Wibolt DNF/100k
Letzten Mittwoch gings abends um 18 Uhr los auf den Wibolt von Wiesbaden über den Rheinsteig in Richtung Bonn. Den Rheinsteig mal komplett ablaufen, das war noch so ein Traum aus meiner Anfangsphase beim langen Laufen. Ende letzen Jahres hatte ich mich dann einfach dazu angemeldet. Wenn nicht jetzt, wann dann.
Ab Frühjahr war ich dann fast jedes freie Wochenende auf dem Rheinsteig unterwegs. Ich liebe den Rheinsteig. Ich habe alle Läufe genossen. Meist war ich dabei alleine unterwegs. Einmal hatte ich Betty dabei und einmal habe ich mit Sabine einen "Probestart" von Wiesbaden aus gemacht. Herrlich, in die Nacht reinzulaufen und durch die Nacht. Und dann gab es vor Ostern noch den Rheinsteig-Erlebnislauf, einen organisierter Gruppenlauf von Bonn nach Wiesbaden in 7 Etappen. Der Rheinsteig ist in diesem Frühjahr, neben dem Kölnpfad, zu meinem dritten Wohnzimmer geworden.
So und nun stand er nun an, der übermächtige Wibolt, das ganze dann in Nonstop. Und um es zusammenfassend zu sagen, es lief für mich richtig Kacke. Am Start war ich ganz entspannt. Ich werde einfach ganz locker starten und der Rest wird sich irgendwie ergeben. Doch mit dem Start war das plötzlich vorbei. Ich trabe locker los und schon nach wenigen Metern bin ich ganz hinten im Läuferfeld und muss Gas geben, um überhaupt dranzubleiben. Hoppla. Hier sind natürlich nur die richtigen Könner am Start, deren lockeres Lostraben offenbar etwas anderes ist als meins.
Aber ich möchte nicht gleich am Start abgehängt werden und der Allerletze sein, also gebe ich auch etwas Gas, bis zum ersten VP in Schlangenbad möchte ich wenigstens nicht ganz den Anschluss verlieren, danach wird's ja eh dunkel ... Die höhere Belastung als geplant geht eigentlich noch, aber im Kopf finde ich irgendwie keine Ruhe. Das hat mich irgendwie völlig durcheinander gebracht.
Vom Kopf her bin ich plötzlich insgeamt völlig daneben. Ich nehme mir nicht die Zeit, um Fotos zu machen, das ist ja heute ein ernsthafter Wettkampf. Es ist warm, bestimmt 30°C am Start noch, auch in die Nacht rein bleibt es lange noch warm. Ich muss trinken, viel trinken, jede Gelegenheit für zusätzliche Getänke nutzen. Am ersten VP große Ernüchterung, keine Cola. Mist. Zurück zur Pizzaria, an der wir gerade vorbeigelaufen waren und eine Cola gekauft. Auch später in Kiedrich die letzte Chance für einen Zukauf genutzt, obwohl in diesem Moment gar nicht nötig ...
Mir fehlt im Kopf die Ruhe. Einfach laufen und genießen, das will heute so gar nicht klappen. Stattdessen treibe ich mich an, ich muss jetzt unbedingt die kühleren Nachtstunden nutzen um voran zu kommen. Wo ist nur meine Lockerheit von vor dem Start plötzlich geblieben. Es macht doch nur Sinn im eigenen Tempo zu laufen, stattdessen hetze ich durch die Nacht.
Es läuft nicht rund und dann kommen auch noch Problem dazu, unerwartete, die mich vollends aus dem Tritt bringen. Bei Kilometer 20 treibt mich ein plötzlicher Durchfall in die Büsche. Das kenne ich gar nicht. Später will es mit dem Essen und Trinken nicht mehr richtig klappen. Mal leichte Übelkeit, mal stärkere. Hey, was soll das? Ich kann normalerweise alles in mich reinkippen, zumindest nach so ein paar Kilometerchen ist das normlerweise kein Problem. Und bei Kilometer 30 meldet sich plötzlich eine dicke Blase unter dem Ballen eines Fußes und am anderen Fuß scheuert es am Knöchel und am Rücken scheuert das untere Ende des Rucksacks ...
Das sind Problemchen, die hat man natürlich irgendwann bei einem ganz langen Lauf. Aber doch nicht in der Startphase! Ich versuche damit klar zu kommen, muss ich ja irgendwie, aber Laufspaß kommt die ganze Nacht nicht auf. Zumindest mit der Orientierung habe ich keine Probleme, ohne Navi, ohne Karte, alleine mit den Rheinsteigzeichen und meiner Ortskenntnis finde ich problemlos die Ideallinie. Da hat sich die Vorbereitung vor Ort dann doch ausgezahlt.
Und das Wetter ist uns gnädig. Es gibt die Warnung vor heftigen Gewittern. Von den Hängen im Rheingau hat man ja oft eine herrliche Weitsicht, doch eine sehr bedrohliche Wolkenansammlung auf der anderen Rheinseite möchte man da eher nicht sehen. Und ab und an zucken Blitze. Zum Glück weiter weg und zum Glück zieht das ganze knapp an uns vorbei.
Nach kurzer Nacht wird es irgendwann hell und irgendwann erreiche ich den nächsten VP am Niederwalddenkmal. Juhu. Guten Morgen. Sitzen. Und ich probiere aus, ob mein immer noch nervender Magen eine Kartoffelsuppe mag. Ja. Ein Lichtblick. Doch mich treibts schon bald weiter. Von den Höhen gibt es ein paar schöne Blicke rüber auf Bingen und die Nahemündung. Ein kleines deutsches Eck, ähnlich wie in Koblenz die Moselmündung. Ach Koblenz ist noch so weit und in meinem jetzt schon angeschlagenen Zustand noch viel weiter, als sonst schon. Und da ist dann ja erst die Hälfte vom Rheinsteig geschafft ...
Ich zucke zusammen, als ich mich bei diesen Gedanken erwische. Solche Gedanken sind Gift. Step by Step denken. Zu spät, irgendwie ist das jetzt im Kopf. Koblenz war so ein realistsch erreichbares Ziel für mich, nachdem ich in einem der letzten Trainingsläufe 90 km ganz locker und eher ungeplant über den Rheinsteig geflowtet bin. Das war so ein richtig schöner Tag, anstrengend ja, aber schön anstrengend und mich hatte da nur die Nacht und die Möglichkeit der Zugrückfahrt ausgebremst, sonst wäre ich gerne noch weiter.
Und heute? Kacke. Gut, zumindest geht's jetzt erstmal den Berg runter nach Assmanshausen. Auf dem Serpentinenweg komme ich wieder gut ins Laufen. Auf der anderen Seite wieder hoch. Oben in den Weinbergen gibt's einen schönen Pavillion zum Rasten mit Blick über den Ort, da mache ich erstmal eine Frühstückspause. Das Sitzen tut gut. Plötzlich merke ich die Müdigkeit.
Auf der Bank gegenüber liegt ein Laufkollege ausgestreckt und schläft. Er lag da schon, als ich gekommen bin. Mir fehlt die Ruhe dazu, ich muss weiter, wir sind doch schon ganz hinten dran. Die Sonne kommt raus und in den Weinbergen entwickelt die auch schon am Morgen ordentlich Kraft. Es gibt aber auch viele Waldstücke und im Laufe des Tages ist es meist bedeckt. Auch die Temperaturen sind nicht mehr so hoch, wie an den Vortagen, etwa 25°C. Das Wetter meint es gut mit uns.
Trotzdem beleibt die Stimmung alles andere als strahlend. Die Füße schmerzen, Essen und Trinken geht nur widerwillig, ich bin gefühlt megalangsam und laufe nur noch hinterher. Es will einfach keine Lauffreude aufkommen. Das ist nur ein Kampf ums weiterkommen, es fehlt der Spaß. Dabei ist die Gegend so phantastisch schön. Ich fange wieder an zu denken, an der Loreley hätte ich gut 100 km und die sollte ich doch bis nachmittags erreichen können, auch in einem ganz langsamen Tempo ... und von da bin ich mit dem Zug ruckzucks zu Hause ... Und ich denke, abgemacht! Und damit bin ich bereits nach 65 km ohne eine Spur von Gegenwehr aus dem Rennen. Der Lauf ist dann halt doch etwas für Profis.
Es geht runter nach Lorch, die nächste VP. Der Magen ist immer noch sensibel, aber auch hier mag er die Linsensuppe. Lecker, das gibt mir neue Kraft. Diesmal bleibe ich etwas länger sitzen und lasse mich verwöhnen von den super netten VP-Betreibern. Das tut gut und hebt die Stimmung. Die ist aber mit dem Aufbruch schnell wieder im Keller, die Füße schmerzen. Und der gefassste Entschluss, an der Loreley auszusteigen, macht das Weiterkommen auch nicht einfacher. Ich habe es jetzt nicht mehr eilig, aber ich muss ja trotzdem weiter und je langsamer ich unterwegs bin, desto länger wird der Weg von der Zeit her. Es zieht sich.
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Dann ein unerwarteter Lichblick. Als der Weg auf eine Straße mündet steht da jemand neben einem parkenden Auto und jubelt mir zu. Ich muss innerlich lachen, ich habe doch voll verkackt gerade, mir muss man doch nicht zujubeln. Und dann sehe ich, dass das eine liebe Freundin ist, die Lilly. Was macht die denn hier??? Ach wie schön! Den Lauf hatte ich im Vorfeld weitestmöglich verschwiegen. Soll man mich denn jetzt für komplett Größenwahnsinnig halten? Ihr hatte ich am Vortag dann doch den Link für's Live-Tracking geschickt, weil ist ja blöd im nachhinein zu sagen, ich habe da diesen Unsinn gemacht und du hättest mich da übrigens live verfolgen können.
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Und jetzt steht sie hier an der Stecke, mit einer eiskalten Flasche Cola in der Hand. Hach, ist das schön. Irgendwie will das gar nicht in meinen Kopf rein, die Denkfunktionen sind ja beim Laufen auf ein Minimum zurückgefahren. Sie begleitet mich ein Stück, bis Kaub. Das bringt wieder Leben in mich, Freude. Und sie macht ein paar Fotos. Wir laufen zusammen. Es fällt mir schwer ihr zu sagen, dass es richtig Kacke bei mir läuft, und zu beichten, dass ich mit dem Lauf bereits innerlich abgeschlossen habe und an der Loreley dann aussteigen werde.
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Das Stück bis Kaub war richtig schön, bis auf eine Kotzpause. Wir hatten uns längere Zeit nicht gesehen und so gab es einiges auszutauschen. Nach Kaub runter durch die Weinberge knallte wieder die Sonne und wir waren froh, uns in Kaun an einem Brunnen richtig abkühlen zu können. Arme ins Wasser tauchen, Kopf unter den Wasserstahl. Das tut gut. Sie begleitete mich noch auf der anderen Seite den Berg hinauf, dann trennen wir uns wieder und sie läuft zum Auto zurück. Danke.
Das "kurze" Reststück bis zur Loreley zog sich für mich dann noch elendig lange hin. Mein Körper hatte keine Lust auch nur einen Deut mehr als irgendnötig zu tun, im Sinne, wir haben's ja jetzt nicht mehr eilig. Das grenzte zeitweilig schon fast an Arbeitsverweigerung. Aber irgendwann erreichte ich dann doch die Loreley und kurz danach die Loreleyschule, wo in der Sporthalle ein großer VP mit Schlafmöglichkeit eingerichtet war und wo ich herzlich begrüßt wurde.
Ein paar Läufer schliefen in der Halle. Ich ging direkt in die Umkleide und unter die kühle Dusche. Geschafft. Nicht wirklich zufrieden mit mir, weil ich hatte schon mehr erwartet, aber auch nicht totunglücklich. Viel mehr war wirklich nicht drin gewesen an diesem Tag. Es lief halt von Anfang an nicht gut. Ich bin aber sehr dankbar, dass ich Teil dieses Laufes sein durfte. Der Wibolt hat einen ganz besonderen Spirit.
Dem Michael habe ich dann meinen Tracker in die Hand gedrückt und mich abgemeldet. Er sagte, er hätte das schon befürchtet. Er hat das ja über das Livetracking mitverfolgt. Danke Michael und dem ganzen Team drumherum und den Betreuern an den VPs. Ihr habt da einen ganz besodneren Lauf aufgebaut. Klasse.
Michael fragte mich, wie ich nach Hause komme. Mit dem Zug. Ok, dann gibt's ein Problem, ich müsse ja von hier oben irgendwie runter zum Bahnhof und er hätte gerade keinen, der mich fahren könne ... Ich weiß nicht, ob er das ernst meinte, ich war ja jetzt nicht am Ende meiner Kräfte. Ich musste doch nur weiter auf dem Rheinsteig den Berg runter, zwei Kilometerchen und ich war ja mit Minimalgepäck unterwegs ...
Ob ich nächstes Jahr wieder zum Wibolt komme, weiß ich nicht, das ist von der Aufgabe her nichts für Amateure und da reicht nicht nur mentale Stärke, da muss man auch läuferisch einige Qualitäten mitbringen. Mal schaun. Aber andererseits kann es ja nicht immer so komlett Kacke laufen, wie dieses mal, hoffe ich jedenfalls. Ich werde das am nächsten Wochenende direkt mal beim Kölnpfad austesten. Hilft ja nichts ... The Show must go on.
2022: erledigt: G1-Grüngürtel, Kölnpfad 100k, Burginsellauf Delmenhorst 24h Staffel(!), Mega Marsch Köln (63k) ... geplant: nix