Hallo Anna,
es ist nicht meine Aufgabe, noch Art anderen Läufern etwas ein- oder auszureden. Ich will auch niemanden darin unterstützen sich dick zu fühlen, der ein paar kg Übergewicht an Bord hat. Es gibt wahrlich Schlimmeres. Mir geht es darum nachdenklich zu machen, mögliche Irrwege aufzuzeigen und Tipps für mögliche Verbesserungen zu geben. Beim Thema Abnehmen existiert bedauerlicherweise eine unselige Verquickung zwischen "Laufen" und "Gewicht verlieren", die - genau besehen - nichts anderes ist als eine Legende. Wie viele Legenden existiert sie weiter, weil sie vorgründig "Logik" besitzt und, weil es viele gibt, die ein wirtschaftliches Interesse daran haben, dass die Legende die Zeiten überdauert. Wer an Läufern verdienen will, muss sie am Laufen halten oder neue rekrutieren. Und ich bin mir sicher, dass keine Aussicht dem Laufsport so viel "frisches Fleisch" Jahr für Jahr zuführt, wie die Verlockung laufend Gewicht zu verlieren. Dieses Motiv scheint mir häufiger und gewichtiger, als das der besseren Ausgeglichenheit, allgemeiner gesundheitlicher Aspekte, oder einfach dem Spaß am Laufen ...
Es ist bei vielen Menschen so, wie du gesagt hast:
"Es ist wohl eher so, dass ich in der Zeit als ich ausgiebig Sport machen konnte insgesamt etwas ausgeglichener war und mir kams rückblickend so vor als ob ich mich da automatisch bewusster ernährt hätte." Ich kenne das aus eigenem Erleben. Ich war vor meinen Marathons auch leicht übergewichtig, jahrelang und obwohl ich 3 bis 4mal pro Woche lief. Das ehrgeizige Ziel meine Marathonzeit immer weiter zu drücken, letztlich im Alter von 52 Jahren auf 3 Stunden, hat mir dabei geholfen meine Ernährung umzustellen und das dann auch durchzuhalten. Auch das Gefühl zu haben, dass die Leckereien und Sünden, auf die ich ab dann eher verzichtete, mir nicht wirklich fehlen. Ich habe mir weiterhin im Grunde alles gegönnt, nur nicht mehr so oft und in geringerer Menge. Vielleicht ist es ja so, dass man die eine "Sucht" (viele leckere, ungesunde Kalorien) durch eine andere (ehrgeizig ein körperlich anspruchsvolles Ziel anstreben) ersetzt. Nur ist mir Laufen als "Sucht" - wenn es denn eine ist, obwohl ich auch gut mal ein paar Tage ohne Laufen leben kann - allemal lieber, als jede andere.
Lass mich an dieser Stelle noch auf die von dir ersehnte Rolle als "Laufgazelle" eingehen. Es gibt einen weiteren Fehler, den man nicht machen sollte: Niemals den eigenen Laufstil mit demjenigen wirklich elegant, wunderschön und schwerelos dahin gleitender Läufer vergleichen. Ich könnte dahin schmelzen, wenn ich einen Mann, mehr noch natürlich eine Frau wirklich wunderschön und PERFEKT laufen sehe. Das war mir oft vergönnt. Kenianer oder andere Läufer vom schwarzen Kontinent in Marathons, einmal erinnere ich mich an eine junge Frau, die ich in einem Stadion in Fürth nur trainieren sah und auch viele Kinder, völlig ohne Bewegungsschulung, die ich anlässlich von Benefizläufen laufen sah (und auch fotografierte, weil ich so fasziniert war, von ihrem tollen Bewegungsablauf). Wunderwunderschöne Bewegungen. Wenn ich dagegen mich sehe, dann wirkt das (vergleichsweise) so elegant wie die Fortbewegung eines Nilpferdes. Das ist so, weil ich einen für Läufer viel zu gedrungenen Körperbau habe und Beine, denen man alles andichten würde (meist hieß es ich müsse wohl Fußballer sein), aber keine stundenlange Ausdauerleistung. Und doch gelingt und gelang es mir mit meinem mittelprächtigen Bewegungsapparat und seinem eher unhübsch aussehenden Laufstil ziemlich beeindruckende Ergebnisse zu erzielen. Übrigens auch mich selbst beeindruckende. Manchmal kann ich mir nicht vorstellen, dass es tatsächlich ich war, der mehrmals schon 100 km lief oder - mein sicher wichtiges Ergebnis bisher -, der 2008 im 24h-Lauf tatsächlich mit über 200 km einen vierten Platz in der deutschen Meisterschaft errang. Mit dem will ich nicht prahlen (höchstens ein bisschen, weils die letzten Wochen bei mir nicht so gut lief und alte Meriten einen doch ein bisschen aufbauen

). Ich will dir vielmehr sagen, dass das alles möglich war ohne, dass ich an meinem Laufstil "herum gefummelt" habe.
Nichts gegen Arbeit am Laufstil. Das bringt was. Wobei es für Freizeitläufer eher um den Aspekt des gesunden Laufens geht, als um Tempoverbesserungen. Auf deinem Temponiveau - und das ist jetzt die zentrale Aussage - kann man mit dem methodisch richtigen Training zig mal mehr erreichen, als wenn man dieselbe Zeit auf Korrekturen am Laufstil verwendet. Wenn man sich seinem persönlichen Ausdauerlimit genähert hat, wenn noch mehr Training eher zu häufigeren Verletzungen führt, dann kann man mit Laufstilverbesserungen und anderen Maßnahmen noch ein paar Prozent rauskitzeln. Natürlich kann es auch möglich sein, dass Freizeitläufer auch auf niedrigerem Niveau an ihrem Laufstil arbeiten müssen. Dann nämlich, wenn es zu Beschwerden kommt, die sich letztlich nur aus den Bewegungsabläufen erklären lassen. Das kann passieren und je nach Robustheit des jeweiligen Körpers früher oder später.
Dein Versuch deinen Laufstil mit dem deines 2:44 h auf der Marathonstrecke laufenden Freundes zu vergleichen kommt mir so vor, als würde eine "normale" Frau ihre Wirkung auf dem Catwalk mit der eines Supermodels vergleichen. Die "Normale" wird dabei immer schlecht abschneiden. Es sei denn, das kommt gelegentlich vor, genetisch so programmiert, die "normale" Frau hat zufällig einen Gang, der jedes Männerherz schlagartig in die Hose rutschen lässt.
Man wird als LäuferIn heute zugeschüttet mit Informationen und es ist nicht ungewöhnlich, dass du Schwierigkeiten hast die Prioritäten richtig zu setzen. Was wichtig ist, was auch wichtig ist, was schon ein bisschen weniger wichtig ist und was erst einmal unwichtig ist. Noch schwieriger wird es, wenn es "Komplikationen" gibt, etwa Beschwerden, weil sich in diesem Augenblick der Vorrang der Trainingsmaßnahmen verschiebt. Doch ohne Beschwerden ist methodisch richtiges Training (so wie ich es in meinem ersten Beitrag angedeutet habe) Prio 1. Dann kommt lange nix mehr ... Übrigens ist auch dein Übergewicht fürs Lauftempo weit weniger bestimmend, als manche glauben. Stelle dich an die Strecke eines großen Marathons. Da wirst du im zweiten Teil des Feldes schon einige Marathönnchen sehen, die Übergewicht mitschleppen und weiter hinten im Feld noch mehr. Darum solltest du deinen läuferischen Fortschritt nicht so stark mit deinem Erfolg beim Gewichtverlieren verknüpfen. Natürlich bringt jedes Kilo weniger ein paar Sekunden auf 10 km, aber eben nicht so viel, so entscheidend, wie man sich verbessern kann, wenn man richtig trainiert. Und wenn du schneller wirst, dann klappt es ja auch besser mit dem Gewichtsabbau. Ich sehe die kausale Kette eher so: Methodisch richtig trainieren, deshalb schneller werden und weil du schneller wirst besser Gewicht abbauen. Bei dir ist die Kette im Kopf eher anders herum strukturiert ...
Wir laufen nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit dem Kopf. Wenn wir etwas entscheidend verbessern wollen, müssen wir im Kopf anfangen und zu den richtigen Schlüssen kommen ...
Ich wünsche dir alles Gute
Gruß Udo