Um den Ausgang vorwegzunehmen – war ein geiler Tag gestern! Beim Weltrekord-Marathon mitgelaufen, meinen ersten Marathon gefinished und mein vorher gestecktes Optimal-Ziel sogar etwas unterboten.
Ich laufe und trainiere jetzt seit 2017 regelmäßig und hatte dabei schon immer im Hinterkopf, irgendwann mal auch einen Marathon zu laufen. Als sich mit den Jahren die Ergebnisse meiner Wettkämpfe immer mehr verbesserten, stand für mich fest, dass ich frühestens am Start eines Marathons stehen werde, wenn als Ziel die Sub4 realistisch ist. Vorher wollte ich mir die Plackerei nicht antun. Nach ich dem Halbmarathon im Oktober 2021 in 01:40:37 geschafft hatte, wars es soweit: ich warf virtuell meinen Zettel in die Lostrommel für den Berlin Marathon. Ein anderer Marathon kam für mich als Berliner nicht in Frage. Als dann Anfang 2021 die Nachricht kam, dass ich dabei bin, waren die Freude und der Bammel vor den 42,195 km so ziemlich gleich groß.
Das Wettkampfjahr 2022 begann nicht so gut. 4 Wochen vor dem Berliner Halbmarathon bekam ich das böse C und lief den Halbmarathon nur als gemütlichen Longrun. Der S25 im Mai lief dann schon deutlich besser, die 25 km in glatt 2:02:00 stimmten mich positiv fürs weitere Jahr. Meine Vorbereitung für den Marathon begann dann im Juli. Aufgrund meiner Vorleistungen wählte ich Steffnys Plan für 3:30 und passte ihn etwas an, lief z.B. die MRT-Intervalle etwas langsamer als vorgesehen und den Test-Halbmarathon wollte ich 4 Wochen vor dem Marathon laufen. Als optimale Zielzeit hatte ich mir Sub3:45 festgelegt.
Der Hitzesommer 2022 war dann für mich nicht gerade der Hit, als bekennende „Eule“ quälte ich mich einige Male frühmorgens und vor der Arbeit (zum Glück flexible Arbeitszeiten) aus dem Bett, um meine Trainings bei halbwegs verträglichen Temperaturen zu absolvieren. Sowas brauche ich eigentlich gar nicht… Beim Testmarathon hatte ich dann Glück, bei bedeckten 17 Grad hatte ich mit einer schnellen Freundin, die für die 24Stunden-EM trainierte, eine geniale Pacerin, die mich zu einer 01:39:18 zog. Das war schonmal ziemlich genial und ein Jahres-Ziel war damit abgehakt und das konnte mir keiner mehr nehmen. Nach dem Lauf sagte meine Freundin, was sie hinterher „bereuen“ sollte… Sie erwähnte die Zeit ihres ersten Marathons vor einigen Jahren mit 03:41:XX und dass ich die doch wohl nicht unterbieten werden. Na sowas darf man mir nicht sagen, das weckt den Ehrgeiz in mir. Und ZACK hatte ein neues Ziel, jetzt sollte es Sub3:40 werden. So!

Ansonsten konnte ich alle Trainingseinheiten aus dem Plan durchziehen, auch wenn ich manchmal die Reihenfolge oder Tage der TE getauscht habe. Auch die 30er+ liefen meistens ganz gut, ich habe schon etwas früher als im Plan vorgesehen mit den Endbeschleunigungen angefangen und mich daran zu gewöhnen. Nach dem letzten richtigen Longrun 33,33 km mit 10 km EB waren schon einige Gedanken da, wie das jetzt noch mal 9 km länger und die ganze Zeit so flott klappen kann. Aber hey, so gings mir ja schon vor anderen Wettkämpfen. Was ich witzig fand, dass sich die Relationen hinsichtlich der langen Läufe ziemlich verschoben haben. Plötzlich war der Sonntags-Lauf eine Woche vor dem Marathon mit 23 km nur noch eine kurze Runde…

Zwei Wochen vor dem Marathon bin ich mit einem Kumpel bei einem Böhse-Onkelz-Konzert in der Mercedes-Benz-Arena. Am darauffolgenden Dienstag schreibt mir der Kumpel, dass er Corona hat. Das kann doch jetzt nicht wahr sein..

Auch die Schuhwahl wurde nochmal ein Problem. In meinen bisher verwendeten Vaporfly 4% bekomme ich so ab km 15 das Gefühl, dass die Füße einschlafen. Kriege ich mit gezielten Fußbewegungen weg und stört bis 25 km nicht, wollte ich aber bei 42,2 km nicht haben. Die seit 2 Jahren rumliegenden Vaporfly 4% eine halbe Nummer größer stellten sich beim Wohnungstestlauf als zu schlapprig an der Ferse raus, das Gefühl kann ich gar nicht leiden, Mist… Also das große Geschütz aufgefahren und ein Paar Alphafly gegönnt. Erster 10km Lauf in 6er Pace war super. Beim 20 km-Lauf mit 3 mal 5 km MRT 10 Tage vor dem D-Day bekam ich damit aber am Ende leichte Knieschmerzen am guten, weil nicht reitunfallgeschädigten, Knie. Aaahhh, ich kriege die Krise…. War mir daher zu riskant, damit einen Marathon zu laufen. Ok, dann halt keine Carbon-Racer. Dann müssen es halt die Hoka Mach 4 richten, meine aktuellen Lieblingsschuhe für schnellere Einheiten. Spoiler: die Schuhe waren eine gute Wahl, habe jetzt zwar eine Blase am rechten großen Zeh, hatte aber während des Laufs keine Probleme.
Der Tag X rückte immer näher. Das Carboloading am Samstag hat mir als Vielfraß sehr viel Spaß gemacht.

Sonntagmorgen, der Wecker klingelt 6:20 Uhr. War schon etwas vorher wach, habe aber trotzdem ganz gut geschlafen. Zum Frühstück 2 Toast mit Honig und eine halbe Banane. Das Wetter ist ideal, nicht zu warm oder kalt und rucas Wetterapp lügt zum Glück mit dem vorhergesagten Regen. Dann auf zur S-Bahn, am Bahnhof und in der Bahn dann schon weitere Läufer. Die letzten Jahre war ich immer Starthelfer, da musste ich ja immer schon deutlich vor den meisten Läufern vor Ort sein. Dieses Jahr schieben sich beim Ausstieg Bahnhof Brandenburger Tor schon Massen von Läufern samt Anhang die Treppe hoch.
Mit meiner Halbmarathonzeit habe ich mich für Startblock D und damit für die erste Startwelle 9:15 Uhr qualifiziert. Die Zeit bis zum Start verbringe ich mit Toilettengängen und dem finalen Umziehen. Meine 4 Gels passen zum Glück alle in die Taschen meiner kurzen Laufhose. Ein fünftes Geld nehme ich ca. 25 Minuten vor dem Start zusammen mit knapp halben Liter Wasser. Dann nochmal schnell aufs Klo. Nix da, da ist nix mit schnell, überall lange Schlangen. Aber ich weiß, ich brauche diesen Toilettengang nochmal, psychisch und physisch… Die Zeit verrinnt, die Schlange wird nur langsam kürzer. Endlich, 9:10 bin ich endlich dran und im Häuschen drin. Puuh, war wirklich nochmal notwendig. Wieder ein Spoiler: die Toilettenfrage stellt sich mir unterwegs nicht mehr. 9:13 Uhr bin ich dann endlich in Block D und kann mich auf der linken Seite auch noch ganz locker etwas noch vorne arbeiten. Höre noch den Beifall für die Elite und den noch lauteren Beifall für Eluid Kipchoge. Wie sich zeigen wird, hat er sich diesen Applaus mehr als verdient und liefert wieder einmal in Weltrekordzeit ab. Krass der Typ. Klasse, dass ich dabei war. Dann die Starthymne und unsere Regierende Bürgermeisterin schickt uns mit einem Schuss aus der Startpistole auf die Reise. Geiles Gefühl. Ok, ich laufe erstmal noch nicht, sind noch ein paar Meter bis zum Startbogen. Für mich beginnt die Reise in eine neue Galaxie, ach nee, eine neue Dimension erst knapp 4 Minuten später.
Dann laufe auch ich über die Startmatten, die Uhr wird abgedrückt. Ich kann von Anfang frei meinen Rhythmus laufen und habe auch im weiteren Verlauf nie Probleme, mein Tempo laufen zu können. Da ich mit Stryd laufe, kann ich von Anfang an mein Tempo realistisch kontrollieren und lasse mich auch nicht dazu verleiten, zu schnell loszulegen. Anfangs werde ich eigentlich nur überholt, die Leute heizen an mir vorbei, als wollten sie an Kipchoge dranbleiben. Einen Teil davon werde ich lt. Rennbericht vom Mika-Timing wieder einsammeln. Von Platz 1999 bei den Damen nach 5 km zu Platz 1540 im Ziel. Schatzi steht gleich an der Siegessäule und feuert das erste Mal an, es wird es noch weitere 4 Mal tun, bei 2 Versuchen davon nehme ich ihn auch wahr. Für eine Sub3:40 brauche ich eine Pace von 5:12. Meine Uhr piepst die ersten km noch kurz nach den Schildern, irgendwann dann etwas vor den Schildern. Insgesamt zeigt die Garmin im Ziel 42,48 km, da hatte ich den Stryd ganz gut kalibriert. Der erste Kilometer geht in 5:13 weg, sehr schön, voll im Plan. Auch der Puls passt, nur den Beinen fehlt noch das Einlaufen, sind noch nicht so locker. Die nächsten km gehen lt. Garmin in 5:07 bis 5:10 weg. Laut Mika-Timing für die ersten 5 km 25:51 Minuten – Pace 5:11.
Bei km 6,5 steht meine Mom und feuert mich an. Die Stimmung an der Strecke wird immer besser, es sind wirklich viele, viele Zuschauer und Bands an fast jeder Stelle, die Begeisterung ist wirklich toll. Das ist nochmal eine deutliche Steigerung zu meinen Berliner Halbmarathon-Erlebnissen. Zum Ende hin, z.B. am Wilden Eber ist es dann wirklich genial, wie oft mein Name gerufen und wie viele Bands oder einfach Leute Lautsprecher neben der Strecke oder auf ihren Balkons aufgebaut haben und uns Läufer anfeuern. Da habe ich schon einige Male eine Gänsehaut bekommen. Und gerade die letzten km tuen die Anfeuerungen auch einfach nur gut und pushen einen, nicht nachzulassen. Der zweite 5km-Split 25:53 – Pace 5:11.
Gleichmäßig laufen kann ich mithilfe des Stryd sehr gut, war auch in anderen Wettkämpfen schon so. Bei jeder Wasserstelle nehme ich im Laufen einen Becher und nehme ein paar Schlucke. Bei km 12 dann das erste Gel. Bisher läufts echt gut. Wobei ich jetzt schon etwas Sorgen habe. Wenn man hier im Forum so liest, sollte man so bis zum Halbmarathon gefühlt immer nur auf der Bremse stehen. Ok, bisher musste ich ein paarmal etwas ein paar Sekunden rausnehmen, damit es nicht zu schnell wird, aber das ich gefühlt fliege, kann ich nicht behaupten. Der Puls und die Atmung passt zwar, aber spätestens seit km 10 ist das jetzt nicht nur easypeasy so insgesamt. Split für km 11 – 15 dann 25:45 – Pace 5:09, für km 16 – 20 sinds 25:39 – Pace 05:08. Die Halbmarathonmatte passiere ich bei 01:48:43, voll im Soll.
Aber der Anstrengungsgrad ist jetzt schon deutlich höher, auch Puls und Atmung erhöhen sich langsam. Irgendwie kein schöner Gedanke, dass ich jetzt noch einen weiteren Halbmarathon laufen muss. Zudem meldet sich das rechte, „gute“ Knie plötzlich auch wieder. Verdammte Axt, bitte nicht… ich habe doch nicht so lange und so hart trainiert, damit mir ein Knie jetzt alles versaut. Aber auch hier Entwarnung, es bleibt bei einigen komischen Schmerzmomenten, die meiste Zeit bleibt das Knie still. Aufgrund des Anstrengungsgefühl und der Angst vor dem Hammermann nehme ich nach der HM-Marke etwas raus. Bei km 22 gibt es das nächste Gel, läuft immer noch bestens. Die Pace für die nächsten Splits bei km 25 und km 30 liegt dann jeweils bei 5:12. Bei km 32 dann das dritte Gel, die Beine werden immer schwerer, ich muss bei Unebenheiten im Boden schon mit etwas mehr Aufmerksamkeit die Füße heben.
Nach km 33 betrete ich Neuland, meine weiteste Strecke im Training war 33,33 km. Ab hier etwa gehe ich auch bei den Wasserstellen, weil die Atmung ein Trinken ohne Verschlucken im Laufen nicht mehr garantiert. Dann lieber kurz gehen, als einen Hustenanfall riskieren. Zusätzlich gibt es jetzt auch immer Wasser ins Gesicht und auf das Käppi. Auf dem Ku-Damm bei km 34 feuert dann Schatzi mit den Worten an: „ist ja nicht mehr weit“. Ja nee, is klar, sind ja nur noch 8 km… ein Klacks.

Bei km 38 an der Neuen Nationalgalerie will ich nach den letzten Höhenmeter noch das letzte Gel nehmen. Aber als ich mir den ersten Schwung in den Mund drücke, spüre ich sofort, wenn ich das pappsüße Zeugs (Powerbar) jetzt runterschlucke, kommt es postwendend wieder raus. Also weg mit dem Zeugs, die letzten 4 km gehen auch noch so. Wäre wohl auch eher für den Kopf als tatsächlich notwendig gewesen. Split für km 36 – 40 ist 25:59 – Pace 5:12. Die Zuschauermenge wird gefühlt immer dichter und lauter, ich kann es jetzt auch wieder besser genießen als teilweise zwischendurch. Ein kurzer Blick auf die Gesamtzeit meiner Garmin und kurzes Rechnen (klappt sogar noch halbwegs) offenbart, dass ich unter 3:40 bleiben werde. Als ich dann auf die Straße Unter den Linden einbiege und das Brandenburger Tor sehe, bekomme ich eine Gänsehaut. Yeah, jetzt kann mich nichts mehr aufhalten. Durch das Tor laufen ist einfach nur geil, das Ziel ganz nah. Schatzi feuert nochmal von der Seite aus an. Die letzten Meter nach dem Brandenburger… aber irgendwie zieht sich das… beim Halbmarathon steht das Ziel immer etwas früher… aber egal, die paar Meter gehen jetzt auch noch… kein richtiger Endspurt mehr… ich genieße es einfach nur und hebe beide Arme hoch, als ich über die Ziellinie laufe. (Letzter Split km 41 – Ziel mit Pace 05:07)
ICH BIN EIN(E) MARATHONI !!!


Nach offizieller Messung bin ich den Marathon in 03:38:13 gelaufen und habe damit die Debüt-Marathon-Zeit meiner Freundin pulverisiert (ihre Wortwahl). Sie freut sich im Nachgang sehr darüber und ist stolz auf mich, zumal sie ihren Anteil an meiner Leistung hatte. Ich selber bin auch ziemlich stolz auf meinen Lauf ohne wirklichen Einbruch. Der zweite Halbmarathon war mit 01:49:31 nur 48 Sekunden langsamer als der erste, trotz der Gehpausen beim Trinken.
Bei der Medaillenausgabe informieren improvisierte Pappschilder über den neuen Weltrekord, ich bin darüber und über mein eigenes Finish extrem begeistert und genieße jetzt die Sonne und gönne mir zwei Erdinger. Die Gefühle sind schwer zu beschreiben. Fühlt sich einfach gut an, das Erlebnis und Ergebnis kann mir keiner nehmen.
WAS FÜR EIN TAG!