Bericht zum Rheinenergie Halbmarathon 2017, Köln
Mit der Idee, das Tapering für den Köln HM diesmal etwas umfangreicher ausfallen zu lassen, verplante ich für die Vorwettkampfwoche und die Wettkampfwoche je 6 Einheiten. Damit wollte ich den für diese Herbst-WK-Vorbereitung erstmalig eingeschlagenen Weg der Umfangssteigerung durch Hinzunahme einer 6ten Laufeinheit, lediglich konsequent fortführen und nicht etwa plötzlich wieder auf 5 Einheiten reduzieren, nur weil jetzt getapert wird. Auch ein Versuch, die sonst nicht immer so guten Beine vergangener WK-Tage dadurch zu vermeiden, dass ich mehr als in bisherigen Taperings, in einem gewissen Trainingsflow bleibe.
Auch dem Anschein, welchem nach ich in der Vergangenheit des Öfteren mal etwas zu früh in Topform gewesen bin, wollte ich etwas entgegensetzen, in dem ich einfach mal genau dann, wenn ich mich gut in Form fühle, spontan einen HM auf Attacke laufe, statt auf einen weiteren Formanstieg zu spekulieren, auch wenn das 2 Wochen vor dem eigentlichen Abschluss des Plans bereits der Fall sein sollte.
Über die Vorwettkampfwoche mit dem TWL als (vorgezogene) Abschluss-QTE am Dienstag und den 5 x 1.000 m als letzte VO2max-Einheit am Freitag, habe ich bereits im letzten Posting berichtet. Die WK-Woche sah dann so aus:
Mo. |
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10 km @ 5:27 / HF: 66% |
Di. |
FL |
10,7 km @ 4:49 / HF: 74% mit 8 x 30'' / 30'' @ 3:08 / 5:22 + 1 km @ 3:59 |
Mi. |
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8 km @ 5:33 / HF: 65% |
Do. |
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--- |
Fr. |
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6 km @ 5:27 / HF: 68% (5 Strides) |
Sa. |
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4,5 km @ 5:23 / HF: 69% (4 Strides) |
So. |
WK |
Köln HM |
Das Fartlek am Dienstagabend empfand ich als letzte schnelle Einheit als genau die Richtige: Kurz noch einen leichten Temporeiz setzen mit den 8 Durchgängen 30ern und nach 1‘ TP sofort 1 km HMRT hinterher. Der letzte km in Ziel-WK-Pace, so Idee, sollte sich im direkten Anschluss an die deutlich schneller gelaufenen 30er schön langsam anfühlen. Sonst ist es doch meist irgendwie anders: Man läuft in der WK-Woche nochmal sowas wie 5 x 1k oder 3 x 2k @ HMRT und fragt sich, wie man das Tempo kommenden Sonntag über die volle HM-Distanz halten soll. Das wollte ich nicht haben. Ich wollte mit einem positiven letzten Eindruck von meiner Zielpace in’s Rennen gehen. Und das hat auch gut funktioniert; die 3:59 fühlten sich tatsächlich sehr komfortabel an.
Am Mittwoch gab es einen kleinen Schockmoment, als ich auf unebenem Untergrund ganz offensichtlich etwas ungünstig mit dem linken großen Zeh auftrat. Wie ein Blitz fuhr mir ein Schmerz durchs Großzehengelenk. Ich lief noch 20 m weiter, musste dann aber doch stehen bleiben. Kurz gezogen und gedehnt und dann ging es weiter - war wohl nix schlimmes, kommt vor. Weitere 150 m später musste ich allerdings wieder rechts ran. Es wurde nicht besser, eher schlimmer, hatte ich das Gefühl und bekam so langsam ein wenig Bammel, dass da die Kapsel im Eimer ist oder dergleichen. Erstmal wieder weiter, schön in Schonhaltung und überlegt, wie ich jetzt damit umgehen soll: DL lieber abbrechen und nach Hause spazieren oder doch hoffen, dass ich es mir in Kürze wieder rausgelaufen haben werde. Da ich nicht glauben konnte, dass da viel passiert ist, zumal der Vorgang auch völlig unspektakulär war, entschied ich mich zunächst für Option 2. Ich musste auch sicherheitshalber noch ein drittes Mal stoppen, danach verflüchtige sich das Problem allerdings und ich konnte den DL locker zu Ende bringen.
Die Beine machten, wie die letzten 3 Wochen auch, einen guten Eindruck so kurz vor dem WK. Den wollte ich natürlich unbedingt mit in’s Rennen nehmen und das hielt sich auch bis Freitagabend.
Samstagmittag fahre ich dann mit meiner Freundin zu Freuden nach Köln. Einer meiner Kumpels, der letztes Jahr in Köln seinen ersten HM gelaufen ist und bei dem ich nun das dritte Jahr in Folge vor dem WK übernachte, ist auch dieses Jahr wieder mit am Start, diesmal jedoch fast gänzlich ohne Vorbereitung und entsprechend ohne Zeitziel. Mit ihm mache ich kurz vor Einbruch der Dunkelheit noch mein letztes kurzes Läufchen und stelle fest: Beine sind immernoch ganz ordentlich in Schuss.
Während ich die letzten beiden Jahre, die vorletzte Nacht vor dem Köln HM zu Hause noch sehr, sehr schlecht bis kaum geschlafen hatte und in der anschließenden Nacht zum WK max. eine zerstückelte Stunde, hatte ich diesmal zwar lange Probleme mit dem Einschlafen in der Nacht von Freitag auf Samstag, schaffte es dann aber irgendwann und hatte immerhin ein paar Stunden Schlaf. Den kompletten Samstag kam ich aber nicht umhin, immer wieder in mich hinein zu spüren, wie gut ich denn tatsächlich letzte Nacht geschlafen hatte und es machte sich immer wieder dieser temporär auftretende Erschöpfungszustand bemerkbar, der mir signalisierte, dass die letzte Nacht nicht wirklich so der Burner war. Dennoch, kein Vergleich zum letzten Jahr.
Samstagabend ging es nach ordentlich Nudeln und einem anderthalben Bierchen gegen 23 Uhr in’s Bett. Wecker war für Sonntagmorgen um 06:00 gestellt, Startschuss fällt um 08:30, die Schlafbedingungen waren super, somit alles angerichtet für eine ruhige und erholsame Nacht. Sieben Stunden Zeit zum Schlafen, wenn ich davon 4 mitnehme, dachte ich mir, bin ich rundum glücklich und bekam genau: 0 (!) Minuten. Wieder mal eine Nacht zum Vergessen. Das bisschen Bier schickte mich insgesamt noch 4 (!) mal die Nacht bei jeweils lächerlichem Output zur Toilette. Nicht mal deswegen, sondern ganz allgemein: Schlafen? Ein absolutes Unding! Es ging gar nix! Mittlerweile bin ich das ja sowas von gewohnt, dass ich nach anfänglich noch berechtigter Hoffnung, schlafen zu können (ca. 23:00 - 01:30) und zwischenzeitlicher Frustphase (ca. 01:30 - 3:00), irgendwann meinen Frieden gefunden hatte und mich damit abfand, ein weiteres Mal höchst unausgeschlafen einen WK laufen zu dürfen. Ich entspannte allmählich immer mehr und tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich das mittlerweile kann und dass es morgen Früh nicht schlimmer werden wird als letztes Jahr, denn immerhin war diesmal die vorletzte Nacht ziemlich ok.
Ich stehe bereits kurz vor 6:00 auf, dusche in aller Ruhe, mache mir und meinem Freund ein kleines Frühstück (die Mädels lassen wir noch 2 Stündchen schlummern) und nehmen dann um 07:18 die Bahn Richtung Köln Deutz. Ich fühle mich natürlich nicht fit - wie auch. Aber ich fühle mich nicht vollkommen ausgelutscht und ich habe noch die Hoffnung, dass mich die Dose Red Bull aus meinem Kleiderbeutel ein wenig in Schwung bringt. Das hat dieses Gesöff ja auch im letzten Jahr ganz gut hinbekommen, als ich 2 Wochen nach dem Köln HM ebenfalls ohne jeglichen Schlaf zum PB-Versuch über 10k in Offenbach an der Startlinie stand. Und tatsächlich, die bereits während der Bahnfahrt eingelaufene Büchse RB zeigt ca. 30 - 40 min. später eine gewisse Wirkung, ich fühle mich mental schon etwas frischer.
Mit den Bussen und Bahnen gibt es an diesem Morgen einige Verwirrungen, die zu Verspätungen und längeren Wartezeiten führen, so dass wir erst um kurz nach 8 am WK-Ort eintreffen. Schnell fertigmachen, Kleiderbeutel weg, letzter Toilettengang und irgendwie kriege ich auch noch ein kleines Warm-Up hingebogen, bevor ich mich um 8:27 in meinen Block stelle. Um dieses Mal einen äußerst gammeligen ersten km (wie im letzten Jahr) zu vermeiden, sortiere ich mich diesmal schon ca. 10 m hinter der Startlinie ein, in der Hoffnung, nicht wieder diesen ziehharmonikaartigen Start-Stopp-Modus mitmachen zu müssen. Ich nehme mir nochmal ein paar Sekunden, um ein letztes Mal zu fühlen, wie es um mich steht, aber das Adrenalin lässt das gar nicht so wirklich zu. Das RB wirkt, die Beine haben Spannung, ich fühle mich (zumindest bis hier hin) fit und bereit, meine Trainingsleistungen endlich mal wieder in einem WK bestätigt zu sehen. Ob ich mein Hauptziel, die sub1:25, heute werde realisieren können, weiß ich nicht, aber eine sub1:26 und damit neue PB sollte schon drin sein. Die Herbst-WKs sind bei mir bisher noch nie so vielversprechend gewesen, wie die Frühjahrs-WKs, bei denen die Steigerungen zum vergangenen Halbjahr immer deutlich größer waren. Bei einer Pace von um die 4:00 - 4:02 möchte ich mich trotzdem einpendeln. Wenn das hintenraus schiefgehen sollte, dann ist es eben so.
25 m nach Überqueren der Startlinie kommt es zu einem kleinen und kurzen Rückstau, was wohl vor allem damit zusammenhängt, dass der Veranstalter die Strecke an dieser Stelle (mMn unsinnig) verengt hat. Man kommt hier zwar nicht vollkommen zum Stehen, aber es nervt halt unnötig. Im Gegensatz zum Vorjahr bleibt das aber die einzige Verzögerung. Hier im Pulk der vorderen ca. 250 Starter geht es insgesamt sehr flüssig und unaufgeregt Richtung Deutzer Brücke, ohne waghalsige, ungestüme Überholmanöver oder Tritte in die Haxen. Den 1. km mache ich in 4:04. Genau richtig fühlt sich das zu diesem Zeitpunkt für einen ersten km an, bei dem es zum einen darum geht, sich erstmal freizuschwimmen und zum anderen, nicht gleich zu überpacen.
Auch der 2. km ist mit 4:06 noch recht verhalten, wobei ich für die Stimmigkeit der einzelnen km-Splits dieses HMs keine Garantie übernehmen würde. Dafür wurde doch zwischendurch immer wieder mal ziemlicher Unfug angezeigt. Mit dem 3. km bin ich dann aber endgültig im Rennen angekommen: 3:58. Leider ist meine Sonnenbrille jetzt beschlagen, was, wenn ich mich überhaupt darin erinnere, sehr, sehr selten passiert. Es wird immer schlimmer, so dass ich fast null Durchblick mehr habe. Damit ist sie leider nutzlos, denn abwischen fällt aus, da mein Oberteil bereits jetzt so einiges an Schweiß aufgenommen hat. Glücklicherweise haben sich unsere Damen für km 7 zum Anfeuern angekündigt. Dort kann ich sie hoffentlich unfallfrei und ohne Zeitverlust loswerden. Bis dahin schleppe ich sie in der Hand mit.
Km 4 und 5 gehen in 4:00 und 3:58 und der erste 5er somit in 20:06 (@ 4:01). Bis zu diesem Zeitpunkt fühle ich mich unausgesprochen gut, spüre nichts davon, dass ich kein Auge zugemacht habe und die Pace fühlt sich so entspannt an, wie das bei HMRT im ersten Viertel eines HM-WKs zu sein hat. Das Wetter ist übrigens überragend: 8°C, schön kühl, blauer Himmel, Sonnenschein, lediglich der Wind setzt einem hin und wieder etwas zu.
Km 6 ist mit 4:06 wieder etwas langsamer, km 7 mit 3:46 (!) dafür (angeblich) deutlich flotter (wie gesagt: keine Garantie). Jetzt sehe ich auch in knapp 100 m Entfernung unsere Mädels, die mir frenetisch zujubeln. Im Nachhinein hätte ich ja gerne noch ein paar Küsschen verteilt oder mindestens ein wertschätzendes Lächeln erkennen lassen, aber in so einem WK - und das muss ich an dieser Stelle nicht zum ersten mal feststellen - bin ich doch irgendwie immer ziemlich stark auf das Rennen fokussiert und komme somit für Außenstehende (hier vor allem meine Freundin), sagen wir mal, ein wenig zu sachlich daher. Stattdessen zeige ich auf meine Sonnenbrille, in der Erwartung, dass die beiden erkennen, das ich damit auszudrücken versuche, dass ihnen diese gleich um die Ohren fliegt und sie „einfach nur“ fangen müssen. Ich werfe die Brille bewusst so, dass sie in hohem Bogen Richtung meiner Freundin fliegt, um ihr genügend Zeit zu verschaffen, sich gut zu positionieren. Im Augenwinkel sehe ich noch, wie sie auf dem Asphalt aufschlägt. Keinen Vorwurf an meine Liebe. Der Wurf war schlecht, weil ich nicht mit einkalkulierte, dass die Bügel der Brille während des Flugs ausklappen und somit die Ballistik deutlich verschlechtern würden. Außerdem sagte sie später, dass sie überhaupt nicht erkannt hätte, was ich da nach ihr werfe. Gut, ich fange auch nicht alles, was man mir zuwirft. Nix passiert, kaum ein Kratzer zu erkennen!
Km 8 in 3:58, 9 in 4:06 und km 10 in 4:04, womit der zweite 5er in 20:00 (@ 4:00) weggeht, damit 6 Sekunden schneller als der erste und den 10er-Split habe ich bei 40:06. Ich liege super auf Kurs und fühle mich unverändert gut. Das sind die vielleicht besten 10 km, die ich je gelaufen bin. Sehr locker und mit nahezu gleichmäßigem Effort, mit etwas absinkender Pace an Steigungen und gegen den Wind, was ich an anderer Stelle ausgleichen kann.
Die km 11 - 15 gehen in 3:55, 4:03, 4:09, 3:52, 4:00 und damit der dritte 5er-Split in 19:59 (@ 4:00). Und immernoch fühle ich mich richtig gut im Rennen, wenngleich der HM jetzt typischerweise so langsam aber sicher anfängt, den Kampfgeist herauszufordern. Aber ich fühle mich wirklich stark heute und bin zu diesem Zeitpunkt noch guter Dinge, dass ich die sub1:25 tatsächlich eintüten kann. Ein bisschen habe ich allerdings Sorge, dass es gegen Ende ein wenig zu warm wird und das dann das Zünglein an der Waage sein könnte.
Km 16 mache ich in 3:56, km 17 in 3:58. Völlig selbstbewusst kann ich nochmal ein wenig das Tempo verschärfen, weil ich mich nach wie vor stark fühle. Weil ich merke, dass mein Training gut angeschlagen hat. Überhaupt denke ich in solchen Phasen eines HMs gerne an mein Training der vergangenen Wochen zurück. An die TWLs und LDLs mit EB, die nicht unerhebliche Umfangssteigerung ggü. dem ersten Halbjahr und das regelmäßige Stabitraining. All das gibt Zuversicht, dass mir auch eine vermasselte Nacht hier und heute keinen Strich durch die Rechnung machen wird.
Das einzige worauf ich wirklich ein wenig achten muss, ist nicht zu hart reinzuhalten. Denn seit km 14 spüre ich zunehmend eine gewisse Verkrampfungstendenz im oberen Bereich der Waden und der vorderen Oberschenkelmuskulatur. Weil ich das so nicht kenne, muss ich es auf die Schuhe schieben. Meine neuen Kinvara 7, Größe 46 (sollte eigentlich passen), mit denen ich bisher gerade mal 70 km gelaufen bin und die ich jetzt zum WK trage, sind mir eine halbe Nummer zu klein. Ich habe sie trotzdem nicht postwendend wieder zurückgeschickt, weil ich überzeugt bin, dass sich das im Laufe der Zeit noch gibt - wäre nicht das erste Mal. Es ist auch nicht so, dass ich mit den Zehen anstoße oder ähnliches, aber der Schuh sitzt allgemein ziemlich eng und verführt mich außerdem dazu, vermehrt über den Mittelfuß zu kommen. Das macht sich in der Muskulatur nach etlichen km im HMRT bemerkbar. Nicht die allerbeste Idee, diese Schuhe in nicht ausreichend eingelaufenem Zustand in einem wichtigen WK zu tragen. Und so hoffe ich, ohne zu stark muskulär abzubauen und vor allem ohne Krämpfe, mein Tempo bis zum Schluss halten zu können.
Km 18 und 19 sind mit 4:04 und 4:06 wieder ein gutes Stück langsamer, aber hier geht es nun auch sowohl leicht bergauf als auch ziemlich gegen den Wind. Kein Grund jetzt panisch zu werden, angesichts der angeschlagenen Beine schon gar nicht.
Km 20 läuft noch in 3:58 und etwa in der Mitte von km 21 wechsele ich die Trainingsseite meiner Garmin auf Anzeige der Gesamtzeit, um hier ja nicht wegen ein oder zwei Sekunden an der sub1:25 zu scheitern. Die Uhr zeigt zwar schon quasi das komplette Rennen lang eine Durchschnittspace zwischen 4:00 und 4:01, aber darauf kann und will ich mich nicht verlassen. Ich kann sowas wie 1:23:xx erkennen und habe noch ca. 500 m vor mir. Ich weiß, dass ich mir muskulär diesmal keinen Zielsprint erlauben darf. Stattdessen schaue ich lieber, dass ich jetzt schon das mir über die verbleibenden paar Hundert Meter zur Verfügung stehende Tempo einigermaßen ausreize. Als ich kurz darauf auf die Zielgerade einbiege und die Bruttozeit über der Ziellinie hochlaufen sehe, habe ich Gewissheit, dass ich diesen geilsten aller meiner bisherigen HMs tatsächlich - auch mal im Herbst - so abschließen kann, wie ich es mir vorgestellt habe: 1:24:48 (@ 4:01) / HF: 89%