Marathon-Debüt beim Vienna City Marathon 2013
So viele Leute. Und erst noch alles Läufer. Das beste: ich mitten drin. Ein tolles Gefühl! Doch wo war nur Kraxi? Ich durfte ihn, ein sehr sympathischer Ultra-Läufer, am Vortag an der Messe persönlich kennen lernen. Dabei gesellten sich aus dem Forum Forrestine, meine persönliche Wiener-Empfangsdame und Lauf-Opa dazu. Kraxi teilte mir mit, dass er als Pacemaker eine VCM-Fahne mit meiner Zielzeit von 3:30 tragen würde. Am Start konnte ich zwar zwei weisse Fahnen erkennen, aber die eine wies eine HM-Zeit auf und bei der anderen war keine 3:30 zu erkennen. So reihte ich mich mittig des blauen Blockes ein und wartete auf den Startschuss ab. Zuvor durfte ich für 25 Minuten an einem Dixie-Klo anstehen. Meines Erachtens fehlten da ein paar mobile Pissoire. Diese hätten definitiv den Andrang reduziert. Und später auf der Strecke musste ich erstaunt feststellen, dass kaum Dixie-Klos vorhanden waren. Evtl. alle 5 km (!?) stand so ein Häuschen. Für "das saubere Wien" finde ich das geleistete Aufgebot erstaunlich schwach!
Endlich kam das Feld ins Rollen. Doch nur langsam ging es über die Brücke. Wollte man nicht zu langsam unterwegs sein, musste man einen Parcourlauf hinnehmen – einige machte es ohne Rücksicht auf Verluste. Eine Gruppe Spanier gaben zur allgemeinen Belustigung mehrmals eine Kampfansage durch. Ein Läufer mit Engelsflügeln überholte mich. Neben mir lief eine überdimensionale grosse Bierdose des lokalen Sponsors. Ein männliches Paar im rosaroten Dress mit der Aufschrift "Pinkpanter" liefen im Gleichtakt. Es kamen jede Menge Läufershirts mit kreativen und lustigen Sprüchen zum Vorschein. All dies hätte ich gerne fotografiert – evtl. wird dies zukünftig mit der Brille vom bekannten Suchgiganten auch möglich sein.
Schon beim Start machte sich meine Blase erneut bemerkbar. Mit der Wasseraufnahme hatte ich am Morgen wohl etwas übertrieben. Es war für mich klar, dass ich wohl oder übel einen seitlichen Abstecher machen musste. Doch mitten in Wiens Häuserschluchten ist dies ohne Dixi-Klo unvorstellbar. Aber zum Glück liefen wir schon nach dem 1. Kilometer an der Hauptallee des Praters entlang. Links und rechts scherten Läufer zu ihrem sicheren Hafen aus. Ich tat es ihnen nach und konnte anschliessend relativ rasch meine verpasste Zeit aufholen.
Die ersten Kilometer flogen nur vor sich hin. Auf der Höhe des Olympiastadions durchliefen wir einen Bereich, bei dem die 10 Läufer namentlich auf Schildern geehrt wurden, welche alle 30 Ausgaben des VCMs bestritten – Respekt! Es ging am Donaukanal weiter Richtung Innenstadt. Während des ganzen Laufes suchte ich jede Getränkestelle auf. Beim Trinken begnügte ich mich stets mit ein paar wenigen Schlucken. Den Rest verwendete ich jeweils zum Abkühlen meines Hauptes. Meistens nahm ich 2 Becher auf einmal auf – die Sonne forderte ihren Tribut. An meinem Renngurt hatte ich zwei Gels angebracht. Entgegen meiner Planung entschied ich mich für keine Einnahme der Gels. Umso mehr achtete ich darauf, dass ich stets die angebotenen Iso-Getränke zu mir einnahm. Trotzdem musste ich in der zweiten Halbzeit ein Gel aufreissen – zu dem aber später:
Das Bild der Innenstadt war gigantisch. Überall standen Schaulustige und feuerten an. Stets suchte ich nach meinem Laufrhythmus, welcher teilweise von meinem nassen rechten Schuh überschattet wurde. Dummerweise schenkte ich einem Wasserstrahl, welcher von einem der vielen Wasserschläuche raus schoss, zu wenig Beachtung. Schon bald meldete sich mein grosser Zeh, dass ihm der nassen Socke gar nicht gefalle und drohte mir mit einer furchtbaren Blase. Ab und wann versuchte ich den nassen Socken mit dem Zusammenziehen der Zehen zu lockern. Und zum Glück trocknete mein Schuh relativ rasch. So gehörte das Intermezzo, ohne dass ich Konsequenzen davon tragen musste, der Vergangenheit an.
Auf der Höhe des Schlosses Schönbrunn kam die erste Wechselstelle der Staffelläufer. So mancher schrie nach dem Namen seines Mitstreiters. Einer sah dabei sehr verärgert aus – ob sein Partner das Geflüster des Kissen noch hörte? Nun ging es der bekannten Mariahilfer Strasse runter. Ein Lächeln huschte mir über die Lippen. Langsam wurde es mir bewusst, dass ich die klassische Distanz, den Marathon antreten würde. In der Ferne konnte ich ein weisse VMC-Fahne ausmachen. Und tatsächlich, nach ein paar Kilometern konnte ich Kraxi erkennen. Freudig erhöhte ich mein Tempo und konnte ihn noch vor Ende der Halb-Marathon-Distanz begrüssen.
Ein paar Mitläufer hatten ihren Platz neben dem Pacemaker Kraxi gefunden – super, zusammen ging es nochmals leichter. Mit dabei ein gut gelaunter Wiener, welcher wie ich, auch sein Debüt lief. Das Tor zum Heldenplatz erschien. Jetzt nur nicht falsch abbiegen! Mein Verstand sagte links. Meine Vernunft, welcher meinen Verstand misstraute, machte das, was Kraxi auch machte. Und nun ging der Wettkampf für mich richtig los. Endlich war es soweit. Alle Mühen der letzten 3 Monaten sollten nun auf die letzten 21 km entlohnt werden. Doch es kamen nicht nur lockere Kilometer auf mich zu. Der erste Härtetest gab es schon nach der 2. Getränkestelle!
Als bei den ersten zwei Getränkestellen nach der Halbzeit kein Iso angeboten wurde, entschied ich mich spontan, doch noch zum Gel zu greifen. Denn irgendwie musste ich ja zu Energie kommen. So griff ich hastig am Ende der 2. Getränkekolonne zu einem weiteren Becher Wasser, griff mit der anderen Hand zum Gel, riss diesen mit den Zähnen auf und schluckte die Hälfte des Inhaltes runter – die ganze Packung einzunehmen getraute ich mich nicht. In meinem Magen schwappte es vor Flüssigkeit. Etwas wesentliches vergass ich bei meiner spontanen Aktion: Sauerstoff! Nach Luft jappsend hielt ich mein Tempo aufrecht und wurde nach ein paar Sekunden mit einem fiesen Seitenstechen bestraft. Als es nach einem Kilometer nicht besser wurde, drosselte ich langsam mein Tempo. Kraxi und seine Mitläufer liess ich zähneknirschend ziehen. Doch langsam erholte sich meine Bauchgegend. Das Seitenstechen wurde mit einem leichten Bauchkrampf abgelöst. "Probieren geht über Studieren", dachte ich mir und erhöhte das Tempo. Immer wieder horchte ich in mich hinein. Der leichte Krampf war zwar noch vorhanden, doch das Wohlbefinden ging aufwärts. Und schon bald wieder konnte ich meinen Pacemaker aufholen. Auf seiner Höhe drosselte ich die Geschwindigkeit und nach einem Kilometer war dann zum Glück der Spuk ganz weg.
Kilometer 30: "Jetzt nur nicht zu schnell werden" mahnte Kraxi. Mit einem Grinsen pflichtete ich ihm zu. Denn ich fühlte mich nicht nur gut an… mir ging es blendet! Doch auch meine Vernunft mahnte mich daran, dass es zwar nur noch 12 km zu laufen sind, aber dass diese 12 auch verdammt lang sein werden können. So rannte ich im angenehmen Rhthmus durch die Hauptallee des Praters Richtung Lusthaus und dabei entfernte ich mich langsam von Kraxi und seinen Begleitern – hatte aber stets vor Augen, nicht zu schnell zu werden.
Bei einer Brückenunterführung ertönte es aus den Musikboxen seichte elektronische Musik. Meistens finde ich solchen Sound langweilig. Doch der Beat, welcher Trance mässig rüber kam (vielleicht war es auch Trance – ich kenn mich in diesem Metier halt schlecht aus), passte perfekt zu meinem fliegenden Wohlbefinden. Gestützt auf Musik-Schwingungen umflog ich das Lusthaus und zack, befand ich mich schon auf dem Rückweg. Auf der rechten Seite durfte ich nun meine Vergangenheit erblicken: den Gegenverkehr an Läufern. Eigentlich eine zusätzliche Motivation für mich, doch mein Flug, welcher schon den höchsten Punkt erreichte, sank abrupt ab. Und schneller als es mir lieb war, befand ich mich im Sturzflug. Eiligst riss ich den Steuerknüppel nach hinten. Ungewohnt hart setzte ich auf dem Boden der Realität auf. Ich konnte zwar eine Bruchlandung vermeiden, aber das Tempo musste vorübergehend reduziert werden. Nun musste ich zum zweiten mal Läufer um Läufer an mich vorbei ziehen lassen. Ich konzentrierte mich auf mein Lauftakt und vermied Gedanken über mein "Sein" zu machen. Denn mein ganzer Körper schrie lautstark nach einem Ende. Doch zum Glück tuckerte der Motor zufrieden vor sich hin und als mich Kraxi einholte, war meine Revolte fast schon unter Kontrolle.
Nun durften wir schon zum dritten mal den Donaukanal entlang rennen. Beim zweiten mal hatte ich das Erlebnis mit meinem Seitenstechen. Nun hatte ich eine kleine Revolte in mir im Gange, bei der ich noch die Oberhand hatte. Beim ersten Durchgang war der Kanal noch schön farbig. Nun befand ich mich im Tunnelblick. Eisern hielt ich das unsichtbare Lasso fest, welches bei Kraxi festgebunden war. Nach einer gefühlten Ewigkeit war dann zum Glück auch diese Teilstrecke geschafft. Nun gab es die letzte Strecke in der Innenstadt zu bewältigen: Unglaublich, wie viele Zuschauer sich am Streckenrand aufhielten. Deren Applause und Zurufe konnten mich zwar nicht nochmals zum Abheben bringen, doch ich konnte mich vom unsichtbaren Lasso lösen und sogar minimal mein Tempo erhöhen. Zudem teilte ich mit Erfolg meinem inneren Widersacher mit, dass bald schon das Ende da sei und ein totaler Aufstand definitiv für niemanden eine Lösung wäre.
Die letzte Kurve: das Tor zum Heldenplatz erschien. Ein Läufer vor mir hob seine Arme hoch und jubelte. Da realisierte ich, dass das "Beissen" der letzten Kilometer nun definitiv vorbei war. Ich schob meine angestrengte konzentrierte Haltung auf die Seite und liess freien Platz für meine Emotionen: Freudig riss ich die Arme nach oben und jubelte mit. Zack. Die Ziellinie war überschritten. Ich musste abrupt abbremsen, drehte mich um, klatschte mich mit Kraxi und seinen Mitläufern ab und nahm mit grosser Erleichterung die Medaille entgegen. Zufrieden und auf wackligen Beinen tauschte ich mich noch ein wenig mit meinen Mitläufern aus, holte anschliessend meine Gepäcktasche ab und konnte nach einem kleinen Suchabenteuer meine beste Familie in die Arme nehmen... Was war das für ein Tag! Was war das für ein Lauf! Und gerne wieder ein Marathon! Evtl. werde ich dann meine Zeit von 3:26:35 unterbieten können.
LG Blub
M-Debüt beim VCM 2013
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