Ich laufe absolut talentfrei... und warum gerade das für mich ein großes Glück ist, möchte ich insbesondere denjenigen erzählen, die als Laufneulinge an sich zweifeln... und vielleicht auch den „fortwährenden Bestzeiten- Junkies“.
Ich war im Handball ein Torgarant... nicht zu bremsen. Doch irgendwann passte es mit Job und zwei Kindern zeitlich nicht mehr. Das Laufen bot sich organisatorisch als neuer Sport quasi perfekt an.
Ich erinnere mich noch gut an meine ersten Läufe... ohne Ball(!)... grauenvoll. Meine Gedanken waren immer daran gefesselt, wie weit es bis zum Ziel war. Es war langweilig... irgendwie schmerzte alles. Ja... es war eine einzige Quälerei.
Als Sportphysio kannte ich mich mit Trainingsplänen ja aus... außerdem hatte ich sehr kompetente Kollegen UND richtig gute Läufer an meiner Seite. Mein Ehrgeiz war geweckt.
Doch die ersten Zeitnahmen waren ernüchternd. Ich war viel(!) zu langsam um überhaupt die Chance zu sehen, jemals im akzeptabel vergleichbaren Rahmen zu laufen. 6 km in 45 Minuten!
Aber ich WOLLTE!
Die Steigerungsläufe führten zu Kniebeschwerden... Pause. Frust. Wieder langsam anfangen... Reduzierter Trainingsplan.
Dann kamen die Achillessehnenbeschwerden, die sehr hartnäckig waren. Pause. Frust. Behandlungen. Reduziert langsam anfangen... irgendwie schien ich mich nur im Kreis zu drehen.
Dazu kommt, dass ich zwar normalgewichtig bin, aber nicht gerade eine typische Läuferfigur habe... zu breites Becken, zu kräftige Extremitäten, zu kurze Beine. Ein hoffnungsloser Fall eben...
Wenn ich das jetzt so Revue passieren lasse, wundert’s mich eigentlich, dass ich nicht die Chips-Tüte gewählt habe und mich auf das Halma- Spielen verlegte.

Ich begann mit Yoga. Und irgendwie veränderte das etwas in mir.
Ich holte meine Laufschuhe wieder hervor.
Und diesmal war alles anders... nun ja, nicht alles... ich war noch immer grottig langsam, aber mein Fokus hatte sich verändert.
Statt immer an das scheinbar weit entfernte Ziel zu denken, blieb ich im Hier und Jetzt... spürte die Erde unter meinen Füßen... den Wind in meinem Gesicht... nahm die Natur um mich herum wahr... und ließ mich einfach treiben. Und plötzlich verstand ich das Laufen!
Seitdem genieße ich es. Ich laufe rein nach Gefühl. Keine Vorgaben. Meist pflücke ich auf halber Strecke einen Wildblumenstrauß für den Esstisch... und ich bleibe stehen, wenn ich einen Greifvogel kreisen sehe... oder ein Reh.
Dennoch mache auch Steigerungsläufe, gern nach temposteigernder Musik. Und ja... so nebenbei bin ich auch immer besser geworden. Ich laufe regelmäßig dreimal die Woche zwischen 1 und 1½ Stunden, insgesamt rund 40 km.
Manchmal, wenn ich überholt werde, keimt wieder der Ehrgeiz auf. Doch was sagt schon eine Laufzeit über die wahre Güte des Laufes aus?
In allen Lebensbereichen streben wir nach mehr und mehr. Wir wollen uns und anderen etwas beweisen.
Und obwohl das Laufen doch den Ausgleich darstellen sollte, legen wir hier genau die gleichen Maßstäbe an. Wenn ein Ziel erreicht ist, sind wir nicht zufrieden, sondern legen die Latte noch etwas höher.
Ich kenne keinen guten Läufer, der je mit seiner Leistung zufrieden ist... ist das nicht Wahnsinn?
Doch wäre ich eine richtig talentierte Läuferin... ich würde vermutlich auch ein Bestzeiten- Junkie sein.
Und ich hätte viel verpasst... denn das Laufen ist mehr, viel mehr.
Das Laufen ist meine Meditation.