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von Edd Laddix
Bericht zum Mainzer Gutenberg Marathon (HM)
Sub1:28… Mit meinem bis dahin stärksten WK, dem HM in FFM, 10 Wochen zuvor, hatte ich mir bereits eine ordentliche PB für die halbe Distanz gesetzt. 1:28:18 hieß es am Ende eines Rennens, das ich - eher unbeabsichtigt - noch nicht einmal voll am Anschlag gelaufen bin. Da ich mein damaliges Ziel, die sub1:30, aber deutlich erreichte, kam kein Ärger darüber auf, dass die knapp 20s zur sub1:28 wohl auch noch im Rahmen des Machbaren gewesen wären.
Was soll’s, dachte ich mir damals, der nächste HM kommt in 10 Wochen. Das sind 10 Wochen Zeit für eine ganze Menge weiter ausgedehnter und noch schnellerer Tempoläufe usw.; viel Gelegenheit also, mein Leistungsniveau noch weiter anzuheben, womit die sub1:28 bei nicht ganz katastrophalen Bedingungen quasi zum Selbstläufer werden dürfte.
Und so wurde und blieb diese sub1:28 das, was ich in Mainz laufen wollte. Die letzte QTE und Peakeinheit lief sich 10 Tage vor dem WK über 16km mit 12km @ 4:08 (HMRT) ziemlich gut. Meine Formkurve schien sich nach dem Auf-und-ab der vergangenen Wochen, gerade wieder in der Nähe eines der oberen Scheitelpunkte zu befinden, weshalb es keinen Grund gab, meine Zielsetzung zu revidieren.
Klar, vor 10 Wochen, am 13. März, hatten wir morgens bei Startschuss noch 5°C. Mitte/Ende Mai stellt sich das dann schon etwas anders dar. Aber das werde ich schon mit einem seither verbesserten Trainingsstand wettmachen können. Die Wetterprognosen für diesen 22. Mai änderten sich in der Woche zuvor fast halbtäglich. Selbst, als es einen Tag vor dem Rennen, beim Besuch der Marathonmesse, schon knackige Temperaturen und viel Sonne gab und der Veranstalter mal wieder dazu aufrief, besser keine Bestleistungen anzustreben, hoffte ich noch auf Sauwetter zum Rennen.
Dass diese Hoffnung bitter enttäuscht wird, erfahre ich spätestens, als es am Wettkamptag Zeit wird aufzustehen. Nach - mal wieder - einer Nacht ohne Schlaf. Die Nächte zuvor waren so „geht so“, es gab eigentlich nicht viel Grund gar nicht schlafen zu können, aber was soll’s. 2 von 3 bisher gelaufenen HMs fanden statt, ohne, dass ich in der Nacht zuvor ein Auge zu bekommen hatte. Lediglich in FFM war ich ausgeschlafen und der Unterschied war schon deutlich spürbar. Aber laufen kann man einen HM eben auch ohne geschlafen zu haben, die körperliche Performance beeinträchtigt das eigentlich nicht so sehr, es ist eher der Spaß, der aufgrund fehlender mentaler Entspanntheit ein wenig auf der Strecke bleibt.
Nach dem üblichen Frühstück mach ich mich relativ früh auf zur Rheingoldhalle, wo sich Start- und Zielbereich befinden. Immernoch bin ich hundemüde, weshalb ich mir ein Taxi gönne, von dem ich mich so nah wie nur möglich zum Veranstaltungsort bringen lasse. Die restlichen 1,2km spaziere ich dann an diesem wettertechnisch herrlichen Frühjahrsmorgen begleitet von einer Reihe anderer Wettkämpfer durch die Mainzer Innenstadt.
Ich hatte ja bereits in den Wochen zuvor angedeutet, dass dieser letzte WK meiner Frühjahrssaison in fast jede Richtung gehen kann. Von sub1:28 bis Genussläufchen zum Saisonausklang, hielt ich, je nach (Tages-)Form und sonstigen Umständen, alles für möglich. Definitiv wollte ich aber die sub1:28 vom Start weg erstmal angehen. Ein Zurückschrauben der Ambitionen wird also nur während des Rennens geschehen, egal, wie die Aussichten auf Erfolg vor dem Startschuss sind - von Verletzungen und Krankheiten selbstverständlich abgesehen. Und deshalb konnte mir weder die bis hierhin nicht nachlassende Müdigkeit, noch die Gewissheit, dass dies ein WK unter sommerlichen Bedingungen werden würde, diese Marschrichtung aus dem Kopf schlagen.
Das Einlaufen ist ein ziemlicher Krampf. Es kommt einfach kein Schwung auf, Beine fühlen sich labbelig an und es ist einfach bereits jetzt, 9 Uhr, richtig warm, wenn man vom Schatten in die Sonne tritt. Noch ein paar Strides, die sich bescheiden dynamisch anfühlen und dann rücken 9:30 und somit der Start des Rennens immer näher. Ich gehe in meinen Startblock und hoffe auf den Kick des Adrenalins…
„Auf dann, morgen geht’s für 2 Wochen in Urlaub, dies hier ist dein letztes Rennen bis zum September, du hast gut trainiert, hast deine Saisonziele bereits erreicht, kannst jetzt sogar noch einen draufsetzen, das Wetter ist schön, denk dran: 4:08 ist deine Zielpace!“ Und die 4:08 versuche ich auf dem anfänglichen Slalomparkour zumindest näherungsweise anzuschlagen. Nach etwa 600m habe ich dann genügend Platz vor mir, um halbwegs die Ideallinie zu treffen und überprüfe - nach eher dünn ausgefallenem Adrenalinkick - die Pace auf gefühlten „Jogging-Aufwand“. Joa, es fühlt sich zwar leicht an, aber von Angriffslust ist halt mal gar nix zu merken. Die Beine machen gerade das, was sie sollen, aber Spannung ist da nicht viel drin. Mal sehen, wie lange das gut geht.
Der 1. km läuft in 4:13, der 2. dann in 4:02, der 3. in 4:07 und der 4. km in 4:06. Fühlt sich soweit gar nicht mal komplett verkehrt an. Kurz nach dem ersten VP merke ich aber ziemlich plötzlich einen schubartigen Einbruch, der sich zunächst körperlich und ganz kurz darauf auch auf psychischer Ebene bemerkbar macht. Kein gutes Zeichen! Ich versuche sofort, die Hoffnung aufrecht zu erhalten, dass diese schlagartig einsetzende Erschöpfung womöglich temporärer Natur ist und sich genauso gut in Kürze wieder in Luft auflösen könnte.
Km 5 wird mit 4:14 schon deutlich langsamer und km 6 ist ebenfalls bei 4:14. An meinem Befinden ändert sich nichts Grundlegendes zum Positiven und jetzt merke ich, dass 4:08 völlig unrealistisch zu halten sind. Der 7. km geht in 4:28 dahin und gerade habe ich meine Zielsetzung von sub1:28 und PB auf sub1:30 herabgestuft.
Zu diesem Zeitpunkt habe ich keine Lust mehr auf diesen HM. Nicht, weil ich mein Ziel nicht erreichen werde, sondern weil es sich bereits jetzt, nach einem Drittel der Distanz, sehr unangenehm hart anfühlt. Die km 8-10 sind dann 4:23, 4:32 und 4:40. Ich werde immer langsamer und zwar ausschließlich aus dem Grund, dass ich nicht schneller kann. Ich fühle mich schwer wie ein Sack, bekomme die Füße kaum anständig vom Boden und überlege, wie das hier und heute weitergehen soll.
Die sub1:30 kann ich mir natürlich auch abschminken! Nächstes Ziel: Die Zeit aus dem Vorjahr, von meinem HM-Debüt, die 1:35:26, unterbieten. Also, wenn die nicht drin ist,… Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, mir aber hätte klar sein müssen: Ich werde selbst die dafür notwendige Ø Pace von 4:30 nicht laufen können.
Denn die Splits rauschen weiter in den Keller. Und zwar ohne, dass ich dafür nachlassen muss. Ich werde einfach mit jedem gelaufenen km gefühlt ein kg schwerer. Km 11 ist bei 4:43, km 12 bei 4:59 und an dieser Stelle frage ich mich, ob ich diesen Lauf wirklich finishen möchte - nach jämmerlichen 12km eines HMs, ohne verletzt zu sein oder Schmerzen zu haben. Ich entschied mich dafür und außerdem dafür, jetzt nur noch das Nötigste an Effort reinzulegen. Ankommen heißt es jetzt!
Die km 13-15 laufen in 4:55, 4:43, 4:55 und es geht hinaus auf das elendig lange, schnurgerade und schattenfreie Teilstück nach Weisenau, an dessen Ende ein Wendepunkt die Tortur in die entgegengesetzte Richtung leitet.
Als ich mir bei km 12 vorgenommen hatte, nur noch mit minimalem Aufwand das Ding nach Hause zu laufen, dachte ich absolut nicht daran, dass das, was noch kommt, genauso weh tun könnte, wie das bis hier hin Geschehene. Ich glaubte, ich könnte jetzt hintenraus lockerer werden, das Wetterchen und die Leute am Straßenrand, die ganze Atmosphäre eines solchen Events, aufsaugen und genießen, während ich easy über die Strecke cruise.
Ganz so war es dann nicht. An den VPs, die ich diesmal übrigens alle(!) - es müssen so um die 8-10 sein - mitnehme, gehe ich ab sofort in’s Gehen über. Ja, tatsächlich! Ich mag das eigentlich überhaupt nicht, selbst nicht im Training und mache es auch nie. Nur ein einziges Mal war das auch bei einem Trainings-LDL notwendig. Hier und jetzt ist es mir völlig Latte. Ich habe Durst ohne Ende und kann im Laufschritt einfach nicht anständig trinken, ohne das Meiste zu verschütten und mich zu verschlucken. Damit sind eigentlich alle Dämme gebrochen. Wenn ich schon beim HM Gehpausen einlege, geht es tatsächlich nur noch darum, zu finishen.
Die km 16-20: 5:35, 5:13, 5:44, 5:19, 5:39. Diese 5km bin ich tatsächlich @ 5:30 gegurkt und ganz ehrlich: Trotz der Gehpausen wäre es kaum einen Schritt schneller gegangen. Ich wog mittlerweile eine Tonne.
Was dann noch drin ist, wenn ich mich richtig, richtig zusammenreiße, sind die restlichen 1,1km @ 5:09, mit denen ich einen Haken an diese Spaß machen konnte, nach insgesamt
21,1km in 1:40:19 (@ 4:45)
km 1 - 5
4:13 / 4:02 / 4:07 / 4:06 / 4:14 (@ 4:08)
km 6 - 10
4:14 / 4:28 / 4:23 / 4:32 / 4:40 (@ 4:27)
km 11 - 15
4:43 / 4:59 / 4:55 / 4:43 / 4:55 (@ 4:51)
km 16 - 20
5:35 / 5:13 / 5:44 / 5:19 / 5:39 (@ 5:30)
km 21 - 21,1
5:34 (@ 5:09)
Was für’n WK! Mir fehlt heute, 3 Wochen später, noch die Muse, nach Erklärungen zu suchen. Klar: Wetter, kein Schlaf und schlechte Tagesform sind Gründe. Ob das reicht, um mir solch ein hartes Rennen zu bescheren, weiß ich nicht. Weitere Überlegungen sind mir (aktuell zumindest) echt zu mühsam und letztlich vielleicht auch gar nicht zielführend.
Ich weiß gar nicht, wie oft ich über die komplette Distanz überholt wurde, aber 300mal dürfte nicht zu tief gegriffen sein. Wenn man sich die 5k-Splits anschaut sieht man schön, wie ich anfangs noch genau auf Kurs war, dann aber brutal durchgereicht wurde und wie gesagt: Ich habe mich von Anfang bis zum Ende nicht geschont und damit war es zu jedem Zeitpunkt so ziemlich das Maximum dessen, was ging. Schön war das nicht, hat mich aber definitiv um eine Erfahrung bereichert.