Für alle die ungeduldig und mit abgekauten Fingernägeln vor dem Bildschirm auf einen Reisebericht warten, möchte ich eine kleine Geschichte aus dem Roman „Der Kleine Kobolt“ von J.R.R. Tollkühn zum Besten geben:
Vor gar nicht all zu langer Zeit begab es sich in dem verschlafenen Örtchen Rengsdorf, am Rande des Westerwaldes, dass sich zehn wackere Frauen und Männer trafen. Sie waren dem Ruf dreier in ihren Kreisen wohl bekannten Fürsten des Trails gefolgt. Es galt eines der letzten Abenteuer der heutigen Zeit zu bestehen. Diese zehn teilweise recht unterschiedlichen Gestalten wollten sich auf den Weg machen, auf den Pfaden des Rheinsteigs, zu Fuß in der fernen Stadt Bonn die Festung der Kobolte zu erreichen. Diese Reise sollte einzig und alleine dem Zweck dienen, in diesen elitären Zirkel aufgenommen zu werden. Sozusagen eine Bewährungsprobe. Dabei sollten sie immer einem magischen Zeichen, einem Symbol folgen. Einem stilisierten weißen „R“ auf blauem Grund. Auf dem weiten Weg dorthin gab es verschiedene Orte zu finden und photografisch fest zu halten. Mythische und sagenumwobene Ort mit geheimnisvollen Namen. Zum Beispiel das tief im Walde des Siebengebirges versteckte „Auge Gottes“ oder das auf dem Gipfel eines hohen Berges thronende Foveauxhäuschen. Aber auch andere magische Stellen gab es zu passieren. Stellen, mit so klangvollen Namen wie „Milchhäusle“, „Löwenburger Hof“ oder den bedrohlichen „Drachenfels“. Aber auch unberechenbare wilde Tiere sollten der kleinen Truppe auflauern. Gehöfte mit blutrünstigen und zähnefletschenden Hunden oder wild gewordene Rehe.
Mit nichts weiter bewaffnet als Stirnlampe, Schatzkarte, Proviantbeutel und Wanderstöcken setzte sich der Trupp der Unerschrockenen um die vierzehnte Stunde des 1. Advents im Jahre des Herrn zweitausendundelf in Bewegung. Zunächst noch frohen Mutes und in der Gewissheit, als Zehnerteam, könne ihnen niemand etwas anhaben, strebten sie dem Altvater Rhein entgegen. Auf seltsame und mysteriöse Art und Weise dezimierte sich die Gruppe aber sehr schnell. Zwei aus dem fernen Zarenreich angereiste Helden, verließ wohl schon kurz an dem Aufbruch der Mut. Sie rannten, als ob es um ihr Leben ging, davon. Gelegentlich, bei Stützpunkten die die Gruppe anlief, wurde von einem fremdsprachigen Mann und einer Frau berichtet, die schon vor Stunden vorbei geeilt waren. Auch am hinteren Ende des Tross dünnte es sich rasch aus. Ob von wilden Tieren dahin gerafft oder vor Erschöpfung einfach ausgestiegen, blieb zunächst ungewiss. So ergab es sich, dass sich die Gemeinschaft auf vier Männer und eine Frau verkleinerte. Nach dem zweiten beschwerlichen und steilen Aufstieg, durch technisch teilweise sehr anspruchsvolles Gelände, zur Edmundhütte, blieben einer der Männer sowie die mutige Frau zurück. Es kristallisierte sich ein Dreierteam heraus, das Mut und Willens war, die beschwerliche Reise auch alleine durch zu stehen. Getreu dem Motto der Musketiere „Einer für alle, alle für einen“ versicherten Sie einander, sich für die verbleibende Strecke die Treue zu halten.
Immer dem mythischen „R“ folgend bahnten Sie sich ihren Weg, bergab und bergauf, durch verschlafene Ortschaften und dunkle Wälder. Die ersten 23 Kilometer legten sie in rascher Folge zurück, doch dann setzte unaufhaltsam die Abenddämmerung ein. Mit verstärkender Dunkelheit wurden sie langsamer. Nicht aus Furcht oder aufgrund der zunehmenden Kälte. Nein, sie waren bemüht, nicht vom rechten Weg ab zu kommen um keine kostbare Zeit zu verlieren. Zielgerichtet und unbeirrt bahnten Sie sich ihren Weg entlang schmaler Pfade auf den Terrassen des Rheins oder durch das Dickicht der Wälder des Unteren Mittelrheintals. Immer in der Sorge, halbseidenes Gesinde könnte die Wegmarkierungen entfernt haben um unsere Helden in die Irre zu führen. Doch sechs Augen sahen mehr als zwei und drei Stirnlampen leuchteten heller als eine. Doch trotz aller Sorgfalt verpassten sie zweimal die versteckt angebrachten Wegmarken. Doch schon sehr schnell und mit heroischer Ruhe orientierten sie sich neu und fanden wieder auf den Weg der kobolte zurück. Der Schleier der Nacht hatte sich nun vollkommen über sie gelegt. Auf abenteuerlichen Wegen über Weiden mit angsteinflösenden gehörnten Tieren kamen sie immer weiter voran. Nach über vier Stunden trafen sie auf einen vorgeschobenen Posten der ihnen Verpflegung und Getränke anbot. Die Sitzgelegenheiten des einfachen Unterstandes waren mit Lammfellen ausgelegt und geheizt. Unsere Freunde stärkten sich bei Nudelsuppe und Malzbier, füllten ihre Proviantbeutel auf und machten sich flugs wieder auf, hinaus in die dunkle Nacht.
Nach acht weiteren anstrengenden und beschwerlichen Anstiegen, bei km 51 ihrer Reise, erreichten Sie ein hoch gelegenes Plateau mit einem mächtigen Zeichen des christlichen Glaubens. Dieses Kreuz war einer der Punkte die es festzuhalten galt, als Beweis, dass sie die Strapazen auch wirklich auf sich genommen hatten. Was nun folgte, war ein erneuter Ab- und Aufstieg auf einen weiteren Gipfel. Dieser trug den klangvollen Namen Erpeler Ley. Hier hatten die Herren des Laufs eine riesige Bastion errichtet, in der der sich unsere wackeren Recken erneut stärken, ruhen und neu einkleiden konnten. Hier verweilten Sie, ob des Überflusses an Speis und Trank sehr lange und der Abschied in die dunkle Wildnis fiel ausgesprochen schwer. Noch ein kurzer atemberaubender Blick über die Klippen hinab zum Rhein und schon verschwanden die drei Mutigen auch wieder im Wald. Bei km 63 setzten sie zu einem über zwei Kilometer langen Anstieg durch den menschenfeindlichen Wald an. Es galt das sagenumwobene Auge Gotte zu finden. Auf guten, aber mit einer dicken Laubschicht bedeckten Wegen liefen sie stetig, schweigend und hoch konzentriert weiter in die Nacht hinein. In der Zwischenzeit hatte es zur Geisterstunde geschlagen und aus dem umliegenden Unterholz und Dickicht konnten sie raschelndes Laub, knackende Äste und fremde Tierstimmen vernehmen. Die Nacht war mondlos und das dichte Blätterdach über ihnen schluckte auch das letzte Licht der funkelnden Sterne. Plötzlich wie aus dem Nichts, stand die kleine Kapelle vor Ihnen. Nach einer kurzen Rast folgten die drei Unerschrockenen, dem Pfad weiter durch die Nacht. Warum dieser Rheinsteig genannte wird, war ihnen in der Zwischenzeit durchaus klar. Es gab kaum flache Passagen zu Laufen. Ständig wechselten sich Bergab- mit Bergaufpassagen ab. Mal steil und schmal, mal weniger steil und breit. Aber immer ein Wechsel von auf und ab. Oftmals gab es nur 100 oder 150 Höhenmeter zu überwinden. Ganz selten mehr. Kaum hatten sich die Gefährten gefreut eine Höhe erklommen zu haben, mussten Sie auch schon wieder die hart erkämpften Höhenmeter hergeben. Aber immer wieder wurden die Strapazen des Anstiegs durch grandiose Ausblicke auf den großen Fluß und die darauf verkehrenden Lastkähne, sowie die hell erleuchteten Städte am Rande des Stroms belohnt.
Zwischenzeitlich war die Nacht weit fortgeschritten und die Kälte kroch langsam in die matten Körper, als die nunmehr doch etwas müden Helden mit schweren Schritten nach weiteren 15 km und fast drei Stunden nächtlichen Laufens einen letzten bewirtschafteten Rastplatz vorfanden. Überglücklich über den freundlichen Helfer in tiefster Nacht, genossen sie ein letztes Mahl und die wohltuende Wärme des Feuers. 80 km und 14 Stunden waren die drei unscheinbaren Gestalten nun schon unterwegs. Immer das Ziel in Bonn, die Festung der Kobolte, vor Augen. Was nun auf sie wartete war die berühmt berüchtigte Drachenburg und der Drachenfels. Trotz zunehmender Müdigkeit durfte ihnen jetzt kein Fehler unterlaufen. Flink und fast lautlos passierten sie diese Stelle ohne auf sich aufmerksam zu machen. So konnten also ohne große Umwege ihren Lauf fortsetzen und den letzten großen Berg, den Petersberg erklimmen. Darauf befand sich eine mächtige Festung die mit Beobachtungsgeräten fast lückenlos überwacht wurde. Auch hier flitzten sie wie Waldläufer von Baum zu Baum und hatten bald, unbemerkt den Berg umrundet.
Mit ihren letzten Kräften kämpften sie sich die letzten Hügel hinauf und auf wieder hinab. Die Beine waren müde und schwer, die Körper ausgezehrt und die Köpfe hätten sich am liebsten in das weiche Laub des Waldes gebettet. Doch ihr unbändiger Wille, dieses Abenteuer zu dritt zu Ende zu bringen und der rauschende Empfang bei den Kobolten in Bonn ließen sie weiter ziehen. Die Nacht neigte sich ihrem Ende entgegen und mit einem zarten Schimmer deutete sich der nächste Morgen an. Nach 99 Kilometern war es dann endlich geschafft. Der letzte Hügel war erklommen, der neue Tag wurde von der Sonne wach geküsst und zu ihren Füßen lag die große Stadt Bonn. Über Treppen, Brücken und durch verschlafene Vorortsträßchen strebten sie ein letztes Mal dem großen Fluß entgegen. Die letzten zwei Kilometer auf der Uferpromenade wurden zum Schaulaufen für unsere drei unerschrockenen und unermüdlichen Helden. In voller Montur und mit kompletter Ausrüstung trotzten sie dem Strom der ihnen entgegen strebenden Sonntagmorgenpromenadenjoggern. Wie eine Wand aus Stolz und Schweiß liefen sie nebeneinander die letzten Meter. So wie sie auch schon zuvor 106.000 Meter gemeinsam zurück gelegt hatten.
Durch ein unscheinbares Tor und eine Treppe hinauf, traten sie ein in die heiligen Hallen. Sie hatten es geschafft! Nach 18 Stunden und zwei Minuten. Unbeeindruckt von wilden Waldtieren, Stolperfallen im zentimeterdicken Laubteppich, fehlenden Wegemarken, Hunger, Durst, Kälte und anderen Gefahren hatten sie ihren Weg gefunden.
Umsorgt von wunderschönen und überaus freundlichen, hilfsbereiten und zuvorkommenden Fräuleins wurden sie verköstigt und umsorgt. Nach einer dringend notwendigen und überaus wohltuenden Körperpflege, kleideten Sie sich frisch ein und ließen sich von den anderen anwesenden Kobolten feiern.
Und wer diese abenteuerliche Geschichte nicht glauben sollte, dem empfehle ich eine Teilnahme am Kleinen Kobolt. Einem der letzten wirklichen Abenteuer in unserer heute so zivilisierten und phantasielosen Welt. Zurück zu den Wurzeln des einfachen Laufens. Aufbrechen mit alten und neuen Freunden, neue Horizonte zu erobern und die eigenen Grenzen zu erweitern. Einzutauchen in eine verschworene Gemeinschaft und aufgenommen zu werden in den magischen Zirkel der Kleinen und Großen Kobolte.
Ich hoffe ihr hattet viel Spaß beim Lesen und habt Lust bekommen neue Abenteuer in Angriff zu nehmen.
"Wer etwas haben möchte, das er noch nie hatte, wird wohl etwas tun müssen, das er noch niemals tat". - unbekannt
Gruß
Gutenberg1964