
In dem folgenden Artikel werde ich auch, aber weniger über den Ablauf in einem Wettkampf berichten, sondern mehr darüber, wie diese Macke sich wieder einmal durchgesetzt hat. Dazu muss ich etwas ausholen und exakt 4 Wochen zurück gehen…
Hochverehrtes Publikum, nehmen’s Platz, bitteschön!
Werden Sie erleben ein Schauspiel mit Lust und Leid und Leidenschaft.
- Vorhang auf -
Pläne…
2010 beginnt eine neue Altersklasse für mich, die erste, bei der für mich die Betonung auf Altersklasse liegt. Da ich aber mehr nach vorne als nach hinten schaue, lenke ich den Blickwinkel dahin um, dass die relativen Erfolgsaussichten größer sein und eine Reihe AK-Siege winken werden. Es macht mir Spaß, die ersten Wettkämpfe einzuplanen, überwiegend lokale und schon öfter gelaufene. Aber auch einen 100 km-Lauf möchte ich wieder einmal absolvieren, den dann aber mit ganz bestimmter Zielsetzung. Welche das ist, werde ich hier nicht verraten.
Für das laufende Jahr (2009) will ich noch die 2.800 km voll machen, das ist nebenbei bemerkt der weitaus geringste km-Umfang seit 1994. Die Vollendung der 2.800 km im noch laufenden Jahr hat zwar keinerlei Bedeutung, aber ist auch so eine Macke: Runde Zahlen voll machen; lieber ein Intervall mehr als vorgesehen, nie weniger; eher etwas schneller als geplant, keineswegs langsamer. So breche ich denn am 19. Dezember zu einem einstündigen Lauf auf, es ist mit -9° C kalt, nichts Weltbewegendes, andere laufen bei noch größerer Kälte. Der Garmin-Brustgurt rutscht. Ich schiebe die Jacke hinten hoch, und mit klammen Fingern pfriemele ich daran herum, um ihn wieder nach oben zu schieben. Das dauert, und es ist ein Fehler. Mit diesem Fehler mache ich mir kein schönes Geburtstagsgeschenk!
Frust und Absturz
Nach dem Lauf verspüre ich ein ganz leichtes Ziehen links im Rücken. Am nächsten Morgen schreie ich auf, als ich mich zum Waschen nach vorne bücken will. Es geht nicht, ich muss mich aufrecht stehend waschen. Wird wohl ne Art Zerrung sein und ist hoffentlich nach 2 oder 3 Tagen vorbei! Ich rufe meinen Betriebsarzt an und frage, wie ich das am schnellsten weg bekomme. Er tippt auf Blockade und vermittelt mir am selben Tag einen Termin beim Orthopäden. Der bestätigt die Blockade, verrenkt mich etwas, und ich bekomme noch eine Spritze in den Muskel sowie zwei ins Gesäß.
Am nächsten Morgen kann ich mich wieder ganz normal waschen. Allerdings ist da noch ein anderer Schmerz im Rücken, und ich gehe leicht humpelnd. Der „andere“ Schmerz bleibt, Diclofenac fressen hilft nicht, und einen Tag vor Weihnachten bin ich erneut beim Orthopäden. Same procedure as last visit!
Der Schmerz im Rücken ist weiterhin da, und es ist ein heftiger, unangenehmer Schmerz. Er ist nicht immer spürbar. Wenn ich sitze, geht’s; aber ich kenne genau und vermeide die Bewegungen, die ihn hervorrufen. Mein „Isses besser?“-Prüftest sieht so aus: Auf dem Rücken liegen, linkes Bein von mir weg und wieder zurück drücken – geht astrein, dann Versuch mit dem rechten. Der zaghafteste Versuch, das rechte Bein weg zu strecken, verursacht einen Schmerz, wie wenn ein kräftiger Stromstoß durch den linken Rückenmuskel schießt.
Eine Woche fahren wir in Urlaub. Ich habe davon nichts, denn der Schmerz bleibt. Gehen wir irgendwohin, humpele ich herum, um die böse Bewegung weitgehend zu vermeiden. Als wir aus dem Urlaub zurück sind, ist der Schmerz immer noch da. Ich hatte mich auf die insgesamt 2 freien Wochen gefreut, aber der Schmerz hat alles überlagert. Mittlerweile bin ich zutiefst frustriert, habe kaum an etwas Freude, stelle mich gedanklich darauf ein, immer und ewig in meiner Beweglichkeit eingeschränkt zu sein, und hake das Laufen ab, versuche mir einzureden, viele schöne Laufjahre mit einigen Erfolgen gehabt zu haben. Nun ist es aber vorbei, und ich versuche, mir mein Leben ohne Laufen auszumalen.
Zurückgekehrt, bin ich am nächsten Tag wieder beim Orthopäden, 2 Wochen und 2 Tage dauert diese Tortur mittlerweile, der Orthopäde hält das ebenfalls für zu lang und schickt mich zur MRT. Die findet am nächsten Tag statt. In der Röhre liegend und zur Unbeweglichkeit verdammt, bekomme ich fast Panik und bin mit total ausgetrocknetem Hals ständig am Schlucken. Das Ergebnis der Tomographie: Ependymom oder Prolaps - Tumor das Eine (wenigstens gutartig), Bandscheibenvorfall das Andere. Um letzte Gewissheit zu schaffen, werde ich zu einer weiteren Untersuchung geschickt.
Erste Lebenszeichen
Mit am schlimmsten sind die Schmerzen im Liegen, vor allem dann strahlen sie ins linke Bein aus. In der Nacht vor der MRT waren sie so heftig, dass ich nicht schlafen konnte und noch nachts eine Diclofenac einnahm. Tags darauf geht es mir wesentlich besser, ich kann nahezu schmerzfrei gehen. 2 ½ Wochen bin ich nicht gelaufen, habe das auch nicht vermisst, nun aber habe ich ein Verlangen nach Bewegung, will den Körper wieder spüren, und zwar positiv, nicht nur als Schmerzverursacher. Ich habe ein Ergometer im Keller, aber ich hasse diese monotone, langweilige Treterei. Nach kurzer Überlegung steht fest: Heute will ich probieren, ob ich noch laufen kann. Die Klärung beziehe ich auf die Mechanik der Laufbewegung, da ich mich ja die letzten Tage völlig unrund mit eierndem linkem Bein fortbewegt habe. Ermuntert fühle ich mich durch die Orthopädenaussage: Bewegung ist gut, Sport ja, nur nicht gegen den Schmerz!
Ich ziehe mich um und gehe nach draußen, es liegt Schnee. Ich versuche anzulaufen. Die Laufbewegung verursacht kein Drücken auf den Schmerzbereich, im Gegenteil, das klappt erstaunlich gut, besser als im Gehen. Aber das linke Bein scheint mir nicht recht zu gehören. Ich laufe eierig, plumpse mit dem linken Fuß auf den Schnee, muss mich darauf konzentrieren, nicht nach innen aufzusetzen, denn ich habe die Befürchtung, dass ich dann weg knicken könnte. Das Bein, mehr noch der Fuß scheinen angeklebt, gehören mir nicht wirklich, ich habe keine richtige Kontrolle über mein linkes Bein. Aber ich kann mich vorwärts bewegen. Und so humpele ich denn immer in der Nähe meines Ausgangspunktes einige Wege rauf und runter. Nach 13 Minuten und geschätzten 2 km beende ich das Experiment, einerseits froh, dass ich ohne Schmerzen so was wie eine Laufbewegung hinbekommen habe, andererseits verunsichert, weil die Bezeichnung Humpeln heute treffender ist als Joggen, das Wort Laufen wage ich schon gar nicht zu denken.
In der Nacht schlafe ich schmerzfrei durch. Und am nächsten Morgen, von einem Tag auf den anderen, ist der Spuk vorbei. Ich habe keinen Rückenschmerz mehr! Ich mag es anfangs kaum glauben, aber es bleibt so. Keine Schmerzen! Oder praktisch keine, mein „Isses besser?“-Prüftest ergibt einen Unterschied wie Griff in eine 220 V-Steckdose vorher und 1,5 V-Batterie jetzt.
2 Tage später wiederhole ich mein Laufexperiment. Es funktioniert schon deutlich besser, zwar kann ich das linke Bein nach wie vor nicht vollständig kontrollieren, aber die Koordination lässt, sagen wir mal, wenigstens ein flüssiges Humpeln zu, das durchaus laufähnliche Züge trägt. 5 km werden es diesmal. Die größte Beeinträchtigung ist der linke Fuß, der sich nach 2 oder 3 km wie ein Holzklumpen anfühlt und im Quasimodo-Stil auf den Boden plumpst. Aber ich bin leidlich 5 km gelaufen, brauche fast 30 Minuten dafür, aber immerhin. Wieder 2 Tage später der nächste Anlauf, und wieder geht es besser, diesmal gar über 8 km, auch wenn der linke Fuß sich wieder wie ein Klotz anfühlt und ich Muskelkater bis fast zu krampfähnlichen Zuständen bekomme. Meine Theorie ist, dass andere, sonst nicht benötigte Muskeln die eingeschränkte Laufmuskulatur unterstützen und, da untrainiert, schnell abschlaffen.
Dann folgt die Untersuchung beim Neurochirurgen. Der hat nichts mit Chirurgie zu tun, sondern misst, wie viel Strom an den Nervenenden ankommt. Mit an ziemlicher Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestätigt er, dass es sich um einen Bandscheibenvorfall handelt, dadurch ist die Nervwurzel in der Wirbelsäule entzündet, einige Nervleitungen partiell unterbrochen und die Muskelfunktion eingeschränkt. Besonders trifft das auf den linken Fußheber sowie einige weitere Muskeln zu. Passt genau zu meinem momentanen Laufempfinden!
Pläne? Nix Pläne! …oder doch?
Als die Schmerzen im Urlaub nicht weggingen und ich mich mental auf ein Leben ohne Laufen eingestellt hatte, hatte ich logischerweise alle geplanten Läufe abgehakt. 100 km-Lauf? Gestrichen! Nordrhein-Crossmeisterschaften? Vergiss es! Winterlaufserie in Nettetal? Hmm! Hmmhhmmm! Letztes Jahr hatte ich den dritten und letzten Lauf ausfallen lassen müssen, weil meine Plantarsehne anriss. Auch das ist wieder so eine Macke von mir: Ist etwas daneben gegangen, brenne ich darauf, es zu wiederholen und es besser zu machen. Das war schon in der Schule so, wo ich mich nach vergeigter Klassenarbeit auf die nächste besonders gut vorbereitete und ihr richtiggehend entgegen fieberte. Folglich hatte ich mich bereits Ende des letzten Jahres für die Serie in Nettetal angemeldet.
Es wurmt mich, dass ich schon wieder gezwungen bin, diese Serie erneut sausen zu lassen. Für den zweiten Lauf im Februar (12,5 km) wäre ich zuversichtlich, eine einigermaßen ordentliche Zeit zu laufen. Im März (15 km) sollte das erst recht gehen. Also ist es nur der verflixte erste Lauf über 10 km. Da bin ich noch nicht so weit!
Was wäre, wenn ich dort, wenn auch langsam, mitliefe? Wenn ich laufe, will ich natürlich auch gewinnen, bezogen auf die Serie. Ich schaue die Zeiten des letzten Jahres an. Mal angenommen, ich würde mit 50 min einlaufen. Das wäre wohl ein Rückstand von 6 – 7 min auf den AK-Ersten. Wenn ich bei den nächsten Läufen wieder vernünftig rennen könnte und jeweils 3 - 4 Minuten herausholte, dann könnte ich noch um den Seriensieg mitlaufen.
Aber halte ich mit diesem Humpelfuß 10 km durch? Jeden zweiten Tag will ich laufen, und ich nutze die nächsten Läufe als Testläufe dafür, was geht. Der erste sagt mir: „Lass es!“ Die Fußmuskulatur ermüdet zu schnell, ich plumpse zu sehr auf, ich fürchte, mit passiv hängendem Fuß nicht durchlaufen zu können. Flottes Laufen bedeutet momentan ca. 5:30 min/km für mich. Kann ich auch eine längere Strecke mit 5 min/km laufen? Noch langsamer würde sich nicht lohnen. Bei einer Zeit über 50 min wäre der Rückstand zu groß. Also probiere ich beim nächsten Mal schnell humpeln. Und siehe da, ich laufe links so ein Zwischending zwischen Vor- und Mittelfußlauf, da kann nicht so viel plumpsen. Geht es doch? Von Mal zu Mal ist es etwas besser, aber die bange Frage bleibt: Macht der Fuß das bei erhöhter Geschwindigkeit und längerer Strecke mit?
Yes, I run!
Samstag, 16. Januar, ich stehe im Startblock. Natürlich, das ging gar nicht anders, der „Start“-Button für das Programm war ja gedrückt! Mir ist entsetzlich kalt. Temperatur so um 0° C, aber nasse Kälte und eisiger Wind, meine Hände spüre ich trotz der Handschuhe kaum. Aufs Einlaufen habe ich verzichtet, wozu auch? Belastet nur den linken Fuß, und allzu schnell kann ich eh nicht laufen. Ich laufe moderat an, nach und nach ziehen Läufer an mir vorbei. Na und? Sollen sie doch! Ich frohlocke: die Strecke ist schnee- und eisfrei…
…zumindest die ersten 1,5 km. Dann kommt liegengebliebener, fester, zu Eis mutierter Schnee. Rutschig! Dennoch zeigt mir der Blick auf die Uhr beim dritten Kilometer, dass ich ganz gut in der Zeit bin: unter 5 min/km, sogar knapp unter 4:50.
Hat da gerade wer nach meinem Fuß gefragt? Ja, dem geht es gut, es ist ein gedämpftes Plumpsen, der Fuß fühlt sich zwar wie ein Klotz an, aber wie ein recht weicher, beweglicher Klotz, und er ist zu spüren, hat Empfindungen. Der Untergrund wechselt zwischen freiem Asphalt, festem Schnee, eisähnlichen Strukturen. Ich habe sogar den Eindruck, dass das gut für mich ist, werden doch jeweils andere Bewegungsabläufe gefordert, andere Muskeln beansprucht. Etwa nach 2 ½ km bin ich es übrigens, der an dem einen oder anderen Läufer vorbeizieht. Der 10 km-Lauf ist zweigeteilt, im zweiten laufen nur Männer ab M45, und - ohne Verrat am eigenen Geschlecht betreiben zu wollen -: die meisten Männer laufen stark an und lassen dann nach, manche stark, manche leicht; wenige nur werden im Verlaufe eines Rennens schneller.
Nach 5 km zeigt die Uhr 23:29 min, das hatte ich nicht erwartet, da die Strecke keineswegs einfach zu laufen ist. Ist aber willkommen, da die in den nächsten Läufen aufzuholende Zeit nicht ganz so groß sein wird. Vorausgesetzt, das Bein spielt weiterhin mit. Vorausgesetzt auch, dass ich in den nächsten Wochen „normales“ Niveau erreiche. Nun geht es in das Waldstück hinein, bergauf zunächst, fester Schnee, Eis, rutschig, manchmal eine freie oder halbfreie Spur zwischendrin, oft aber glatt und anstrengend zu laufen, trotzdem mache ich Position um Position gut. Als ich den Wendepunkt nach 6,8 km umlaufe, bin ich mir so gut wie sicher, dass ich diesen Lauf nicht mehr vergeigen werde.
Das Bergablaufen (wo’s rauf geht, muss es ja auch wieder runter gehen) ist für den Fuß belastender - er kann ja nicht vernünftig abrollen -, trotzdem laufe ich zügig, rutsche manchmal, habe aber dennoch Kraft, weiter zu überholen. Als ich das vorletzte km-Schild passiere, sind alle Vorsätze für einen langsamen und vorsichtigen Lauf endgültig vergessen, jetzt ist Wettkampf, jetzt wird die komplette Restenergie in Vorwärtsschub umgesetzt. Kurz vor dem Zieleinlauf geht mein Blick hoch zur großen Uhr, noch keine 46 min erreicht, und ich laufe tatsächlich mit 45:56 durchs Ziel. Da ich ein Mischwesen aus Macke, aber auch Vernunft bin, fahre ich direkt nach dem Lauf nach Hause, da ich keine erneute Unterkühlung im Rücken riskieren will.
Noch was Beklopptes!
Zuhause werte ich den Lauf aus. Für die 10 km ergibt sich:
Tempo 4:36 min/km
Durchschnitts-HF 172
Gegen Ende des Laufes habe ich gar 181 erreicht, soviel wie lange nicht mehr.
Ich vergleiche: vor nur 7 Wochen bin ich mehr als die 4-fache Strecke gerannt,
Tempo 4:25 min/km
Durchschnitts-HF 154 (!)
Was fehlendes Training plus Handicap, vielleicht auch Kälte, doch ausmachen! (In den 4 Wochen seit dem „fatal run“ bin ich ganze 32 km gelaufen.)
Nun bin ich gespannt, wie viel Zeit ich in den folgenden Läufen aufholen muss. Schon am Abend durchforste ich die Ergebnisliste im Internet, und da haut es mich fast um: Trotz Halbinvalidenlauf gehe ich sogar mit einem Vorsprung von 35 Sekunden in das nächste Rennen. Nur gut, dass dies mein erster Lauf in der M60 und nicht in der M65 war, da wäre ich 5. gewesen und hätte fast 2 ½ Minuten aufholen müssen. Verrückte Läuferwelt!
Verehrtes Publikum!
Wenn hat gefallen dieses Schauspiel,
dann erzählen’s allen Ihren Freunden und Bekannten!
Wenn hat nicht gefallen, na, dann erzählen’s nur mir!
- Vorhang zu -
Bernd