Challenge Kraichgau 1,9/90/21,1
Sandras Wagen schaukelt uns am Morgen des 14. Juni in Richtung Hardtsee. Es wird erzählt, gelacht und über Keinohrhasen-Musik diskutiert. Klasse! Ich bin auf der Weg zu meiner ersten Mitteldistanz, umgeben von all den Menschen, die in den 27 Wochen der Vorbereitung eine wichtige Rolle für mich spielten. Nur Wolf Dieter fehlt – aber das liegt an seinem späteren Start. Keinohrhasen! Wie Keinohrhasen sehen wir auch alle aus, als wir eine Stunde später zu den Klängen von Hells Bells in unsere Challenge geschickt werden.
Unsere Challenge – unsere Herausforderung. Ich höre die Worte des Pfarrers, selbst Triathlet, der die Sportlerandacht hält, als ich dabei bin, meinen Neo anzuziehen und ich habe zum ersten Mal an diesem Tag Gänsehaut. Challenge – unsere Herausforderung, der wir uns selbst und freiwillig stellen. Doch im Leben gibt es so viele Herausforderungen, die wir ungefragt meistern müssen... Seine Worte berühren mich auch als Nichtchristen – Challenge - die Herausforderung – meine Herausforderung. Heute wird abgerechnet. Mit mir selbst, mit 27 Wochen Training, mit 27 Wochen Herausforderung zur rechten Zeit das Richtige zu tun, Familie, Freunde und Job mit dem Training unter einen Hut zu bringen, sich zu überwinden bei Sturm, Schnee und Regen, Rückschläge wegzustecken – doch jetzt: jetzt ist es soweit.
Das Wasser ist angenehm kühl, und ich begebe mich in die Menge der anderen Keinohrhasen. Heute bin ich mutig. Die vielen Freiwassertrainings haben mir Selbstbewußtsein gegeben. Heute starte ich nicht von hinten links, und auch nicht erst, nachdem ich bis 3 gezählt hab und die anderen bereits schwimmen. Ich habs drauf, das Schwimmen macht mir keine Angst mehr. Als ich Sandra sehe, staunt sie über meinen Mut – und das Selbstbewußtsein bekommt den ersten Knacks.... „Du bist aber weit vorn... „ Ok, demütig gehe ich 3 Schritt zurück – das muß reichen. Die Stimmung brodelt und nach einem Kanonenschlag auch das Wasser. Ich komme gut weg, kämpfe mich selbstbewußt durch, finde Füße, häng mich dran, schwimme vorbei und finde eine gute Lücke. Ich bin mittendrin und ich fühl mich wohl. Sauwohl. Bis ich nach etwa zwei bis 300 Metern einen derben Schlag im Gesicht spüre und eine Riesenportion Hardtseewasser in meiner Lunge landet.
Ende, aus, vorbei – mein Leben endet im Hardtsee – das war`s, von wegen selbstgesuchte Herausforderung... ich höre auf zu schwimmen und kämpfe um Luft, huste, werde fast überschwommen, dreh mich auf den Rücken, rede mir selbst gut zu, kann wieder atmen, atme tief durch, dreh mich zurück und beginne wieder zu schwimmen. Langsam, sehr langsam, mehr geht noch nicht, es fehlt noch an Luft. Der Spruch, den mein Sohn, als er klein war und ein wenig stotterte, von seiner Logopädin mit auf den Weg bekam: „Ich bin ruhig und still – dann geht es wie ich will“ wird mein Rettungsanker. Mit dieser Meditation habe ich mich zurück ins Wettkampfgeschehen gebracht, nun habe ich ein bischen Angst vor der ersten Boje, denn obwohl sie sehr weit vom Ufer entfernt ist, die erhoffte Entzerrung des Feldes ist noch nicht wirklich eingetreten. Trotzdem nahm ich die Innenseite, kam gut rum und nun war auch mein Selbstbewußtsein wieder da. Nach der zweiten Boje dann habe ich ein bischen Tempo aufgenommen, ich habs mich zum ersten Mal bei einem Wettkampf getraut, war immer noch zumindest gefühlt mittendrin und habe auch zum ersten Mal nicht nur Brustschwimmer überholt. Bis auf den kleinen Vorfall am Anfang hat mir das Schwimmen wirklich Spaß gemacht. Als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe, riskiere ich einen Blick auf die Uhr: 38:xx – wie geil ist das denn?
Der erste Wechsel funktioniert reibungslos, die Organisation ist perfekt, jeder Athlet hat einen Helfer, der ihm die Sachen reicht und aus dem Neo hilft. Ich bedanke mich artig, schnappe mir meine Radschuhe, nachdem ich gefragt habe, ob ich diese am Rad anziehen darf. Am Zaun steht Olis Frau und feuert mich an – toll. Bereits am Rad, werde ich zurückgepfiffen: die Schuhe müssen vor dem Eingang zu den Radständern an... Na gut, die wenigen Meter zurück, rein in die Schuhe, der Rest geht ebenso zügig, raus aus der Wechselzone und raus aufs Rad.
„Jetzt geht der Spaß los“ – das war bislang meine Devise beim Triathlon. Das ungeliebte Schwimmen habe ich überlebt. Nichts von alledem diesmal. Das Schwimmen war ein Spaß und meine Schwimmzeit hat mich erst richtig hochgepeitscht. Später wird es Spekulationen um eine zu kurze Strecke geben – aber wie auch immer – es standen noch so viele Räder meiner Startgruppe in der Wechselzone...
Auf dem Rad beginne ich sofort mit der Verpflegung und genieße meine Challenge. Die Sonne knallt vom strahlend blauen Himmel – es ist ein Traum. Ein kurzer Small-Talk mit Sandra, ich freue mich, sie zu sehen – hatte aber so früh nicht damit gerechnet. Bin fleißig am Überholen ohne mich anzustrengen, es rollt – es ist geil. Bis zur „Wand von Gochsheim“ fahre ich einen 28er Schnitt, ich halte mich etwas zurück um Kräfte zu sparen. Dort steppt der Bär – die zweite Gänsehaut an diesem Tag. Das ist nicht von dieser Welt. Die Gänsehaut stammt nicht von den Temperaturen, denn bei steilen Anstiegen wie diesem spüre ich die Hitze deutlich, der Kopf glüht – aber bei den Abfahrten kühlt der Wind sehr angenehm. Dies wird mir allerdings trügerisch zum Verhängnis: ich trinke zu wenig. Später erst wird mir auffallen, daß ich gerade mal einen knappen dreiviertel Liter (Sandra, heißt das jetzt „viertel-vor-Liter?) getrunken habe. Nach Gochsheim lege ich an Tempo zu.
Der Anstieg nach Tiefenbach ist fast so steil, wie Gochsheim, allerdings ist das Flair ein komplett anderes, welches mich aber nicht weniger beeindruckt. Still und durch den Schatten der dichten Bäume relativ dunkel ist es dort. So still, daß man fast eine Stecknadel hätte fallen hören können. Zig Athleten im Kampf gegen sich selbst, gegen die aufkommende Ermüdung, gegen die Hitze, bewegen sich langsam Meter um Meter im Wiegetritt hinauf. Einmalig und unvergesslich für mich. Es geht mir gut, doch als es über den Schindelberg zurück geht, hatte ich gehofft, daß es sich leichter anfühlt. Ich kannte ja die Tücken, Wolf Dieter hatte mich bei unserer Trainingsrunde im Mai auf alles hingewiesen. Hab ich zuviel riskiert? Wir werden sehen. Nach 3:10 h Radzeit, das ist ein 29er Schnitt, wird mir mein Rad abgenommen. Der Blick auf die Gesamtzeit sagt mir, daß mein Ziel, unter 6 Stunden zu bleiben, sehr realistisch ist.
Auch dieser Wechsel klappt reibungslos, Schuhe aus, Schuhe an, zwei Gels in die Rückentasche, am Ausgang der Wechselzone zwei Becher Wasser in den Hals und hinaus auf die Laufstrecke, die mit ihren kleinen ekligen Anstiegen nicht lange auf sich warten läßt. Aua, das tut jetzt doch weh. Die Sonne knallt erbarmungslos und selbst ich, die sonst niemals Schwämme benutzt, wegen der Matscherei, drücke mir an jedem, der reichlichen Wasserstellen zwei bis 3 Schwämme in Nacken und Gesicht. Am Ende der ersten Runde gibt es Red Bull Schorle und ich knalle den Becher in einem Zug weg. Sekunden später hätte ich mich am liebsten auf den Boden gelegt und vor Schmerzen gekrümmt. Durch die Kohlensäure und meine im Nachhinein betrachtete Dehydrierung (zu wenig Wasser auf dem Rad) habe ich gedacht, mir platzt der Bauch, gefühlt schleichnd bewege ich mich zum ersten Mal am Ziel vorbei über die Zeitmatte, die mir für die ersten 7 Kilometer 39 Minuten notiert. Das ist mit einer pace von 5:30 ein bischen schneller, als ich wollte, obwohl es sich langsamer anfühlt.
In diesem Moment kann ich aber diese Zeiten allesamt nicht mehr registrieren. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich losgelaufen bin, erinnere mich nur noch grob an die Zahlen, die auf meiner Uhr standen, ich habe keinen Plan, ich will nur noch überleben, irgendwie, es ist heiß und tut weh. An den Verpflegungsstellen bleibe ich stehen, damit die Inhalte der Becher da hin gelangen, wo sie benötigt werden, und als mir das Loslaufen schwer fällt, fällt mir der Liedtext von Klaus Hoffmann ein: „ Und Dein eigner Atem trägt Dich und du nimmst Dich an die Hand, trotz der Schwäche, trotz der Stimmen, trotz der Pein...“ Und das hab ich dann getan.
Es ist immernoch unglaublich heiß, die Anwohner haben Duschen aufgestellt, reichen Schwämme, reichen zusätzlich Wasser. „We are triathlon“ der Slogan der Challenge, bekommt hier ein Gesicht. Mein Körper ist nass vom Wasser, meine Schuhe fatschen bei jedem Schritt, und langsam geht es mir besser.
Sandra und Oli kommen mir entgegen und gegen Ende der zweiten Runde klopft mir Oli lachend auf die Schulter, wir wechseln ein paar Worte, auch er leidet unter der Hitze, muntert mich dennoch auf und läuft davon.
Läuf davon und läßt Motivation zurück. Es geht plötzlich wieder. Für diese harten zweiten 7 Kilometer brauche ich 41 Minuten – Mist, aber der Meißel in meinem Kopf schnitzt selbst bei einem erneuten Einbruch in der letzten Runde eine sub 6 zusammen. Mehr kann ich nicht mehr denken. Nur Wasser, Wasser rüber, Wasser rein...
Mit jedem Becher Wasser steigt mein Energielevel wieder an, die letzte Runde wird wieder mit 39 Minuten die Lockerste von allen. Hier treffe ich auch Frederik, der später gestartet war und wir wechseln ein paar Worte, dann bin ich wieder allein und langsam, ganz langsam macht sich der Gedanke an die Zieleinlauf breit. Der Gedanke, der allein schon eine Gänsehaut auslöst und mir fast die Tränen in die Augen treibt. Dann endlich ist es soweit: ich darf in die Zielgasse einbiegen und bin überwältigt – was mach ich hier? Ich habe es geschafft, ich habe gerade meine erste Mitteldistanz gefinisht. In für mich unglaublichen 5 Stunden und 52 Minuten.
Was für ein Tag, was für eine Herausforderung - und nun bin ich im Ziel. Dort nimmt mich Oli als Erster in die Arme und das tut verdammt gut.
Es war ein großartiges Erlebnis, ein gigantischer Wettkampf – und tolle, spannende 27 Wochen. Das Großartigste, das Beste aber an dieser Zeit – das ward Ihr: Sandra, Oli und
Wolf Dieter. Als wir den Trainingsblog begannen zu schreiben, waren wir nur „Foris“. Heute sind wir Freunde! Ich danke Euch für das, was war und ich freue mich auf das, was wir noch vor uns haben. Welch eine Challenge – welch ein geiler Sport!
Kathrin
Bilder demnächst in meinem Blog.
7 Monate - 3 Disziplinen: Die Abrechnung
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vernichte die Alternativen.