Bericht zum Frankfurter Halbmarathon
Samstagmorgen: Aufstehen um 9 Uhr nach guten 8 Stunden Schlaf, kurz unter die Dusche und rein in die Laufschuhe zum letzten Akt vor dem 24 Stunden später stattfindenden ersten Wettkampf des Jahres: Leichte 4 km und ebenso viele Strides vor dem Frühstück zum Auflockern und Checken wie es der Kniesehne geht. Die hat sich im Laufe des Taperings leicht erholt, aber zu spüren ist da immer noch was. Im Prinzip hat sie nie über mehrere Tage das Schmerzniveau erreicht, wie AS und Plantarsehen ehemals, aber es fühlt sich irgendwie ungesünder an, weniger belastbar und man hat den Eindruck, dass trotz der geringeren Schmerzen, mehr kaputt gehen könnte. Liegt wohl an der betroffenen Region; alles was so rund um's Knie passiert, hinterlässt bei mir ein - wahrscheinlich übermäßig - unsicheres Gefühl, das zu mehr Schonhaltung beim Laufen führt, als Beschwerden in anderen Bereichen. Und durch diese Schonhaltung habe ich mir über die vergangenen Wochen spürbar den Rahmen verzogen. Es zwickt und blockiert leicht an Stellen, die deutlich darauf hindeuten. Das habe ich versucht, mit ein wenig Gymnastik in den Griff zu bekommen, aber so auf die Schnelle konnte ich da nicht viel bewirken. Für den HM sehe ich hier allerdings keine großen Probleme auf mich zukommen, bin zuversichtlich, dass mich das alles, spätestens nach einigen Kilometern im Rausch des Wettkampfs nicht mehr behindert.
Was mir ebenfalls nicht viel Sorgen bereitet, allerdings unerklärlich ist, ist, wie schwer sich meine Beine im Allgemeinen anfühlen - nach anderthalb Wochen eines Taperings, das die letzten beiden Male so gut funtkionierte, so dass ich glaubte, die für mich richtige Vorgehensweise gefunden zu haben. Na ja, noch sind 24h Zeit, da kann noch viel passieren. Unvorstellbar, dass ich morgen Früh mit diesen Beinen am Start stehe...
Startschuss ist für 10:05 geplant - 5 Minuten nach dem Elitefeld - mein Wecker klingelt um 7, nach 6 bis 7 Stunden ordentlichem Schlaf. Wie im letzten Jahr werde ich diesen Frankfurter HM ausgeschlafen laufen können. Das ist schonmal eine richtig gute Nachricht. In mein Knie horche ich erst gar nicht mehr groß hinein, aber das Wetter schaue ich mir an. Wie angekündigt: Um die 5 bis 7°C, leicht windig und klarer Himmel. Bedeckter Himmel wäre mir für den WK lieber, aber man kann nicht alles haben. Ich nehme mir ausreichend Zeit, um gemütlich zu frühstücken, mobilisiere für wenige Minuten auf der Matte, schnappe die gepackte Tasche und fahre Richtung Frankfurt.
An der Commerzbank-Arena, wo das Rennen starten und enden wird, angekommen, stellt sich zunächst die Parkplatzsituation als ziemlich dürftig und anders dar, als noch im letzten Jahr. Ich sehe um 09:15 eine riesige Schlange von Autos, die in einer Abfahrt Richtung Waldparkplatz stehen. Das will ich mir nicht antun und suche nach einer Alternative, die ich zusammen mit einem ortskundigen WK-Läufer, der genauso denkt, auch schnell finde.
Gegen 09:25 stehe ich dann direkt am Stadion und beginne mich langsam einzulaufen. Und ich merke natürlich sofort, dass meine Beine innerhalb der letzten 24h keinerlei nennenswerten Fortschritte gemacht haben. Meine letzte Hoffnung sind die Strides, die ich gleich noch machen werde, meine allerletzte, dass sich während des Laufes noch etwas tut. Und auf diese letzte Hoffnung muss ich bauen, denn die Strides reißen nicht mehr viel raus, fallen vielmehr
selbst schwer.
Oha, das kann was werden! Was ändert das nun an meiner Zielsetzung? Gar nichts! Ich laufe den HM so, wie ich ihn mir bis hierhin ausgemalt habe.Solange ich auf Kurs bleiben kann, ziehe ich das irgendwie durch. Wenn irgendwann die Luft raus ist, soll es so sein, dann schleppe ich mich ins Ziel, selbst mit Gehpausen habe ich im vergangenen Mai ja bereits Erfahrungen gemacht. Ganz einfach!
Gegen 09:50 stelle ich mich in den Block, als jemand die Ansage macht, dass der Start um 10 Minuten nach hinten verlegt wird, weil noch zu viele Wettkämpfer mit der Parklatzsuche beschäftigt seien. OK, nochmal raus aus dem im Schatten liegenden Block, rein in die Sonne. Und wieder zurück in den Block 10 Minuten später, wo sich kurz darauf auch Florian Neuschwander einfindet. Um 10:15 werden die Eliteläufer losgelassen, 1 Minute später der Rest des Feldes.
Ich versuche irgendwie unbeschadet dem Startgedränge zu entfliehen, was auch gut funktioniert. Die ersten 200 m herrscht zäh fließender Verkehr, der erste km läuft trotzdem gut in 4:05. Zur Orientierung: Der Plan ist, mich einer Ø Pace von 4:00 zu nähern, mindestens aber unter 4:05 zu bleiben. Und jetzt beginnt diese gestern bereits angedeutete eigenartige HM-Erfahrung. Die km 2 - 4 gehen in 3:57, 3:58 und 3:55. Die Beine fühlen sich unverändert platt an, aber das Tempo zu halten, ist komischerweise ein Selbstläufer. Keine Ahnung, was ich davon halten soll, mache ich mir keine weiteren Gedanken und versuche möglichst locker meinen Stiefel zu laufen. Km 5 geht kurz in 4:02, dann aber schon wieder km 6 in 3:53. Im letzten Jahr hat an dieser Stelle meine GPS-Messung schon angefangen rumzuspacken (am Ende hatte ich 21,63 (!) km auf dem Tacho). Diesmal war die Messung bis zum Ende sehr akkurat.
Dass diese ersten 6 km recht flott sind, liegt auch ein bisschen am Profil. Das muss ich natürlich nutzen, um ein paar s/km gut zu machen, die ich später ganz sicher verlieren werde. Die km 7 - 10 sind in 4:03, 4:01, 4:07 und 4:08. Da wird es also bereits automatisch ein Stück langsamer. Und es beginnt jetzt auch schon schwer zu werden. Jeder noch so zarghafte Anstieg ist unmittelbar in den Beinen zu merken. Nicht erst jetzt ist das kein WK der übelst Spaß macht, sondern einer, bei dem es darum geht, sich durchzubeißen. Sind es nicht die Anstiege, sind es Windböen, die einem hin und wieder unvermittelt in den ohnehin bescheidenen Flow grätschen.
Nach den km 11 - 13 in 4:08, 4:08 und 4:06, wird es ziemlich düster. Es geht eine 3 km lange Steigung mit zwar lediglich insgesamt 25 hm nach oben, aber die hat es diesmal in sich. Im letzten Jahr bin ich da regelrecht hochgeflogen, diesmal muss ich darum kämpfen, nicht auseinander zu fallen. Schweren Schrittes schleppe ich mich da hinauf und die km 14 - 16 muss ich mit 4:17, 4:21 und 4:12 verbuchen. Bitter! Ich könnte jetzt leicht in Panik verfallen und daran zweifeln, ob es am Ende überhaupt noch für eine einfache PB reicht, weiß aber, dass das letzte Viertel der Strecke, bis auf eine kurze fiese Steigung, recht gutmütig aussieht. Gib mir also mal einen km, um mich halbwegs von diesen letzten 3 km zu erholen, dann kann ich wahrscheinlich nochmal etwas Zeit gut machen.
Km 17 ist dann dieser eine km zum Durchschnaufen und mit 4:15 auch noch entsprechend grottig. Ich brauche dann auch etwas länger als gedacht, um wieder in die Spur zu finden: km 18 in 4:10. Km 19 geht dann aber in 3:55, wobei ich jetzt aber auch wirklich am Limit laufend versuche, den letzten Rest zusammenzukehren. Mittlerweile fühlt sich der Laufstil noch unrunder an, als bereits zu Beginn des Laufes, die Müdigkeit in den Beinen tut regelrecht weh - so blöd sich das anhört.
Mit km 20 kommt dann die erwähnte kleine aber fiese Steigung, eine Autobahnüberführung. Auch hier bin ich vor 12 Monaten noch recht flockig rüber. Diesmal sind es kleine Trippelschritte, weil die Knie nicht mehr hoch wollen. Km 21 ist als letzter km dann naturgemäß nochmal etwas flotter, wenn man nicht schon total in den Seilen hängt. Schneller als 3:58 sind aber beim besten Willen nicht mehr realistisch. Noch einmal um's Stadion rum und dann durch den Tunnel hinein. Mein Blick geht Richtung Ziellinie, aber anders, als im letzten Jahr, als ich hier nochmal 80 m im Sprint abgerissen habe, spare ich mir diesen heute...
...denke ich zunächst, bis ich ca. 70 m vor der Ziellinie das große Getrampel hinter mir wahrnehme. Im quasi selben Moment überholen mich 2 Läufer, die sich ein Zielsprintduell liefern - einer von links, einer von rechts. So durch meine Beine auch sind, aber für so etwas bin ich immer noch gerne zu haben. Ich nehme nochmal alles zusammen, lehne mich rein, lege den Schalter um und mit einer leichten Verzögerung von ca. 0,6s zünde ich, beschleunige lt. Garmin auf 27,5 km/h (2:11 min/km) und schieße etwa 40 m vor der Linie mittig zwischen den beiden hindurch. Dabei kündigt sich noch kurz ein Krampf in der rechten Wade an, der es sich glücklicherweise dann doch anders überlegt.
Da ich während eines WKs nie auf die aktuelle Gesamtzeit schaue, mir auch lediglich die Pace und zurückgelegte Distanz des aktuellen Kilometers anzeigen lasse, ist das Prozedere beim Zieleinlauf immer: Zeit stoppen > gucken, ob das funktioniert hat > kurz durchatmen > nachschauen, was ich geleistet habe. In diesem Fall positiv überraschende
21,1 km in 1:26:16 (@ 4:05) / 73 Hm / HF: 90%
"Positiv überraschend" finde ich das Resultat deshalb, weil ich jeden, der mir erzählt hätte, dass ich mit diesen Beinen eine 1:26 laufe, wahrscheinlich für geistesgestört erklärt hätte. Im Endeffekt war ich 2:02 min. schneller, als letztes Jahr auf selber Strecke und habe meine PB aus Köln im Oktober um immerhin 1:49 min. verbessert. Was hier drin gewesen wäre, wenn... ach, das interessiert mich mittlerweile nicht mehr. Das ich mit schweren Beinen antreten muss, habe ich mir an irgendeiner Stelle selbst zuzuschreiben - auch, wenn ich momentan noch keinen blassen Schimmer habe, wo. Ich bin glücklich mit diesem Ergebnis. Es werden auch wieder WKs kommen, bei denen ich so frisch
bin, wie letztes Jahr hier in Frankfurt - ganz sicher.
Danach hab ich mir noch schell ein Bierchen geschappt und dann wollte ich aber auch zügig in wärmere Kleidung. Die Sonne hatte zwar schon ganz gut Power, aber windig war es immernoch. Und als ich mich dann auf den Weg zurück zum Parkplatz mache, kommt der Neuschwander von hinten angewetzt, überholt mich, um dann noch einige Runden in zackigem Tempo über den Kustrasenplatz neben dem Stadion zu drehen, während ich mir stattdessen eher ein paar Krücken gewünscht hätte. Ja, innerhalb von ein paar Minuten waren meine Beine sowas von steif. Ich hatte auch gestern Abend bereits ordentlich Muskelkater, was ich vom Laufen eher so gut wie nie habe.
Heute war ich für zwei Gänge in der Sauna zum Entspannen. Das tat gut. Wie es die kommenden Tage und Wochen weitergeht, muss ich noch sehen. Die Sehne am Knie hat den Lauf gut verdaut, hat währenddessen sogar nicht einmal gemuckt, aber da muss schon noch was passieren. Vielleicht gehe ich mal zum Doc, wenn sich während der laufenden Reg-Woche die Lage nicht weiter verbessert.