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von MissBlümchen
3 - 2 - 1 - MAINZ!
Irgendwann würde ich doch gerne mal wissen wie das so ist, wenn man spitzenmässig vorbereitet und voller Enthusiasmus am Start eines Volkslaufes steht und erwartungsfroh mit den Asicshufen scharrt...bereit, sämtliche nur erdenkliche Bestzeiten im Sturm zu erobern und niederzustrecken. Muss doch ein schönes Gefühl sein, das.....Aber ich stehe ja nicht irgendwann am Start in Mainz, sondern heute – und bin mal wieder nicht wirklich vorbereitet, nicht wirklich entspannt, nicht wirklich stressfrei, nicht wirklich zuversichtlich....in der Vergangenheit haben einige Dinge an Kraft, Nerven und Zeit gezerrt und so ist mein Ziel für heute bloß ein bescheidenes „Nicht sterben! (Und wenn doch, dann wenigstens einigermassen gut aussehen dabei...oder nicht GANZ so scheiße aussehen dabei)“
„Ohne Holland fahrn wir zur WM...ohne Holland...faaahrn wir zu WM!“ Während wir uns durch die vorfreudigen Läufermassen zu einem Startbereich quetschen, den wir für unser ehrgeizloses Ziel für angemessen halten, schwirren mir aus bis dato nicht nachvollziehbaren Gründen unablässig ohrwurmige Fußball-Kampfgesänge durch die Hirnwindungen. „Ohne Holland...“ „Soll ich jetzt das mit dem Karnevalsverein singen?“ reißt mich Marcus’ Stimme aus meinem innerlichen Gegröhle. Ähm...watt? Ach so...“Nein!“ weise ich ihn an und ziehe mich zum „Oléeee....olé..ooolé“-Plärren in meinen Hirnkasten zurück.
In mir wabert eine gewisse alberne Gleichgültigkeit in Bezug auf diesen Lauf....das ich hier in Mainz heute nix reißen kann, weiß ich. Ich bin nicht fit, mein Training war ein schlechter Witz, ich hab’ mehr geheult und geflucht als sonstwas in der letzten Zeit, aber die panische „Ich schaff’ das nie! Ich werde sterben!“-Phase, die mich in den letzten Wochen begleitet hat, habe ich wohl irgendwann am Vorabend abgeschlossen. Also wird halt jetzt gelaufen....“ohne Holland fahrn wir zur WM! Oléeee....olé, olé“. Am Arsch hängt der Hammer!
Behäbig setzt sich der Läuferwurm in Bewegung, und nach gefühlten 30 Minuten Wellness-Walking dürfen wir dann auch endlich mal über die Matte hoppeln, die ein empörtes „Quiek!“ von sich gibt. Hey Matti...ich bin’s doch nur, die olle Schnecke vom letzten Jahr...kein Grund zum Quieken!
Das erste Kilometerschild passieren wir nach gut 7 Minuten – trotz mehr als moderaten Tempos fühle ich mich ein wenig schläpplich, aber so ein, zwei, drei Kilometerchen werde ich dann wohl noch schaffen...olé, olé. Für 1 Kilometer lohnt sich der Aufwand ja nicht, also lauf’ ich halt weiter. Olé! Schnell wird deutlich, das Marcus zu der extrem seltenen Sorte Mann gehört, die zuhört und sogar VERSTEHT was ich sage....es könnte auch sein, das meine Drohung, ihm bei Mißachten meiner Wünsche eine aufs Maul zu hauen, ihr Übrigens getan hat – aber wie im Vorfeld von mir erbeten, nervt er mich nicht mit blöden Motivationssprüchen oder irgendwelchem Tempogesabbel, sondern reicht Wasser, Schwamm und Taschentuch wenn gewünscht und ist ansonsten einfach bloß amüsanter, witzelnder Mitläufer. Nach ein paar Kilometern drücke ich ihm das Prädikat „Greenhorngetestet – sehr empfehlenswert“ auf den Buckel. Sabine kann ich auch nur wärmstens weiterempfehlenl - die rheinländische Chemie hat jestimmt und hätte ich noch Kraft gehabt, hätte ich selbstverständlich einen Heiratsantrag gemacht am Brunnen...die Entchen wären dann die Trauringe geworden..
Und überhaupt – auch wenn ich ab und an ein kleines bißchen sterben muss, hab’ ich selten bei einem Lauf so viel gelacht, bzw. versucht zu lachen, bzw. hätte ich lachen können wenn ich denn gekonnt hätte, bzw....ach, drauf geschissen – will sagen: Ett war lustisch mit euch (auch wenn wir Kate leider unterwegs absichtlich verlieren mussten) – wollja! Wenngleich ich mich auch des öfteren mangels Kräften eher zwangsläufig so still und leise nach innen amüsieren musste...
Es muss ungefähr bei KM 14 oder 15 sein, als ich zufällig einen Blick auf Sabines Zeitknochen erfasse, die erhaschte Zahl ungelenk in meinem Hirnkasten von einer Ecke in die andere schiebe und leise ratternd abstruse Berechnungen auswerfe – dem Zeitknochen nach werde ich es kaum schaffen, vor 2:30 Std. ins HM-Ziel zu taumeln. Poh, datt brauch' ich aber nicht wirklich...eine HM-Zeit über 2:30 Std. ist ja selbst mir zu blöd, also irgendwo muss ja wohl auch mal Schluß sein, bitteschön.... Ein leises Stechen in den kleinen Zehen kündigt an, das dort gerade jeweils eine kinderkopfgroße Blase geboren wird. Was soll's – das Schlimmste was passieren kann wäre wohl ein wenig Blut im Schuh – ruckediguh! - und dann kann ich die Zehen ja immer noch abhacken, denn schon die böse Stiefmutter wußte „Wenn Du erst Königin bist, musst Du nie mehr zu Fuß gehen!“ Notfalls werde ich Handkäs-Königin, wenn es sein muss mit Musik – und überhaupt seid ihr nur ein Karnevalsverein. Ich hadere mit mir und meinen Hirnwindungen- ach, watt soll der Geiz...grottenlangsame HM's laufen kann ich ja jetzt zur Genüge, ett wird Zeit für neue Ziele, nämlich grottenlangsame 2/3-Marathone laufen. Wollja! Und heute ist ein guter Tag zum Sterben....also mach' ich datt jetzt mal...oder doch nicht? Ich muss ja auch nicht JEDEN Spökes mitmachen...2/3-Marathon....neumodischer Scheißdreck, das gabs früher nicht.
Von der Gegenlaufbahn vernehme ich plötzlich ein lautes „Scheiße! Ihr habt mick beim Gäähn erwüscht!“ Naja...im Grunde hätte ich Kate bei überhaupt nix erwischt, wenn sie nicht so geschrien hätte....aber wenn sie schon mal da ist, kann ich sie ja schnell mal auffe Backe knutschen. „Du läufst den 2/3-Marathon!“ befiehlt Kate...“Mach ich!“ entgegne ich folgsam. Einige Meter weiter kommen die Worte dann auch in meinem Kopf an „Hab' ich gerade „Mach' ich?“ gesagt?“ vergewissere ich mich bei Sabine. „Ja!“ Hmm...ja, dann mach' ich das jetzt eben. Gesagt ist gesagt – und wiederholen ist gestohlen.
Beim 18. Kilometerschild wird mir dann doch ein wenig bänglich zumute...noch 10 km. 10 km sind voll weit. Echt jetzt. Für mich zumindest, vor allem wenn ich schon 18 km vorher gelaufen bin. Aber nützt ja nix....weil über 2:30 Std. für HM ist....jaja...genau...und neue Ziele und Haue obendrein.
Ab dem 20. Kilometerschild liegt „Ziel“ in der Luft...die Musik scheint lauter zu sein, die Leute scheinen schneller zu klatschen....ständig brüllen Zuschauer „Nur noch 1 km, bald habt ihr es geschafft, ihr seid super!“....und ähnlich dämliches Groupie-Zeugs.
Es ist merkwürdig, ins Ziel einzulaufen wenn man gar nicht ins Ziel laufen will – die Steigerung der Merkwürdischkeit ist dann noch der Sprecher, der vor Begeisterung schreiend die Ankunft der ersten Marathonläuferin ankündigt – aber als ich dann der Beschilderung „2nd round“ folge, komme ich mir schon vor wie eine mächtig coole Sau. Ja, ja..rennt ihr nur alle ins Ziel....ich geh' jetzt auf die zweite Runde. Ha! Am Arsch hängt der Hammer, aber sowatt von!
Die Tatsache, das wir quasi kopf an kopf mit der schnellsten Marathonläuferin ins Ziel (bzw. durch das Ziel hindurch in die 2. Runde, bin ja eine mächtig coole Sau) laufen, finde ich aus irgendeinem Grund so beeindruckend, das mir fast die Rührungstränen in die Augen schießen. Ist vielleicht auch nur Schweiß...oder Tränen der Verzweiflung, weil ich jetzt nochmal in den Krieg ziehen muss während die anderen Krieger schon an der reichgedeckten Tafel sitzen. Aber schön isses schon....
Kurz nach dem „Ziel“ steht wb am Rand, sieht markig-männermodellig aus und lacht mich an, weil ich so eine beeindruckend-coole Sau bin....Nachdem wir das Ziel hinter uns gelassen haben und eine lange, leere, heiße Straße vor uns liegt, bin ich allerdings überzeugt, das er mich ausgelacht hat, weil ich so eine beeindruckend ARME Sau bin....noch 7 km – so langsam dämmert mir die Erkenntnis, das ich eigentlich gar nicht mehr kann....und auch eigentlich gar nicht mehr so richtig will....aber Umdrehen wäre jetzt auch doof.
Der glühende Osram am Himmel gibt alles, und die elende Theodor-Scheißendrecks-Brücke ist 125 km lang...ganz bestimmt, wenn nicht noch mehr. Ein hartnäckiger Krümmel inne Trööt (übersetzt „Frosch im Hals“ Anm.d.Red.) zwingt mich zu würgeartigen Hustenattacken und außerdem spielt Mr. Heuschnupfen seine lustige Nasenlaufsonate. Zum Glück versorgt mich Marcus permanent gentlementös mit Taschentüchern, so daß mir die Notwendigkeit des Kutschergrußes erspart bleibt. ....ach ja...irgendwie werd' ich schon ankommen. Auch wenn der letzte Teil der Strecke nicht mehr wirklich prickelnd ist, find' ich das Laufen hier irgendwie süß. Es ist so ruhig und beschaulich hier im Wohngebiet, einige Bewohner stehen herum und klatschen, ein paar Grills sind aufgebaut...und ich coole Sau mittendrin. (Die gefühlte Temperatur lässt eher auf Spanferkel als auf coole Sau schließen.)
Aber nu' iss' langsam bitteschön mal gut...ich möchte jetzt aber doch bitteschön mal langsam ins Ziel kommen, wenn möglich noch bevor meine beiden stechenden Kleinzehen zu Staub zerfallen. Außerdem tun mir die Schultern so weh, das ich mich ständig zusammenreißen muss um nicht vornerüber zu kippen. Genug! Ich will ins Walhalla, aber zack! „Nur noch bis da vorne hin, das ist KM 27, dann nur noch 1 km. Bist scho a tapferes Mädl!“ lügt Marcus barmherzig und entschwindet zu Zögling Nr. 2, Sabine, die ein kleines Stückchen hinter uns läuft. Woah....27 km – sofern mein ausgetrocknetes Gehirn Emotionen zulassen würde, würde ich das jetzt ziemlich geil finden. Aber so schleife ich mich bloß leise röchelnd diese elendige Brücke hoch....elendige, Brücke, elendige. „Hey, Danni – Du siehst super aus!“ vernehme ich plötzlich aus dem Nebel und erblicke Daniela und Laurent, die ich zu Zeiten meines äußerst regen Partylebens ausschließlich in Elektroclubs getroffen habe...und nun eben zu Zeiten meines äußerst regen Läuferlebens ausschließlich beim Mainz-Marathon...so kanns gehen. Nachdem ich dann auch kapiert habe, das Laurent gar nicht mehr im Rennen ist, sondern schon (vor einer ganzen Weile, wie ich hinterher in der Ergebnisliste sehe) durch das 2/3-Ziel gerannt war, smalltalken wir ein wenig....über Häuserkäufe, das Wohlbefinden von Olafmylove, über Training und gedämmete Fußböden. „Heda! Belästigt Dich der Mann?“ bajuwart es plötzlich hinter mir und Marcus schiebt sich smalltalkunterbindend zwischen uns. Mir wird bewußt das ich mich nur noch 500 m vor dem Ziel befinde und jetzt doch andere Dinge wichtiger sind als Häuserkaufsmalltalk mit Bekannten...nämlich ein Endspurt – oder sowatt in der Art. „Komm, den kaufen wir uns!“ treibt mich Marcus an und deutet kampfbereit auf einen....ähm...naja....halbtoten, walklaufenden Herrn vor uns. Naja...watt sollet – wenn sonst niemand da ist zum Versägen, dann versäge ich halt diesen halbtoten, walklaufenden Herren...es wird gegessen watt auf'n Tisch kommt! Das sich Marcus während meines halsbrecherischen Endspurts noch gemütlich mit ebendiesem Herren unterhalten kann, macht vielleicht deutlich, wie wenig halsbrecherisch mein Tempo ist...aber egal – sieht mich ja keiner! Und das entspricht der Wahrheit, denn im Ziel erwarten uns exakt 0,0 Zuschauer. Sind wohl alle schon daheim. Bei Muttern und Kuchen. Egal. Ich bin drin. Im 2/3-Ziel nach 28 km. Und nicht gestorben und eine coole Sau und Durst hab' ich wie selbige. Poh! Scheiß die Wand an! LECK MICH AM ARSCH IST MIR WARM!
Hach, und abschließend bleibt mir zu sagen: Mainz war geil. Echt jetzt. Auch wenn ich zwei kinderkopfgroße Blasen an den Zehen habe...aber wenn ich erst Königin bin, muss ich nie wieder zu Fuß gehen ;)
Kate, Sabine, Marcus, Mainz - ihr ward tolle Mitläufer! Lars ist der liebste Grünhorn-in-Parknotretter überhaupt....und irgendwie hat einfach alles gepasst! Punkt!