kajakwolli hat geschrieben:Im letzten Runners World meinte Jonathan Wyatt:
Zitat:
"Erst die Herzfrequenz macht Laufeinheiten vergleichbar. Ich notiere mir für spezielle Bergaufprogramme die Zeiten und entsprechenden Herzfrequenzwerte und kann diese bei einer Wiederholung der Einheit in einen direkten Vergleich setzen. War bei gleicher Zeit die Herzfrequenz niedriger, dann bin ich besser geworden."
Auch gute Läufer sind nicht vor Denkfehlern oder zumindest vor ungenauen bis unglücklichen Formulierungen gefeit.
Er ist dann besser geworden, wenn
- die Temperatur bei beiden Einheiten gleich war
- er die gleiche Strecke (evtl auch mit derselben Krafteinteilung) gelaufen ist
- er mit derselben Ausrüstung gelaufen ist
- er an beiden Tagen denselben Maximalpuls hatte
Hört sich komisch an,aber viele Läufer kennen das Phänomen: Sie haben Hoch-und Tiefpulstage. Gerade für schnelle Einheiten oder hochpulsige Bergeinheiten ist der Unterschied entscheidend, da der Maximalpuls an einem Tiefpulstag z. B. 10 Schläge tiefer sein kann, dementsprechend ändern sich eben auch die anderen Werte
- er mit derselben Vorbelastung gelaufen ist
Das ist in der Theorie genau genommen schon unmöglich - du kannst mit deinem Körper ja keinen "hard reset" machen. Du kannst nicht zweimal in denselben Fluss springen. Selbst wenn ich 2 Wochen lang dasselbe Programm mache, kann die Vorbelastung in der 2. Woche bei der gleichen Einheit nicht exakt dieselbe sein, da sich die Form ändern u. z. B. auch die Arbeitsbelastung etc eine Rolle spielen kann.
Wir sehen also, dass wir immer eine gewissen Unsicherheit haben, wenn wir unsere Leistung beurteilen. Das kann auch gar nicht anders sein. Leistung können wir halbwegs zuverlässig nur in der Summe aus den Trainings- und WK-Ergebnissen eines Zeitraums beurteilen, da sind Wochen und Monate für eine Beurteilung sicher sinnvoller als die Stunden einer Einheit.
Genauso ist nicht die exakte Belastung in einer Einheit das Wichtigste, sondern die passende Gesamtbelastung über Wochen und Monate.
Und das ist das Gefährliche an der Pulsuhr: Sie gaukelt den Läufern eine Genauigkeit vor, die es so erstens nicht gibt und die so auch nicht nötig ist. Sie bringt Menschen zu dem Glauben, dass Einheiten exakt vergleichbar sind, die nur sehr bedingt vergleichbar sind. Sie kann den Blick auf andere wichtige Parameter verstellen.
Die Fixierung auf den Puls richtet den Fokus sehr stark auf das allgemeine Training des HKS. Das ist aber nicht bei jeder Lauf-Aufgabe der limitierende Faktor für das jeweilige Individuum. Es ist z. B. durchaus möglich, muskulär so kaputt zu sein, dass man den Puls gar nicht mehr hochkriegt.
Wenn die Belastung für das Herz-Kreislauf-System so wichtig wäre, dass es alle anderen Faktoren überstrahlt, dann könntest du auch einen Contador oder Armstrong sofort an den Start eines Marathons oder Ultra-Laufs stellen und er würde Weltklasseleistungen bringen. Armstrong ist aber im M. nicht Sub 2:10 gelaufen, sondern afair 2:46 oder so.
Es gibt also beim Laufen eine Menge Dinge mehr, die im Körper (und nicht zu vergessen auch im Kopf) passieren, und die finden sich in der Pulsanzeige nicht zwingend wieder.
kajakwolli hat geschrieben:
Seine Worte liegen mir auf der Zunge, denn genauso denke ich auch. Möglicherweise haben viele mehr Körpergefühl als ich, aber ich sehe sofort bei einem Blick auf die Uhr wenn ich "besser" geworden bin.
Sicher? Hast du alle Faktoren, die deinen Puls beeinflussen können, immer im Hinterkopf und beziehst die mit ein?
kajakwolli hat geschrieben:
Zum Beispiel passiert das gerade bei speziellen Trainingsplänen öfters, weil man immer wieder dieselben Programme abspult- somit werden sie vergleichbar. Ich glaube aber nicht, dass ich ein leichtes Sinken der Herzfrequenz durch das Körpergefühl bemerkt hätte.
Aber ist das leichte Sinken ein so deutliches Zeichen? Es ist doch gerade das Problem, dass viele Läufer sich durch die HF-Werte verrückt machen lassen. Beinahe täglich gibt es hier dazu neue Threads. So lange der Puls immer schön sinkt, bzw wenigstens tut, was wir erwarten, ist ja alles in Ordnung (Bis auf die Tatsache, dass manchmal im WK das böse Erwachen kommt - auf der Urkunde steht meiste eine Zeit und kein Pulswert).
Aber wehe der Puls steigt bzw ist höher als erwartet. Dann kommen die Ängste, vor Formverlust, Krankheit, Übertraining, vorwasauchimmer.
kajakwolli hat geschrieben:
Insgesamt bin ich der Meinung, dass viel mehr Läufer mit Uhr trainieren als ohne.
Das vermute ich auch. Und ich empfehle durchaus Training mit Uhr. Nur braucht die Uhr keine Pulsmessung haben. Und wenn sie eine hat, sollte man den Puls gerade als Anfänger erstmal nicht zur Trainingsteuerung benutzen.
Natürlich will ich nicht verschweigen, dass viele Läufer beim Training nach Zeit ähnliche Fehler machen wie beim Training nach Puls. Der Grundfehler ist oft derselbe: Zu wenig auf das Gefühl geachtet, zu viel auf Zahlen, geleitet von der Idee, das Zahlen eine exakte Maßangabe für die Belastung liefern könnten und daher das exakte Einhalten von numerischen Vorgaben der Geipfel der Trainingsgenauigkeit wäre.
Mit der Pulsuhr ist es aber meist schlimmer als beim Training nach Zeit, weil der eben gern "medizinische Genauigkeit" und exakte Vergleichmöglichketen unterstellt werden. Der Pusl wird oft noch wichtiger genommen als bei den "Zeitläufern" die Zeit.
kajakwolli hat geschrieben:
Viele Radfahrer (Profis) wissen zum Beipiel exakt wie lange sie ein bestimmtes Tempo bei einem bestimmten Puls halten können und danach erfolgt die Renneinteilung.
Die Renneinteilung erfolgt in den meisten Fällen sicher auch nach vielen anderen Argumenten. Ich stell mir grad vor, ein Helfer sagt zu Lance: "Ich kann dir die Flasche nicht holen, mein Puls ist zu hoch." Oder ein anderer zu einem Sprinter: "Ich kann dir den Spurt nicht anziehen, mein Puls ist zu hoch". Wie oft hast du im Interview bei der Tour schon gehört, dass einer so etwas gesagt hat? Oder sowas wie: "Eigentlich wollte ich mit der Gruppe mitgehen, aber mein Puls war zu hoch?" Oder: "Der Puls war so niedrig, da musste ich einfach die Solofahrt wagen?"
Seltsam, dass man eher Sachen hört wie: "Die Beine waren gut, da hab ich es mal probiert " Oder: "Als ich mich nach dem 2. Berg noch gut gefühlt habe, habe ich mir vorgenommen, beim nächsten Anstieg anzugreifen." Ähnlich ist es bei den Interviews mit Laufprofis. "I felt strong" oder ähnliches habe ich schon oft mit afrikanischem Akzent von Siegern und Platzierten gehört, noch nie aber: "My heart rate was very low."
Das Belastungsgefühl scheint bei Spitzensportlern eine sehr große Rolle zu spielen.
Dass im Radfahren der Puls etwas häufiger herangezogen wird als im Laufen, hat schon teilweise nachvollziehbare Gründe. Die liegen aber grötenteils in den Unterschieden zwischen Laufen und Radfahren begründet und sind für das Laufen nicht so relevant.
Und eins noch: Aussagen die vom Garmin gesponserten Team kommen, muss man natürlich mit Vorsicht betrachten.
kajakwolli hat geschrieben:
Auch wenn es euch nicht maßlos interessieren möge- was mich persönlich betrifft, laufe ich keinen Meter ohne Garmin Forerunner 305.
Ich kenne die Zeit, ich kenne den Puls und ich weiß wie weit ich gelaufen bin, auch bei Läufen durch das Gemüse.
Ich laufe Intervalle mit der Garmin und Tempoläufe mit Puls und Tempovorgaben.
Eine gewisse Zwanghaftigkeit und ein Klammern an den 305er lässt sich da durchaus erkennen. Was machst du wenn das Ding mal kaputt geht? Hast du schon nen zweiten auf Lager, oder fährst du direkt in den Shop und kaufst einen? Ohne ihn zu laufen, wäre problematisch?
Eindeutige Suchtsymptome sind das...
kajakwolli hat geschrieben:
Ein etwaiger Wettkampf lässt sich damit ganz exakt auf die eigenen ganz persönlichen Möglichkeiten hin abstimmen.
Ein wunderbarer Satz.

Wie soll man den einen WK sonst laufen, wenn nicht abgestimmt auf die persönlichen Möglichkeiten? Wie macht man das in einem richtig schnellen WK, in dem der Puls irgendwann auf ca. 100% geht und da in etwa bleibt, eine Orientierung nach Puls also kaum möglich ist, kann ich den dann nicht auf meine persönlichen Möglichkeiten abstimmen?
kajakwolli hat geschrieben:
Vielleicht fehlt mir dadurch dieses sagenumwobene Körpergefühl, aber was fehlt letztlich wirklich?-
Körpergefühl fehlt dir nicht, da es jeder hat. Du setzt es eben nicht in dem Maß ein,wie es möglich wäre. Vielleicht lässt du es sogar verkümmern, indem du die Kontrolle an die Pulsuhr abgibst. Aber ich glaube ehrlich gesagt auch nicht, dass du dir alle Entscheidungen von der Pulsuhr diktieren lässt. Wie viele WDH du im Intervalltraining machst,wie viele km du an einem lockeren Tag läufst, wann du den Endspurt im WK anziehst - entscheidest du nichts davon nach Gefühl?
kajakwolli hat geschrieben:
Ich denke die Vorteile MIT Uhr zu laufen überwiegen und Nachteile gibt es nahezu keine.
Es gibt Nachteile, das kann man nicht bestreiten. Aber wenn für dich die Vorteil überwiegen, ist das doch schön für dich.
kajakwolli hat geschrieben:
Warum also will man uns hier weismachen die ganz Guten und ganz Tollen, die ganz Professionellen oder einfach jene die Ahnung haben hätten keine Herfrequenzmessung nötig?
Viele haben sie nicht nötig. Das ist ganz eindeutig. Schau dir die WR-Entwicklung an und staune, welche Zeiten die Läufer ohne tragbare Pulsmesser gelaufen sind. Dann forsch mal nach, wie viele Experten die Steigerungen seit den Zeiten, in denen Pulsmesser verfügbar waren, auf Pulsmessung zurückführen. Such mal nach Interviews, in denen ein Weltrekordler sagt: "Dank der neuen Pulsmessuhr konnte ich so gut trainieren, dass ich WR gelaufen bin (Falls du sowas findest, bitte unbedingt prüfen, ob da Geld von z. B. Polar geflossen ist.

)
Wenn ich Pro wäre, würde ich gerade als Mittelstreckler in erster Linie Laktat messen und nicht den Puls ... und das wird bei Profis auch wirklich gemacht, wenn Geld keine Rolle spielt. Wenn man über Monate immer wieder das Laktat misst in speziellen Einheiten, hat man da doch etwas mehr davon als von Pulswerten. Aber auch hier besteht die Gefahr, einen Parameter, nämlich die Laktatkonzentration, zu hoch zu bewerten: Wie die HF ist die Laktatkonzentration nur
einer von vielen Parametern.
Oder schau dir die Zeiten in der Breite an. In den Jahren, in denen die Mehrheit ohne Pulser lief, wurden im Schnitt in der Breite bessere Zeiten erzielt. Viele hatten und haben den Pulsmesser nicht nötig.
Es ist ja nicht nur der Pulsmesser. Der Markt ist gewachsen, eine Vielzahl neuer Bedürfnisse wurde bei der Kundengruppe (Läufer, Jogger und Wanderer) geweckt. Gels, Trinkgürtel, Funktionswäsche, GPS, gewandert wird jetzt mit Stöcken. Bei den Schuhen gibt es neue Kategorien wie Lightweights, man trägt Armlinge und Kompressionsstrümpfe, neuerdings auch Kompressionshosen. Wenn das Geld da ist, wird eben mal ausprobiert.
Ist natürlich nicht alles unnütz, aber wird alles gebraucht?
Richard David Precht in der ZEIT hat geschrieben:
Unser ganzes Wirtschaftssystem beruht darauf, Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen, von Geld, das wir nicht haben, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen.
Etwas überspitzt, aber ja, prinzipiell funktioniert unser System so. Und auch deswegen benutzen viele Pulsuhren, obwohl sie nicht damit umgehen können. Sie sind Opfer einer Propaganda, die sich heute Zielgruppenmarketing nennt.
kajakwolli hat geschrieben:
Dankeschön und Grüße aus Tirol wo die Garmin übrigens natürlich auch die Höhenmeter anzeigt, was bei Bergläufen eine geile Sache ist.
Wieder eine Illusion von Genauigkeit. Selbst mit dem Sporttracks-Plugin ist die Höhenmessung über GPS oft alles andere als genau. Am besten dann noch mit einem sehr ungenauen Höhenrechner auf flach umrechnen, und schon wird es total unseriös.
Wäre es nicht schön, über soviel Erfahrung und Körpergefühl zu verfügen, dass du nach der Auswertung allein dadurch beurteilen könntest, ob die Höhenmeter so stimmen können?
Gruß
C.