



Ich habe leider ein enges Zeitfenster für den Abschied aus meiner prähistorischen M45-Ära. Zuhause herrscht Notstand bei der elterlichen Aufsicht zweier, in der Verpuppung steckenden, künftigen Erbberechtigten.


„Just in Time“ erreiche ich daher eine halbe Stunde vorm Start Weilimdorf, ein Stadtteil von Stuttgart. Dort ist im Zentrum um das Rathaus schon richtig Betrieb. Zum Glück hilft mir der Zufallsgenerator und ich finde ein paar Nebenstraßen weiter gleich ein verkehrsrechtlich einwandfreies Plätzle für „mein heilig‘s Blechle“. Schnell die Sachen abgeholt und geschwind zurück und ganz gegen den Jahreszeittrend, mit schnellem eleganten Gang, in kurz-kurz über den Laufsteg, äh

Sodele, mal umschauen. Ah ja, natürlich hat mir schon wieder jemand die Schau gestohlen und steht im Focus einer klickenden Kamera. Zusammen mit einigen anderen präsentiert Kati ihr Prêt-à-porter in den Trendfarben der aktuellen Winterkollektion. O.K. ich verrat euch was. Im Frühjahr, Sommer und Herbst variieren die rosé Farbtöne bei ihr nur um Nuancen. Und entgegen anderslautender Gerüchte mag ich die Farbe ja auch. Vor allem in einem Weinglas.


So nun aber zum Start wackeln, sonst geht für mich der letzte (Start)schuss in diesem Jahr nach hinten los. Obwohl heute noch sicher viel geknallt wird hör ich denn dann aber nicht. Das liegt nicht an einer nachlassenden Sinneswahrnehmung. Nein so verwirrt, schwerhörig - oder gar beides bin ich noch nicht und trotz kontraproduktiven Austausches sinnentleerter Kommunikation bis kurz vorm Start bin ich mir sicher das wir sehr unspektakulär, wie bei einem Knockdown, runtergezählt wurden. Und dann heißt es für mich: „U 50“ läuft zu seiner letzten Mission aus.
Zwei identische Runden stehen an. Es geht ein kurzes Stück noch durch die Stadt und dann über die Felder. Noch leicht bergab. Wären da nicht so viele Beine um mich herum, könnte ich wie immer mein Pulver bereits auf dem ersten Kilometer verschießen. Aber heute muss ich es trotz Sylvester nicht mehr krachen lassen. Zumindest nicht jetzt. Mit zwangsläufig gebremstem Anfangsehrgeiz lasse ich den ersten Kilometer in 4:10 hinter mir. Da es dann entlang der Bundestraße bis zur ersten Straßenüberführung leicht bergauf geht ist dieser Wert nicht lang zu halten. Nur 4:22, mal sehen ob das heute unter mein Minimalziel einer SUB 50 langt. Nomen est Omen sozusagen für mein Abschlussevent im 49. Lebensjahr.
Weiter geht es völlig unspektakulär einen asphaltierten Feldweg hinunter. 4:22 und 4:18. Er hat sich bemüht würde ich mir hiermit selbst bescheinigen, denn das letzte Quäntchen für den Quäl-fix-Faktor geht mir ab. Der letzte Kilometer führt leicht bergab, zunächst wieder an der Bundesstraße entlang, die über eine weitere kleine Brücke schließlich überquert wird und in den Ort zurückführt. Hier stehen auch die ersten Zuschauergruppen aus der läuferbegleitenden Community. Meist familiärer Natur, als leistungssteigernde Maßnahme zur Begeisterung verpflichtet. Etwas schneller werde auch ich dadurch, ganz automatisch. Mit einer 4:05 und 4:06 passiere ich die straßenrandbegleitenden Claqueure.
Um auf ein Neues das Geläuf zu umrunden. Es fällt mir schwer mich für irgendwas zu motivieren. So richtig spannend wird die Zeit nicht. O.K. keiner hatte heut die Absicht hier eine neue persönliche Bestzeit hinzulegen beruhigt mich mein Schweinehund und die 50 unterschreitest du locker mit deinem derzeitigen Vorwärtsdrang. Gut, gut ich schaue nun längst nicht mehr auf die Uhr. Die hier eingestreuten Kilometerwerte entstammen meiner später ausgelesen Zahlensammlung und haben auf meine taktischen Laufambitionen nunmehr keinerlei Auswirkungen. Ich versuche gegen Schluss einfach keinen mehr überholen zu lassen, habe aber auch keine Ambitionen mehr den knapp vor mir liegenden Altersklassenkollegen zu einem verpflichtenden Schlussduell herauszufordern. Obwohl nach den 4:22, 4:14, 4:21 und 4:19 der letzten Kilometer zeigt mir meine internen Statistik, dass ich unbewusst doch noch den Bleifuß durchgedrückt habe. 3:42, da habe ich zum Schluss doch noch ein kleines Feuerwerk gezündet.
Im Ziel wirke ich dann auch ziemlich ausgebrannt. Keine Munition mehr fürs Erste. Trotz dreier Becher warmen Tees fröstelt es mich bald und ich verziehe mich kurz in das Innere des Rathauses und ziehe Jahresbilanz. Auch im letzten Auftritt vor der neuen persönlichen Zeitrechnung gab es keinen Rohrkrepierer oder Blindgänger.
Als ich wieder rauskomme aus dem wärmenden Vorraum des behördlichen Verwaltungsbunkers sehe ich schon Kati im Ziel. So wie ich, (45:57) deutlich früher wie von ihr vorab prophezeit. Und schon wieder genug Luft, nicht nur zum Atmen, sondern auch für tiefschürfende Fachgespräche mit Laufkollegen. Denn nach dem Lauf ist vor dem Lauf. Vor allem für Norbert und Birgit das sympathische Pärchen das zusammen 100 Marathons laufen will. Denn nächsten schon morgen. An Neujahr


Aber was noch nicht ist kann ja noch werden.
