Hobbyjoggerin hat geschrieben:Im nachhinein würde ich als meinen größten Fehler ansehen, daß ich meine Siege nicht wirklich gefeiert habe, aber mein Niederlagen zelebriert habe. Ich war eine Gehetzte, die den Genuß, die Liebe zum Sport und Dankbarkeit irgendwann nicht mehr schätzen konnte. Ich hoffe ernsthaft mich geändert zu haben. Es ist halt die Psyche die irgendwann die Grenzen setzt, denn wer 100 KM laufen kann, der kann auch viel weiter laufen und laufen und laufen.... Wenn Du Dich auf die 100 Meilen freust, dann werden die sicher keine Hürde für Dich da stellen
Hallo Jeannine,
die Anzahl erlebter Marathonläufe sagt etwas aus über das, was ein Läufer mutmaßlich schon alles gelernt hat. Wenn er bei hoch zwei- oder schon dreistelligem Zählerstand meint nichts mehr lernen zu können, dann werden ihn die nächsten Läufe eines Besseren belehren. Für mich steht vor jedem Marathon alles auf Anfang. Das ist sogar dann so - oder vielleicht auch gerade dann so -, wenn ich zu Ultratrainingszwecken tags zuvor schon einen gelaufen bin. Jeden erlebt man anders. Je häufiger man angekommen ist, umso weniger stellt man zu Beginn die Frage der ersten eigenen Marathonläufe: Werde ich ankommen? Nicht-Ankommen ist keine Option, wohl aber, ob man sein Tempo dem jeweiligen Tageslaufziel entsprechend richtig wählt, wieviel Spaß man haben wird und was einem Strecke und Mitläufer für Erlebnisse bescheren werden.
Ich habe in meiner kurzen und sicher ob ihres späten Beginns auch einigermaßen ungewöhnlichen Läufer"karriere" relativ wenig falsch gemacht. Natürlich war ich ab und zu verletzt oder auch nur lädiert. Und selbstverständlich resultieren solche Malaisen in der Regel aus Fehlern. Solche Fehler sind jedoch aus meiner Sicht nur dann vermeidbar, wenn man nicht sein Limit sucht. Und ich war immer auf der Suche nach dem Limit, nicht dem absoluten, dafür bin war ich zu alt und auch nicht mit Spitzenläufereigenschaften gesegnet. Ich suchte und suche mein persönliches Limit. Das und nur das, war in den ersten Jahren meiner Marathon- und später der Ultraläufe mein Beweggrund. Also trainierte und trainiere ich grenzwertig. Wer das tut, weiß, dass sich hieraus eine stete Gratwanderung ergibt, dass man immer in Gefahr ist sich zu überlasten. Insbesondere wenn einem kein Stab an Betreuern und keine ausgefeilte Diagnostik zur Seite steht, um den Zeitpunkt des Umschlagens vom noch verträglichen zum funktionsschädigenden Trainingsreiz zu erkennen, wird dergleichen passieren. Auch abhängig vom persönlichen Ehrgeiz. Andererseits: Ohne ein hohes Maß an Ehrgeiz wird niemand auf die Idee kommen sein körperliches Limit auszuloten und das dann auch noch durchhalten.
Ich habe also Trainingsfehler gemacht und wurde dafür abgestraft. Okay, das ist, wie es ist und ich habe es akzeptiert. Selbst eingedenk der Tatsache, dass der jeweilige Neubeginn mir immer schwerer fällt, je älter ich werde. Leistungsorientiertes Laufen fühlte sich mit 48, als ich begann Marathon zu laufen, ganz anders an als jetzt mit 60, da ich mich wieder aufraffe meinen Körper für unverschämt ehrgeizige Ultrapläne zu konditionieren. Das tue ich nicht nur, weil ich weiß, dass auf dem Weg dorthin wunderschöne (Trainings-)Wettkämpfe auf mich warten, sondern auch wegen der immerwährenden Unruhe in mir, dem Gedanken auch in diesem Alter das Limit meiner Leistungsfähigkeit zu ergründen. Das ist kein Weglaufen vor dem Altern und keine (vergebliche) Suche nach Jugend. Niemand kann vor sich selbst davon laufen, weder mental noch körperlich. Ich will es einfach wissen: Was kann ich mit 60 noch vollbringen (wenn die Knochen mitspielen)?
Ich habe mich IMMER über Erfolge gefreut und wohl auch nie einen vergessen zu feiern. Was verstehe ich als Erfolg? Ich ging nicht zum Marathon, später zum Ultra, weil ich gewinnen wollte. Nicht einmal wegen einer guten Platzierung. Wie hätte das auch gehen sollen mit 48 und älter? Was geht? das war jeweils die entscheidende Frage. Was kann ich erreichen? So habe ich meine Marathonzeit ausgelotet, bis ich wusste, mit meinen Fähigkeiten, meinem Vorleben und dem aktuellen Alter liegt die Grenze ziemlich genau bei 3h. Weniger hätte einen irrwitzigen Aufwand an Training und Unterstützung erfordert und natürlich Glück einen günstigen Wettkampftag zu erwischen. Was geht an Laufdistanz an Lauflänge? Die Frage stellte sich zwangsläufig. 6h, 100 km, schließlich sogar 24h. Kann ich soweit laufen, war jeweils die Frage? Und wie schnell kann ich auf dieser Distanz laufen? Die Suche nach dem Limit ... das hat mich bewegt. Platzierungen auf diesem Weg nahm ich anfangs verduzt zur Kenntnis, versäumte es allerdings nicht mich auch darüber zu freuen. Mal eine Altersklassenplatzierung bei einem mittelgroßen Marathon oder auch - verwundert rieb ich mir die Augen - ein zweiter Gesamtplatz bei einem kleinen Marathon mit nur 100 Teilnehmern (den ich noch dazu als Trainingslauf verstand, drei Tage nach einem mit Höhenmetern gespickten Fünfziger). Das war Spaß pur. Und dennoch peilte ich niemals eine Platzierung an, was in der Altersklasse aus naheliegenden Gründen während eines Wettkampfes auch schlecht geht. Mein erfolgreichstes war zugleich mein schönstes und hässlichstes Jahr. Schön waren die vielen Vorbereitungswettkämpfe, das Erlebnis auch, welche unglaublichen Ausdauerleistungen man mit richtigem Training an sich selbst verwirklichen kann (wenn man die Zeit dafür hat!). Schön war auch der Saisonhöhepunkt und mein bisher größter Erfolg, der 24h-Lauf, zugleich Deutsche Meisterschaft. Ich rechnete ziemlich genau aus, was ich würde leisten können und hab das sogar um einiges übertroffen. Wie "unschuldig" ich an dieses Laufabenteuer heranging, mag merkwürdig anmuten. Denn obwohl ich wusste, was ich würde laufen können, fiel mir nicht auf, dass ich damit zwangsläufig in der Spitzengruppe laufen würde. Als ich das im Wettkampf erlebte, war meine einzige Reaktion mich davon motivieren zu lassen. Der über ca. 8 Stunden erfolgreich verteidigte 4. Platz bei der damaligen Deutschen Meisterschaft war mir als solches nicht wichtig. Ich war auch zu "entrückt", zu tief im Tunnel, um dergleichen realisieren zu können. Aber auch nach diesem Wettkampf hab ich es nicht versäumt mir ein Loch in den Bauch zu freuen. Vor allem über die Erkenntnis, wo mein Limit lag, das Werteduo 24h und gut 219 gelaufene Kilometer. Oder auch so: Immer noch nicht zu wissen, wie lange ich tatsächlich ununterbrochen laufen kann, bis mir die Beine versagen. Ich werde das auch nicht mehr erfahren, weil ich kaum mehr über diese 24h werde hinaus gehen können.
Hässlich war der Ausklang dieses erfolgreichsten Jahres, weil ich mich schwerwiegend verletzte und eine lange Marathonpause einlegen musste.
Ich kann also für mich nicht in Anspruch nehmen Gravierendes, gegen meine Läuferüberzeugung und gegen meine (bestimmt genetisch so programmierten) Ziele falsch gemacht zu haben. Trainingsfehler - ich wiederhole mich - betrachte ich angesichts ehrgeiziger Leistungsorientierung als "systemimmanent".
Menschen ändern sich. Läufer ändern sich. Inzwischen rechne ich mir da und dort natürlich schon eine Platzierung in der AK aus - übrigens unvermeidlich, wenn man älter wird und es schafft immer noch zu laufen
. Ich habe diese Platzierungs-Kiste einfach in mein Sammelsurium von Laufmotiven aufgenommen. Why not? Je mehr Motive einer hat, umso größer der Antrieb. Das Schielen nach Platzierungen ist mir auch für meinen Verein wichtig, der sich bei so einem Ding wie dem 24h-Lauf oder einem 100km-Lauf in der Presse ein kleines Fass auf machen kann. Vereine, über die geschrieben wird, mögen Sponsoren ...
Dein Hinweis nicht zu intensiv übers Scheitern nachzudenken ist wichtig. Ich tue das nicht. Ich ging immer gut vorbereitet und mit dem festen Glauben in meine entscheidenden Wettkämpfe das gesteckte Ziel erreichen zu können. Und ich habe das im Großen und Ganzen auch immer geschafft. Etwas als Erfolg zu begreifen braucht manchmal auch zeitlichen Abstand. Als ich in Prag 2006 nur knapp mit der Winzigkeit von nicht mal zwei Minuten das Ziel verfehlte unter 3h zu bleiben, war ich natürlich enttäuscht. Seit Jahren habe eine andere Einstellung zu diesem Ergebnis und zu diesem Wettkampf. Es mag komisch klingen, aber ich habe diese meine schnellste gelaufene Marathonzeit inzwischen schon oft für mich gefeiert. Immer wieder mal blitzen mir Szenen aus jenem Wettkampf durch den Kopf und ich freue mich noch heute - da ich längst viel, viel langsamer bin - darüber damals so flink gewesen zu sein. Heute erreiche ich nicht mal mehr bei extensivem Intervalltraining das Tempo, das ich seinerzeit über 42 km durchhalten konnte. Wenn mich ein solcher Gedanke anspringt, dann überkommt mich nicht etwa Bedauern. Eher ein inneres Grinsen, was ich laufend schon Irres (für mich Irres, relativ nicht absolut!) erlebt und geleistet habe.
Niederlagen hatte ich auch zu verzeichnen. Keine gegen andere Läufer, weil ich mich nie an anderen, sondern immer nur an mir selbst gesetzten Zielen gemessen habe. Bei (fast) jedem Trainingswettkampf weiß ich vorher was ich erreichen will. Und das ging natürlich dann und wann in die Hose. Ich kann dergleichen aber rasch abhaken, insbesondere wenn ich eine schlüssige Erklärung dafür finde.
Fazit: Ich gehe davon aus im August diesen Mauerwegslauf zu finishen. Ich sehe mich immer mal wieder über die Ziellinie laufen, schon jetzt, aber ich sehe mich nicht scheitern. So ist es zu verstehen wenn ich sage: Scheitern ist für mich keine Option, einfach nur eine Möglichkeit, die man einkalkulieren muss.
Ich danke dir für deine verbale Zuwendung und die guten Wünsche. Ich nehme beides mit auf einen weiten Weg ...
Alles Gute für dich
Gruß Udo