Kein Mensch muss Marathon laufen. Man kann das tun, man kann das sein lassen. Entscheidend ist, ob man das selbst will oder nicht. Bei so manchem wäre es wahrscheinlich besser, er würde das sein lassen oder sich anständig vorbereiten.
Diese Aussage hier reizt mich jedoch zum Widerspruch.
JoelH hat geschrieben:Der Grund ist dabei nicht die Distanz, sondern das Laufen mit angezogener Handbremse.
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Ich tue mir verdammt schwer damit mich ein zu bremsen. Und das dann 42 km lang zu tun erscheint mir eher als Selbstkasteiung als Spaß.
Wenn das deine Vorstellung von einem Marathon ist, dann bist du einem Irrtum erlegen. Ich möchte mal einen typischen Verlauf dagegen setzen, zumindest wie ich ihn erlebe. Voraussetzungen sind:
- optimale Vorbereitung
- optimale Renneinteilung
- ein guter Tag, an dem du umsetzen kannst, was du dir vorgenommen hast
km 1: Es gilt, dich einzusortieren. Nicht zu schnell loslegen, aber auch nicht zu langsam. In etwa sollte das Tempo schon stimmen.
km 2 - 4: Rhythmus finden.
Etwa bis km 10: Tempo passt. Du läufst locker, aber zügig, nimmst wahr, wie du flott vorankommst und die Strecke vorbeizufliegen scheint.
Bei km 11, 12 oder 13: Tempo stimmt nach wie vor, aber du merkst allmählich: Es ist hoch, du bist froh, dass du am Anfang nicht überzogen hast.
Irgendwo zwischen km 15 - 18: Du hast bereits einen anständigen Teil hinter dir, das merkst du jetzt. Dein Atem wird schwerer, die Beine spürst du bereits.
Um die Halbmarathonmarke herum: Es ist ein richtig hartes Rennen. Dein Körper signalisiert dir das sehr deutlich. Du hast dich mental gut auf dieses Rennen vorbereitet, und daher lässt du keinen Gedanken an dich herankommen, der dir vor Augen führte: Das ist gerade mal die Hälfte!
Gegen Ende des dritten Zehners, bei km 27, 28 oder auch 30: Wenn du dem Verlangen deines Körpers nachgibst, bist du verloren. Dein Kopf arbeitet dagegen, blendet die Signale aus. Nur deshalb läufst du weiter in diesem hohen Tempo.
Zwischen km 32, 33 oder 34: Mittlerweile bist du so richtig erschöpft, alles tut irgendwie weh, die Beine vor allem. Wenn du trinkst, dauert es länger und länger, bis dein Atem aus der Schnappatmung heraus wieder den richtigen Rhythmus gefunden hat. Du zählst die Kilometer rückwärts.
Die zweite Hälfte des vierten Zehners, km 36, 37 oder 38: Dein Körper will nur noch eins: aufhören. Aber du lässt ihn nicht. Du zwingst ihn zum Weitermachen, ja, du willst diese Gedanken gar nicht erst an dich heranlassen. Nur die Stärke deines Willens ist es, was dich vor dem Nachgeben bewahrt. Denn du weißt: wenn du jetzt nachgibst, kannst du noch Minuten verlieren, und wenn du ein Zeitziel hast, war die ganze Quälerei davor umsonst.
Die letzten 4 oder 5 km: Du läufst nur noch mit Tunnelblick. Du hattest dir ein Zeitziel vorgenommen? Du schaffst es nicht mehr nachzurechnen, ob du es erreichen kannst oder nicht. Dein Kopf ist nur noch darauf konzentriert, den geschundenen Körper am Laufen zu halten. Für etwas anderes ist da kein Platz mehr. Klappt nicht! Du wirst nervös, wenn die Läufer links und rechts an dir vorbeiziehen, denn dann wirst du langsamer. Oder du läufst auf eine Gruppe auf, der du vor wenigen km nicht mehr folgen konntest. Dann fühlst du, dass doch noch Kraft in dir ist.
Hinter km 41: So kurz vorm Ziel bekommst du vielleicht noch einmal den zweiten Wind. Du weißt, nur noch wenige Meter musst du dieses mörderische Tempo aufrecht halten. Du "riechst" förmlich das Ziel. Dein Körper bereitet sich innerlich schon auf das Loslassen vor.
Im Ziel: Du bist leer. Du spürst nichts mehr. Du bist einfach froh, es hinter dir zu haben. Erst allmählich fängst du an, das Loslassen von der Anspannung wahrzunehmen und ein wohliges Empfinden von Ruhe zu verspüren.
Wie gesagt, das setzt ein bisschen was voraus. Aber wer bei einem solchen voll auf Tempo gelaufenen Rennen nach einem Drittel oder allerspätestens der Hälfte noch das Gefühl hat, er würde mit angezogener Handbremse laufen, der macht etwas falsch. Übrigens: Spaß ist das auch nicht!
Nicht um mit ollen Kamellen zu prahlen, sondern um die Tempi ins rechte Licht zu rücken, vielleicht mal ein Beispiel:
2011 war meine schnellste
10 km-Zeit 38:38 min (3:52 min/km)
über HM: 1:25:22 h (4:03 min/km)
Beim Marathon hatte ich eine
HM-Durchgangszeit von 1:26:11 h (4:05 min/km)
und M-Zeit von 2:53:37 h (4:07 min/km)
Die Unterdistanzzeiten waren nicht optimiert, aber immerhin in Wettkämpfen gelaufen. Da war nix mit "Bremsen" im Marathon. Als Ergebnis war das dann auch der erste, bei dem ich im
Ziel kotzen musste. (War auch kein Spaß!

)
Bernd