indahnet hat geschrieben:Also mich würde es einfach mal interessieren: Wie motiviert ihr euch regelmäßig zum Sport? Das ihr euch aufrafft und dann bei jedem Wetter raus geht? Ist es die Waage? Eure große Liebe? Oder der Ansporn nächsten Sommer mehr Flirts zu bekommen? :-D Ich weiß eine doofe Frage, aber mir fehlt jedes mal irgendwie die Motivation. Ich denk mir dann: Ach kann ich morgen doch auch machen... Und naja... innere Schweinehund und so!
Hallo indahnet,
auf dein Posting, deine Frage bin ich jetzt erst gestoßen. Du hast schon viele Antworten bekommen und vielleicht steckt alles Wesentliche darin. Ich möchte dir aber bewusst unabhängig von diesen Antworten meine Version präsentieren, auch auf die Gefahr von Wiederholungen hin. Zunächst gilt es festzuhalten, dass ein Laufstieg immer den persönlichen Weg erfordert. Es mag grundsätzliche Übereinstimmungen geben, allerdings sind Voraussetzungen und Ziele teilweise sehr unterschiedlich. Andererseits sind einige Aspekte, was Motivation, Durchhalten und Automatisierung des Lauftrainings betrifft, auch wissenschaftlich gut erforscht. Die wichtigsten Dinge möchte ich in eigene Kapitel packen:
1. Spaß am Laufen
Der Anfang ist vielfach schwierig. Besonders, wenn Menschen lange ihre Ausdauer nicht mehr geschult haben und wenn ihre Lebensgewohnheiten eher nicht von körperlicher Aktivität geprägt sind. Letzteres wird ein immer gewichtigerer Faktor. Die meisten Menschen (so sie nicht Sport treiben) bewegen sich pro Tag nicht mal mehr einen Kilometer! Das haben Untersuchungen großer Personengruppen gezeigt. Es ist schon schlimm, aber es wird noch viel schlimmer kommen. Immer mehr fesseln uns kommunikative Medien - insbesondere das Internet mit seinen Möglichkeiten - auf dem Stuhl oder sonstwo sitzend, weil mittlerweile Tablets und Smartphones 100% Vernetzung ermöglichen. Es gibt Jugendliche, die sich überhaupt nicht mehr bewegen. Aus dem Bett ins Auto, ab zur Schule, heim, sitzen Hausaufgaben, sitzen Internet, sitzen bei mit Freunden (hoffentlich) ab ins Bett. Solchen Menschen wird sich zu bewegen - zu laufen, zu schwitzen, außer Atem zu kommen - absolut fremdartig vorkommen. Es ist körperlich hart für sie zu laufen und es ist überdies mental hart die gewohnte Wenigbewegung zu verlassen. Angenommen sie überwinden sich doch - immer wieder. Dann - und dies ist eine der Kernwahrheiten - wird es entscheidend darauf ankommen, dass sie "irgendwann" Spaß bei dieser Tätigkeit "Laufen" empfinden. Niemand wird dauerhaft etwas tun, woran er keinen Spaß hat (es sei denn er ist aus existentiellen Gründen dazu gezwungen). Niemand wird sich über Monate und Jahre dazu kasteien 3 x die Woche zu laufen, wenn ihn diese Tätigkeit anödet und er es NUR deshalb tut, weil es gesund ist, hiflt Gewicht zu halten, oder was die Beweggründe zu laufen noch sein mögen.
Also: I
rgendwann muss Laufen Spaß machen!!!!
Das kann schon ein bisschen dauern. Es lässt sich dafür keine Zeitspanne fixieren. Dieser Spaß am Laufen sollte auch nicht verwechselt werden mit der Unlust sich umzuziehen und rauszugehen. Die kann trotzdem häufig da sein. Individuell bei mir: Ich laufe derzeit ca. 5 x die Woche, aber ich habe eher selten Lust im tristen Novembergrau, insbesondere bei Kälte und morastigen Wegen, rauszugehen. Wenn ich aber draußen bin, wenn ich laufe, dann weiß, dass es richtig war es doch zu tun und ich fühle mich gut. "Spaß" ist natürlich relativ. Wenn ich gerade einen Berg hoch keuche, empfinde ich natürlich keinen Funken Spaß., Dann ist da nur Anstrengung in mir. Aber es gibt die schönen Momente, das Dahintraben, das Eins sein mit dem, was ich da tue. Statt "Spaß am Laufen" möchte ich es auch noch anders ausdrücken: Du solltest dahin kommen, dass du fühlst, dass zu laufen etwas Tolles ist, dass es sich immer wieder angenehm anfühlt, dass es auch oft fordert und einen fertig macht, aber eine angenehme Mattigkeit, Müdigkeit, körperliche Erschöpfung hinterlässt.
2. Die Macht des Zieles
Vieles ist eine Frage der Zielsetzung im Leben. Warum schmeißt ein junger Mensch kurz vor dem Abi alles hin, verlässt die Schule und beginnt eine Ausbildung? Einem Ausstehenden erscheint solches Verhalten völlig irrational. Jahrelanges Pauken und nun fehlen nur noch ein paar Monate. Wieso hinschmeißen. Er/sie könnte doch die Ausbildung auch mit Abi in der Tasche beginnen. Hätte später im Leben mehr Alternativen, wenn weiter Lernen, ev. Studieren vielleicht doch mal erstrebenswert sein sollte. Das Abi ist ein Ziel. Aber es ist ein Ziel, das oft nur die Eltern wirklich intensiv für ihren Nachwuchs anstreben. Der schulische Aussteiger hat dieses Ziel aber entweder nie oder über längere Zeit nicht als SEIN Ziel begriffen und empfunden (es gibt natürlich auch andere Gründe hinzuschmeißen, die jetzt allerdings nicht hier hin gehören). Er sieht SEIN Ziel, seinen Wunsch in einem bestimmten Beruf und darum hört er auf für das Abi zu lernen ...
Für einen Laufeinsteiger bedeutet das im übertragenen Sinne, dass er ein fixes läuferisches Ziel haben sollte. Ein Ziel, das ihm wirklich erstrebenswert erscheint und das auch erreichbar ist. Einer der nicht läuft und sich damit schwer tut, vielleicht nach 5 min schon fix und fertig ist, kann sich nicht das Ziel setzen in 3 Monaten an einem 10km-Volkslauf teilzunehmen. Das würde ihn überfordern und er würde dann wegen dieser Überforderung aufgeben. Aber er könnte sich das Ziel setzen binnen 12 Trainingswochen 30 min langsam am Stück zu traben. Das ist nur ein Beispiel, von einer unterstellten (schlechten) Ausdauerbasis ausgehend. Das Ziel, SEIN Ziel, etwas das er wirklich will, wird ihn eher dazu bewegen, alle inneren Widrigkeiten, Gefühle, die sich gegen die Aktivität richten, zu überwinden und zu laufen.
3. Die Macht Rahmenbedingungen
Wer sich keine Rahmenbedingungen schafft, die den Laufeinstieg begünstigen, wird wahrscheinlich auch scheitern. Man muss sich vor dem Laufeinstieg die Zeit, die man zum Laufen braucht, frei machen. Wirklich frei!!! "Freie Zeit zum Laufen" ist nicht gleichbedeutend mit Freizeit. Über Freizeit können wir nicht frei verfügen. Selbst jener Teil, der nicht von Schlafen, Körperpflege, Kochen, Essen, Putzen und was sonst noch aufgefressen wird ist frei verfügbar. Wir sind soziale Wesen und das Umfeld erwartet Zuwendung: Freunde, vor allem aber die Familie. Daher ist es notwendig, sich die Zeiten fürs Laufen, also die Stunde die man anfangs braucht zum Umziehen, Laufen und Duschen wirklich freizuhalten. Klärende Gespräche sind ev. nötig: Deine Frau, deine Partnerin, dein Mann, dein Lebensgefährte müssen wissen, wie ernst es dir mit dem Laufen ist, dass es ein Ziel gibt, dass dir dieses Ziel wichtig ist. Du brauchst Unterstützung in dem Sinne, dass die Freiräume zum Laufen allen anderen heilig sind. Dass private Termine eben um diese Stunde herum geplant werden. Dass nachgefragt wird, ob der Besuch bei Freunden am Sonntagnachmittag zum Kaffee um 15 Uhr möglich ist, damit du deine von 14 bis 15 Uhr geplante Laufaktivität ggfs. um eine Stunde vorziehen kannst ...
Rahmenbedingungen bedeutet auch, dass man Geld ausgibt. Je mehr Geld man ausgibt, umso größer ist natürlich die Gefahr von Fehlinvestitionen, wenn sich "Laufen Wollen" als etwas herausstellt, das einem wirklich keinen Spaß macht. Andererseits wird ausgegebenes Geld (natürlich immer sofern man es auch erübrigen kann!!!) eher dazu führen immer wieder raus zu gehen. Wer will schon Investiionen abschreiben müssen ...
Der Zeitpunkt mit dem Laufen zu beginnen sollte ebenfalls mit Bedacht gewählt werden: Wer jetzt anfängt zu laufen, hat ganz schlechte Karten, wenn er berufstätig ist und keine Tagesfreizeit hat. Er wird ein, zweimal abends im Dunkeln laufen müssen. Und es gibt wenig am Laufen, was mich mehr anödet als im Dunkeln zu laufen. Es ist ähnlich wie beim Essen: Wir essen auch mit den Augen (viele jedenfalls). Der ideale Zeitpunkt ist der Frühling. Dann ist es lange hell, meist nicht mehr so kalt und auch noch nicht so heiß. Auch der Herbst, September, Oktober taugt gut zum Laufeinstieg. Wer Tagesfreizeit hat, mag allerdings auch im Winter Spaß am Laufen finden. Joggen in frischem Schnee - das hat was. Dieser Punkt ist sehr individuell. Es mag ja auch Menschen geben, die gerade im Dunkeln gerne laufen. Wichtig ist, dass man sich genau überlegt, WANN man - jahreszeitlich und tageszeitlich - wird laufen können, WAS das für Konsequenzen haben wird, bzw. wie man die dabei auftretenden äußeren Umstände (auch Unbilden der Witterung) normalerweise empfindet.
4. Zum Läufer wird man nur durch vielfache Wiederholung
Ich gehe auch deshalb laufen, weil ich gar nicht anders kann. Es ist selbstverständlich! Ich habe ein schlechtes Gefühl, wenn ich nicht laufen gehe, obwohl der Tag als Trainingstag vorgesehen war. Ich bin in dieser Hinsicht ein laufender Automat! Dieser Aspekt ist von großer Bedeutung. Nur weil jemand 4 Wochen lang 3 x die Woche laufen war, schleift sich das nicht ein. Wer das gemacht hat, wird das Gefühl etwas zu vermissen, dieses schlechte Gewissen sich selbst gegenüber, noch nicht haben. Wenn jemand vom Nichtläufer (Nichtsportler) zum Läufer wird, dies auch beibehält, dann bedeutet das eine grundlegende Änderung seines Lebenstils. Es ist nicht einfach nur eine eher nebensächliche Handlung, die routinemäßig und mit wenig Aufwand täglich durchgeführt wird. Forschungen legen nahe, dass ein Mensch ein bestimmtes Verhalten 30 bis 60 mal wiederholt haben muss, über 10 bis 12 Wochen, um die entsprechenden Verschaltungen dauerhaft in seinen Hirnstrukturen zu behalten. Das ist nicht nur ein Problem von "Hirn-Software"! Tatsächlich verändern sich Verschaltungen zwischen Hirnzellen, wenn wir etwas vielfach wiederholen.
Mit anderen Worten: Gehen wir vom schlechtesten Fall aus, dass jemandem sich dieses Verhalten zu laufen nur sehr schwer aufprägt, obwohl es ihm "irgendwie" gefällt zu laufen. Nehmen wir an, er muss hundert Mal - und das ohne längere Unterbrechungen von mehreren Tagen - gelaufen sein, um es sich als Gewohnheit anzueignen: Dann bedeutet das, dass dieser Mensch - 3x pro Woche als Trainingsfrequenz vorausgesetzt - 33 Wochen, also fast ein Dreivierteljahr Lauftraining hinter sich haben muss.
5. Die Macht der Unterbrechung
Ich kenne Läufer, langjährige, sogar solche, die schon Marathon gelaufen sind, die wieder damit aufgehört haben. Ich will die einzelnen Gründe hier nicht hinterfragen, dazu fehlen mir im übrigen die Daten. Was wir uns angewöhnen, will ich damit sagen, können wir uns auch wieder abgewöhnen. Da reicht in den ersten Jahren vielleicht ein längerer Urlaub, in dem wir glauben nicht laufen zu "müssen". Wenn wir nach drei Wochen Kreuzfahrt oder sonstiger Untätigkeit heim kommen, fällt es ev. schwer den Laufrhythmus wieder aufzunehmen. Aber auch hier gilt "geht nicht, gibt's nicht". Es mag unmöglich sein an bestimmten Tagen zu laufen. Wenn ich im Flieger nach Bangkok sitze, kann ich nicht laufen. Aber niemand kann mir erzählen, dass es ihm im Urlaub nicht möglich ist eine Woche nicht zu laufen. Urlaub in der Raumstation gibt's noch nicht. Laufen bei einer Kreuzfahrt geht nicht? Ich habe in diesem Jahr eine Marathona vor ihrem ersten Marathon betreut. Leider war in einer entscheidenden Phase ihres Trainingsplans eine Kreuzfahrtlücke. Sie hat mir die Tage genannt an denen sie wegen Transfers oder anderen Ausflügen nicht laufen kann und ich habe ihren Trainingsplan umgestellt. Sie lief an Bord enweder auf dem Laufband oder auf Deck, denn auf Kreuzfahrtschiffen gibt es (meist? immer?) eine eingezeichnete Linie an Deck, die die Laufstrecke markiert, 200 Meter oder so. Die Dame hat ihren Plan durchgehalten. Sie lief teilweise über 20 Kilometer (!!) an Deck oder an Deck und dem Laufband. Sie verfehlte ihr angepeiltes Marathondebüt von unter 4 h nur um einige Minuten, was ihr aber egal war.
Das mag ein extremes Beispiel sein, es zeigt aber, dass es stimmt: "Geht nicht, gibt's (fast) nicht".
Ich hoffe ich konnte einige Aspekt des Laufeinstiegs und des damit zusammenhängenden Motivationsproblems, des Durchhaltens und dem Ziel ein "automatischer Läufer" zu werden darstellen und Impulse geben.
Alles Gute für dich (und natürlich allen Laufeinsteigern)
Gruß Udo