Dirk_H hat geschrieben:Meine persönliche Erfahrung ist ebenfalls, dass es öfter unsportlich aussehende Mitmenschen sind, die sich verständnislos und unter Umständen gefährlich gegenüber Sportlern verhalten. Insbesondere auf dem Rad hatte ich da so einiges an Erlebnissen.
Ich fand den Kommentar zum Aussehen der Dame daher als passend und habe beim Anschauen des Videos direkt gleiche Gedanken gehabt.. Hat mit dem Geschlecht nichts zu tun und auch nicht mit der Kleidung, sondern rein mit der Tatsache, dass die Frau deutlich übergewichtig ist. Der Rückschluss, dass sie selber keinen Sport treibt also nicht fern ist.
Der Rückschluss liegt nicht fern, finde ich auch. Es gibt aber einen Unterschied zwischen dem Ziehen dieses Rückschlusses und dem Suggerieren, dass die Dame deshalb kein Verständnis für Sportler oder solche Veranstaltungen hat, weil sie so aussieht, wie sie aussieht.
Die weitere Ebene ist das Äußern dieser kruden Annahme in einem öffentlichen Forum, wo es neben vielen Läufern auch solche Menschen lesen können, die keinen Sport treiben und Übergewicht haben. Oder übergewichtige Läufer. Ich will damit nur sagen: Es gibt keinen (argumentativ überzeugenden) Grund, das Gewicht der Frau in die Sache zu ziehen, um ihr Verhalten zu kritisieren.
Das zu tun und dabei inkauf zu nehmen, dass es Menschen mit Übergewicht lesen und sich diskriminiert fühlen, finde ich nicht gut. Umgekehrt könnte man dem asozialen schlanken Mann mittleren Alters eben nur schwer einen Strick aus irgendwelchen Äußerlichkeiten drehen (zumindest aus solchen, die grundsätzlich negative Stereotype mit sich tragen). Wenn ich mich asozial verhalte, müssen Männer mit Mitte 30 nicht damit rechnen, aufgrund meines Verhaltens in einen Topf asozialer Typen geworfen zu werden, weil ich das Privileg habe, einer Gruppe anzugehören, die eher zu denen gehört, die immer und überall andere abwerten.
Dirk_H hat geschrieben:Und Edit: Besagtes heißt nicht, dass es eine absolute Korrelation zwischen Aussehen und Verhalten gibt. Meine Erfahrung aus ~20 Jahren Rennradfahrerei* ist aber, dass die Aussage, dass es "hanebüchener Blödsinn" sei einen Zusammenhang zwischen Aussehen und Verhalten zu ziehen, so drastisch formuliert ebenfalls hanebüchender Blödsinn ist.
Natürlich heißt es das nicht. Aber die Aussage, dass man bei Menschen, die "so" aussehen, nicht viel Verständnis erwarten könne, ist erstens verallgemeinernd und damit per se schon Quatsch, zweitens finden in solchen Klischeewiederkäuungen (was?) immer auch Wechselwirkungen statt zwischen dem wertenden Teil der Gruppe und dem bewerteten Teil der Gruppe. Wenn Menschen bewertet oder abgewertet werden aufgrund von äußeren Merkmalen, können diese Wertungen Teil der eigenen Identität werden. Dicke Menschen beispielsweise als faul zu labeln, kann dazu führen, dass dicke Menschen ein negatives Selbstbild von sich aufbauen. Dicke Menschen als asozial zu labeln ebenso. Damit verfestigen sich in den beiden Gruppen einmal die Zuschreibungen ("Ja, kein Wunder, guck mal, wie der aussieht!") und einmal die Identitäten ("Ich bin fett und faul und asozial.") - ganz verkürzt wiedergegeben. Wer also solche Sprüche klopft (es soll wohl irgendwie witzig sein und basiert ein wenig auf dem "Kennstekennstekennste-Humor"), hat daran seinen (wenn auch sehr kleinen) Anteil.
Dabei ist es klar, dass nicht alle Übergewichtigen so sind und nicht alle sich so verhalten. Umso schwieriger haben es diese Menschen dann in der Gesellschaft. Der- oder diejenige, der oder die dick ist, aber selbst Sport treibt oder bei Läufen als Streckenposten arbeitet, fühlt sich durch solche Aussagen womöglich ungerecht behandelt. Und ich finde, das muss doch nicht sein.
Es gibt also genügend "false positives", wie den netten, hilfsbereiten Übergewichtigen, die so einen Affentanz wie die Frau im Video nie abziehen würden, die es wert wären, dass man sich bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit mal kurz überlegt, ob man immer das erste, was einen in den Sinn kommt, in die weite Welt rausblasen muss.
run.the.world76 hat geschrieben:Das ist lustig, gerade „Dicke“ sind die, die sich über Sportler (vor allem Hobbysportler) lustig machen. Erlebe ich in meinem Umfeld ständig. Eigentlich beachtlich und auch erschreckend wieviel Übergewichtige ich kenne...
Auch beim Training, hatte mir bei einem 20k Lauf die Brustwarzen aufgescheuert und lief deshalb ohne Shirt weiter. Auch gute 5k durch die Stadt. Die „deppatsten“ Blicke gab‘s von Dicken und offensichtlich Unsportlichen. Mein Mitleid hält sich somit in Grenzen, wenn es da Vorurteile aufgrund des Aussehens gibt.
Ich habe sowohl in der Familie als auch im Freundeskreis übergewichtige Menschen, die alle absolut respektvoll mit mir umgehen. Was du hier andeutest, klingt ein wenig nach "Es gibt Dicke, die benehmen sich daneben. Geschieht ihnen ganz recht, dass sie sich für ihr Aussehen Hohn und Spott aussetzen lassen müssen." Und das nur weil ein paar Dicke sich dir gegenüber mies verhalten ...
ruca hat geschrieben:Ja, in einer idealen Welt wäre es so.
In der nicht-idealen ist das Aussehen oft ein Statement und Du kannst mir nicht erzählen, dass Du z.B. Skinheads in Bomberjacken, Punks oder auch muskelbepackten Bodybuildern komplett vorurteilsfrei begegnest.
Bei Übergewicht ist es nicht immer ein "Statement" (manchmal ist es auch wirklich eine Krankheit, gegen die aktiv angekämpft wird) aber in einem Großteil der Fälle treffen die Vorurteile exakt zu.
Na klar ist Aussehen oft ein Statement. Wenn ich selbstbestimmt in der Lage bin, mein Aussehen so zu verändern, dass es am ehesten meinem Selbstbild entspricht, sagt das Äußere viel über meinen Charakter aus. Diese äußerliche "Optimierung" habe ich neulich im Schwimmbad bestaunt, als ich gefühlt der einzige war, der nicht tätowiert war (oder "ist" - ich bin danach ja nicht aus lauter Konformitätszwang losgezogen und hab mich unter die Nadel gelegt). Wir können jetzt weiter Geschichten aus dem Privatleben erzählen: Ich kenne einige Übergewichtige, die nicht in der Lage sind, abzunehmen. Aus verschiedensten Gründen. Weil die Welt nicht ideal ist. Weil die Umstände manchmal beschissen sind. Und zack, steckt man in einem Körper, den man sich so nicht ausgesucht hat. Und ist unglücklich darüber. Und muss sich dann noch von arroganten Spargeltarzanen wie uns dumme Sprüche anhören. Das ist doch scheiße, jetzt mal ganz im Ernst.