CentralParker hat geschrieben:Hallo Gudrun,
ein Super-Weihnachten hast Du da! Ganz lieben Dank fürs Erzählen!
In unserer deutsch-amerikanischen Mischehe ist die klassische deutsche Weihnacht immer mehr umgeformt worden... so haben wir nun eine internationalisierte Variante. Allerdings bestehe ich immer noch ganz spießig darauf, dass wir einen Weihnachtsbaum haben. Und der MUSS natürlich sein, und er MUSS bis unter die Decke reichen, und beim Schmücken MUSS das Weihnachtsoratorium gehört werden (die Gardiner-Aufnahme, falls es interessiert). Das ist nicht verhandelbar.
In diesem Jahr werden wir den Baum wohl erstmalig nicht am Nachmittag des 24., sondern schon heute abend, also zwei Tage vor Heiligabend schmücken. In der Familie meiner Frau gibt es die wunderschöne Tradition, dass man sich zu Weihnachten gegenseitig Christbaumschmuck schenkt. Der Clou ist: Das Ornament muss einen Bezug zu dem haben, was der Beschenkte im abgelaufenen Jahr getan oder erlebt hat. So habe ich zum Beispiel mittlerweile ein Auto (aus dem Jahr, wo ich meinen ersten "Dienstwagen" bekam) und einen Flügel (aus dem Jahr, wo ich das Klavierspielen wiederaufnahm). Meine Frau wird zum Beispiel eine Sandale aufhängen (aus dem Jahr, wo wir die Kreuzfahrt an den Sandstränden der Karibik machten) und eine Hochzeitstorte (aus dem Jahr, in dem wir... nun schön, darauf kommst Du selber.). So gibt es viele, viele unterschiedliche Ornamente. Es würde mich schwer überraschen, wenn ich dieses Jahr keinen Schuh oder Läufer als Christbaumschmuck geschenkt bekäme.
Der Baum hat dadurch nicht die klassisch deutsche "Farb-Story", sondern er wird kunterbunt. Aber mit den Jahren erzählt er auf diese Weise Deine Lebensgeschichte. Das ist schon beim Schmücken ein wunderbares Erlebnis, und lädt auch zum Betrachten und Erinnern nach den Feiertagen ein. Unter einen Baum gehört natürlich eine Krippe, und die ist auch bei uns ganz spießig dabei. Jesuskind, Maria, Josef, Ochs und Esel, Hirte mit zwei Schäfchen - das volle Programm.
Am Nachmittag gegen 16 Uhr findet sich auf der Straße vor unserer Haustür traditionell das örtliche Jugendorchester ein (das war schon so, bevor wir hier einzogen - halt eine Ortstradition). Die Nachbarschaft versammelt sich dann auf dem Bürgersteig und singt, während das Orchester ca. 20 Minuten lang Evergreens spielt (O Du Fröhliche, Stille Nacht Heilige Nacht,...). Danach bringen einige Nachbarn Selbstgebackenes oder Kaffee oder einen "Kurzen" hinaus, und man palavert noch ein Viertelstündchen, bevor sich alle zur Bescherung in ihre Häuser zurückziehen.
Bescherung ist, wie sie immer war: Auspacken, Ooooooh und Aaaaaah rufen, Dankes-Küsschen rechts und links, erzählen, am Getränk nippen, lachen. Dieses Jahr kommen keine Familienmitglieder hierher, und so werden wir mit einem befreundeten Ehepaar aus der Nachbarschaft feiern. Irgendwann abends gibt es Essen - in diesem Jahr machen wir "Pfännchen-Essen". Das ist so ähnlich wie Raclette - in dem Sinne, dass jeder sich selbst etwas brutzelt, zwischendurch erzählt, eine Pause einlegt, etwas Neues schmurgelt... solange, wie man Lust hat.
Meine Frau und unsere Freunde gehören keiner Glaubensgemeinschaft an - und meine eigene Bewunderung für die römisch-katholische Kirche hat irgendwann zwischen Messdiener-Dasein und Scheidung der ersten Ehe ein wenig gelitten, so dass die Christmette wohl ausfällt. Vielleicht gehe ich am Ersten Weihnachtstag morgens alleine, mal sehen.
Außerdem gibt es in der amerikanischen Tradition ja die Socken, die überm offenen Kamin hängen. Einen offenen Kamin haben wir zwar nicht, aber Socken gibt's trotzdem. Die sind überdimensioniert und von meiner Frau handgenäht und bestickt. Sie tragen unsere jeweiligen Namen, und Stick-Ornamente, und meine Socke schmückt noch ein Bär, der am Klavier sitzt und "Wie soll ich Dich empfangen" spielt - die Sopran-Noten sind ebenfalls aufgestickt (und nun bin ich auch endgültig als glühender J.S.B.-Bewunderer geoutet). Diese Socken werden ja bekanntlich nicht vom Christkind, sondern von Santa Claus gefüllt. Wie wir alle aus vielen Hollywood-Produktionen wissen, kommt der gute Mann in der Heiligen Nacht, und am Morgen des 25. sind die Socken dann voll. Also werden die Socken auch von uns erst nachts oder frühmorgens gefüllt und am Morgen des 25. mit großer Überraschung ausgepackt. Der Inhalt sind "nützliche Dinge" (also z.B. Labello, Batterien, Windschutzscheibenkratzer,...), und natürlich auch Süßigkeiten.
Ansonsten gilt für die Weihnachtstage: Viel Essen, viel Trinken, Erzählen, Lachen, Sinnieren, Lesen und Schlafen. Eine super-spießige, aber menschlich sehr warme Zeit. Ich LIEBE Weihnachten!