Da war ich mal wieder im Saterland am Hollener See und bin dort gekreiselt. Warum tat ich dies? Vor zwei Jahren hat Lauffreundin Rita mit ihrer Freundin Monika den Lauf "Run for Fun" ins Leben gerufen. Ein Lauf von Lauffreunden für Lauffreunde aber dennoch mit Wettkampfcharakter. Kernlauf ist der 12-Stundenlauf. Dieser wird flankiert von zwei 6-Stundenläufen und zwei 3-Stundenläufen. Soll so ein größeres Spektrum an Läufern ansprechen. Das mit den zwei 6-Stundenläuf ist speziell für die Marathon-Sammler vom 100-Marathon Club gedacht. So schaffen sie zwei Marathons an einem Tag, zumindest, wenn sie jedes mal die 42,195 Km innerhalb der 6 Stunden schaffen. Letztes Jahr war ich bei der zweiten Auflage des Laufes dabei. Da passte er mir drei Wochen vor dem Mauerweglauf als letzter ganz langer Lauf wunderbar in die Planung. Dieses Jahr war der Lauf vier Wochen vor dem Mauerweglauf und so ist die Konstellationen sehr ähnlich. Wieder muss ich den Spagat hinbekommen, mich zu erholen, dann noch ein paar Kilometer in die Beine bekommen und mich dann für den Mauerweglauf bestens zu tapern. Aber das ist schon etwas vorgegriffen.
Der Run for Fun führt auf einem Parkweg rund um den Hollener See. Ich mag solchen Boden, der ist weich und fußfreundlich, da treten diverse Schmerzen später auf. Dennoch ist der Weg eben und bietet keine Stolperfallen. Einzig etwas störend ist, dass er an manchen stellen etwas schief und nach links abfallend ist. Auf die Dauer können sich da schon Unbefindlichkeiten in den Füßen und Beinen einstellen. Die Gräten mögen keine langen einseitigen Belastungen. Ansonsten verläuft der Weg im Grünen und oft hat man freien Blick auf den schönen Hollener See. Manchmal kann man auf der anderen Seite Läufer sehen, die wie ich gemütlich oder weniger gemütlich ihre Runden drehen. Letztes Jahr hatte ich bei dem Lauf einen Plan: Durchlaufen. Und das im wörtlichen Sinne. Also bei der Verpflegung kurz stehen bleiben, bis der Becher ausgetrunken ist, dann das Kreuz auf der Liste machen und sofort wieder loslaufen. Gehpausen wollte ich unter allen Umständen vermeiden. Mir war weniger das Endergebnis wichtig, sondern halt die Tatsache, dass ich keine Gehpausen brauchen würde. Das sollte neben den Kilometern in den Beinen auch mentales Training werden. Rundenlaufen ist nun mal noch einen Tick schärfer für den Kopp. Kreuz auf der Liste? Ja bei dem Lauf macht jeder Läufer sein Kreuz pro Runde selbst in seiner Liste, das spart und entlastet die Helfer und schont das Budget der Organisation. Natürlich wird da auf die Ehrlichkeit der Läufer gebaut. Nun, letztes Jahr ging mein Plan voll auf und ich konnte wirklich durchlaufen. Ich verpasste zwar um zwei Runden die 100-Km-Marke aber das störte mich nicht.
Dieses Jahr war der Plan nicht groß anders. Durchlaufen so gut es geht, aber...ABER!...dieses Jahr werden die 100 Km überboten. Die Konkurrenz allerdings lies meine kleine Hoffnung auf eine Wiederholung des Sieges bei den Männern sehr klein werden. Das war aber nicht schlimm. So ist das halt, ich bin eben nicht der schnellste Ultraläufer. Die 100 Km allerdings, die wollte ich!
Am Freitag Nachmittag traf ich nach kurzem Schlaf nach der letzten Nachtschicht und perfekter Zugverbindung in Westerede-Ocholt ein. Rita holte mich ab und es gab den obligatorischen friesischen Tee zur Begrüßung zu Hause. Später führen wir zum Italiener ein paar Orte weiter und ich stopfte mir ordentlich die Plautze voll. Mit dabei war noch Monika und Uwe, Ritas Mann. Carboloading vom Feinsten! Abgerundet wurde dies von einem lecker Eisbecher ein paar Häuser weiter. Okay, ich war richtig vollgestopft und der Zuckerfaden lässt grüßen. Ich musste mir halt auch mal was gönnen. All zulange wollten wir den Abend nun auch nicht ausdehnen. Rita, Moni und Uwe hatten den nächsten Tag auch viel zu tun und ich musste ein wenig laufen. Darüber hinaus war ich dann doch ziemlich müde. Ich schlief dann ganz gut und lustigerweise träumte ich mehrfach in allen möglichen Variationen von dem Lauf am nächsten Tag. Für einen Trainingswettkampf war ich wohl doch ziemlich aufgeregt. Waren aber alles keine Alpträume.
Kurz nach Sechs warf mich Moni aus dem Bett und schnell war ich fertig angezogen. Wie immer hatte ich vor dem Schlafengehen alles bereit gelegt. Nach einem Kaffee fuhren wir schon los und recht früh trafen wir am Ort des Geschehens ein. Pavillons aufbauen, Tische und Bänke aufstellen. Viel war nicht zu tun und alles war flink erledigt. Die lieben Kollegen von Moni, die als Helfer mit dabei waren, schmierten derweil Brötchen, so hatte ich auch noch ein ansprechendes Frühstück. Nun konnte doch nichts mehr schief gehen. Sehr erfreut war ich, dass ich Jörg König wieder sah. Schon am Vorabend hab ich ihn auf der Starterliste entdeckt. Seit dem Baltic-Run 2012 haben wir uns nicht mehr gesehen. Er will heute seinen 350. Ultra absolvieren. Und das wird er verdammt gut machen! Weiterhin freute ich mich, als Sita Hermand ankam. Sie gewann letztes Jahr nicht nur die Frauenwertung sondern auch die Gesamtwertung, da sie ein paar Runden weiter lief als sich. Sie wollte heute aber am 6-Stundenlauf teilnehmen. Tolle Stimmung war, tolles Wetter war, was will man mehr? Ja es war nicht mehr so heiß wie gestern und die Temperaturen sollten auch den Tag über etwas erträglicher bleiben. Die Zeit schritt voran und es wurde Zeit fürs Gruppenfoto vor dem Start.
Und dann ging es schon unspektakulär, wie meist bei Ultras, los. Ich lief an, ganz locker und entspannt und war neugierig, wie es in meinen Beinen aussehen würde. Das dauert schon ein paar Kilometer, bis ich da eine konkrete Aussage machen kann. Wie oft waren die Gräten schon locker und gut drauf um mir nur etwas später doch Sorgen zu bereiten. Wir kamen zur kleinen Holzbrücke und ich erinnerte mich sofort bei den ersten Schritten darauf, dass ich sie schon letztes Jahr nicht besonders mochte. Die Holzplanken federn ziemlich stark und das brachte den gewohnten Rhythmus schon etwas durcheinander. Jedenfalls später, wenn die Beine müde sind. Der Rest der ersten Runde lief recht locker ab und ich konnte nicht meckern. Kurz vor dem Start hatte ich mir noch ausgerechnet, was und wie ich laufen müsste, um die 100 km zu erreichen. Bei einer Rundenlänge von genau 1,35 km waren dazu 75 Runden nötig. Eine Restmetervermessung war nicht vorgesehen, also zählten nur komplett absolvierte Runden. Weiterhin rechnete ich mir flink aus, welche Rundenzeiten das absolute Minimum sein würde, um diese 75 Runden zu schaffen. Das waren 9:36 Minuten. Oder etwas langsamer als 7 min/km. Also stellte ich den VP im Garmin auf genau 7 min/km. Da waren dann noch ein paar Minuten Reserve. Das war natürlich keine reine Laufzeit, die Verpflegungspausen mussten da noch mit rein.
Die erste Runde absolvierte ich in 8:18 was einem Tempo von 6:09 entsprach. Auch wenn sich das sehr locker und gut anfühlte, legte ich gleich die Bremse etwas an. Das gelang mir schon ganz gut, vielleicht nicht gaaanz so gut aber ich fühlte mich richtig angenehm und locker und die Beine waren schön in Schuss. Ich jubelte durchaus innerlich, wie gut ich es geschafft hatte, nur zwei Wochen nach dem Sachsentrail hier wieder so gut unterwegs sein können. Ich gewöhnte mir für die erste Zeit folgenden Rhythmus an: Eine Runde am VP vorbei laufen und jede zweite einen vollen Becher Wasser trinken. Das war also alle 2,7 Kilometer oder 17 bis 18 Minuten. Das sollte erst einmal reichen. Das kostete auch nicht viel Zeit und ging flott. Ich hoppelte wunderbar vor mich hin und hatte Freude am Geschehen. Letztes Jahr (man vergleicht ja immer) war in dem Bereich des Strandes rechts der Strecke ein großes Kinderzeltlager und da gab es über die ganze Zeit viel Gewusel, Abwechslung und immer Spaß, die Kiddis beim Spielen zu sehen. Manche sprachen uns Läufer auch an und frugen neugierig, was wir hier denn tun. Beim Runden laufen ist Abwechslung schon wichtig! Ein paar Meter davor war eine Campergemeinschaft, die sehr früh anfingen, uns Läufer begeistert anzufeuern. Und man konnte deren kompletten Tagesablauf Runde für Runde verfolgen. Da war dieses Jahr etwas, ach was sag ich, viel weniger los.
Aber erst ein mal kreiselte ich schön vor mich hin und war sehr guter Dinge. In meiner fünften Runde überrundete mich Sita bereits das erste mal. Ich feuerte sie begeistert an. Ich war gespannt, wieviele Kilometer sie in den sechs Stunden sammeln würde. Was ich natürlich recht früh begann, war die Rechnerei. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte das alles abschalten und einfach nur so laufen. Wie in manchen Trainingsläufen. Aber nicht hier, da analysierte ich die Rundenzeiten, rechnete hoch, wie viele Runden pro Stunde, was sind das in 3, 6 und am Ende in 12 Stunden. Wieviel muss ich am Ende "abgeben" weil ich logischerweise langsamer werden würde. Das kann einen schon ablenken, aber auch ganz gut auf den Senkel gehen!
Eine Stunde war rum und ich hatte sieben Runden fertich. Das war gut und recht viel. Ich fühlte mich absolut wohl und die Beine funktionierten perfekt also machte ich mir kein schlechtes Gewissen, dass ich da überzocken würde. Sicher kann man bei einem Ultra und erst recht bei Mehrstundenläufen kaum ein Polster heraus laufen, das zahlt man später oft doppelt und dreifach zurück. Andererseits fand ich es nicht zielführend, mich krampfhaft in ein Tempo bremsen, das ich in dem Moment noch nicht laufen brauchte. Ich lief sowieso die ganze Zeit nach Gefühl, nur die Zeit am Ende jeder Runde war mein Maßstab, für das was so los ist. Das wurde durch die Trinkpausen auch noch ein wenig verfälscht. So verging auch die zweite Stunde und das Tempo lies nur ein klein wenig nach. Auf der Strecke dagegen machten sich diverse Mäkeleien der Beine und Teile von denen bemerkbar. Das kenne ich bereits und da muss ich mit leben. Die Adduktoren nebst dem Ziehen in der Leiste ist da schon ein alter Bekannter und kann mich nicht ärgern. Im letzten Jahr hatte ich da eher mit der Kniescheibe zu tun, die dann protestiere, um nach ein paar Stunden wieder die Klappe zu halten *grins* Ansonsten waren es nur kleine muskuläre Zipperlein, die sich bemerkbar machen und um Aufmerksamkeit betteln. Bekommen sie ja auch, ich denke ganz fest an sie und bemitleide sie, aber dennoch wird weiter gelaufen. Basta!
Das waren so die Gedanken, die mich beschäftigten. Neben der permanenten Rechnerei natürlich. Aber etwas genervt von der Rundendreherei war ich dann aber leider auch. Keine großen Selbstzweifel der Art "Was mach ich hier?" oder "Was soll der ganze Scheiß?". Aber so richtig freudig war ich dann auch nicht mehr bei der Sache. Das gefiel mir natürlich nicht. Das einzige Mittel, dass ich dagegen hatte war: Weiterlaufen. Laufen, bis ich auf andere Gedanken komme. Das ging dann Runde für Runde und auch so macht man Meter.
Ich machte mir dann auch so langsam Gedanken, dass ich mal was essen müsste. Ich hatte absolut keinen Hunger, keinen Appetit und fühlte mich wohl, aber ich brauch irgendwann Energie. Das Gespeicherte reicht nie und nimmer für 12 Stunden! Marathon ohne Essen - kein Problem. 50 Kilometer gehen mit ein paar Schluck Cola auch, selbst 6 Stunden schaffe ich mit nur wenigen Stücken Banane. Aber mehr will ich nicht ausprobieren, das führt mit Sicherheit ins Verderben. Also Mampfen! Im Gegensatz zu einem schönen gemütlichen Ultra wie beispielsweise dem Rennsteig, wo ich mir Zeit zum Futtern nehme, hatte ich heute eine Mission. Also auch keine Zeit, das Essen musste schnell gehen. Glücklicherweise lang alles da was ich brauchte. Melonenecken und Bananenstücke. Das sollte mir reichen. Auch begann ich da bereits, Cola zu trinken. Damit hatte ich immer gute Erfahrungen gemacht und das prickeln der Kohlensäure war auch nicht unangenehm. Die Cola war zudem jetzt noch relativ kühl und erfrischend. So konnte es nun also bestens weiter gehen.
Ich hatte noch keine 3 Stunden weg und vollendete die 20. Runde. Feine Sache. Ganz feine Sache! Man rechne: 4 x 19 Runden sind 76. Also mehr als eine Runde mehr als ich brauche. Jetzt hab ich schon 20 Runden im ersten Viertel. Wenn ich jetzt kontinuierlich nachlasse nach der Devise 20...19...18...17 Dann sind das genau 75 Runden! Ich muss ja die letzten drei Stunden nicht nur 17 Runden rennen, oder? Das können gut und gerne auch 76 Runden werden. Sieht doch gut aus, wenn es nicht nur knapp sondern noch etwas mehr über 100 km sind. Gute Laune! Das konnte dem Runden-Blues doch etwas entgegen setzen.
Jetzt hatte ich was die Verpflegung betraf folgenden Rhythmus: Eine Runde was futtern, Melone und Banane und was trinken, meist Cola und die nächste Runde nur einen halben Becher Wasser. Ich hatte mittlerweile zwei leichte Probleme. Ich hatte Durst. Permanent. Ich war ein paar Minuten vom VP weg und ich hätte schon wieder trinken können. Das zweite war, ich hatte einen vollen Magen. Der drückte und konnte das was ich trank gar nicht so schnell weiterleiten. Nicht dass mir schlecht wurde, nö nö. Sonst hatte ich auch keine Unbefindlichkeiten. Aber einen vollen Bauch. Also konnte ich nicht soviel trinken, wie ich das ganz gerne getan hätte. Ein wenig störte mich das schon.
Ich hatte vorher bereits gesehen, dass im Kühlschrank (den hatte ich ja selbst mit ausgeladen und der war sooooo gut!) Krombacher Radler stand. Ich bestellte mir am VP für die nächste Runde also eine geöffnete Flasche Radler. Völlig egal, ob das nun alkoholfrei war oder nicht. Ich kam rum und irgendwie hat die Übermittlung nicht geklappt. Hat mich nicht gestört, ich zu jemandem gesagt, ob er mir bitte eine Buddel aus dem Kühli gibt und schon hatte ich das richtig schön kalte Gesöff. Gleich aus der Flasche angesetzt und die halbe 0,33 Liter Buddel ausgesüffelt. Das war sooo lecker! Und das prickelte (nicht in meinem Bauchnabäll
) und tat sooo gut! Mit bester Laune ging ich auf die nächste Runde. Mit dem Vorsatz, am Ende der Runde die Buddel leer zu trinken. Moni wollte mich dann noch warnen, dass das doch so kalt sei und mein Magen und so. Hab ich sie beruhigt, dass mir das überhaupt nichts ausmacht. Das Kalte war im Gegentum richtig angenehm. Auch die Kohlensäure war kein Problem, nach ein paar hundert Metern gabs ein großes Beuerchen und alles war. Klar, der Druck an sich im Bauch war immer noch vorhanden, störte etwas aber war erträglich.
Ich wurde nun schon etwas langsamer, die Rundenzeiten waren nun permanent über 9 Minuten aber alles weiterhin im grünen Bereich und mit fast jeder Runde gab es mehr oder weniger Sekunden auf das Habenkonto. Rein körperlich gab es nichts zu meckern, das lief sich einfach so weg. Nur hin und wieder schlug der Runden-Blues wieder zu. Und solche Gedanken: "Das sind jetzt noch verdammt viele Stunden, die ich vo mir habe!". Mit der Gewissheit, dass "das Alles" nicht besser wird, sind das nicht die besten Gedanken. Wenn man doch den Kopp einfach so abschalten könnte! Nach ein paar Runden wissen die Beine doch von alleine, wo es lang geht
Mittlerweile hatte das Catering die Nudeln nebst Tomatensoße angeliefert und Rita bot mir davon an. Auch wenn mein Kopf mich ärgerte, es lief an sich weiterhin prima und ich wollte jetzt keine längere Pause fürs Nudelnfuttern aufwenden. Also hielt ich mich weiter an Melone, Banane und Cola. Und auch Radler süffelte ich weiterhin. So ging es mir doch schon ganz gut. Thema gut gehen, der Wetterbericht hatte voll getroffen. Es war um einiges kühler als Tags zuvor. Große Teile der Strecke waren auch schattig aber wo die Sonne an mich ran kam, da drückte sie dann doch etwas. Ich versuchte, das geflissentlich zu ignorieren, ich kann doch Hitze und Sonne ab, gelang mir auch ganz gut. Ich merkte nur, dass mein Shirt permanent vom Schweiß feucht und kühl war und auch die Arme immer vom gut glänzten. Also Kühlung war gut vorhanden und es ging mir ja auch nicht schlecht. Ich durfte mir nur nichts anderes einreden.
So lief ich weiter und drehte Runde um Runde und dann war die Hälfte rum. Ich hatte 39 Runden geschafft und lag wunderbar im Plan. Die ersten drei Stunden 20, die nächsten 19 Runden. Ganz wie erwartet. Ein paar Minuten später hatte ich die 40. Runde fertig. Also noch ein kleines Stück weiter. Ich hatte also noch gute Reserven, um langsamer zu werden und dennoch die 100 Km schaffen zu können. Fast hätte ich gerade "locker schaffen" geschrieben. Waren das meine Gedanken? Schon möglich, aber ich weiß auch, dass beim Ultralaufen nichts wirklich locker ist. Das fühlte sich schon noch ganz gut an und mir ging es weiterhin recht passabel.
Allerdings ging die blöde Rechnerei weiter und leider mischten sich auch mehr und mehr negative Gedanken darunter. Auch wenn Halbzeit vorüber war, die vor mir liegende Zeit war noch richtig lang. Und da mir die Beine durchaus auch weh taten, nichts schlimmes, das übliche halt, war der Gedanke, damit noch 6 Stunden zubringen zu müssen nicht der angenehmste. Da war es durchaus verlockend, es langsamer angehen zu lassen, hier und da eine Gehpause einzulegen. Gehpausen sind schön, da tut es nicht so weh. Das Wissen darum ist böse. Sehr böse in solchen Momenten. Und da kaum Abwechslung von außen kam, gab es nicht viel, dass mich von diesen bösen Gedanken ablenken konnte.
Neben dem Radler gab es bei der Verpflegung auch alkoholfreies Erdinger. Auch lecker und eine geschmackliche Abwechslung. So trank ich jedes mal etwas anderes und entschied mich erst kurz davor, was ich haben wollte. Die lieben Leuts an der Verpflegung machten sich schon lustig und haben eventuell Wetten abgeschlossen, was ich beim nächsten mal trinken wollte. Ich hatte weiterhin großen Durst und hätte durchaus noch viel mehr trinken können. Allein der immer noch "dicke Bauch" erinnerte mich daran, dass da mehr nicht rein passt. Es hielt sich irgendwie immer die Waage. Es wurde nicht schlimmer mit der Plautze und ich konnte ganz gut trinken. Das kalte Radler oder Erdinger war da natürlich von Vorteil.
Die nächste Stunde lief so vor sich hin, die Rundenzeiten blieben konstant aber nervlich baute ich mehr und mehr ab. Ob bewusst oder unbewusst weiß ich nicht mehr aber ich spürte schon, dass mit mir was nicht stimmt. Und das nervte und war auch nicht gerade aufbauend. Ein Teufelskreis! Ich betete mir immer wieder vor, dass die 100 km Pflicht sind und dass ich die auch schaffen kann und werde. Mantra hin und her, es half nicht auf Dauer. Es war am Ende der 48. Runde, ich trank wieder eine halbe Buddel Radler, das schmeckte und tat gut. Aber seltsamerweise bekam es mir dieses mal nicht so gut. Wie beschreibe ich es, es lag irgendwie obenauf im Magen und wollte nicht rutschen. Im Prinzip war es nix, unter anderen Umständen hätte ich das sicher nicht einmal bemerkt. In dem Moment aber kam das dem Teufelchen in mir gerade recht. Es war wie der I-Punkt auf all den schlechten Gedanken, die ich bis dahin schon pflegte. Die Runde lief also schon recht mies. Ich rettete mich da noch drüber. Wieder Verpflegung, etwas getrunken und weiter. Ich hoffte, die paar Sekunden stehen würden mir gut tun und es mir besser gehen. Aber nichts da! Leider. Ich versuchte mich noch, dazu zu überreden, mindestens bis 70 Kilometer durchzuhalten. Auch das schaffte ich nicht mehr. Wenigstens diese 50. Runde wollte ich noch durchlaufen. Ein gaanz kleiner Sieg, der kaum zählte. Ich futterte wieder etwas, ein großer Schluck Cola und dann ging ich los. Nach all den bisherigen Runden, die ich immer sofort los gerannt bin vom VP ging ich jetzt ein gutes Stück. Das war wie eine Niederlage und genau so fühlte es sich auch an. Meine Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Ich wusste ganz genau, dass ich körperlich noch voll fit bin, ich hatte keinerlei Schmerzen, die über das "normale Maß" eines Ultras an dem Punkt hinaus gingen. Geschweige denn, dass sich da eine Verletzung ankündigte. Ich war im Vollbesitz meiner Kräfte und fühlte mich durchaus wohl. Und dennoch konnte ich nicht mehr durch rennen. Was sonst als eine Niederlage ist das?
Die Runde lief ich ein paar mal an und nach ein paar Metern verfiel ich wieder ins Gehen. Ich hatte absolut keine Lust mehr. Und noch 4 1/2 Stunden vor mir! Also ans Aufgeben an sich dachte ich da nicht, das lag fern meiner Vorstellungen. Auch wenn es ein Mehrstundenlauf ist und wenn man einfach nicht mehr weiter läuft, dann zählen die Kilometer bis dahin und gut is. Für mich persönlich wäre es ein Aufgeben, ein DNF. Nichts Anderes. Und ohne körperliche Probleme, ohne richtige Probleme wäre das pures Versagen. Also bleibe ich natürlich auf der Strecke, keine Frage. 67 Kilometer habe ich erreicht. Selbst nur noch gehend schaffe ich mindestens 5 Kilometer die Stunde, was am Ende 87 Kilometer, mit etwas Gehoppel 90 Kilometer bedeuten würden. Ja ich dachte schon daran, nur noch zu gehen. So Lustlos war ich in dem Moment. Die 51. Runde war vorbei, ich futterte noch etwas und latschte erst einmal los. Noch vor der Brücker verfiel ich ins Laufen. Aber schon deutlich langsamer als die Runden vorher. Mal schauen, wie sich das anfühlt. Durch die Gehpause nach der Verpflegung konnte ich nicht kontrollieren, wie schnell ich wirklich lief. So um die 7er Pace schätzte ich. Das fühlte sich ganz gut an und ich beschloss, nun jede Runde mit zwei Gehpausen zu absolvieren. Eine nach der Verpflegung und die andere auf der anderen Seite des Sees am Berg. Ja der klitzekleine Anstieg wurde zm Berg
. Und der Rest der Runde wird gelaufen. Im dem Tempo, das sich wohl anfühlte.
Ja und das war nun doch ein anderes Rennen als vorher. Die 100 Kilometer hab ich in den zwei Runden nach der 50. bereits abgeschrieben. Nun lief alles etwas langsamer ab, die Gehpausen kosteten halt Zeit. Für eine Runde brauchte ich nun um die 12 Minuten und schon begann das Rechnen. 12 Minuten sind 5 Runden je Stunde, also in den verbleibenden 4 Stunden noch 20 Runden. Damit komme ich dann doch weit in die 90er Kilometer. Und diese Aussicht ließ meine Stimmung wieder ansteigen. Außerdem konnte ich mich doch nicht 4 Stunden mit schlechter Laune durch die Gegend schleppen. Nun hatte ich auch Zeit von den Nudeln nebst der leckeren Tomatensoße zu kosten. War gut und sättigend aber dank der Würze hatte ich hinterher noch mehr Durst. Aber das konnte mich jetzt auch nicht mehr ärgern.
Die letzten Stunden spulte ich dann in der Art ab. Mir ging es körperlich nicht schlechter und mental hatte ich mich auch gefangen und da konnte nicht mehr viel passieren. Passierte auch nichts und so hatte ich dann noch guten Spaß. Eine Runde lief Monika mit mir und wir schwätzten angenehm. Ein andermal lief ich auf Rita auf, die einen Läufer begleitete. Der ging recht flott und Rita hoppelte neben ihm her. Da schloss ich mich ihnen an und auch das war eine sehr kurzweilige Runde. Und das war die einzige Runde, die ich komplett durch ging. Allerdings in einem für mich zu flottem Tempo, dass so gar nicht erholsam war. Und ich sammelte sehr viele Steinchen in die Schuhe ein, die dann doch so nervten, dass ich mich kurz hinsetzte um sie wieder aus den Schuhen heraus zu befördern. Das war auch das einzige mal, wo ich kurz gesessen hab. Während ich so Runde um Runde lief, freute ich mich jedes mal über einen kurzen Wortwechsel mit Jörg König. Er war mit seinem schnellen Jog-Wandern sehr gut unterwegs und kam am Ende auf 85 Kilometer. Und so ging die Zeit vorüber und das Ende nahte. Ich wusste schon lange vorher, dass ich auf 71 Runden kommen würde. Für eine Runde mehr hätte ich zu stark beschleunigen müssen und das empfand ich als wenig sinnvoll. Ich lief meinen Stiefel so bis zum Ende und war dann doch sehr froh, als ich es hinter mir hatte.
Nun noch die Zeit bis 12 Stunden rum waren abwarten, jenige die noch ins Ziel kamen beglückwünschen und umarmen und mich einfach freuen, dass ich letzten Endes doch noch ein ganz gutes Läufchen absolviert hatte. Zur Analyse hatte ich später noch Zeit und einen Teil hatte ich unterwegs ja schon getan. Nun schnell duschen, denn die Haut war ganz schön salzverkrustet und klebrig von der ganzen Schwitzerei. Und ich kam noch rechtzeitig zurück zur Siegerehrung. Anschließend gabs lecker Chili con Carne mit und ohne Fleisch und wir konnten den Tag schön ausklingen lassen. Jörg bekam zur Überraschung noch ein extra T-Shirt mit dem Aufdruck, dass dies sein 350. Ultra war. Da hat er sich aber sehr gefreut
Und nun das Fazit ;o) Ich hatte mir viel vorgenommen, auch wenn das nur ein Trainingslauf sein sollte. Die 100 Kilometer wollte ich schaffen und körperlich waren sie auch voll drin. Dessen war ich mir bis zum Ende hin bewusst. Nur der Kopf war heute nicht ganz am rechten Fleck. Das Hamsterrad hat mir mehr zu schaffen gemacht als ich es gebrauchen konnte. Ich war einfach nicht in der Lage so aus dem Tief heraus zu laufen, wie gewünscht. Das war hart und damit musste ich klar kommen. Ich hab dann das Beste daraus gemacht. Das kann ich schon als Erfolg verbuchen. Und auch die Tatsache, dass ich nach den 12 Stunden nicht fertig war, rein körperlich durchaus weiter hätte laufen können, find ich gut. In dem Tempo zum Schluss mit den kleinen Gehpausen kann ich also noch viel weiter laufen. Und das will ich ja auch in ein paar Wochen auf dem Berliner Mauerweg. So gesehen war der Run for Fun 3.0 nicht nur für den Körper ein gutes Training sondern gab mir auch viel Sicherheit, dass ich, wie auch immer, lange durchhalten kann
Übrigens hat es am Sonntag Vormittag ganz schön lange und stark geregnet. Was hatten wir für ein Glück mit dem Wetter!
Etwas weiter oben hab ich die Garmin-Aufzeichnung in Tabellenform schon gepostet. War eigentlich nur ein Test, wie die Tabelle aussehen würde aber hab das Löschen vergessen. Hier mal der Link zu dem Post, wer da nochmal schauen möchte:
http://forum.runnersworld.de/forum/tage ... ost1989421
Gruss Tommi