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Raidlight Sardona Trail - Impossible is nothing!

Raidlight Sardona Trail - Impossible is nothing!

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Sardona oder nicht Sardona – das war die Frage. Sollte ich einen (noch) relativ unbekannten Berglauf der berühmten Jungfrau vorziehen? Meinem Hausberg? Will ich nochmals den Abschnitt laufen (plus noch viel, viel mehr), wo ich mir vor ein paar Wochen einen fetten, blauen Zehennagel und einen Muskelkater par excellence geholt habe? Aber dem Profil konnte ich einfach nicht widerstehen:

Distanz: ca. 38 Km
Höhenmeter: 3000 m
Minimale Höhe über dem Meer: 908 m
Durchschnittliche Höhe über dem Meer: 1774 m
Maximale Höhe über dem Meer: 2587 m
Maximales Gefälle: ca. 54 %
Durchschnittliches Gefälle: ca. 17 %
Damit der Bergspass auch eine richtige Herausforderung wird, verabschiedet sich der Sommer ungefähr eine Woche vorher, der Wetterbericht ist schlecht, es hat Schnee gegeben in den Bergen, und bis am Freitag ist nicht sicher, ob überhaupt auf der Originalstrecke gelaufen werden kann. Aber das sind wir uns ja dieses Jahr gewohnt, und so lass ich mich da nicht unnötig die Laune verderben. Und tatsächlich, es wird gelaufen, so wie geplant, und so steh ich dann am Samstagmorgen in einem sehr familiären Trüppchen von 76 Läufern und 7 anderen Läuferinnen am Start. Die Ultras sind 45 Minuten vor uns gestartet, und so wie es scheint ist es erklärtes Ziel der meisten Läufer, die Kollegen so rasch wie möglich wieder einzuholen. Anders kann ich mir dieses haarsträubende Tempo nicht erklären, dass gleich von Anfang an angeschlagen wird. Der erste Kilometer verläuft relativ flach dem Bergseite entlang, ich versuche, mich nicht mitreissen zu lassen, aber das ist schwer bei so einem kleinen Läuferfeld. Als es dann nach dem ersten Kilometer hoch- und das Tempo endlich entsprechend runtergeht, fühl ich mich wieder etwas komfortabler, traue mich aber nicht mehr, zurückzuschauen. Denn so viele werden da nicht mehr sein. Das hat man davon, wenn man an einem Lauf starten will, bei dem viele Leute sich wegen den doch recht engen Cut-Offs nicht trauen sich anzumelden, selber schuld. Nach ungefähr 4 Kilometer hab ich endlich nicht nur mein Tempo, sondern auch einen Weggefährten gefunden, mit dem ich zusammen die nächsten Kilometer unterwegs bin. Man ist ausschliesslich auf kleinen, klassischen Bergwegen unterwegs, entlang von kleinen Bergseen. Als erstes kleines Amuse Bouche führt die Strecke aber auch einer Wand entlang, aus der dauernd Steine und Eisstücke rausbröckeln und runterkullern. Ich halte meinen Begleiter an, das Stück etwas zügig zu durchqueren. Etwas weiter oben kriegt man dann nochmals deutlich das Gefühl dafür, dass das heute ein Abenteuer wird. Eisig kalter Wind, und verschneite Bergkuppen. Plus die Gewissheit, dass man da hoch muss. Dieses genüssliche Schauern, das mir in so einem Moment den Rücken runterläuft ist mit nichts zu vergleichen. Es geht weiter aufwärts. Unterdessen hat sich das Läuferfeld vermischt. Die ersten Ultras sind unterwegs (nicht gut), dafür kommen nun die ersten Läufer vom der Short Distance und rollen in atemberaubenden Tempo das Feld von hinten auf (beeindruckend), und die Marathonis haben sich unterdessen alle in ihrer Pace eingependelt (gut). Daneben hat es auch viele Wanderer unterwegs, die trotz der nicht so vielversprechenden Wetterprognose die berühmte Fünf-Seen-Wanderung machen, die eben dieser Strecke entlang geht. Man geniesst also jede Menge gute Zurufe und Lob.
Oben bei Wildseeluggen (2490 m. ü. M.) trennt sich dann das Feld. Während die Läufer der Short Distance nun abwärts dürfen, geht’s bei uns noch weiter hinauf, bis zum Lavtinasattel auf 2587 m. ü. M. Der eigentlich kurze Streckenabschnitt dort rüber hat es in sich. Der Weg, so vorhanden, ist komplett vereist, und wo es kein Eis hat, ist es sonst glitschig. Der Läufer, der vor mir ist, wartet auf mich, gemeinsam bewältigen wir die schwierige Passage. Danke, wenn auch unbekannterweise, an dieser Stelle dafür, ich habe das sehr geschätzt! Oben auf dem Lavtinasattel bleibt nur kurze Zeit für ein Bild, es ist einfach kalt und ziemlich garstig, aber zum Glück ändert sich das gleich wieder, denn auf der anderen Seite ist der Schnee fast weg, und bei einem rasanten Abstieg verliert man rasch Höhenmeter, und die Temperaturen steigen wieder in den angenehmen Bereich an. Dafür wird’s jetzt richtig einsam. Hier hats ausser einer Gruppe Jäger gar niemanden mehr unterwegs, die Läufer vor mir sind alle verschwunden, und die hinter mir irgendwie auch. Dafür geniesse ich die wirklich fantastische Aussicht auf tolle Berge samt beeindruckenden Bächen und Wasserfällen. Das mulmige Gefühl, dass ich die Strecke verpasst habe, stellt sich dann aber signifikant ein, als ich schon recht weit unten im Tal plötzlich vor einem riesigen Sumpf stehe! Vor lauter Fassungslosigkeit hab ich sogar vergessen, ein Bild von diesem Morast zu machen! Eine Herde Kühe hatte in einem Waldstück den schmalen Weg auf einer Strecke von ca. 40 Metern in einen knietiefen Sumpf verwandelt. Fussabdrücke sind keine mehr zu erkennen. Ein plausibler Umweg auch nicht so auf die Schnelle auch nicht. So balanciere ich, auf den versenkten Baumstämmen, die in diesem Sumpf stecken als verzweifelter Versuch, dem Weg etwas Festigung zu geben, Meter für Meter vorwärts. Super, das hast du ja prima hingekriegt! Der Kopf ist leer, die Tränen stehen zuvorderst in den Augen. Hinter dem Sumpf geht’s wieder hoch. Erst mal raus aus diesem dämlichen Wald samt seinem blöden Weg. Und dann sehen wir weiter. Aber kaum bin ich aus dem Wald raus, seh ich eine Alm, und beim Brunnen vor der Alm sind zwei Läufer dabei, am Brunnen ihre Beine und Schuhe zu waschen! Juhui, ich wusste gar nicht, wie schön so ein Anblick sein kann. Nix mit verirrt, alles richtig gemacht, auch wenn mich die beiden anderen gleich fragen, warum ich „nur“ bis zu den Knöcheln voll Schlamm bin, und nicht bis zu den Knien.
Mit einem der beiden Läufern lauf ich weiter. Bald ist Schwendi erreicht, ein kleines Dorf, wo sich eigentlich ausser ein paar Kindern, die mit viel Herzblut Sugus und Holunderblütensirup anbieten niemand so richtig für die Läufer interessiert. Dafür hats weiter hinten dann doch noch einen hochoffiziellen Verpflegungsposten, bei dem erst mal ausgiebiges Essen (ich kann das Wort Gel nicht mehr hören) und Trinken, Trinkblase füllen plus zum tausendsten Mal eine halbe Tonne Steine aus den Schuhen schütten angesagt ist. Die Leute am Verpflegungsposten sind, wie generell alle Helfer, super freundlich, aufgestellt und fröhlich. Auch an sie an dieser Stelle ein grosses Dankeschön!
Ich schiele mal auf die Uhr. Wenn ich jetzt an der Jungfrau gestartet wäre, würden nur noch ein paar wenige Kilometer vor mir liegen. Hier sinds noch einmal 1300 Höhenmeter rauf und 700 runter. Nicht drüber nachdenken. Auch nicht, wenn es wirklich steil wird, und das wird es. Wenigstens hat es dazwischen mal ein paar Kilometer auf einem breiten Kiesweg, wo man einfach sinnbefreit vor sich hintrampeln kann. Aber halt auch wenig an Höhenmetern gewinnt. Oberhalb der Baumgrenze kommt dann der fulminante Nachtisch. Im Zickzack geht’s steil den Berg hoch, für die schöne Berglandschaft hab ich unterdessen keinen Blick mehr übrig. Oben kommt man auf ein fast flaches Plateau mit einer Alm, die aber schon verlassen und für den Winter vorbereitet ist. Der Gipfel ist weit und breit nicht in Sicht. Weg gibt’s jetzt keinen mehr, man orientiert sich nur noch an den rot-weissen Bergwegmarkierungen und hin und wieder einem gelb-schwarzen Flatterband. Immer, wenn man wieder über einen Grat rüber ist und denkt, man sei jetzt oben geht’s noch weiter. Mein Kopf ist leer, aber bessser ist das. Denn würde sich jetzt sowas wie Emotionen einstellen, dann würd ich schlicht und einfach renitent irgendwo auf einen Stein sitzen, die Startnummer abnehmen, frustriert meinen letzten Riegel in mich reinstopfen und keinen einzigen Schritt mehr machen! Stattdessen geh ich weiter. Linker Fuss, rechter Fuss. Von einem Grasbüschel zum nächsten. Bis zu der Markierung noch, und dann zur nächsten. Immer weiter. Und dann seh ich sie. Einen Helfer in der gelben Jacke, daneben ein Fotograf, der mit einem breiten Grinsen losknipst. Ich fühl mich wie Clint Eastwood, der eben aus der Wüste zurückgekehrt ist! Ein befreites Lachen, ein kurzes Stehenbleiben zum Verschnaufen. Und dann rolle ich los. Die letzten 5 Kilometer runter. Wieder vorbei an den Seen, Gaffia-Hütte, ich lass es nur noch laufen, ohne Murks, aber auch nicht mehr mit Vollgas. Ich will einfach nur noch gesund und glücklich ins Ziel kommen, und das mach ich auch. Nach 8 Stunden und 19 Minuten bleibt die Uhr stehen. Mit einem ungläubigen Gesicht guck ich zurück, den Berg hoch. Und geniesse das Glücksgefühl, dass sich breit macht.
Ich hatte ja schon in meinem vorherigen Laufbericht Werbung für den Pizol und alle Läufe in dieser Gegend gemacht. Ich kann nur noch einmal mehr in diese Bresche hauen. Umberto Michelucci hat hier einen wunderschönen, aber auch anspruchsvollen Lauf hingekriegt. Der Lauf selber setzt auf viel Eigenverantwortung und auch zum grossen Teil auf Selbstversorgung. Die Streckenmarkierungen sind gut, wenn auch nicht übermässig. Es hat für alle etwas. Die Ultradistanz ist mit ihren 80 km und 6100 Höhenmeter und doch recht knackigen Cut-Offs sicher kein Einsteiger-Berglauf, der Marathon ist zwar kilometermässig gar keiner, aber dennoch deutlich anspruchsvoller als alles andere, was ich bisher unter dem Namen „Marathon“ absolviert habe. Und wer sich das alles nicht antun mag aber trotzdem einen veritablen Berglauf sucht, der wird bei der Short Distance glücklich. Gemeinsam haben aber alle Läufe eins: Wer die rauhe Berglandschaft und ruppige Trails mag, der ist hier bestens aufgehoben. Und – das Finishershirt ist wirklich toll :)

Danke fürs Mitlesen und viele Grüsse, Marianne

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:mundauf: :geil: :mundauf: :geil: :mundauf: :geil: :mundauf: :geil: :mundauf: :geil: :daumen:
Aber sonst geht es dir noch GUT??????? Hammer was du da wieder GELEISTET hast.
Respekt zu deinem LAUF, BERICHT und den BILDERN :daumen:
Hoffe, der Nagel ist NICHT BLAU und auch der Rest vom Körper ist in Ordnung.
Liebe Grüße Dorothea und Hans Peter (immer noch Seuchengeplagt)
Ich weiß, dass die Stimmen in meinem Kopf nicht real sind, aber sie haben so wahnsinnig gute Ideen
Ein bisschen TRI schadet nie.
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Hallo Marianne!
Hut ab und Respekt! :daumen:

Und vielen Dank für den tollen Bericht. :geil: :hug:
Jetzt kann ich zwar weiterhin von einer Teilnahme -irgendwann sofern ich "ausreichend" schneller werde- beim Sardona träumen, aber ich werde den Traum hinsichtlich der Strecke wohl von Ultra auf Marathon abändern. :zwinker2:
Liebe Grüße
- Carmen :hallo:
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Welch ein grandioses Abenteuer! So mitreißend wie du darüber berichtet hast, war ich einen Moment versucht, meine Höhenangst zu vergessen. Jetzt ist sie aber wieder da und ich kann dich ganz uneingeschränkt für eine tolle Leistung bewundern, die ich niemals hinkriegen werde. :wow: :daumen: :daumen: :daumen:

Herzlichen Glückwunsch, liebste Marianne! Wenn dir der Dussel in dem Outdoor-Laden immer noch keinen Profi-Rucksack verkaufen will, frag ihn ganz lässig, wie er denn mit dem Sumpf und den bröselnden Eisbrocken klar gekommen ist ... :D

Gute Erholung wünsch ich dir - genieß deinen Erfolg,
Anne :winken:

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Oh Marianne, was ein toller Bericht und tolle Bilder von einem anscheinend tollen Lauf! :geil: Toll gemacht!! :daumen:
Gratulation nochmal und und vielen Dank für das Mitnehmen auf einen wohl wirklich auf die Merkliste zu setzenden Lauf.

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SchweizerTrinchen hat geschrieben:Sardona oder nicht Sardona – das war die Frage. Sollte ich einen (noch) relativ unbekannten Berglauf der berühmten Jungfrau vorziehen? Meinem Hausberg? Will ich nochmals den Abschnitt laufen (plus noch viel, viel mehr), wo ich mir vor ein paar Wochen einen fetten, blauen Zehennagel und einen Muskelkater par excellence geholt habe? Aber dem Profil konnte ich einfach nicht widerstehen:

Distanz: ca. 38 Km
Höhenmeter: 3000 m
Minimale Höhe über dem Meer: 908 m
Durchschnittliche Höhe über dem Meer: 1774 m
Maximale Höhe über dem Meer: 2587 m
Maximales Gefälle: ca. 54 %
Durchschnittliches Gefälle: ca. 17 %

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Damit der Bergspass auch eine richtige Herausforderung wird, verabschiedet sich der Sommer ungefähr eine Woche vorher, der Wetterbericht ist schlecht, es hat Schnee gegeben in den Bergen, und bis am Freitag ist nicht sicher, ob überhaupt auf der Originalstrecke gelaufen werden kann. Aber das sind wir uns ja dieses Jahr gewohnt, und so lass ich mich da nicht unnötig die Laune verderben. Und tatsächlich, es wird gelaufen, so wie geplant, und so steh ich dann am Samstagmorgen in einem sehr familiären Trüppchen von 76 Läufern und 7 anderen Läuferinnen am Start. Die Ultras sind 45 Minuten vor uns gestartet, und so wie es scheint ist es erklärtes Ziel der meisten Läufer, die Kollegen so rasch wie möglich wieder einzuholen. Anders kann ich mir dieses haarsträubende Tempo nicht erklären, dass gleich von Anfang an angeschlagen wird. Der erste Kilometer verläuft relativ flach dem Bergseite entlang, ich versuche, mich nicht mitreissen zu lassen, aber das ist schwer bei so einem kleinen Läuferfeld. Als es dann nach dem ersten Kilometer hoch- und das Tempo endlich entsprechend runtergeht, fühl ich mich wieder etwas komfortabler, traue mich aber nicht mehr, zurückzuschauen. Denn so viele werden da nicht mehr sein. Das hat man davon, wenn man an einem Lauf starten will, bei dem viele Leute sich wegen den doch recht engen Cut-Offs nicht trauen sich anzumelden, selber schuld.
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Nach ungefähr 4 Kilometer hab ich endlich nicht nur mein Tempo, sondern auch einen Weggefährten gefunden, mit dem ich zusammen die nächsten Kilometer unterwegs bin. Man ist ausschliesslich auf kleinen, klassischen Bergwegen unterwegs, entlang von kleinen Bergseen. Als erstes kleines Amuse Bouche führt die Strecke aber auch einer Wand entlang, aus der dauernd Steine und Eisstücke rausbröckeln und runterkullern. Ich halte meinen Begleiter an, das Stück etwas zügig zu durchqueren. Etwas weiter oben kriegt man dann nochmals deutlich das Gefühl dafür, dass das heute ein Abenteuer wird. Eisig kalter Wind, und verschneite Bergkuppen. Plus die Gewissheit, dass man da hoch muss.
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Dieses genüssliche Schauern, das mir in so einem Moment den Rücken runterläuft ist mit nichts zu vergleichen. Es geht weiter aufwärts. Unterdessen hat sich das Läuferfeld vermischt. Die ersten Ultras sind unterwegs (nicht gut), dafür kommen nun die ersten Läufer vom der Short Distance und rollen in atemberaubenden Tempo das Feld von hinten auf (beeindruckend), und die Marathonis haben sich unterdessen alle in ihrer Pace eingependelt (gut). Daneben hat es auch viele Wanderer unterwegs, die trotz der nicht so vielversprechenden Wetterprognose die berühmte Fünf-Seen-Wanderung machen, die eben dieser Strecke entlang geht. Man geniesst also jede Menge gute Zurufe und Lob.
Oben bei Wildseeluggen (2490 m. ü. M.) trennt sich dann das Feld. Während die Läufer der Short Distance nun abwärts dürfen, geht’s bei uns noch weiter hinauf, bis zum Lavtinasattel auf 2587 m. ü. M. Der eigentlich kurze Streckenabschnitt dort rüber hat es in sich. Der Weg, so vorhanden, ist komplett vereist, und wo es kein Eis hat, ist es sonst glitschig. Der Läufer, der vor mir ist, wartet auf mich, gemeinsam bewältigen wir die schwierige Passage. Danke, wenn auch unbekannterweise, an dieser Stelle dafür, ich habe das sehr geschätzt!
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Oben auf dem Lavtinasattel bleibt nur kurze Zeit für ein Bild, es ist einfach kalt und ziemlich garstig, aber zum Glück ändert sich das gleich wieder, denn auf der anderen Seite ist der Schnee fast weg, und bei einem rasanten Abstieg verliert man rasch Höhenmeter, und die Temperaturen steigen wieder in den angenehmen Bereich an. Dafür wird’s jetzt richtig einsam. Hier hats ausser einer Gruppe Jäger gar niemanden mehr unterwegs, die Läufer vor mir sind alle verschwunden, und die hinter mir irgendwie auch. Dafür geniesse ich die wirklich fantastische Aussicht auf tolle Berge samt beeindruckenden Bächen und Wasserfällen.
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Das mulmige Gefühl, dass ich die Strecke verpasst habe, stellt sich dann aber signifikant ein, als ich schon recht weit unten im Tal plötzlich vor einem riesigen Sumpf stehe! Vor lauter Fassungslosigkeit hab ich sogar vergessen, ein Bild von diesem Morast zu machen! Eine Herde Kühe hatte in einem Waldstück den schmalen Weg auf einer Strecke von ca. 40 Metern in einen knietiefen Sumpf verwandelt. Fussabdrücke sind keine mehr zu erkennen. Ein plausibler Umweg auch nicht so auf die Schnelle auch nicht. So balanciere ich, auf den versenkten Baumstämmen, die in diesem Sumpf stecken als verzweifelter Versuch, dem Weg etwas Festigung zu geben, Meter für Meter vorwärts. Super, das hast du ja prima hingekriegt! Der Kopf ist leer, die Tränen stehen zuvorderst in den Augen. Hinter dem Sumpf geht’s wieder hoch. Erst mal raus aus diesem dämlichen Wald samt seinem blöden Weg. Und dann sehen wir weiter. Aber kaum bin ich aus dem Wald raus, seh ich eine Alm, und beim Brunnen vor der Alm sind zwei Läufer dabei, am Brunnen ihre Beine und Schuhe zu waschen! Juhui, ich wusste gar nicht, wie schön so ein Anblick sein kann. Nix mit verirrt, alles richtig gemacht, auch wenn mich die beiden anderen gleich fragen, warum ich „nur“ bis zu den Knöcheln voll Schlamm bin, und nicht bis zu den Knien.
Mit einem der beiden Läufern lauf ich weiter. Bald ist Schwendi erreicht, ein kleines Dorf, wo sich eigentlich ausser ein paar Kindern, die mit viel Herzblut Sugus und Holunderblütensirup anbieten niemand so richtig für die Läufer interessiert. Dafür hats weiter hinten dann doch noch einen hochoffiziellen Verpflegungsposten, bei dem erst mal ausgiebiges Essen (ich kann das Wort Gel nicht mehr hören) und Trinken, Trinkblase füllen plus zum tausendsten Mal eine halbe Tonne Steine aus den Schuhen schütten angesagt ist. Die Leute am Verpflegungsposten sind, wie generell alle Helfer, super freundlich, aufgestellt und fröhlich. Auch an sie an dieser Stelle ein grosses Dankeschön!
Ich schiele mal auf die Uhr. Wenn ich jetzt an der Jungfrau gestartet wäre, würden nur noch ein paar wenige Kilometer vor mir liegen. Hier sinds noch einmal 1300 Höhenmeter rauf und 700 runter. Nicht drüber nachdenken. Auch nicht, wenn es wirklich steil wird, und das wird es. Wenigstens hat es dazwischen mal ein paar Kilometer auf einem breiten Kiesweg, wo man einfach sinnbefreit vor sich hintrampeln kann. Aber halt auch wenig an Höhenmetern gewinnt.
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Oberhalb der Baumgrenze kommt dann der fulminante Nachtisch. Im Zickzack geht’s steil den Berg hoch, für die schöne Berglandschaft hab ich unterdessen keinen Blick mehr übrig. Oben kommt man auf ein fast flaches Plateau mit einer Alm, die aber schon verlassen und für den Winter vorbereitet ist. Der Gipfel ist weit und breit nicht in Sicht. Weg gibt’s jetzt keinen mehr, man orientiert sich nur noch an den rot-weissen Bergwegmarkierungen und hin und wieder einem gelb-schwarzen Flatterband. Immer, wenn man wieder über einen Grat rüber ist und denkt, man sei jetzt oben geht’s noch weiter. Mein Kopf ist leer, aber bessser ist das. Denn würde sich jetzt sowas wie Emotionen einstellen, dann würd ich schlicht und einfach renitent irgendwo auf einen Stein sitzen, die Startnummer abnehmen, frustriert meinen letzten Riegel in mich reinstopfen und keinen einzigen Schritt mehr machen! Stattdessen geh ich weiter. Linker Fuss, rechter Fuss. Von einem Grasbüschel zum nächsten. Bis zu der Markierung noch, und dann zur nächsten. Immer weiter. Und dann seh ich sie. Einen Helfer in der gelben Jacke, daneben ein Fotograf, der mit einem breiten Grinsen losknipst. Ich fühl mich wie Clint Eastwood, der eben aus der Wüste zurückgekehrt ist!
[ATTACH=CONFIG]16118[/ATTACH]
Ein befreites Lachen, ein kurzes Stehenbleiben zum Verschnaufen. Und dann rolle ich los. Die letzten 5 Kilometer runter. Wieder vorbei an den Seen, Gaffia-Hütte, ich lass es nur noch laufen, ohne Murks, aber auch nicht mehr mit Vollgas. Ich will einfach nur noch gesund und glücklich ins Ziel kommen, und das mach ich auch. Nach 8 Stunden und 19 Minuten bleibt die Uhr stehen. Mit einem ungläubigen Gesicht guck ich zurück, den Berg hoch. Und geniesse das Glücksgefühl, dass sich breit macht.
Ich hatte ja schon in meinem vorherigen Laufbericht Werbung für den Pizol und alle Läufe in dieser Gegend gemacht. Ich kann nur noch einmal mehr in diese Bresche hauen. Umberto Michelucci hat hier einen wunderschönen, aber auch anspruchsvollen Lauf hingekriegt. Der Lauf selber setzt auf viel Eigenverantwortung und auch zum grossen Teil auf Selbstversorgung. Die Streckenmarkierungen sind gut, wenn auch nicht übermässig. Es hat für alle etwas. Die Ultradistanz ist mit ihren 80 km und 6100 Höhenmeter und doch recht knackigen Cut-Offs sicher kein Einsteiger-Berglauf, der Marathon ist zwar kilometermässig gar keiner, aber dennoch deutlich anspruchsvoller als alles andere, was ich bisher unter dem Namen „Marathon“ absolviert habe. Und wer sich das alles nicht antun mag aber trotzdem einen veritablen Berglauf sucht, der wird bei der Short Distance glücklich. Gemeinsam haben aber alle Läufe eins: Wer die rauhe Berglandschaft und ruppige Trails mag, der ist hier bestens aufgehoben. Und – das Finishershirt ist wirklich toll :)

Danke fürs Mitlesen und viele Grüsse, Marianne
krass, Mariannderl ! des hasch guat gmacht :) ich hätt ja spätestens beim Sumpf kapituliert :)
:hihi: eigentlich hätt ich ja schneller können :hihi:

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Super gemacht Marianne. :daumen: :hurra: :respekt2: Und dein plastischer Bericht und die tollen Bergfotos machen Lust auf diesen Lauf. Vielen Dank dafür.

Grüssle Klaus
2025
05.07. Heuchelbergtrail 47 k 1400 hm 06:42:48
19.07. 24-h Dettenhausen 102,458 km (in 15 h)
03.08. Nordschwarzwald-Trophy 47 k 1300 hm 05:45.09
16.08. 100 Meilen Berlin

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@Marianne: Danke für deinen Bericht - und Gratulation zum Lauf :pokal: - Wahnsinn was du da gelaufen bist!
Super gemacht :respekt2:
Die Bilder und deine Beschreibung machen richtig Lust auf den Lauf :hallo:

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Gratulation für den tollen Lauf....
Also, auch wenn das jetzt etwas komisch klingen mag..
Ich bin sehr froh über deinen Bericht, denn er zeigt, dass ich nicht der Einzige bin, der mit Mentalen ups and downs während eines Laufs kämpfen muss. Daher bin ich dir wirklich von Herzen dankbar dafür...
LG
Tom
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Mein Leben, mein Alltag, mein Sport, mein Blog!

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Super mitreissend geschrieben, danke! Der Lauf ist definitiv auf der Merkliste gelandet. Auch wenn man dafür wohl noch etwas mehr trainieren muss ;-)

SchweizerTrinchen hat geschrieben:Eisig kalter Wind, und verschneite Bergkuppen. Plus die Gewissheit, dass man da hoch muss.
Dieses genüssliche Schauern, das mir in so einem Moment den Rücken runterläuft ist mit nichts zu vergleichen.
Amen to that :)

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Hallo Marianne,

boah!!! Respekt!!!! Mir blieb beim Lesen schon der Mund offen stehen ... bei den Witterungsbedingungen!!! Mal davon abgesehen, dass ich bei dem Höhenprofil nur gehend unterwegs sein könnte!!!! Gratuliere dir zu dieser tollen Leistung!!!

Viele Grüße
Andrea
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