Mein Rennsteig 2008
Egal wie's läuft, egal was läuft, wenn es im Mai auf den Rennsteigtermin zuläuft, dann fängt
es an zu kribbeln, dann kommt die Unruhe und wenn du Thüringen erreicht hast und die grünen
Hügel um dich siehst, ist es vorbei, dann bist du gefangen
Ich war in diesem Jahr spät dran in Schmiedefeld, Auto im Ziel deponiert, jetzt war nur noch der
Spättransport um 19:00 Uhr nach Eisenach möglich, keine Chance, das Fori-Treffen im Zelt zu
erreichen, da kam schon ein kleiner Seufzer auf, doch beim Warten auf den Bus stieg das
Stimmungsbarometer wieder, die ersten Foris tauchen auf, es gibt ein Hallo und so netter
Gesellschaft verflog die Zeit bis Eisenach ganz kurzweilig in netter Plauscherei.
In Eisenach war's plötzlich schon 20:30 Uhr, nur noch 'ne halbe Stunde für Startunterlagen und
Klöße - hurtig, hurtig also! Schnell ist das mit den Unterlagen erledigt, ich stoße zu den anderen,
hab dann den Teller in der Hand, äää? Klöße alle - Na prima!

Na ja - nach 10min war aber Nachschub da, in Windeseile war die Portion auch inhaliert,
dazu ein Humpen 'Schwarzes'. Der Archie zollt schon mal Respekt, er hatte nicht alles geschafft,
als Top-Marathon-Performer muss er auch mehr auf Linie achten - ist schon klar

Als ich dann aber aufstand, um noch 'ne komplette zweite Portion zu verdrücken, schüttelte er
dann doch den Kopf ein wenig. Ja gut, ich geb's ja zu, die Magenwand war dann schon zum
Bersten prall. War doch so lecker
Schön, dass wir dann in der Schule noch im Lateinzimmer unterkamen, konnten zur Beruhigung
bei einer Flasche Bier mit Foris fachsimpeln und klönen. Die 1...2 Stunden Schlaf waren ja eh
nicht der Rede wert, zumal ein Zeitgenosse links neben uns damit beschäftigt war, Kyrillschäden
mit gröbster Säge zu bearbeiten. Unser Wecker sollte um 3:30 Uhr klingeln, Archie blinzelte aber
doch schon zeitiger, so dass wir unser 'großes Frühstück' zur Weckzeit schon begannen einzu-
fahren. Zurück im Klassenraum wurde dann auch sofort Licht gemacht. Wer war wohl diese
stattliche Schnarcher Marke röhrender Platzhirsch? Es räkelt sich im Schlafsack und welch
zotteliger Waldgeist, schält sich aus seinem Lager? Guten Morgen Herr Harzläufer!

Berlin-Marathonforum, ein Fori! Zitat: "Ich schnarche nie-nicht"
Gut, bei der Kleiderwahl hatten wir uns wohl nicht ganz so viel Gedanken wie Sinchen gemacht

bissel Überlegung hin und her war aber auch dabei. Kurz-Kurz stellte sich als die richtige Wahl
heraus, den Notfall hatte Archie mit 'nem leichten Windbreaker und ich mit einer Folientüte ab-
gesichert. Nach dem morgendlichen Hallo am Brunnen auf dem Markt um 6:30 Uhr, war es dann
natürlich endgültig vorbei mit der letzten Ruhe.
Nun konnte der Startschuss endlich fallen. Schön, dass wir heute nicht vorne reingingen, wir
wollten einfach ruhig, locker antraben, ganz ohne Druck, so gingen Jörg, Archie und ich die ersten
Km durch Eisenach und den folgenden Anstieg raus aus der Stadt zusammen an, gemütlich.
Die Luftfeuchtigkeit war hoch, erste Schweißperlen zeigten sich, ein Grund mehr, piano zu machen.
Doch was ist das? Herr Harzläufer zieht kraftvoll an uns vorbei - na denn man tau!

Archie nimmt etwas Tempo raus, so ziehe ich mit Jörg mal weiter, bemüht das Tempo ruhig zu
halten. Ja, es es immer ein schöner Eindruck, wenn es aus dem Mischwald auf den Wiesenweg
wechselt und der Hubschrauber den Lindwurm filmt, der sich in Richtung Rennsteig wälzt. Ein Blick
abwärts kann genossen werden und stolz verbucht man die ersten erklommenen Höhenmeter - noch
viele werden folgen.
Ruhig laufen bleibt die Devise! Anstieg, Flachpassage, auch leichter Abstieg - aha, wir sammeln den
Herrn Harzläufer freundlich grüßend wieder ein

Jörg merkt dann, dass ihn gerade die Abstiege schmerzen, wen wundert's, Prag war nur eine Woche her.
Wenn ich es rollen lasse, lässt er mich gewähren, so dass wir uns irgendwann aus den Augen verlieren.
Ich hoffe auf ein gutes Durchkommen für ihn und tatsächlich absolviert es's ja mit 7:20 prächtig - Respekt!
Und mein Plan? So richtig klar ist der mir auch noch nicht. Ruhig weiterlaufen, nicht wie im letzten
Jahr schon mit 2:25 auf den Inselsberg, 2:30 dort, das wär ok. Doch bis dahin ist's noch weit.
Süßer Tee an der Verpflegung gibt den ersten Schub. Die ersten 5K-Splits liegen über 6er Schnitt,
pegeln sich dann auf 6er Schnitt ein. Bald ist die Wurzelwegpassage erreicht, ein Anstieg, gespickt
mit bizarrem Wurzelwerk, dort musst du höllisch aufpassen, nur nicht vertreten, Koordinationstraining
pur, ich mag das Stück. Genauso tückisch, die dann folgende Geröllpassage, grobschottrig,
ausgewaschen, auch gut geglückt, es wird mal leichter nur noch hin und wieder Schotter, ich komme
ins quatschen mit dem Nebenmann, da passiert's: abgerutscht und nach rechts außen umgeknickt!
Zum Glück kann ich mich im letzten Moment abfangen, ein kurzer Schmerz mit Bange - bleibt der,
schwillt was an? Zum Glück geht das vorüber, läuft sich weg, verdammt, du musst hellwach bleiben,
auf all den ständig wechselnden Untergründen kann so viel passieren - aufatmen!
Nun heißt es auch Verpflegung fassen, ich bleibe meinem Rennsteigkonzept treu und greif mir Tee
und zünftige Schmalzstulle. Wenn mein Magen was zu tun hat, gibt er Ruhe. Das hat sich für mich
nun schon bewährt. Nette Begebenheiten und Plauschereien bringen mich voran, da kommt Roland
Winkler in Reichweite und wir können über seinen Team-Marathon plauschen. Sinkende Teilnehmer-
zahlen und organisatorische Unklarheiten machen den Fortbestand noch etwas wackelig, wäre echt
schade um die Kultveranstaltung. Wir wünschen uns was und schon geht's weiter.
Der Anstieg wird hart, ich mach 'nen Wanderschritt, die Uhr zeigt 2:30, aha der Inselsberg ist erreicht,
Km25, 2:32, das passt ja ins Konzept, knapp über 6er Schnitt. Der Abstieg dann, der ist rasant, die
Treppe nehme ich flott in 2-Stufen-Technik, doch was dann folgt, davor habe ich immer Bammel, der
Asphalt-Abstieg ist so steil, dass man in derber Rücklage fast auf den Hacken laufen muss, immer in
der Hoffnung, nicht auf Tannennadeln oder Dreck ins Rutschen zu kommen, zu viel Speed soll ja auch
nicht verloren gehen. Ungewollt sozusagen macht man jetzt Zeit gut und ich sehe am 30er schon zwei
Minütchen plus auf den 6er Schnitt. Hm? Gar nicht schlecht! Jetzt laufe ich mit Jonny aus Dresden,
auch er ist 3 Wochen vor dem Rennsteig den Oberelbe-Marathon gelaufen, so schlimm kann der Lauf
sich in der Vorbereitung also nicht auswirken, denn Jonny zieht gut voran, ich habe Mühe, an den
Anstiegen mitzuhalten, kann gut sein, dass rund um Dresden paar Berge mehr als im Fläming sind

Mal schließe ich auf, mal zieht er weg, dann hat er aber einen pit-stop und muss auch noch Schuhe
binden, so verlieren wir uns aus den Augen.
Die Km quatschten sich so weg, ein junger Mitläufer, der auf mein Gequassel eingeht, hat auch 'ne
ähnliche Vorbereitung absolviert wie ich. Hab ich von den Läufen, Terminen und Zeiten nicht beim
Stöbern im Runners-World-Forum schon gelesen? Bist Du Schrambo? Ja klar, ist das ein Zufall,
wenn man sich nicht persönlich kennt und sich unter solchen Umständen bekannt machen kann

Sein Angang auf den Inselsberg, der war wohl flott, so dass er den Rest recht kontrolliert laufen
muss, mit 7:30 dann aber für's Debüt passabel finishen kann - super Schrambo!
Da kommt die Ebertswiese! Hier freu ich mich auf 'ne halbe Wiener mit Stulle, etwas Heidelbeer-
schleim, süße Brause und Wasser. Mit so viel Proviant im Ranzen, was kann da noch passieren?
Die kurzweilige Plappereien sorgen heute echt dafür, dass die Zeit wie im Fluge vergeht, mein
nächster Mitläufer kommt aus Potsdam, natürlich gibt es nun sämtlichen Regionalkram zu be-
quasseln. Er outet sich als Radler und Hobbytriathlet, schon sind wir auf einer Wellenlänge.
Am 40er freuen wir uns, dass wir jetzt gleich 'nen Marathon geschafft haben, ich schaue auf die
Uhr und sehe, dass mein Puffer auf den 6er Schnitt auf 8 Minuten angewachsen ist, doch was heißt
das schon an Rennsteig, wo du ab Grenzadler noch alles gewinnen oder verlieren kannst

So hangeln wir uns weiter, freuen uns an der Natur und dem herrlichem Laufwetter und finden: Km50?
Wow, das hört sich schon verdammt gut an, dazu ist mein Puffer auf glatte 10min angewachsen,
etwas beruhigend zwar, auch wenn ich weiß, demnächst wird's noch mal richtig hart.
Mit einem Anflug von Kloß im Hals lasse ich mich auf den Grenzadler trudeln, ja hier bin ich ein mal
raus. Heute sind noch Körner übrig, ich fühl mich gut und gleich gibt's Futter! Das letzte Schmalzbrot
wird gefasst, dazu 'ne Brühe und zwischenzeitlich bin ich auch auf Cola-Wasser umgestiegen, die
Mischung für den schnellen Kick, denn langsam meldet sich so was wie Müdigkeit. So trabe ich an,
runter ins Tal, mit der Gewissheit: Jetzt heißt es noch mal quälen!
Da plötzlich sehe ich ein Berliner Fori-Shirt im Wanderschritt? Hey Joghie, keine Lust mehr? Er nur:
Du weißt doch, ich trainiere nicht, aber ich werde Dich mal bissel ärgern und dir jetzt zeigen, wie man
Anstiege läuft. Meine Technik heute war bislang, so lang wie möglich in die Rampe reinlaufen, um nur
den letzten Peak im Wanderschritt zu nehmen. Joghie demonstriert jetzt, wie man ein Feld von
Wanderern am harten Anstieg aufrollen kann - sehr kraftvoll! 5Km später lässt er einen alten Mann
dann doch respektvoll passieren
Für mich kommt nun die Phase, wo mentale Stärke gefragt ist. Die Anstiege versuchen Deinen Willen
zu brechen, was ist noch da an Energie? Wird's reichen. Kann ich's schmerzfrei rollen lassen am
Abstieg? Es läuft recht leidlich, so beginne ich Planspielchen: Wenn mir ein Puffer von 8min bleibt bis
Km65 und ich dann in die Gänge komme und pro Km auf den 6er eine Minute gut mache, kann ich die
7h schon fast mit Händen greifen, das pocht und hämmert im Hirn, so dass ich dort, wo's tendenziell
tatsächlich nur noch bergab geht, wie von selbst ins rollen komme. Ich verabschiede mich von der Idee,
am 68er Bier zu trinken, das hat mich schon mal müde gemacht. Meine Endstrategie an der
Verpflegung lautet jetzt: 1 Becher Cola, etwas Wasser hinterher, den Rest über den Kopf zu Kühlung,
das zündet, ich wandere jetzt keinen Meter mehr, im Gegenteil, je näher ich dem Ziel komme, um so
greifbarer wird die 7. Ich will es noch nicht glauben, lass es rollen, die Atmung arbeitet am Limit,
Km71? Wenn das jetzt stimmt, kann's ausgehen. Schon fliegen Zuschauer, Betreuer an mir vorbei, es
gibt Applaus und plötzlich den Ruf: Ihr könnt unter 7h laufen! Mir treibt's die Gänsehautschauer rauf und
runter, schon ist das Tor erreicht für den letzten Km, ein Mitläufer kommt auf meine Höhe, dreht sich breit
grinsend zu mir hin, reicht mir seine Hand und sagt euphorisch: Schlag einfach ein, noch 1000m! Ist das
ein geiler Lauf! Ich will es immer noch nicht wahrhaben, forciere weiter und setze gar zum Schlußspurt
an als ich das Einlaufgatter sehe. So ist es wohl passiert, das nicht mal die 59 fällt, nein Endzeit: 6:58:56!
Das Klößchen vom Grenzadler wächst jetzt urplötzlich an und schnürt mir fast die Kehle ab. Ich hatte es
nicht erwartet, dass es so gut läuft, aber der Rennsteig hält immer eine Überraschung für Dich bereit.
Freud und Leid liegen oft beieinander. Mir hat er heute einen schönen Tag bereitet.
Mit schönen Grüßen vom Rennsteiglauf! Ich komme immer-immer wieder!
bluewonder
