U_d_o hat geschrieben:Es kann auch ganz fürchterlich in die Hose gehen. Damit meine ich nicht nur das sportliche Scheitern. Auch wenn das eigentlich als lauf-apokalyptische Möglichkeit ausreicht: Es ist die pure Hölle, wenn du hinter der 30km-Marke keine Kraft mehr hast und/oder deine "Gräten" so weh tun als hätte man sie dir mit einer Dampframme bearbeitet. Dann stirbst du dem Ziel entgegen und hast weniger als nur keinen Spaß mehr. Aber das ist eigentlich das geringere Risiko. Tatsächlich ist es orthopädisch betrachtet Russisch Roulette seinen Körper in 30 Wochen auf Marathon zu quälen, wenn man vorher nicht wirklich gelaufen ist.
Ich finds amüsant, dass sich viele Marathonläufer immer gerne als Teil eines verrückten Haufens sehen, die genau wissen, dass das, was sie da machen, nicht immer wirklich supergut für den Körper ist, es aber genau deshalb auch irgendwie toll finden. Gleichzeitig wird dann aber den Nichtläufern oder Nichtmarathonläufern unbedingt zu einem absolut strikt durchdachten, sinnvollen Trainingsaufbau geraten. Ist ja auch irgendwie richtig, aber ich will mal den Läufer sehen, der immer nur supervorbereitet an der Startlinie steht, ganzjährig unterwegs ist, immer Alternativtraining macht, sich sauber ernährt, der, wenn es zwickt, pausiert, nie erkältet läuft, und der beim kleinsten Anzeichen einer Verletzung sofort den Arzt aufsucht, um Ursachenforschung zu betreiben. Den gibts natürlich nicht.
Das Training haut nicht so hin, wie man sich das vorgestellt hat, im Dunkeln zu laufen, findet man doof, wenns kalt ist, ist es doof, Regen ist auch doof, Wind sowieso, dann noch die Hitze - puh. Zum Crosstraining hat man wahlweise keine Zeit und/oder Lust, nach dem Sport will man sich aber dann schon auch was gönnen (deshalb macht mans ja), die kleinen Wehwehchen werden ignoriert, schöngeredet oder es wird mit Stolz erzählt, dass man trotz Schmerzen weitermacht.
Die Erkältung zwingt vielleicht mal zur Pause, wenn Fieber dabei ist (das Herz!), ansonsten wird halt gerannt und gehustet - man schwitzt ja die Krankheit beim Laufen aus - klar.
Und wenn es dann passiert, dass man sich vor dem Wettkampf verletzt, auf den man monatelang hingearbeitet hat, dann tritt man halt trotzdem an und versucht sein Bestes, auch wenn man mit Schmerzen ins Ziel kommt und anschließend monatelang nicht mehr laufen kann. Immerhin kann man dann hinterher den feisten Arbeitskollegen erzählen, wie krass man drauf ist (natürlich versteckt unter dem Mantel der Bescheidenheit - man will ja nicht angeben, aber ach, hier guck mal, meine Medaille und ja, die Zielzeit musste ich mir natürlich auch eingravieren lassen, wenn auch nicht PB, die bin ich ja vor 8 Jahren in X gelaufen, aber damals hatte ich ja auch noch keine Kinder und das Haus musste nicht saniert werden) und irgendwie ist das ja irre, was man da treibe, aber gleichzeitig klopft man sich dafür auch auf die Schulter, weil die anderen dann Sachen sagen wie: "Ich könnte das nicht.", "Ist ja Wahnsinn.", "Du bist doch bekloppt!", und man denkt sich: Jo, genau.
Und mit dem Gefühl des Irgendwie-anders-Seins geht man dann beschwingt nach Hause - würde man nicht grad an Krücken gehen, weil der Mittelfuß gebrochen ist, aber das ist das falsche Schuhwerk gewesen, demnächst nur noch barfuß, die scheiß Industrie kann mich mal!
Ich denke, das kommt doch dem Alltag sehr vieler Läufer ein klein wenig näher. Sich dann über die bekloppten Vorhaben von Nichtläufern herzumachen und zu erzählen, wie wahnsinnig das doch alles sei und dass man mit Marathon fürchterlich aufpassen müsse, weil einen bei unzureichender Vorbereitung ein Gang durchs Fegefeuer mit anschließender Begegnung mit dem Leibhaftigen persönlich bevorstünde, ist doch irgendwie Wasser predigen und den Sangria eimerweise saufen. Oder der Spruch mit dem Splitter und dem Balken im Auge (wobei ich den irgendwie nicht kapiere).
Ich finds einfach nicht glaubhaft. Komplett sinnlos werden die Schauergeschichten übrigens, wenn man sich mal ausmalt, was im Kopf desjenigen vorgeht, der eine körperliche und mentale Herausforderung sucht und glaubt, beim Marathon fündig zu werden. Der hört nur, dass es
unendlich schwierig wird, wenn man nicht richtig vorbereitet ist. Dann denkt der sich doch vielleicht (und ich denke, das ist recht häufig der Fall, wenn man sich die zweiten Hälften vieler Marathonis anschaut): Ha, wollen wir doch mal sehen! Und rennt erst recht, gewollt oder ungewollt, unvorbereitet los. Und hinterher kann er dann von seinem Martyrium erzählen, und davon, wie er es geschafft hat, den Mythos Marathon aber doch zu meistern, trotz all der widrigen Bedingungen. Dass da dann in Wahrheit ne ärmliche Zeit aufgrund dürftigen Trainings rausgekommen ist - geschenkt. Die Story und die Emotionen sind viel wichtiger als die Fakten.
Wenn man stattdessen erzählen würde, dass die Marathonlauferei keine große Sache ist, und fast jeder es schaffen kann (es aber auch wirklich nicht sein muss), dann würden viele Grenzerfahrungssucher gelangweilt abwinken und sich mit Gummibändern um den Knöcheln von der nächsten Klippe stürzen.
Achso, was ich damit sagen will: Die meisten (Marathon-)läufer, die hier von recht diffusen Vorhaben ohne richtigen Plan abraten, sind selbst bis zu einem gewissen Grad so unvernünftig, haben das alles selbst schon mitgemacht, finden das im Nachhinein dann rational betrachtet nicht gut (aber insgeheim schon noch, weil man ist ja irgendwie bekloppt), spielen sich dann aber als große Kenner auf, bloß um sich selbst zu versichern, dass man ja schon auch auf sich Acht gibt und keiner dieser Funläufer ist, der seine Gesundheit aufs Spiel setzt.
Und wenn dann der nächste Marathon wieder in die Hose geht, wars halt wahlweise das Wetter, das falsche Gel, fehlende Getränkestationen (dem Veranstalter schreib ich ne Mail, die sich gewaschen hat!!!), am Abend vorher war das Essen schlecht/zu wenig/zu viel/falsch, außerdem können wir Amateure gar keine zwei gleich schnellen Hälften laufen usw. usf. Aber kaum einer gesteht sich ein, dass er im Training, im Wettkampf und im Alltag ziemlich viel ziemlich falsch macht. Da geht man dann lieber her und haut einem blutigen Anfänger sein Unwissen um die Ohren. Schwache Leistung, eigentlich.
