Halbmarathon Hannover, eigentlich mein Lieblingslauf. Und ich hatte die Tage vorher keine Lust. Normalerweise die Nervosität in Person, dieses Mal die Ruhe selbst. Samstagnachmittag ein akuter Heuschnupfenanfall, bei dem ich erst dachte, jetzt bin ich auch noch erkältet? Na gut, dann laufe ich eben nicht, auch ok.
Während mein Kopf also noch ganz relaxed ist, meint mein Bauch, da kommt Stress, bereiten wir mal alles für Flucht vor – Durchfall am Samstagabend und Sonntagmorgen.
Als der Wecker so früh klingelte, hätte ich mich viel lieber nochmal umgedreht. Auch die Tigertiere gucken verwirrt und wollen eigentlich nicht aus dem Bett. Ui, jetzt werde ich doch langsam nervös, die Hände zittern und mir ist flau.
Als wir ins Auto steigen sind 1,5 Grad, uah, das ist frisch, aber besser als die noch vor 2 Wochen angekündigten 24 Grad ist das allemal. Wir haben Glück und kommen gerade zum Start der Handbiker und danach der Inliner an. Auf ins Zelt zu den Startunterlagen. „Wenn ich den Chip prüfen soll, muss der Fuß hier hoch“ grinst mich die Frau hinter dem Pult an. Oh je, auch noch Verrenkungen am frühen Morgen.
An der Rathaustreppe treffe ich erst Dicke Wade, dann Laufmuddi mit Freundin und auch Cappucino, die als persönliche Jubel- und Kuhglocken-Begleitung für Laufmuddi da ist, Felix und Bjoern. Noch ein paar Fotos und auf geht’s zum Startblock D. Da es richtig voll ist – gefühlt voller als in den letzten Jahren- warten wir an der Absperrung. Und schon wird vorn gestartet und auch wir bewegen uns langsam Richtung Start, erst gehen und dann lostraben, ein Druck auf den FR und –endlich- die Startmatte. Ab hier ist die Nervosität weg.
Wie schön, die Sonne scheint, herrlich!

Zielzeit: Unter 2:15 wäre toll, wenn nicht, auch gut.
Erst trabe ich noch neben Laufmuddi, Freundin und Dicke Wade, dann verliere ich sie aus den Augen, hab aber keinen Plan, ob sie vor oder hinter mir sind. Es ist unglaublich voll. Vorankommen kaum möglich, aber das ist gut so, eine natürliche Bremse quasi. Der erste Km ist dementsprechend langsam. Danach ziehe ich das Tempo leicht an. Bremse wieder, weil es noch so locker geht, ich aber nicht überpacen möchte. Die ersten Kilometer vergehen wie im Flug, nur noch 20, 19, 18… wenn ich da mal schon wäre, bei km 18, schießt es mir durch den Kopf. Das Bremsen nervt, ist aber nötig, da kommt ja noch einiges.
Meine beiden langsamsten Kilometer sind 8 und 9 – ich hab plötzlich keine Lust mehr, der Weg scheint so weit, mich sticht etwas (nein, das ist jetzt kein „Ich bin so langsam weil mich die Biene gestochen hat“, im Gegenteil, vor Schreck sprinte ich eher einige Meter los

, aber ich bin leicht genervt).
Irgendwo hier verabschiedet sich mein Pulsmesser vom aktiven Dienst. Schade, ich hätte gerne mal geguckt, wie hoch der Puls zum Ende hin geht, aber nicht zu ändern. Gemerkt habe ich das erst hinterher, beim Lauf lasse ich mir das nicht anzeigen.
Die Sonne scheint immer noch. Mir wird warm.

Zielzeit: Unter 2:15? Hm, yoah, läuft ja noch.
In der Stadt ist die Streckenführung geändert, bei km 10 geht’s dann auch rechts statt links. Mal was Anderes. Durchgangszeit 1:03:35, ok, das passt und ich kann auch das Tempo gut halten. Kilometerschild 11 verpasse ich wieder, freue mich dafür umso mehr über das nächste – nur noch 9 km, einstellig, das geht.
Bei km 14 –hey, nur noch 1/3, super!- überlege ich, ob ich nicht meine „Ärmel“ an die Seite schmeiße. Es ist wirklich warm inzwischen. Aber diese Frickelei, die Dinger jetzt über Pulsmesser und FR zu zerren… im Laufen, och ne. Anhalten? Never ever wegen sowas!

Also bleiben sie an. Km 15 und ich murmele „nur noch unsere Eckrunde, komm das geht“, was mir ein Lachen von der Seite beschert und ein „sowas dachte ich auch gerade“.
Mir ist warm.
Leider scheint die Sonne immer noch. Puh.

Zielzeit: Ja, egal, irgendwie ankommen halt.
Hinter mir unterhalten sich zwei Männer, einer fragt nach der Zeit, der andere sagt „Wir sind locker auf Kurs 2:10.“ Also wenn die nicht seeeehr weit hinter mir standen beim Start, dann wird das nichts, Jungs… ich bin eher auf Kurs 2:15+
Langsam wird es anstrengender. Berlin lief hier noch lockerer. Komm, nur noch 5, die kleine Runde, was sind denn 5 km, ein Witz, die gehen immer – jajaja, sagt mein Körper, aber muss ja nicht, oder? Er wehrt sich. Der Kopf will, aber der Rest wird bockig.
Eigentlich wollte ich ja ab km 17, 18 schneller laufen, aber Tempo halten wäre schon gut und ist anstrengend wie nichts Gutes. Der Wunsch, jetzt zu Gehen, wird immer stärker. Komm, lockt Schweinehund Fiffi-Trixie auf der Schulter, ruh dich ein paar Schritte aus, geh einfach, nur 30, 40 m

…. Nix da

, bockt der innere Sklaventreiber, du läufst mal schön weiter, gegangen wird nicht. Allein wie das Anlaufen dann wieder weh tut… Fiffi-Trixie jammert: Aber ich mag nicht mehr, es ist warm und doof und überhaupt, das ist so anstrengend hier. Aber der unerbittliche Sklaventreiber motzt nur: Ja, ist es, aber du läufst ja hier nicht zum Spaß, also beiß mal ein bisschen, du Weichbrot, los jetzt! Und während die zwei sich duellieren

laufe ich weiter.
Diese blöde Sonne knallt aber auch, Sch…, ich glühe, schwitze, pumpe wie ein Fisch ohne Wasser.

Zielzeit? Wen kratzt das, ich will nur noch ankommen…
So, da ist das Schild km 19, komm schon, zieh etwas an. Mir wird übel. Mein Magen ist ein krampfiger Ball. Bitte nicht noch übergeben jetzt…

Gehen?? Och jaaaa, bitte! Fiffi-Trixie ist sofort dafür. NIX DA!

brüllt mich der innere Sklaventreiber an, vergiss das mal ganz fix.
Richtig anziehen geht nicht wirklich gerade und ich zähle geistig schrittweise die Meter runter. Psychologisch Murks, aber ich kann gerade nicht anders und es lenkt vom Gefühl ab, dass gleich der Magen das Innere nach Außen haben will.
Kurz vor dem 20er Schild trete ich mir innerlich in den Hintern, dass ich am Anfang so schnell –zu schnell

– war. Aber nun muss ich eben ausbaden, was ich selber verschuldet hab, also nochmal alles mobilisieren, was geht. Mein Kreislauf meldet Überforderung, mir wird kalt, ich merke Gänsehautschauer. Hm, kommentiert nun auch der Sklaventreiber, das ist nicht gut, haste Recht, aber: noch 800 m, noch 700, noch 600…
Dieses verfluchte Ding da am Himmel ist sowas von ….

Zielzeit? Überleben. In welcher Zeit auch immer.
Das Ziel! Da ist es. Schneller geht’s trotzdem nicht mehr, mein Blick sucht Herrn Tigertier, findet ihn leider nicht. Aber dafür stehen da hinten zwei Sanis, denen kann ich notfalls vor den Füßen zusammenbrechen… mein Gott können 100 m lang sein …. Piiiiiiiep! Oh, ich bin da! Wie immer entschädigt dieser Moment für sämtliche Quälerei.

Mein Kreislauf fängt sich wieder bis ich aus dem Verpflegungsbereich raus bin und dann bin ich auch froh über die „Ärmel“, denn im Schatten ist es doch frisch.
2:14:01 sind es schlussendlich geworden. Offenbar ist der 15er-Knoten wirklich geplatzt. Ärgern über die 2 Sekunden? Nicht wirklich. Mehr war an diesem Tag nicht drin, außerdem hab ich dann ein Ziel für den Nächsten – unter 2:14 klingt doch gut.
Im Auto sagt Herr Tigertier „Na, in drei Wochen den Nächsten? Wir (ach ja??

) sind doch gerade so gut dabei“… und da fällt mir ein, dass bald die langen Läufe wieder losgehen… oh je… aber ich will es ja so… nur für diesen einen Moment im Ziel

Das größte Vergnügen im Leben besteht darin, das zu tun, von dem die Leute sagen, du könntest es nicht. (Walter Bagehot)
"Ist der Marathon für Frauen etwa auch 42,2 km lang?" (Überraschter Kollege im Büro)