aghamemnun hat geschrieben:
Aber die These von der protestantischen Arbeitsethik ist mir dann fürs erste doch ein wenig steil. Ich mag Max Weber nicht alles glauben, was er geschrieben hat.
Dazu zwingt dich ja keiner.
aghamemnun hat geschrieben:
Oder ist die sog. protestantische Arbeitsethik nicht eher eine calvinistische? Im klassischen Calvinismus galt bzw. gilt ja irdischer Wohlstand als Indiz göttlicher Erwählung zur Seligkeit. Daher auch Webers Thesen.
Du hast vollkommen recht, dass das im Calvinismus besonders stark war. Der hat aber eben auch andere Szenen beeinflusst, die sich nicht als Calvinisten bezeichnen würden.. aber ich wollte nie behaupten, es läge allein an der Konfession. Mir ging es um die gesamte Einstellung,welche Prioritäten Arbeit und Wohlstand genießen.
aghamemnun hat geschrieben:
Dann frage ich mich aber, warum ausgerechnet in den USA, die vor allem von calvinistischen Auswanderern bzw. von Angehörigen aus dem Calvinismus hervorgegangener Denominationen aufgebaut wurden, die Sache mit dem Leistungssport so viel besser zu funktionieren scheint als bei uns. Oder läßt sich zeigen, daß die dortigen Spitzensportler mehrheitlich keine protestantischen Selfmademen sind, sondern sich ähnlich den ostafrikanischen Topathleten einfach nur aus wirtschaftlicher Not hochgearbeitet haben und den Sport nicht als Mittel verstehen, sich durch Leistung religiös zu verifizieren?
Nicht nur einen Grund suchen. Der Erfolge der USA in der LA beruht auf (Reihenfolge KEINE Wertung, kein Anspruch auf Vollständigkeit)
- Vorbildern wie Jesse Owens, Jimmy Ryun, Frank Shorter, Carl Lewis usw. (klar, die müssen auch irgendwie zu der Leistung gekommen sien, aber dennoch spielen sie für die nachfolgenden eine große Rolle)
- Schul- und College SportSystem: Nicht nur dass die Entdeckung von Talenten besser funktioniert, es gibt auch eine bessere Förderung ((Teil-)Stipendien auch für Leute weit unter der nationalen Spitze) und soziales Ansehen.
- Konkurrenzsituation zu anderen Sportarten ist anders als in D. Ich weiß, es gibt andere Konkurrenz (z. Baseball Basketball american Fotball),aber dennoch denke ich dass die Situation vorteilhafter ist als bei uns. Weil eben die Mitgliedschaft im College Crosslauf Team soziale Anerkennung bedeutet, während bei uns ein Crossläufer dadurch fast keine Anerkennung bekommt
- Gibt für Läufer mehr Möglichkeiten, Geld zu verdienen (z. B. höhere Siegprämien bei mehr Straßenlaufmeisterschaften als hier)
Zum Calvinismus in den USA: Ich denke, dass diese Ethik von den Siedlern und ihren Nachkommen erweitert bzw. um gedeutet wurde. Das ist ein Teil des Grundstocks für den amerikanischen Traum, für das "Jeder kann es packen, wenn er sich nur anstrengt". Das wurde so verallgemeinert, dass es eben meist mindestens als ok gilt, wenn man das im Sport umsetzt. "The pursuit of happiness", wie es in der Unabhängigkeitserklärung der USA hieß, ist in den USA eben auch im Sport möglich und wird oft als erstrebenswert angesehen.
In D kommen bei großen Trainingsumfängen eher Unterstellungen und seltsame Fragen wie z. B: "Vernachlässigst du auch nicht deine Arbeit?", "Aber davon kann man doch nicht leben, warum investierst du dann so viel" oder "Vor was läufst du weg?"
Das betrifft übrigens nicht nur den Sport, auch bei anderen mit Leidenschaft betrieben Aktivitäten (Musik Kunst), die nicht direkt dem Broterwerb dienen, kommen hierzulande oft ähnliche Kommentare.
aghamemnun hat geschrieben:
Umgekehrt sehe ich natürlich auch das Problem, daß wir uns in Deutschland sehr stark über Beruf und wirtschaftlichen Status definieren. (Im protestantischen, z.T. erzlutherischen Skandinavien versteht das übrigens kein Mensch.) Ich glaube aber nicht, daß man das monokausal auf bestimmte theologische Strömungen zurückführen kann.
Das war niemals meine Absicht, habe ich auch nicht so behauptet. Die protestantische Arbeitsethik ist sicher nur ein Punkt von mehreren. Aber wo du ja zustimmst, ist, dass wir uns in D sehr stark "über Beruf und wirtschaftlichen Status definieren". Und das macht es eben schwieriger, dem Laufen eine hohe Prioritäten
Und es kommt hinzu, dass in Deutschland die Propaganda zur Perfektion getrieben wurde. Heute haben wir natürlich nicht mehr die plumpe Propaganda aus den Zeiten der Diktatur, aber das Wissen um Manipulation und Medienbeeinflassung ist ja nicht verloren gegangen. In kaum einem Land der Welt haben so viele Menschen so viel Zukunftsangst zu haben, obwohl es ihnen wirtschaftlich gut geht. Das ist auch eine Folge von einer Politik, die Ängste schürt, statt Ängste zu nehmen.
Interessant ist, dass das Marketing von Pulsuhrherstellern z. B. auch die Ängste der Menschen benutzt: Angst vor Verletzungen und Überlastungen, Angst vor Krankheiten, etc.
aghamemnun hat geschrieben:
Und selbst wenn das doch der Fall ist, bleibt die Frage, weshalb z.B. der Beruf des Fußballers einer ist, bei dem Erfolg sich auch finanziell rechnet (auch wenn die Gehälter geringer sind als in manchen anderen Ländern), wogegen Leichtathleten meist mit der schönen Natur vorlieb nehmen müssen. Dahinter müßte doch die Idee stehen, daß Beruf nicht gleich Beruf ist. Mit anderen Worten: Da haben wir es mit einem Klassendenken zu tun. Aber das hattest Du ja schon angedeutet.
Nuja, darüber dass unterschiedliche Berufe unterschiedlich bezahlt werden und ob dass so sinnvoll ist könnten wir wohl lange diskutieren. Fragt sich nur, wie viele da hier mitreden wollen oder eher ziemlich schnell irgend wen als bösen Kommunisten diskreditieren.
Im Fußball in D ist auch die Vorbildgeschichte, der große Triumph, dessen Nachahmung angestrebt wird, wichtig. 1954 gewinnt D die WM, 9 Jahre nach Kriegsende. An eine solche Massenwirkung kam ein Olympiasieg von Dieter Baumann bei weitem nicht ran.
In Kenia und Äthiopien gab es aber Erfolge von ähnlicher Bedeutung wie sie "Das Wunder von Bern" für D hatte:
Kenia wurde 1963 unabhängig. 1964 nahm Kenia erstmals an den olympischen Spielen teil. Kip Keino wurde 5. über 5000m. 1968 gewann er (afaik das erste kenianische Gold überhaupt über 1500m, Silber über 5000m 1972 dann Gold über 3000m Hindernis. Kip Keino ist in Kenia eine Legende, und deshalb sind das die Kernstrecken der kenianischen Lauftradition: 1500, 5000m und 3000m Hindernis. Heute haben die Kenianer das erweitert, aber sie taten sich mit dem Marathon lange schwer, weil die Tradition auf den kürzeren Strecken lag.
In Äthiopien dagegen ist das große Vorbild Abebe Bikila mit seinen zwei Goldmedaillen von 1960 und 1964. Dazu noch der tragische Unfall, Bikale wurde endgültig zur Legende. Deswegen war für Haile immer klar, dass er Marathon laufen wird. U. a. deswegen wird er auch irgendwie versuchen, 2012 in London noch anzutreten.
Zurück zu Deutschland: Der DFB ist der größte und mächtigsten Verband einer einzelnen Sportart in D. Der Ligabetrieb lässt sich viel besser an die Medien verkaufen als die LA. Es ist ganz offensichtlich, dass der Fußball viel leichter an Fernseh-und Sponsorengelder kommt als alle anderen Sportarten.
Gruß
C.