mtbfelix hat geschrieben:Mir ist der Begriff "Freiheit" zu sehr aufgebauscht worden. "Freiheit" ist so dermaßen abstrakt und von vielen Menschen der Historie in vielen unterschiedlichen Aspekten definiert worden. (...) Nur habe ich noch immer nicht verstanden, warum Du diese "Keule" ausgepackt hast. Bitte sieh' mir nach, wenn der Groschen dreimal fallen muss.
Schließlich geht es hier ums Laufen. Wo siehst Du das Problem des TE im Umgang mit seiner Freiheit?
Klar, Freiheit ist ein großes Wort. Und auch mir schwappt gelegentlich das Adrenalin bis in die Pupillen, wenn ich gewisse Leute (v.a. US-Politiker und Ärztefunktionäre) davon schwadronieren höre. Deshalb habe ich ja auch konkret erläutert, worum es mir dabei geht. Vielleicht hast Du Dich von dem bloßen Begriff ein wenig zu sehr von diesen Ausführungen ablenken lassen. Jedenfalls kann ich nichts mit dem Vorwurf anfangen, ich hätte rein abstrakt, sozusagen mit einem brutalen Schlag-, Hieb- und Stichwort argumentiert.
Die Ebene, auf der der TE gedacht hat, habe ich bewußt verlassen, aber das finde ich auch legitim:
"Seit zwei Monaten habe ich so blöde Rückenschmerzen..."
"Und? Was unternimmst du dagegen?"
"Ich werf mir jeden Tag sechs Ibuprofren ein, damit geht's einigermaßen."
"Du solltest nicht nur die äußerlichen Symptome bekämpfen, sondern mal der Ursache auf den Grund gehen. Warum gehst du nicht mal zum Arzt?"
"Ist mir zu abstrakt..."
Disclaimer: Bevor jetzt jemand kommt und diesen Vergleich arrogant findet - nein, sein Kern ist nicht das Arzt-Patienten-Verhältnis, d.h. ich will hier nicht suggerieren, daß ich diese Diskussion nicht auf gleicher Augenhöhe mit allen anderen führe.
Trainingspläne und fixe Wettkampftermine schränken die Flexibilität des täglichen Trainings ein. Das liegt in der Natur der Sache
Richtig. Ich würde aber glatt bestreiten, daß Flexibilität und Freiheit dasselbe sind. Und der Unterschied liegt für mich nicht darin, das Freiheit abstrakter wäre als Flexibilität. Aber Du berührst hier m.E. den Kern des Problems: Viele sehen diesen Unterschied gar nicht, sondern für sie sind Freiheit und Flexibilität Synonyme.
Um mal ein Beispiel zu bemühen (ich halte es für hinreichend konkret, denn es prägt große Teile meines Alltags
):
Die folgenschwerste Aktion, die ich mir je geleistet habe, war, daß ich in einem bestimmten Augenblick Ja gesagt habe. Und zwar auf die Frage, ob ich mit der Frau neben mir gemeinsam alt werden und sie leben und ehren, ihr in guten und in schlechten Tagen treu sein will bis der Tod uns scheidet usw.
Interessant ist das mit den schlechten Tagen. Über die habe ich mir in dem Augenblick gar keine Gedanken gemacht (und war damit wohl auch kaum der einzige). Mehrere Jahrzehnte später kann ich aber rückblickend sagen, daß nicht jeder Moment rosarot gewesen ist. Aber ich hatte mich ja entschieden, die Sache durchzuziehen. Das macht mich in gewisser Weise unflexibel. Natürlich sind mir seitdem Frauen begegnet, mit denen es sicher auch hätte klappen können. Warum nicht? Ich gehöre nicht zu jener Spezies, die es unter bestimmten Christen gibt, die der Meinung sind, der Heilige Geist hätte ihnen von Ewigkeit her eine/n bestimmte/n Partner/in ausgesucht, und die/den müsse man jetzt bloß noch finden. Aber ich habe mich entschieden, und ich stehe dazu. Mag sein, daß ich dadurch weniger flexibel bin als Elizabeth Taylor, Claire Zachanassian oder Lothar Matthäus. Aber ich genieße die Freiheit, nicht wegen jeder Meinungsverschiedenheit gleich davonrennen zu müssen, sondern Teil eines lohnenden Projekts zu sein, für das es sich auch mal zu kämpfen lohnt.
Wäre Freiheit für mich bloß die Möglichkeit, mich jederzeit dort auszuklinken, wo es mir für den Moment etwas eng wird, gäbe es bald überhaupt keinen Ort mehr, wo ich noch hinkönnte.
Darf ich nach dem Treffen einer Entscheidung grundsätzlich nicht mehr über die Konsequenzen dieser Entscheidung klagen?
Doch.
Darf man diese Entscheidung nicht mehr rückgängig machen?
Doch.
Kennst Du immer alle Konsequenzen aller Entscheidungen, die Du triffst?
Nein. Deshalb setze ich ja auch alles daran, bei dem zu bleiben, wofür ich mich entschieden habe. So viel Neugier gönne ich mir dann nämlich doch ganz gern.
Wenn man sich völlig unkonform verhält, mit Verweis auf die persönlichen Freiheitsrechte, ist man ganz schnell ein Einzelgänger.
Ich weiß. Schließlich habe ich das selbst schon mehrfach durchgezogen. Da muß man manchmal dicke Bretter bohren. Aber irgendwann ist da ein Loch.
Mir macht es schon fast Angst, wenn Du das Ändern oder Hinterfragen von eigenen Entscheidungen, oder auch das Beklagen von Konsequenzen eben solcher, als "abstoßend" bezeichnest. Oder habe ich das falsch verstanden?
Ja, das hast Du falsch verstanden. Nochmal: Es geht nicht ums Revidieren von Entscheidungen. Sowas kann nötig sein. Es geht, wie ich nun schon mehrfach betonte, um das Freiheitsverständnis, die Verwechslung von Freiheit und Flexibilität bzw. Unverbindlichkeit. Darum, daß man sich diese Unverbindlichkeit im Namen der Freiheit schönredet.
NordicNeuling hat geschrieben:Daß Agha in einem Laufforum lateinsche Begriffe unübersetzt stehen läßt, das allerdings wäre mein Vorwurf an ihn.
Öhm... tschuldigung. In der Debatte ging es ursprünglich darum, ob der Mensch in der Lage ist, sich sein Seelenheil selbst zu erarbeiten, indem er die göttlichen Gebote aus eigener Kraft befolgt. Erasmus vertrat die Position, Gott hätte die Gebote ja wohl schließlich kaum gegeben, wenn er nicht voraussetzte, daß der Mensch diese Gebote auch befolgen könne. Luther hat ihm dabei prinzipiell recht gegeben, meinte aber, nach den Geboten zu leben sei zwar gut und schön, aber letztlich nicht heilsrelevant, weil die göttliche Gnade alles sei, worauf es dabei ankomme.
D.h. beim liberum/servum arbitrium, also dem freien/unfreien Urteilsvermögen (arbitrium ist das Urteilsvermögen, voluntas der Wille), geht es darum, ob der Mensch Herr seines Lebens und seines Heils ist. Mit den vorwiegend psychologischen Aspekten, die wir heute meist diskutieren, hatte das noch gar nichts zu tun. Dementsprechend ist auch Freiheit von einem theologischen Begriff mit starkem ethischen Einschlag (also etwas, das v.a. in zwischenmenschlichen Beziehungen ausgehandelt wird und zur Entfaltung kommt) zu einer Größe geworden, die ziemlich ausschließlich innerhalb des Individuums verortet wird. Darum ging's mir.