen hinweg durchzog - alle 3,5 km trank ich einen Becher (=3 Schluck) Wasser (Ausnahme: 1 oder 2 mal hab ich Iso genommen) und leerte mir einen 2.Becher Wasser über den Kopf. Das half enorm - sowohl die Trockenheit des Mundes war dann für die nächsten knapp 4 km weg und die Kühlung des Kopfes reichte grad aus und half mir sehr - ich hatte unter der Wärme dadurch definitiv nicht zu leiden. Manchmal ging auch ein leichter Wind, der zusätzliche Kühlung spendete. Ich hatte auch einen dicken, abgeschnittenen Strohhalm eingepackt (ebenfalls ein Forumstipp), um damit besser aus den Bechern trinken zu können, allerdings hab ihn nicht ausgepackt, da ich es nicht für nötig erachtete und die Fummelei mir zu blöd war in dem Moment. 2 mal bin ich sogar gegangen während dem Trinken, was ja auch nur kurz dauerte, einmal ist das Iso während dem Laufen daneben gegangen und hat das Leiberl durchnässt.
So vergingen die ersten 8 oder 9 km, während ich merkte, dass meine Uhr immer mehr Strecke anzeigte, als ich zu den km Schildern kam- aber wie gesagt - ich hab darauf keine Rücksicht genommen und wollte auch nicht großartig herumrechnen, denn ich bin zum Laufen hier und nicht um Mathematikhausaufgaben zu machen.
Ich versuchte sehr intensiv auf mein Körpergefühl zu hören, hab auch den Puls gecheckt (Pulsgurt), da ich einen Einbruch verhindern wollte, wie ich ihn bei meinem 1.HM erleben musste. Der Puls war dann später ab km 10 wohl schon bei 174, was mich nachdenklich stimmte, da ich wie gesagt beim Trainingslauf mit 4:16er Pace einen 170er Puls hatte und bei meinem 10 km Bestzeitlauf vor 2 Wochen (auch bei kühlen Temperaturen) einen Durchschnittspuls von 176. Also gemäß Puls währe ich jetzt wohl schon an meiner Schwelle oder zumindest in diesem Bereich, aber da ich zusätzlich versuchte, in mich hineinzuhören und nicht die Daten über mich herrschen lassen wollte, habe ich beschlossen, die Pace zu halten, da meine Atmung absolut okay war und im grünen Bereich. Ich hab während dem ganzen 7 km Rundkurs immer versucht, im Schatten zu laufen - wenn denn einer vorhanden war, - es gab einige Stellen, wo man nah an einer Mauer etwas kühlere Laufmeter finden konnte, manchmal war allerdings bei der nächsten Runde dort kein Schatten mehr, da sich der Sonnenstand in der halben Stunde veränderte.
Mehrfach werde ich von Zuschauern angespornt und beklatscht und ich gebe ab und zu Daumen-Hoch Zeichen zurück - die Stimmung an der Strecke ist gut. Beim Anbruch der 3.Runde hab ich das einzige Mal auf die Marschtabelle geguckt und hab gesehen, dass ich ca. 30 Sekunden langsamer war, als die 4:19er Tabelle anzeigte, ich war zu diesem Zeitpunkt in einem Pacebereich, der auf auf eine Zielzeit im Bereich von 1:31:30 hinzeigte, was ich etwas enttäuschend empfand, da ich wusste, dass ich eigentlich etwas mehr draufhabe, ich es aber als noch wichtiger erachtete, mich nicht abzuschießen, da ich die Variable "Temperatur" und ihren Einfluss auf mich mangels Erfahrung nicht abschätzen konnte. Es sei noch erwähnt, dass das Läuferfeld doch sehr in die Länge gezogen wurde und man irgendwann in den 150 Metern vor sich selbst nur mehr maximal 10 Läufer oder noch weniger sah. Irgendwann auf der 2.Runde (ca. km 12 eventuell) hat sich ein anderer Läufer zu mir gesellt und ich konnte merken, dass er sehr nah neben mir lief und wahrscheinlich mit mir laufen wollte, vielleicht weil ihm meine Pace passte. So liefen wir relativ lange nebeneinander her, doch durch die Kurven hab ich ihn dann doch wieder aus den Augen verloren. Bei km 17 ungefähr hab ich innerlich wohl gewusst, dass ich mit dieser Pace nicht abstürzen werde und es auch ins Ziel schaffen würde. Ich kann mich noch erinnern, dass ich mir dachte, dass ich vor den letzten 2 km noch eine neue Runde auf der Forerunner 35 starten würde und dann die selbige mit einem 4er Schnitt laufen würde, nur um zu zeigen, dass ich meine Körner alle noch bei mir hatte. Denkste...

Ich bin dann tatsächlich schneller geworden, aber einen 4er Schnitt hatte ich nicht mehr drauf, trotzdem bin ich die letzte Runde noch knapp 40 Sekunden schneller gelaufen als die 2. und so konnte ich doch noch eine Zeit unter 1:31 erreichen (Nettozeit war 1:30:41). Einige hundert Meter vor dem Ziel streckt ein kleines Mäderl die Hand aus zum abklatschen, was ich natürlich auch tat

Die letzten Meter vor dem Ziel stehen linker Hand viele Zuschauer, die mich antreiben und jetzt laufe ich tatsächlich noch relativ schnell über die Ziellinie, aber viel mehr als 30 Meter knapp im 4er Schnitt waren es wohl doch nicht

Ich drücke beide Uhren ab, verbeuge mich kurz vor dem jungen Mann, der mir die hölzerne Finishermedaille umhängt, dann gehe ich zum Versorgungsstand, um etwas zu trinken. Mir geht es eigentlich gleich wieder gut und ich fühle mich fit, was mich trotzdem nicht ärgert, da mein Hauptanliegen war, nicht ins Ziel zu bluten, sondern erhobenen Hauptes die Ziellinie zu überqueren. Die Zeit ist absolut okay wie ich finde.
Ich gehe aufs WC, um mir das Gesicht zu waschen, dann gehe ich in Richtung Kabine und kurz überkommen mich die Emotionen und 1 oder 2 Tränen schießen mir in die Augen, da dieser Lauf so gelungen war und ich mich an letzten Oktober erinnerte, als ich eine halbe Stunde mit Krämpfen im Zielbereich in der Wiese lag. Ich trinke in der Kabine einen halben Liter Multivitaminsaft - habe aber gar nicht mal einen Hunger und das beste ist wohl, dass ich während des Laufs kein Gel nahm, denn sonst müsste ich mir hier von euch nur anhören, warum ich denn bei einem HM ein Gel bräuchte etc etc etc (Ich kenn euch doch!!!

Ikarus wollte zu nah zur Sonne fliegen und stürzte ab, weil die Wärme so hoch oben das Bienenwachs seiner Flügel schmelzen ließ. Daedalus wollte nicht zu viel und überlebte.
Diesmal war ich Daedalus.
Hier der Lauf auf meiner Forerunner 35:
https://connect.garmin.com/modern/activity/2609664663
Hier einige Fotos (Startnummer 23):