Hallo Stegar,
ein paar Mal schon habe ich angesetzt dir auf dein sehr langes Posting zu antworten, es dann doch immer wieder verschoben. Das liegt auch an der Länge deines Textes und den vielen Fragen und Schwierigkeiten, die sich darin verbergen. Aber natürlich „muss“ ich dir antworten, dazu „zwingt“ mich schon deine Überschrift, die du mit „Mein Weg zum Marathon?“ einleitest. Denn immerhin habe ich mich über mehrere Jahre, parallel zu meinen eigenen ambitionierten Laufaktivitäten im Marathon- und Ultrabereich, damit befasst, wie man Marathonneulinge zum ersten Marathon führen kann. Ergebnis dieser Arbeit war das sehr umfangreiche Konzept „Ein Weg zum Marathon“, das ich auf unserer Laufseite online stellte. Nun ist dir klar, weshalb mich deine Überschrift dazu verlockt, dir zu antworten … Mein Konzept „Ein Weg zum Marathon“ enthält eben nicht nur Trainingspläne, sondern behandelt alle Aspekte und Fragen, die sich auf dem Weg zum und beim ersten Marathon ergeben können. Und das sehr umfangreich. Mir ging es dabei vor allem darum, diesen Weg nicht aus Sicht eines Spitzenläufers, sondern aus der eines ambitionierten, ernsthaften Freizeitläufers zu beleuchten.
Du findest, wovon ich hier schreibe, auf unserer Internetseite, dort im Hauptmenü unter „Themen Marathon“.
Das Konzept entstand in einer Zeit als ich noch in der Lage war einen Marathon ziemlich schnell zu laufen. Meinen ersten Marathon lief ich mit 48 Jahren und heute mit 68 sind es über 300 (etliche Ultraläufe eingeschlossen). Als ich anfing hatte ich großen Respekt vor dieser langen Strecke und bereitete mich immer akribisch darauf vor. Später „verwendete“ ich Marathonläufe meist nur noch als Vorbereitungstrainings für längere Ultras. Hierin liegt der eigentliche Grund, warum es bis heute so viele geworden sind. Obwohl ich Marathons sammelte wie andere Briefmarken und mir stets sicher war auch ins Ziel zu kommen, verlor ich nie den Respekt vor der Strecke. Und heute bin ich altersbedingt und aus Gesundheitsgründen sehr langsam geworden und muss alle mir noch verbliebene, bzw. immer wieder erarbeitete Ausdauer aufwenden, um stetig laufend das Ziel noch eindeutig unter 5 Stunden zu erreichen. Ich bin folglich den Marathondebütanten, denen ich zeitlich für ein paar Jahre „enteilen“ durfte, wieder sehr nahe gekommen.
Soweit zu mir, zu meinem Konzept und weshalb ich dir antworte. Obschon eigentlich alle Antworten auf dein Posting in meinem Konzept irgendwo und irgendwie zu finden sind, will ich dennoch ein paar auf deinen Text gemünzte Antworten geben, weil du zwar laufen kannst, es dir anscheinend jedoch an Orientierung mangelt. Dass du laufen kannst, erfolgreich und ausdauernd, zeigen die von dir in 2021 erreichten Leistungen auf 5 und 10 km und beim Halbmarathon. Ob die nun ungenau vom Handy-GPS aufgezeichnet wurden oder nicht, spielt keine Rolle. Entscheidend ist die Größenordnung. Jemand der auf der Halbmarathonstrecke eindeutig unter 2 Stunden bleibt, wird auch einen Marathon problemlos finishen können. Problemlos aber nicht ohne hohen Trainingsaufwand, mentale Härte gegen sich selbst und methodisch sinnvolles Vorgehen.
Ich werde in einer Hinsicht aus deinem Posting nicht ganz schlau: Einerseits dokumentierst du die zitierten, hervorragenden Leistungswerte, auf der anderen Seite spricht aus deinen Zeilen latent die Angst dich zu überfordern, etwas falsch zu machen, dich nicht im Griff zu haben. Du hast oder hattest sogar Angst davor „tot umzufallen“, nach diesem Vorfall vor der Haustür einer Verwandten. Was das angeht möchte ich dich beruhigen. Erstens sollte man ohnehin, bevor man läuferisch von sich Leistung fordert, durch einen ärztlichen Check alle Unwägbarkeiten (so weit möglich) abklären lassen und sich das „Go“ vom Doc geben lassen. Bevor du nun ambitioniert neuerlich einen Halbmarathon ansteuerst, um dann anschließend den Sprung zum Marathon zu wagen, solltest du das unbedingt tun! Und falls – mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit – alles bei dir in Ordnung ist, dann vergiss deine Ängste. Man fällt nicht so einfach tot um. Dass es immer mal wieder beim Sport vorkommt, auch beim Laufen, liegt daran, dass „Fehler im Bio-System“ vielfach nicht erkannt werden, weil sich die Sportler nie oder schon zu lange nicht mehr einem Gesundheits-Check unterzogen haben. Wenn der Körper, insbesondere das Herz-Kreislauf-System gesund ist, dann kann man sich durch kein noch so brutales Training „umbringen“. Das Herz ist ein Muskel, der über eine eigene Sauerstoffversorgung verfügt und darüber hinaus am längsten von allen Muskeln durchhält. Wenn man schon längst kein Bein oder keinen Arm mehr hochbringt vor totaler Erschöpfung, dann schlägt das Herz munter weiter. Natürlich kann man sich durch falsches, überzogenes Training schädigen – orthopädisch, auch organisch, wenn man es zu lange übertreibt. Daher ist es wichtig methodisch möglichst richtig zu trainieren. Dennoch: Nur, weil man in seinem Training ein paar Fehler macht, wird man nicht krank und verletzt sich auch nicht erheblich. Im Übrigen ist der Rahmen der Belastbarkeit jedes einzelnen Läufers, seine Robustheit, genetisch vorgegeben. Bevor man beispielsweise für einen Marathon trainiert, was - unabhängig vom individuellen Leistungslevel - immer eine brachiale Gesamtbelastung über längere Zeit bedeutet, sollte man daher Erfahrung mit dem eigenen Körper sammeln. Das geschieht am besten, indem man sich über etwa anderthalb bis zwei Jahre, vom Laufanfang bis zum Einstieg in den Marathontrainingsplan gerechnet, Zug um Zug von einer Streckenlänge zur nächsten vortastet und sich dabei entwickelt. Während man sein Tempo erst auf Strecken von 5 bis 10 km verbessert, sich anschließend an den Halbmarathon wagt, bekommt man ein Gefühl dafür, was man sich an Pensum/Gesamtleistung pro Woche zumuten kann.
Diese Entwicklung auf zunächst kürzeren Distanzen sollte aber gleichfalls methodisch korrekt passieren und eben nicht – so verstehe ich deine Aussagen über dich selbst – nach dem Prinzip „viel hilft viel“ oder ständig der Devise „schneller, mehr und weiter“ nachjagend. Beim Lauftraining (nicht nur da, aber auch da) ist weniger oft mehr. Was nicht heißt, dass sich der Trainierende nicht auspowern dürfte. Manchmal nimmt man sich richtig ran und rennt, als ginge es ums eigene Leben. Eben dann, wenn der Trainingsplan Tempoanteile von einem fordert. Schnelle Dauerläufe oder auch Intervallarbeit in hohem Tempo. Es ist aber keinesfalls egal, wann genau man was läuft. Wie es auch nicht egal ist, wann man lange und langsam läuft. Dafür gibt es die Regeln der Ausdauertrainingslehre und andere biologische Gesetzmäßigkeiten. Es ist einem Läufer, der sich „mit so was“ im Detail nicht auskennt, praktisch unmöglich sein Training korrekt zu steuern. Dafür gibt es in Büchern und im Netz Trainingspläne, die beispielsweise Belastung und Regeneration über die Wochen hinweg bestmöglich austarieren. Daher ist es in jedem Fall sinnvoll das eigene Lauftraining nach einem fremden Trainingsplan zu richten.
Das gilt natürlich nur, wenn man den Weg der Verbesserung und Weiterentwicklung gehen möchte. Wer nur schlicht ein paar Mal die Woche draußen für den eigenen Spaß und die Gesundheit ein paar Kilometer runtertraben möchte, braucht natürlich keinen Trainingsplan. Dieser jemand (also ganz viele von uns) trainiert aber auch nicht im eigentlichen Sinne des Wortes. Training ist immer ein Vorgang, der auf Verbesserung der eigenen Leistung ausgerichtet ist. Alles andere ist … na was … ein Wort dafür gibt es eigentlich nicht. Ich finde mal eins: Lustlaufen.
Wenn man trainieren möchte und ich verstehe dich so, dass du das willst, um alsbald einen weiteren Halbmarathon, dann einen Marathon zu laufen, dann ergibt sich natürlich die Notwendigkeit das Training zu steuern. Die Größen Tempo, Laufdauer, Trainingstage pro Woche, Gesamtpensum (und andere) sind natürlich nicht beliebig. In der Trainingspraxis können sich bei Dauerläufen vor allem zwei Aufgaben stellen: Entfernungen messen und Tempobelastungen festlegen. Ersteres kann man umgehen, wenn man sich einen Trainingsplan vornimmt, der statt Entfernungen Dauern vorgibt. Und die Tempobelastung kann man tatsächlich über Herzfrequenzbereiche steuern, so wie du das offensichtlich vorzuhaben scheinst.
Genau das habe ich vom ersten Marathon an und für viele Jahre so gehandhabt. Mit großem Erfolg und deshalb habe ich meine Trainingspläne in „Ein Weg zum Marathon“ auch darauf abgestützt. Als ich 2002 damit anfing, war das auch noch der einfachere Weg, weil GPS-Uhren, wenn es sie schon gegeben haben sollte, noch sündhaft teuer waren, HF-Messer dagegen schon längst Läuferalltag. Tatsächlich hat die Herzfrequenzsteuerung des Trainings auch den Vorteil, dass sie sich sozusagen automatisch an die vom Training über die Wochen verbesserte Leistung anpasst. Wenn man anfangs mit 80% der maximalen Herzfrequenz läuft, dann ist das Tempo geringer, als nach 4, 6, 8 Wochen Training und dem erzielten Trainingsmehrwert. Zugleich bleibt die Belastung (was der Körper aushalten muss (auch kann) und was man spürt) immer dieselbe. Steuert man sein Tempo über die Größe „Minuten pro Kilometer“ ( z.B. 5 min/km = 12 km/h) muss man im Verlauf eines Trainingsplans die Tempi bewusst etwas anheben, um den Reiz auf den Körper überschwellig zu halten (das steckt eine der erwähnten so genannten Regeln der Trainingslehre).
Ich bin also durchaus ein Freund des HF-basierten Trainings, auch wenn ich es seit etlichen Jahren nicht mehr praktiziere. Inzwischen überwache ich meine Trainings mit der Tempofunktion meiner Uhr (also über GPS). Man kann und es hat auch Vorteile über die Herzfrequenz das Training zu steuern, man muss aber nicht so vorgehen. Andere Methoden sind gleichwertig. Wichtig ist jedoch: Wenn HF-Steuerung, dann setzt das voraus, dass man mit dem HF-Messer umgehen kann, seine Messwerte einzuordnen weiß und nicht zuletzt körpereigene, genetisch beeinflusste Herzfrequenzgrößen kennt. Mindestens die maximale Herzfrequenz (HFmax) und irgendwann einmal, weil sich das Training damit verlässlicher steuern lässt, auch die Ruheherzfrequenz. Beides ist nicht so einfach zu ermitteln. Die maximale Herzfrequenz zu erreichen, schafft man nur in Todesangst – scherzhaft formuliert, wenn ein Raubtier einen hetzt. Die HFmax zu erreichen ist nicht nur eine physische, es ist hinsichtlich der letzten paar bpm (beats per minute) vor allem eine Motivationsfrage. Niemand bringt sich willentlich in die gefühlte Not der völligen Ausbelastung (fühlt sich viel zu scheußlich an), wenn es dafür kein extrem wichtiges Motiv gibt. „HFmax-wissen-wollen“ ist ein zu schwaches Motiv. In der Wettkampfendphase gelingt das vielleicht – aber nur, wenn man zuvor nicht zu stark gefordert wurde.
Es gibt aber Möglichkeiten trotzdem mit einer HFmax zu operieren, die nahe am tatsächlichen Wert liegt. Und ein möglicher Fehler von ein paar bpm beeinflusst die Trainingsbereiche, die man sich ausrechnet nur unwesentlich. Ich will das hier nur kurz anreißen, mein Beitrag erreicht ohnehin schon epische Länge: Du schreibst davon, dass du glaubst zu schnell zu laufen. Dann hast du versucht mit Herzfrequenzen das Tempo richtig einzustellen. Du hast dabei allerdings Ursache und Wirkung verwechselt. Finde dein langsames Tempo selbst heraus, setze dafür dein (Lauf-) Gefühl ein und lese dabei die Herzfrequenz ab! Wenn du 10 km läufst oder 15 oder gar noch weiter, im selben Tempo, das du bis zum Schluss durchhalten kannst, dich dabei gefordert aber nicht überfordert fühlst, ruhig atmest, nicht außer Atem gerätst, sogar noch kurze Bemerkungen mit einem Nebenmann austauschen könntest, auch nach 15, 20 Kilometern noch, wenn deine Beine schon müde werden, dann läufst du vermutlich in einem HF-Bereich von 70 bis 75% von HFmax. Eine solche Ermittlung ist natürlich ungenau. Du kannst aber noch einen anderen Wert als weitere Referenz dagegen setzen, dich zum Beispiel einlaufen und dann über 5 Kilometer volle Pulle gehen, so dass du wirklich nach 5 km am Ende bist. Was du in der Mitte dieses Laufes, nach vielleicht drei Kilometern als Herzfrequenz abliest, dürfte bei 90% von HFmax oder etwas darüber liegen. Auf diese Weise (möglichst einige Male wiederholt und Mittelwerte bildend) kommst du zu Herzfrequenzen, die deiner Trainingsrealität entsprechen. Mit der Zeit wirst du die Werte ggf. etwas korrigieren können. Entscheidend ist, dass auf deinem Trainingslevel (vermutlich eine Marathonzeit fürs Debüt um die 3:45 Stunden, wenn ich von deinen Zeiten in 2021 ausgehe), gewisse Unschärfen im Training noch keine Rolle spielen. Dein Entwicklungsspielraum ist noch riesengroß. Will heißen: Ich fing mit 48 Lebensjahren und einem Marathondebüt von 3:43 Stunden an und trainierte mich binnen vier Jahren auf etwa 3:02 Stunden zeitlich runter. Und erst da war dann Schluss. Um mich dann noch zu verbessern, hätte ich wirklich alle Register an Genauigkeit, usw. ziehen müssen.
Du schreibst, dass du einmal 30 km gelaufen bist, also auf einen Marathon hin trainiert hast. Dann war aber Schluss damit. Weshalb erschließt sich mir aus deinem Text nicht, du schreibst lediglich was von deiner Gesundheit, die du nicht gefährden wolltest. Es dürfte dir klar sein, dass du mehrere solcher so genannten „langen Läufe“ um die 30 km absolvieren musst, vor einem Marathonstart. Und zwar von Woche zu Woche je einen. Dass du dich nach dem Training nicht immer „gut“ gefühlt hast, liegt in der Natur der Sache. Lass mich dir versichern, dass ich mich nach jedem langen Lauf total ausgelutscht und dem Ende nahe fühle. Das ist bei mir (und vielen anderen) einfach so und damit lebe ich. Und ich lebe übrigens immer noch! Und irgendwie Spaß gemacht hat es auch meist. Wenn es das nicht tut, dann sollte man den Quatsch sein lassen! Wie weit man das treiben kann, siehst du an mir. Ich habe die Marathonmarke nicht nur mehr als 300 Mal überlaufen, ich ging mehrmals sogar sehr weit darüber hinaus. Meine weiteste Strecke belief sich auf 246 km in knapp 35 Stunden. Das geht, das tötet einen nicht, macht einen nicht krank und verletzt einen auch nicht. Wenn man sich kompetent darauf vorbereitet!
Du hast dir eine neue Uhr gekauft, denken und fühlen musst du aber trotzdem selbst. Es sollte deine vordringlichste Aufgabe werden dein Laufgefühl zu entwickeln und das ohne Angst vor Überforderung. Und du solltest methodisch möglichst korrekt vorgehen, wenn du dich mit dem Ziel „besser werden“ forderst. Denn so ein Ziel hält einen immer am momentanen Leistungslimit. Man kann sein Limit schon mal ungestraft überschreiten, aber nicht ständig, oder nicht zu oft und zu drastisch, dann gibt es Probleme. Am besten trainierst du nach Plan. Natürlich gibt’s gute und nicht so gute Trainingspläne. Wenn man sich an renommierte Trainingsbücher hält, kann man allerdings nicht viel falsch machen (auch wenn die Anforderungen zwischen den Autoren durchaus variieren). Und – das darf ich mit einiger Sicherheit aufgrund entsprechender Rückmeldungen behaupten – meine Trainingspläne sind soooo schlecht auch nicht.
Lange Rede, die jetzt endet. Ich hoffe, sie hilft und verwirrt nicht zusätzlich. Wie auch immer: Alles Gute für dich!
Gruß Udo