kobold hat geschrieben:Bevor hier das Wissenschaftler-Bashing weiter geht ("Dummheit"," Ignoranz", "Titel aberkennen", "Forschen schädigt das Gehirn"), sollte der eine oder andere vielleicht auch mal drüber nachdenken, in welchen Strukturen Wissenschaft betrieben wird und wie die zu einem solchen groben Unfug beitragen, wie er mit dieser Studie in den Medien verbreitet wird.
Ja, genau. Das meinte ich. Das ist nämlich das eigentliche Problem.
Wie Forschung heute betrieben wird, ist ein gesellschaftliches Problem
Genau. Es ist schließlich auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Letztendes wird die Forschung so gemacht wie es in die Gesellschaft "passt". Wenn die Gesellschaft (ist natürlich ein Abstractes Wort und jeder einzelne ist anders) lieber sensationsheischende Nachrichten liest, dann werden von den Fernsehsendern, Zeitschriften, Online-Portalen und eben auch von den wissenschaftlichen Journals in erster Linie solche veröffentlicht. Da es bei Wissenschaftlern (wie bei Journalisten auch) um "publish or perish" geht wird dann eben das veröffentlicht, was gelesen werden will (von der Mehrheit, bzw. was der Editor erwartet), von der Themenauswahl her (Hypothesen), tw. von den Ergebnissen und natürlich von der Aufmachung also von der Geschichte die präsentiert wird. Ich finde das schlecht, aber es ist nicht in erster Linie ein Problem der Wissenschaft/Forschung (das natürlich auch), sondern ein gesellschaftliches, meiner Meinung nach.
Veröffentlicht wird fast nur, was statistisch bedeutsam ist - nicht-signifikante Ergebnisse wandern in die Schublade, auch wenn die Studie theoretisch und methodisch noch so sauber war.
Ja, aber/und das ist aber ja nicht die "Schuld" vom Wissenschaftler (es sei denn er möchte es nicht veröffentlichen, weil es ihm nicht passt weil er früher immer behauptet hat, es gäbe einen signifikanten Zusammenhang). Es ist einfach so, dass nicht signifikanten Ergebnissen zu wenig Wert beigemessen wird (und signifikanten zu viel, dabei ist ab genügend großer Stichprobengröße alles signifkant) und es deshalb nicht veröffentlicht wird.
Es ist daher beispielsweise üblich (auch wenn es kaum einer zugibt), in Studien mehr Variablen zu erheben als für die Prüfung der Kernhypothesen nötig wäre, um ggf. in den Daten so lange rumzustochern, bis man doch irgendwo etwas Signifikantes findet, von dem man dann behauptet, man habe das von Anfang an vorhergesagt.
Ja, genau. Dabei ist das dann - wahrscheinlich - nicht mehr wirklich signifkant, da die Signifikanzschwelle wegen den Mehrfachtests angepasst werden müsste. Das kommt noch dazu.
Eine weitere Unart: Die Ergebnisse von Studien scheibchenweise zu veröffentlichen statt "en bloc" in einer wirklich aussagekräftigen Arbeit. Wenn man vier oder fünf abhängige Variablen erhoben hat, war früher klar, dass man in einem Paper alle Befunde darstellt und ggf. auf unerwartet widersprüchliche Befundmuster für die einzelnen Variablen eingeht. Heute macht man mindestens 2 bis 3 Papers daraus.
Ja, richtig. Allerdings würde der Leser bei Papern mit 7000 oder mehr Variablen auch durchdrehen ;).
Warum das Ganze? Weil die Währung, nach der sich der Wert von WissenschaftlerInnen bemisst, nicht mehr ihre Ideen per se, sondern ihre Veröffentlichungen sind. Und für die gilt: Möglichst viel, möglichst schnell und möglichst mit einer plakativen, öffentlichkeitswirksamen Message - Wissenschaft (hier spreche ich jetzt mal für Psychologie als meine Disziplin) soll ja in weiten Bereichen nicht mehr reine Grundlagenforschung sein (dürfen), sondern Potenzial für einen zügigen Wissenstransfer in Anwendungspraxis und Gesellschaft bieten - da liegt also auch die Mitverantwortung der Gesellschaft, die von Forschung Nützlichkeit erwartet, die aber nicht immer und unmittelbar gegeben sein kann. Ergo werden dann Schlussfolgerungen spekulativ aufgeplustert, um irgendwas Medienwirksames und angeblich praktisch Verwertbares rauszuholen, das breite Aufmerksamkeit sichert. Natürlich darf man das nicht zu platt machen. Aber trotzdem: Selbst wenn man zu dick aufgetragen hat und von manchen Menschen (WissenschaftlerInnen der "alten Schule" zum Beispiel) belächelt wird - der eigene Name ist bekannt und man ist "im Geschäft" (woher die Bekanntheit rührt, wird dann allzuoft vergessen). Und diese Bekanntheit hilft z.B. bei Forschungsanträgen an potenzielle Drittmittelgeber.
Ja, genau!
Wer das Spiel nicht mitspielt, hat es heute schwer, noch Nischen im System zu finden, und sollte sich besser sehr frühzeitig gegen eine wissenschaftliche Karriere entscheiden.
:(
Dann ist aber auch jede/r Wissenschaftler/in mitverantwortlich dafür, das System so zu verändern, dass es ethisches Verhalten besser unterstützt. Eine vielfach diskutierte Möglichkeit besteht darin, Studien VOR ihrer Durchführung begutachten und genehmigen zu lassen. Das würde bedeuten: Wenn eine Studie auf theoretisch sauber abgeleiteten Hypothesen beruht bzw. eine interessante, innovative Fragestellung aufwirft und vernünftige Operationalisierungen vorsieht, wird ihre Publikation unabhängig vom Ergebnis garantiert (vorausgesetzt natürlich, sie wurde wie geplant durchgeführt). Auf diese Weise ließen sich viele der aktuellen Probleme vermeiden.
Wie meinst du das mit der Begutachtung? Studien werden doch (zum Teil zumindest) vor ihrer Durchführung begutachtet und genehmigt aber damit ist die Veröffentlichung nicht sicher. Die hängt schließtlich von den Journals ab.