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Ein schöner und windiger Vormittag an der Côte d'Azur: Marathon des Alpes Maritimes 2023

Ein schöner und windiger Vormittag an der Côte d'Azur: Marathon des Alpes Maritimes 2023

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Eigentlich war er schon für letztes Jahr geplant, doch damals hat mich eine Corona-Infektion aus der Vorbereitung (und meine Frau ins Krankenhaus) gebracht, und so ist es dann 2023 geworden: Nach meinem ersten Marathon in Frankreich letztes Jahr (Nantes) also in diesem Herbst der zweite, der "Marathon des Alpes Maritimes" von Nizza nach Cannes - dieses war die 15. Auflage.

Anmeldung:
Problemlos übers Internet. Das Startgeld von weniger als 70€ (und das nicht einmal als spezieller Frühbucher, ich hatte mich erst im Juni angemeldet) ist ziemlich günstig bzw. für deutschsprachige Verhältnisse ein echtes Schnäppchen. Im Startgeld inbegriffen ist nicht nur die Teilnahme samt Finisher-Funktionsleibchen, sondern es gab auch einen ansprechenden City-Rucksack als Geschenk und (nicht zu unterschätzen) man darf mit der Startnummer am Renntag alle Verkehrsmittel der Region benützen sooft man will.

Teilnehmer:
Ich habe nicht den kompletten Überblick, was alles an Rennen angeboten wurde, aber am Marathontag selbst gibt es nur die Volldistanz, dies allerdings zusammen mit Staffeln (2er und 4er). Über den vollen Marathon kamen diesmal etwas über 6.000 Finisher ins Ziel, damit ist die Veranstaltung vermutlich der zweitgrößte "richtige" Marathon Frankreichs nach Paris (der Marathon de Médoc dürfte noch etwas mehr Teilnehmer haben, hat aber auch eher Jahrmarktscharakter).
Was mich etwas überrascht hat war der hohe Anteil von französischen Teilnehmern; ich hätte mit mehr Lauftouristen gerechnet aber der Anteil der Franzosen dürfte 80% oder mehr betragen haben! in dieser Ergebnisliste sieht man das recht nett an den Landesflaggen:
https://timing4you.com/resultats/G-Live ... _2023.clax

Die Strecke:
https://www.marathon06.com/2023/dl/MAM2023-parcours.pdf
Start in Nizza auf der breiten Promenade des Anglais, Ziel in Cannes am Boulevard de la Croisette, und die Kilometer dazwischen eigentlich ständig an der Côte d'Azur entlang (darunter die Stadtmauern von Antibes) - touristisch gibt es da nicht das Geringste zu meckern, das ist mit Sicherheit einer der schönsten Marathons Europas! Die Strecke ist gerade am Anfang auch ordentlich breit und schnurgerade; die engsten Abschnitte kommen erst ab km25 wo sich das Feld schon durchsortiert haben sollte. An echten Steigungen ist die Strecke arm, gerade die Rampe auf die Stadtmauern von Antibes und dann der Anstieg übers Cap Antibes fallen tatsächlich ins Gewicht; an "echten" Höhenmetern sind es jedenfalls keine 100 (eher 50) würde ich sagen. Der Belag war praktisch durchgehend Asphalt oder Stein, dies allerdings an vielen Stellen durch die Meernähe mit Sand- und Schotterauflage. Das Kriterium (was die Laufzeit betrifft) ist wohl auch weniger das Profil als die Wetterbedingungen, aber dazu später mehr. Auf Rekorde ist die Strecke jedenfalls trotz der geringen Höhenmeter nicht getrimmt; unter anderem gab es z.B. zwei 180°-Kehren (ohne Kreisel) zu bewältigen.
Die Zuschauerunterstützung ist ok; das Gebiet ist ja mehr oder weniger durchgehend besiedelt und zusätzlich auch im November noch von einigen Toruisten bevölkert; ganz allein ist man also praktisch nirgends am Weg; nach hinten raus sind es tendenziell sogar mehr Zuschauer als am Anfang.

Organisation:

Bei uns würde man sich für ein Startgeld von unter 70,-- inklusive Leibchen und Rucksack wohl nicht viel erwarten; der Marathon des Alpes Maritimes glänzt aber mit einer Top Organisation! Das hat angefangen mit der übersichtlichen und super beschilderten Marathonmesse (Nummern können Freitag und Samstag abgeholt werden), zeigt sich auch am toll organisierten Startgelände mit vorbildlicher Zutrittsbeschriftung und Blockeinteilung (die auch nicht wie z.B. in Frankfurt oder Stockholm ein paar Minuten vor dem Start plötzlich entfernt wird); an den Pacemakern (je drei mit gut sichtbaren, stabilen Fahnen in den üblichen Intervallen ab 3:00) und an den Verpflegungsständen (mehr als vorgeschrieben), und endet in einem extrem großzügig bemessenen Finishergelände (eigentlich drei getrennte Finishergelände - je eines für Marathonis, 2er und 4er Staffeln).
Die Zeitnahme erfolgt wie meist heute über Wegwerfchips an der erfreulich minimalistischen Startnummer (ich hasse riesige Startnummern; diese war wohl die kleinste die ich je bei einem Städtemarathon getragen habe). Zwischenzeiten gab es bei km 10, 12 (Kontrollpunkt), 21.1, und 30 - das ist etwas weniger als bei vielen anderen aber ok denke ich.
Als Punkt-zu-Punkt-Lauf ist natürlich die Logistik wichtig; die Teilnehmer sind auf Shuttles oder Verkehrsmittel angewiesen und das dürfte alles super funktioniert haben. Shuttle hätte man bei der Anmeldung buchen müssen; ich habe aber darauf verzichtet und einfach in der Früh den Zug von Cannes (wo wir unsere Unterkunft hatten) nach Nizza genommen; das hat alles super funktioniert. Startzeit ist um 08:00 - das ist überraschend früh (ich habe in Cannes den Zug um 06:36 genommen, um in Nizza genug Zeit für alles zu haben); hat allerdings den Vorteil dass spätestens am frühen Nachmittag alle im Ziel sind und man so mit dem Tag noch was anfangen kann.

Mein eigener Lauf:
Ich wusste nicht so recht was ich mir erwarten sollte; wegen trauriger familiärer Umstände hat meine Vorbereitung seit sechs Wochen etwas gelitten - dies war bereits mein vierter Marathon 2023 (soviele in einem Jahr hatte ich zuletzt 2012) aber gleichzeitig in diesem Jahr der mit den wenigsten Vorbereitungs-km. Andererseits hatte ich vor wenigen Wochen den harten Simssee-Halbmarathon recht gut bewältigt und in der letzten Woche auch noch zwei gute Tempotrainings absolviert - als Zielzeit hatte ich mir also wieder wie in Stockholm etwas zwischen 3:00 und 3:05 vorgenommen.
Das Wetter war, nach einigen wechselhaften Tagen, für den Lauftag als windig aber sonnig angekündigt; ich machte mich also um 06:15 auf den Weg zum Bahnhof, ausgerüstet mit Singlet und Shorts und meinen Endorphin 2 pro (schon der dritte Marathon mit denen); dazu zwei Wasserflaschen in der Hand und ein Stirnband um den Hals (ein Tiroler geht im November nicht ohne Stirnband raus wenn "windig" am Speiseplan steht).
Dieses Foto hat die Elisabeth ca. 2h vor meiner Zielankunft aufgenommen, das Ziel lag vor dem Hotel Martinez im Hintergrund und man sieht ein bisschen wie die Wetterbedingungen an diesem Tag waren (der Wind ist dann sogar noch stärker geworden!) Der Zug war in Cannes noch sehr locker besetzt; alle der vielen zusteigenden Läufer bekamen noch Sitzplätze. Später war der Zug dann gut gefüllt aber es hätten schon noch ein paar Läufer mehr Platz gefunden! Unterwegs kam langsam die Sonne über den Horizont gekrochen; bei der Ankunft in Nizza (07:19) war es schon recht hell - ich folgte einfach der Läuferkarawane, zu Fuß die Avenue Jean Médecin runter an der Kathedrale vorbei zum Startgelände. Dort reihte ich mich in eine Toiletten-Warteschlange ein, wo ich langsam meine Flaschen leerte und gemütlich dehnte. Alle waren recht locker und gut aufgelegt, das einzig nervige war der Platzsprecher, der über eine sehr laute PA-Anlage stääändig sehr aufgeregt irgendwelche weltbewegenden Nichtigkeiten verkündete. Kurz vor 8 war ich dann mit meinem Geschäft fertig und trabte zu meinem 3:00-Startblock, der angenehm locker befüllt war - das ganze wäre sehr knapp geworden, wenn sich der Start nicht aus irgendwelchen Gründen etwas verzögert hätte; es war fast 5 nach 8 als dann der (erfreulich leise) Start-Pop ertönte und die Meute sich in Bewegung setzte.
km 0 - 10:
Ich war am Ende meines Blocks positioniert und ging so etwa 20 Sekunden hinter den 3:00-Pacemakern ins Rennen. Am Anfang war natürlich extrem viel los, man muss da immer sehr konzentriert laufen damit nichts passiert aber zum Glück ist die Straße dort wirklich extrem breit; es gab keinerlei lästige Situationen - man hatte allerdings trotzdem wenig Zeit, sich die hübsche Umgebung anzusehen. Offenbar hatten sich wie üblich doch einige Teilnehmer in den falschen Startblock verirrt (oder geschummelt) aber das war eine echte Minderheit; an sich sortierte sich das Feld sehr schnell gut durch und ich war bereits bei km 1 in einem guten Rhythmus. Für kurze Zeit konnte ich neben einem Grazer laufen, mit dem ich mich zwei oder drei Kilometer unterhalten konnte - wir hielten uns etwa 100m hinter den 3:00-Fahnen, wo es keinerlei Gedrängel gab. Die breite Straße führte hinter dem Flughafen vorbei und dann über den Fluss Var - ab hier ging ich dann ein schnelleres Tempo. Die drei Pacemaker hatten sich aufgeteilt, sodass nicht zu viele Läufer eine Traube bildeten, und ich schob mich langsam an diese Grüppchen heran. Das Wetter war hier eigentlich sehr angenehm, etwa 15°C (mein Stirnband hätte ich gut daheimlassen können ...) und zwar windig, aber davor war man in der Menge der Läufer recht gut geschützt. Linkerhand donnerten die Wellen des strahlendblauen Mittelmeers an die Küste, über uns der Himmel war wolkenlos und rechterhand leuchteten die Berge in der Vormittagssonne - das war wirklich ein Tag zum Genießen! Die 10km-Matte in Cros-de-Cagnes überquerte ich nach netto 41:59, Pace auf den ersten 10km also 4:12. Meine Position zu diesem Zeitpunkt: 205.
km 10-21,1:
Weiterhin ging's auf der breiten Straße westwärts, zwischen Meer und der Pferderennbahn entlang. Seit dem Flughafen war es wirklich sehr windig, daher hielt ich mich freiwillig nahe an der 3:00-Gruppe - die windgeschütztesten Plätze waren sehr begehrt aber es ging ohne Rempeleien ab. Knapp hinter der Rennbahn sah ich dann eine scharfe Kurve kommen; hier hatte man einen kurzen Abschneider in eine Seitenstraße eingebaut, samt 180°-Kehre. Warum diese Schleife hier nötig war weiß ich nicht genau; eventuell war es so dass wegen der Kanalbauarbeiten in Cannes das Zieltor woanders stand als ursprünglich geplant. Jedenfalls war dies hier das erste mal, dass die Strecke schmal wurde - von vierspuriger Hauptstraße auf zweispurige Nebenstraße, die aber wegen der Kehre beidseitig belaufen werden musste - auf gut deutsch ging es beim Abbiegen von vier auf eine Spur zusammen. Aus diesem Grund legte ich einen Zwischensprint ein und setzte mich knapp vor dem Abzweiger vor die 3:00-Läufer; so konnte ich die Schleife gut in meinem eigenen Rhythmus weiterlaufen. Die Kehre war tatsächlich einfach ein Hütchen mit Gitter davor; irgendwo auf dieser Schleife war anscheinend auch eine Kontrollmatte von der ich gar nichts mitbekam. Positiv an diesem Abstecher war, dass man hier recht windgeschützt war!
Als nächstes ging's wieder zurück auf die Hauptstraße, vor uns die gigantischen dreieckigen Gebäudetürme der Marina Baie des Anges. Über Geschmack lässt sich natürlich immer streiten; offenbar haben die Streckenplaner diesen markanten Gebäudekomplex jedenfalls als wertvoll genug empfunden, um ihn in die Streckenplanung zu integrieren - bald kam die nächste 180°-Kehre, und dann ging es tatsächlich um und durch diese riesigen Appartement-Anlagen und am zugehörigen Hafenbecken vorbei! Auch hier war man einigermaßen windgeschützt und so blieb ich gleich vor den 3:00-Pacemakern, das machte auch die Becheraufnahme an den Verpflegungsstationen leichter. Schließlich waren wir auch durch diese Schleifen durch und jetzt ging es wieder geradlinig auf breiten Straßen die Küste entlang richtung Antibes. Ich überlegte mir, ob ich mich wieder hinter die 3:00-Läufer zurückfallen lassen sollte, aber es hatte sich vor denen ein Grüppchen von zwischen fünf und zehm Läufern gesammelt, hinter denen ich ebenfalls einen brauchbaren Windschutz hatte - so blieb ich einstweilen davor. Die Kilometer schnurrten vorbei, und bald schon kam das Fort Carré in Sicht. Knapp davor die Halbmarathon-Matte, ich passierte die Marke nach netto 1:27:47 - das bedeutet eine Pace von unter 4:08 auf dem Abschnitt seit km 10, teuflisch schnell für meine momentanen Verhältnisse. Dennoch war ich vom 205. auf den 231. Platz zurückgefallen; es waren auch deutlich mehr als 200 Läufer vor mir unterwegs wie man in den Gegenverkehrsbereichen gut sehen konnte - der Anteil der Staffelläufer dürfte also hoch gewesen sein.
km 21,1 - 30:
Vorbei am Fort - jetzt auf einer etwas kleineren Straße, wo man auch aufpassen musste; der Wind hatte ordentlich Sand auf die Fahrbahn geweht so dass es nicht überall angenehm zu laufen war. Vor uns türmten sich bereits die Stadtmauern von Antibes auf, und dann ging es auch schon über eine recht steile Rampe rauf und auf der Mauerkrone rund um die Altstadt. Hier überholte mich der vorderste der 3:00-Läufer wieder (bergauf lasse ich immer ein wenig Tempo raus) und ich hatte so leider wenig Gelegenheit, mich den
Reizen des Städtchens hinzugeben - die Stadtmauern sind ein superschöner Ort, aber allzuviel Platz zum Laufen ist dort nicht, und es waren gleichzeitig auch noch Touristen dort unterwegs - hier war als Läufer volle Konzentration gefragt. Zusätzlich ist es dort auch recht kurvig und es stehen viele Hindernisse (Blumentöpfe etc) herum - alle gut gekennzeichnet, aber dennoch war eben Vorsicht geboten.
Ca. bei km 25 war dann der Altstadtbereich bewältigt und jetzt ging es über die Boulevards de la Garoupe und J.F.Kennedy quer über einen sanften Hügel auf die Westseite des Cap d'Antibes. Ich war hier wieder vor den 3:00-Läufern unterwegs, hörte die Gruppe aber immer knapp hinter mir trappeln. Etwa bei km29 ging es durch eine breite Kehre runter zum Strand und nach Norden, jetzt waren wir wieder am Meer - und ab hier voll im stürmischen Wind. In diesem Abschnitt kam er genau von der See und so schlugen immer wieder Brecher über die Ufermauer; die linke Seite der Fahrbahn war mit Sand, Schotter und Wasser verlegt, wir hielten uns alle rechts. Die Matte bei km30 passierte ich nach 2:06:54; Pace seit der HM-Marke somit 4:17. Damit war ich zwar etwas langsamer geworden, hatte aber Ränge gut gemacht denn ich war jetzt auf Platz 194.
km 30-42,2:
Ab hier hatte das Rennen plötzlich Abenteuercharakter. Bisher hatte ich Kontakt mit den Elementen vermieden aber nun wurde es ungemütlich, der Wind war sehr böig und ich empfing auch eine Meerwasserdusche (an sich nicht unangenehm, es war mittlerweile recht war, an die 20°C, und immer noch strahlende Sonne). Knapp nach der Matte überholten mich der Reihe nach die drei 3:00-Pacemaker, tapfer und tief gebückt mit ihren Fahnen gegen den Wind haltend. Ich hielt mich möglichst in deren Windschatten; leider kam der Wind hier so seitlich dass das schwer möglich war, weil ja gleichzeitig die "gute" Laufspur oft nur Platz für einen Läufer bot (von rechts wuchsen kratzige Meerfenchel-Stauden in die Fahrbahn herein). Man kennt das von Radrennen - Seitenwind ist für die Zuschauer spannend aber für die Sportler sehr lästig. Immerhin konnte ich mich noch gut in der Gruppe halten, aber irgendwo beim Strand von Juan-les-Pins war dann Ende bei mir - hier (ca. bei km 34) stand tatsächlich auf ca. 30m Länge die ganze Fahrbahn unter Wasser, und zwar knöcheltief. Hätte ich nicht so krampfhaft den Windschatten gesucht wäre mir das vielleicht aufgefallen und ich hätte, Reglement hin oder her, einfach die Laufstrecke verlassen und wäre auf den zwar sandigen aber höherliegenden Gehweg ausgewichen, aber so tappten wir alle (die Gruppe war noch ca. 20 Mann stark zu dem Zeitpunkt) voll in die Falle. Allgemeines Gefluche und Gestolpere (auch mich hätte es fast hingestreckt) waren die Folge, aber letztlich kann man sich das Wetter ja nicht aussuchen; es war einfach so dass bei mir zu dem Zeitpunkt der Ofen aus war und ich beschloss, mit meinen nassen Schlapfen nur noch kontrolliert ins Ziel zu kommen. Das hieß, ich ließ die Pacemaker langsam davonziehen und konzentrierte mich auf saubere Atmung und Lauftechnik und nahm mir dafür ein wenig mehr Zeit, die immer noch atemberaubend schöne Umgebung zu bewundern.
Ca. bei km 39 (einige km-Tafeln hatte ich übersehen weil man oft wegen Windböen die Augen schließen musste) erreichten wir dann die Croisette-Halbinsel, wo wir am Vortag bereits herumspaziert waren - auf deren Ostseite war es plötzlich fast windstill, dafür machte sich hier die Wärme deutlich bemerkbar. Dankenswerterweise waren hier sehr viele Zuschauer, das hält einen am Laufen - und es war auch ein gutes Gefühl, immer wieder Kollegen zu überholen, ich machte Platz um Platz gut trotz des bescheidenen Tempos: Ich war also bei weitem nicht der einzige, dem die Wetterumstände zu schaffen machten! Dann, zwischen km 40 und 41, die Rechtskurve rüber zur Westseite der Halbinsel, und hier war dann das übelste Stück Strecke überhaupt - laut Karte ist diese Verbindungsstraße ("Place Franklin Roosevelt") nicht einmal 150m lang, aber mit dem Sturm der uns da genau zwischen den Gebäuden kanalisiert entgegenblies kam es einem mindestens doppelt so lang vor. Zwei Kollegen vor mir blieben auch wirklich einfach stehen und bewältigten das Stück gehend ... ich kämpfte mich mutig gegen den Wind gelehnt weiter vor zur Kurve und genoss dann den nächsten Kilometer, auf dem der Wind wieder eher von der Seite kam. Bei km 41,2 ein großes Tor mit der Aufschrifft "dernier kilometre" und bald danach winkte mir vom rechten Straßenrand meine Elisabeth zu. Die letzten 500m waren wieder sehr zäh, der Wind frontal von vorne wenn auch zum Glück nicht so extrem wie zuvor, weil da bereits die Palmenreihen etwas abschirmten. Ich dachte mit beim Durchlaufen (kein Scherz): "Wenn's da jetzt eine Palme umreißt und mich erschlägt, das gibt Schlagzeilen, so ein blöder Tod ..."
Hier ein leider recht unscharfes Foto, das die Elisabeth mit dem Handy geknipst hat in diesem Abschnitt, man kriegt aber glaube ich ein bisschen mit wie das dort war: An sich ist der Boulevard de la Croisette eine "Zielgerade", aber die Bucht weist doch eine leichte Biegung auf, und so kam das Zieltor vor dem prächtigen Hotel Martinez erst ca. 200m vor dem Ende in Sicht; ich trappelte fröhlich und zufrieden über die teppichbespannte Rampe, mit einer Zeit von netto 3:03:56, Pace seit km 30 somit "armselige" 4:45 aber ehrlich gesagt war ich super zufrieden. Und ich hatte auch, trotz pace-Einbruch, noch satt Plätze gutgemacht, vom 194. Platz bei km 30 auf Rang 149 von 6.066 Finishern im Ziel, in meiner M55-Altersklasse bin ich 4. von 433 Finishern geworden, also wie in Stockholm im vordersten Prozent gelandet - ein gutes Gefühl!
Nach dem Ziel ging es einmal ca. 100m weiter bis zur Medaillenüberreichung (die größte meiner bisherigen Karriere, Durchmesser exakt 10cm), dann, weitere 500m weiter, kam ich an den Zielbereichen für die Staffelläufer vorbei, und noch ein paar 100m weiter, fast schon beim Festspielhaus, lag dann das Zielgelände der Marathonis. (Ich vermute, dass das alles im Normalfall nicht so langgestreckt organisiert ist; leider ist praktisch der gesamte Boulevard wegen Kanalsanierungsarbeiten momentan eine einzige lange Baustelle, daher vermutlich diese Aufsplittung). Dort durfte ich mir ein Finisher-Shirt aussuchen (finde ich cool, man durfte tatsächlich schauen wie einem die Dinger passen - S oder M sind ja nicht immer gleich S oder M), eine Band spielte und es gab wirklich gute und abwechslungsreiche Zielverpflegung. Ich hielt mich dort allerdings nicht sehr lange auf sondern traf mich mit Frau und Hund am ausgemachten Treffpunkt und ging zurück ins nahe Hotel, um erst einmal gemütlich die Beine hochzulagern (es war ja erst halb zwölf, wir wollten am Nachmittag dann noch ein wenig die Stadt unsicher machen).
Das war dann übrigens gar nicht so leicht; als wir gegen 14:00 was zu essen suchten waren vor allen auch nur irgendwie akzeptabel aussehenden Lokalen der Innenstadt nicht nur alle Plätze belegt, sondern es standen auch überall bereits Leute Schlange ... wir haben uns daraufhin im Supermarkt was gekauft und die Stadtrunde auf 18:00 vertagt, da gab es dann wieder freie Plätze. Der Marathon ist für Cannes offenbar ein echter Wirtschaftsfaktor; ansonsten ist ja dort um diese Jahreszeit definitiv Nachsaison.

Fazit:
Ein echt toller Marathon, super organisiert und vor traumhafter Kulisse, und das zu einem Schnäppchenpreis - meine vollste Empfehlung für den "Marathon des Alpes Maritimes"! Noch dazu ist die Tourismussaison an der Cote d'Azur zu diesem Zeitpunkt tatsächlich beendet, und das bedeutet, dass sich eine Teilnahme auch perfekt mit einem kürzeren (oder längeren) Urlaub dort verbinden lässt, ohne das man von Touristenhorden überrollt wird.
Persönliche Bilanz:
Mein vierter und letzter Marathon 2023 - nicht der schnellste aber mit einer vernünftigen Zielzeit im Rahmen meiner Erwartungen. Wenn man sich den Split anschaut - 1:27:47 zu 1:36:09 - dann würde mir normalerweise das Grausen kommen angesichts schlechter Renneinteilung; ich hatte allerdings ein durchaus gutes Gefühl bei der Zielankunft und war eigentlich sehr zufrieden! Das liegt wohl einerseits an den schwierigen Bedingungen auf den letzten Kilometern (samt der Tatsache, dass ich dort dennoch 45 Plätze gut machen konnte), andererseits aber auch am super Gefühl, überhaupt einmal wieder richtig schnell (für meine Verhältnisse) unterwegs gewesen zu sein. Einen Halbmarathon unter 1:28 bin ich schon lange nicht mehr gelaufen; dito ist eine 30km-Zeit unter 2:07 nichts was ich sonst so aus dem Ärmel schütteln kann. Tatsächlich musste ich in meiner Liste bis Florenz 2015 für eine schnellere 30er Durchgangszeit zurückblättern; so gesehen bin ich eigentlich überglücklich zu sehen, dass ich auch das Tempolaufen während Corona nicht ganz verlernt habe!
Auch orthopädisch gab es die ganze Saison über eigentlich keine Probleme, damit lässt sich gut planen für ein hoffentlich ebenfalls wieder marathonreiches Jahr 2024! Nachdem aufgrund der familiären Umstände lange nicht festgestanden hatte ob wir überhaupt fahren konnten, kann ich somit auf jeden Fall sagen: Die Côte d'Azur war die Reise wert!

Re: Ein schöner und windiger Vormittag an der Côte d'Azur: Marathon des Alpes Maritimes 2023

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U_d_o hat geschrieben: 09.11.2023, 10:44 Hallo Georg,

danke für den Bericht und Glückwunsch zu deiner tollen Leistung, trotz etwas widriger Umstände.

Danke auch für den Hinweis auf einen Marathon, den ich mir für mich im Rahmen eines Urlaubs gut vorstellen kann. Wusste gar nicht, dass es zwischen Nizza und Cannes einen gibt.

Alles Gute für dich.

Gruß Udo
Danke und ja, den Lauf kann ich wirklich wärmstens empfehlen! Ich weiß natürlich nicht ob man in jedem Jahr so ein Wetterglück hat wie wir diesmal mit dem strahlend blauen Himmel (am Vortag hat es nachmittags leicht geregnet) aber das Risiko hat man ja überall.
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