Also gut, mache ich. Gerne sogar. Was machen wir denn da als Familie? Ein Wochenende in der alten Heimat? (Groß-)Eltern besuchen? Mit einer Großfamilie nicht so einfach, unter 300 € für eine Ferienwohnung am Wochenende war nix zu bekommen. Und das war uns dann doch zu teuer (und auch zu stressig, mit den Kindern für de facto 1,5 Tage mindestens 7 Stunden Auto zu fahren). Also doch zu Hause bleiben.
Und dann ploppte er auf. Der „Feinkost-Albrecht-Ultramarathon“. Ich LIEBE verrückte Laufaktionen. Und genau das war genau nach meinem Geschmack. Alle 22 Aldi-Filialen in Wuppertal müssen abgelaufen werden. Keine Streckenausschilderung, keine VPs, nix. Alles „DIY“. Startkosten: 6€. Wie geil ist das denn?
Nie, ich wiederhole NIE würde ich auf die Idee kommen, meine Frau zu bitten mich dahin gehen zu lassen. Ich kann sie ja nicht auch noch am freien Wochenende mit den Kindern alleine lassen. Also ihr nur (fast) ohne Hintergedanken von diesem Lauf erzählt. Und sie sagt doch glatt: dann mach das. Tut dir mal wieder gut.
Wenn sie es mir so anbietet… Veranstalter kontaktiert, Züge gebucht (34 € hin und zurück), Hotel gebaucht (60 € für 2 Nächte), die Vorfreude steigt.
In den nächsten Wochen habe ich die Strecke geplant, mich mit einem GPS-Gerät eines Freundes beschäftigt, mit dem ich navigieren wollte, und mich wie ein kleines Kind auf diesen Lauf gefreut. Einen Tag nur laufen. Ohne Druck. Ohne Begrenzung. Und dann auch noch so eine geile Aktion…
Vier Tage vor dem Lauf wurde der Lauf vom Veranstalter wegen zu weniger Teilnehmer abgesagt.
Und wisst ihr was? Ich habe keinen Moment dran gedacht, nicht hin zu fahren. Alles gebucht, alles vorbereitet, und wenn ich das alleine durchziehe hat es zwei große Vorteile: es ist NOCH verrückter und ich muss mich NOCH weniger mit anderen Menschen abgeben. Nur ich und meine Laufschuhe. (gut, und 22 Aldiverkäufer und diverse Kunden…).
Klar, es gibt dann keine Urkunde, mein Ergebnis zählt nicht für die Datenbank – na und? Also habe ich mich am Freitagnachmittag auf den Weg nach Wuppertal gemacht.
Die Fahrt und der Abend verliefen ereignislos, so dass ich um sechs Uhr aufgestanden bin um kurz vor Sonnenaufgang loszulaufen. Denn ich wollte den Großteil der Strecke im Hellen schaffen. 63 km sagte mein Track, etwa 800 Hm.
Wie sah mein Plan aus? Möglichst zügig von Aldi zu Aldi rennen, jeweils eine Sache kaufen (damit ich einen Beleg habe, wirklich dort gewesen zu sein) und ganz viel Spaß haben.
Mein Laufrucksack war so gut wie leer, ich hatte nur mein Handy für den Notfall dabei, meine Stirnlampe, falls ich länger brauchen sollte und einen Gefrierbeutel mit Maske, 40 €, und Bankkarte. Dieser Beutel sollte sich dann mehr und mehr mit Kassenzetteln füllen. An Verpflegung habe ich nichts mitgenommen, alles was ich brauchte, wollte ich bei Aldi erwerben.
Was war mein Zeitziel? Ich wollte es ja ernsthaft angehen. Also setzte ich mir wie gewohnt drei Ziele:
1. Das Traumziel. Unter acht Stunden
2. Das Normalziel: Unter zehn Stunden
3. Das Minimalziel: so viele Aldis wie möglich schaffen und Spaß haben.
8 Stunden für 63 km klingt langsam? Wenn ich pro Laden nur 5 Minuten für das Einkaufen benötige (an einem Samstag!), sind das bei 22 Läden schon fast 2 Stunden. Und 6 Stunden Laufzeit für 63 km mit 800 Hm finde ich schon ambitioniert…
Die Wettervorhersage war die ganzen Wochen über hervorragend: zwischen 10 und 15 Grad und sonnig bis leicht bewölkt. Die Realität sah anders aus: 6-8 Grad, Dauerregen. Den ganzen Tag. Dazu immer wieder böiger Wind. Und auch das war mir völlig egal! Nichts sollte mir die Laune an diesem geschenkten Tag verderben.
So lief ich um 7:15 Uhr im Dunklen und Nieselregen in Wuppertal los. Nach 2 Kilometern war Aldi Nr. 1 erreicht, und bald sollte sich das Folgende total routiniert abspielen:
Abbremsen,
GPS-Gerät in den Rucksack stecken,
Maske aufsetzen,
Produkt holen, anstellen und zahlen,
Maske und Kassenzettel wieder verstauen,
Produkt konsumieren / entsorgen,
GPS-Gerät wieder in die Hand nehmen
Weiterlaufen.
Je länger der Lauf dauerte, desto öfter habe ich Dinge vergessen oder durcheinandergebracht. Ich bin zigmal ohne Maske in den Laden marschiert, ich habe sie mindestens genauso oft vergessen wieder abzusetzen. Teilweise bin ich 200 Meter mit dem Gefrierbeutel in der Hand gelaufen, und so weiter. Das Blut war halt in den Beinen, nicht im Hirn.
Der Plan war, immer wenn ich etwas brauche, wird es gekauft. Wenn ich gerade nix brauche, kaufe ich Hefe. Kostet 9 Cent und kann man danach direkt vor dem Laden entsorgen. Ja, nicht nachhaltig, aber war in dem Moment die beste Lösung, die mir eingefallen ist!
Und es lief wirklich super. Es hat Spaß gemacht. Ich war gut drauf. Und ich habe es in vollen Zügen genossen. So sehr, dass ich sehr flott unterwegs war, die Laufkilometer bis km 18 waren alle im Bereich von 5:00 bis 5:30 / min, auch wenn es bergan ging. Das Einkaufen ging meist gut vonstatten, ich fragte an der Kasse immer, ob ich vorgehen dürfte, was mir fast immer erlaubt wurde. So brauchte ich bis dahin meist nur 2-4 Minuten pro Einkauf.
Bis km 17 hatte ich sechs Aldis hinter mich gebracht, war motiviert und frisch. Jetzt wusste ich, würde eine „Durststrecke“ kommen.
Auf den nächsten 15 Kilometern kamen nur drei Filialen. Und es wurde RICHTIG trailig, waldig und steil. Nie hätte ich gedacht, dass eine Großstadt solche Trails enthalten kann. Die km 20-22 erledigte ich alle in über 8 Minuten – ohne einen einzigen Aldi. Einfach weil es so steil und technisch war. Echt krass.
Aber immer noch hatte ich rundum Spaß. Ich war klitschnass, zugeschlammt bis oben hin. Ich war sicherlich ein sehr witziger Anblick für die anderen Kunden…
Die Läden wurden mit jeder Stunde zunehmend voller, was das Einkaufen nicht erleichterte.
Was habe ich über die Lage und den Aufbau von Aldi-Filialen gelernt? Einkaufsläden in Wuppertal liegen entweder ganz oben auf dem Berg oder ganz unten im Tal. Es gibt rechtsdrehende Aldis (Tür links, Kasse rechts, man läuft mit dem Uhrzeigersinn) und linksdrehende Aldis (Tür rechts, Kasse links, man läuft gegen den Urzeigersinn.) Beide Varianten sind völlig anders aufgebaut und sortiert. Es gibt hochmoderne Konsumtempel und alte Baracken, die sich ebenfalls grundsätzlich darin unterscheiden, wo man welches Produkt findet.
Nach 42 km und damit einem Marathon war ich mit genau der Hälfte der Aldis durch. Und ich hatte schon 800 Hm auf der Uhr. Was schließen wir daraus? Die Aldi-Dichte würde steigen (stimmt), die Laufzeit sich dadurch nicht verbessern (stimmt, aber aus anderen Gründen), und die Strecke wird deutlich leichter, weil flacher (falsch. Ganz falsch.).
Jetzt war die Zeit der Trailanteile fast vorbei, es war mittlerweile deutlich städtischer, aber die Höhenmeter wollten und wollten nicht aufhören. Lange Zeit war ich auf Kurs 7 Stunden, aber das war nicht zu halten. Ich musste immer mehr wandern, und jedes Mal wenn ich aus einem Stadtteil nach unten lief und dachte: jetzt bleiben wir aber bestimmt bis zum Schluss im Tal, ging es auch schon den nächsten Berg hoch! Echt krass. Am Ende standen fast 1200 Höhenmeter auf meiner Uhr.
Gegen Ende habe ich meine „Zettelpolitik“ geändert. Ziel war es ja, alle Aldis abzulaufen, nicht überall einzukaufen. Darum einigte ich mich mit mir selbst, dass es reicht, wenn ich einen Einkaufszettel von jedem Aldi (mit Datum diesen Tages) vorweisen kann – ich muss die Sachen ja nicht selber gekauft haben. Und so fragte ich vor den Läden Kunden, die den Laden verließen, ob ich ihren Kassenzettel haben könnte. Das hat auch meistens nach kurzem Zögern und einer Erklärung von mir, was ich hier tue, geklappt. Wenn ich Hunger oder Durst hatte, habe ich natürlich etwas gekauft.
Vier Läden vor Schluss habe ich diese Taktik noch verfeinert. In den Einkaufswägen, die schon zurückgebracht waren oder im Mülleimer (obenauf, ich habe da nichts durchwühlt!) lagen oftmals Kassenzettel. Die habe ich mir dann genommen und richtig Zeit gespart!
Spannend fand ich, dass ich fast den gesamten Lauf über keine mentale Krise hatte. Klar, ich war müde, es zwickte hier und da, es war anstrengend, ich wurde langsamer – aber ich hatte durchgehend Spaß, es gab keinen einzigen Gedanken über das Aufhören!
Nur gegen Ende war ich kurz sauer. Bei km 58, ich war nun wohl endgültig im Tal angekommen (FEHLER – egal…), fehlten mir noch 4 Läden. Unmöglich bis km 63. Zumal der nächste Aldi auf sich warten ließ. Ich schätzte dass noch maximal 2 kommen würden. Es gab eine Stelle, ich glaube es müsste so bei km 50 gewesen sein, wo zwei Aldis nach geradeaus ausgeschildert waren, ich aber laut Track nach links abbiegen musste. Und bei km 58 war ich ziemlich sicher, dass ich diese beiden wohl verfehlt haben muss. Entweder weil mein Track fehlerhaft war oder ich einfach geschlafen habe. Das war schon bitter. Da war ich genervt. Aber es war klar – wenn ich einmal vor dem Hotel stehe, werde ich nicht mehr los, um fehlende Läden zu suchen und abzuhaken. Naja, 20 ist ja auch nett.
Und dann ging es Schlag auf Schlag. Die Läden waren wie an der Perlenschnur aufgereiht, und ich war bei km 63 auch nicht im Ziel. Die vielen kleinen Verlaufer und wohl auch die Ungenauigkeit durch die GPS-sensiblen Besuche der Läden haben meine Strecke auf 66 km anwachsen lassen. Und als ich das Schild des 22. Ladens sah, war ich schon sehr, sehr happy!
Nach exakt 66,1 km und 7:25 Stunden stand ich nass, dreckig und glücklich vor meinem Hotel. Man war das geil! Was für ein perfekter Tag.
Wer sich jetzt fragt, was ich gekauft habe:
3 Flaschen stilles Wasser 0,5l,
1 Flasche Cola 0,33 Liter,
1 Banane,
1 Tüte Studentenfutter,
1 Packung OP-Masken (hatte Angst, dass meine durchweicht oder reißt, völlig überflüssig),
1 Snickers,
5 Würfel Hefe.
5 Kassenzettel habe ich mir geschnorrt,
4 aufgeklaubt.
Abgerundet wurde dieser geniale Tag mit einem Treffen mit Guido, dem Chef des WHEW 100, den ich hier aus dem Forum kenne und nun zum ersten Mal persönlich kennenlernen durfte und seiner Freundin in einer Wuppertaler Kneipe. Guido hatte mir auch den Track optimiert und ganz viele doofe Sachen erspart. Er hat Stunden da investiert, mir ein tolles Lauferlebnis zu ermöglichen! Und dann noch so ein Abend, den ich mit den beiden total genossen habe. DANKE dafür!
Am Sonntag war ich dann mittags wieder zurück zu Hause und habe noch einen wunderschönen Tag mit meiner Familie gehabt. Und in zwei Wochen wird meine Frau von Donnerstag bis Samstag wegfahren und ich hüte die Kinderschar. Das war mir ganz wichtig, dass sie diese Möglichkeit auch hat und nutzt! Ich bin ihr echt dankbar, dass sie mir diese Auszeit ermöglicht hat.
Was bleibt noch zu sagen? Wuppertal hat ja nur Aldi Nord. Nürnberg hingegen hat Aldi Süd. Und auch 21 Filialen…
