Diese Studie zeigt den mir bekannten Ist-Zustand: Deutsche Athleten werden von der Mehrzahl der Bevölkerung und vor allen Dingen von Jugendlichen als Vorbilder gesehen, die ihr Land repräsentieren und in Punkto Fairness, Gemeinschaftsgefühl und Leistungsfähigkeit Vorreiter sein sollen. Und eine große Mehrheit der Leute empfindet Glück und Stolz, wenn die Athleten erfolgreich sind und für sie ist die Außendarstellung der Sportler wichtiger für das Land als es Kultur und Politik sind. Der Sport hat also staatstragende Bedeutung. Resultiert aus dieser Einstellung der Menschen dann automatisch, dass die Sportler Vorbilder sein
müssen? Müssen sie deshalb noch höheren Ansprüchen als jeder andere normale Mensch genügen?
Ich finde nicht. Einmal aus rein logischer Überlegung, weil aus einem Ist-Zustand noch keine ethisch/moralische Pflicht entstehen kann (Sein-Sollen Fehlschluss) und zum anderen aus dem einfachen Grund, dass man doch immer wieder zu sehen bekommt, wie viele Sportler an diesen überhöhten Erwartungen kaputt gehen. Von ihnen wird außer ihrer außergewöhnlichen Leistung noch mehr verlangt, die Hoffnung auf den idealen, edlen Charakter wird in den Sportler gelegt und dieser muss diesen Erwartungen entsprechen. Gleichzeitig muss er aber auch noch Top-Leistungen einfahren, siegen ohne Wenn und Aber und dabei aber stets fair bleiben. Dass man, um so weit nach oben zu kommen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das ein oder andere Mal ein richtiger Drecksack sein muss, wird ausgeblendet - es wird immer der gute, edle, Charakter gesucht, der dann noch die anderen fiesen, betrügenden Sportler besiegen muss.
So entsteht ein Quasi-Mythos um erfolgreiche Sportler, der mediale Hype kramt dann Geschichten aus dem Privatleben hervor, die belegen, was für ein guter Mensch im Sportler steckt (deshalb engagieren sich auch fast alles Sportler irgendwie karitativ - entweder weil es ihnen wirklich was bedeutet oder das Management es ihnen "nahelegt").
Und sobald Zeichen eines Makels auftauchen, wird in der Jauchegrube gewühlt, es wird begonnen mit Dreck zu werfen, der Sportler wird aufgrund menschlicher Schwächen aus dem Himmel geholt und in die Hölle geworfen. Entweder weil er privat doch nicht der perfekte Mensch ist oder weil er im Sport selbst entweder doch nicht unbesiegbar ist (dann ist er zumeist trainingsfaul oder ein Hallodri oder beides) oder es einen besseren gibt (der dann seinen Platz einnimmt).
Um zumindest die sportlichen, unmenschlichen Erwartungen zu erfüllen, wird versucht, mit unlauteren Mitteln dem Ganzen beizukommen. Für mich ist das Stilisieren des Sportlers als Repräsentant der Nation, der der Jugend ein leuchtendes Vorbild sein soll und dabei auch noch knallharte Wettkämpfe unter edelsten Motiven gefälligst zu gewinnen hat, ein ganz entscheidender Grund dafür, warum gedopt wird (neben den natürlich naheliegenderen Gründen, sich schlicht einen Vorteil oder "Waffengleichheit" gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen).
Was bei all dem vergessen wird, ist der SPORT. Schau dir große Sportereignisse mit den Superstars ihrer Disziplinen an: Es werden fast nur noch Geschichten, Legenden gesponnen - Sportler sind die Ikonen unserer Zeit, sie werden vergöttert und verehrt - doch wehe, sie werden dabei erwischt, wie sie ihre Frauen und Männer betrügen oder dopen - dann darf die strafende Gesellschaft tätig werden. Nach der Sündenbock-Theorie braucht die Gesellschaft den gefallenen Engel, der die gerechte Strafe für sein Handeln bekommt, um von den eigenen unbewussten Schuldgefühlen entlastet zu werden. Im vorliegenden Fall: Frau Mockenhaupt gibt das Rennen auf, obwohl sie hätte weiter rennen können. Man erkennt in sich selbst das Gefühl, irgendwann schon einmal zu früh irgendetwas aufgegeben zu haben (im Job, im Sport, als Kind, in der Ausbildung...). Nun dient Frau Mockenhaupt als Sündenbock, man darf die eigenen Sünden auf sie laden, wie die Israeliten im religiösen Brauch ihre Sünden auf einen Bock geladen haben. Man darf sie jetzt kritisieren, sie verurteilen und verachten, persönlich beleidigen. Alles, um sich selbst hinterher ein bisschen reiner zu fühlen, um sich von den eigenen Sünden zu befreien.
Ein Überhöhen der Sportler zu Ikonen ist wohl ein gesellschaftlich ganz normaler Vorgang, gerade jetzt, wo Politiker und andere Herrscher oder Götter dafür nicht mehr taugen. Der Sport gerät dadurch nur völlig aus dem Fokus, Menschen kreieren sich Ersatzgötter und konzentrieren sich auf das Handeln der Personen, nicht auf die Schönheit des Sports an sich. Und das finde ich so schade. Dass Jugendliche diesem Denken besonders schnell anhaften, ist klar. Dass es so sein muss und dass Sportler diese Funktion gefälligst mit Bravour auszufüllen haben, halte ich für fatal. Hierdurch werden allzu oft Realitäten verkannt, Scheitern und Schwäche gehören zum Leben genauso dazu wie richtiges Handeln, kämpfen, nicht aufgeben. Durch ein derartiges Verklären und Überhöhen und anschließendes Verteufeln wird den Menschen beigebracht, dass das Aufdecken von Schwächen das Schlimmste ist, was passieren kann. Es wird gelehrt, dass man Schwächen nicht zu haben hat, denn wenn man sie hat, hat man keine Chance, diesem Idealbild zu entsprechen. Schlimmer noch, man wird dafür verteufelt. Dabei wäre es ein viel gesünderer Umgang, mit seinen Schwächen offen umzugehen, sie nicht größer zu machen als sie sind, sie gelassener zu sehen. So könnte man die Sportler immer noch unterstützen, was ich auch für wichtig halte, das unbewusste Ikonisieren und Dämonisieren sollte man sich nur ab und an schenken. Sportler mit charakterlichen Schwächen können genauso gut Vorbild sein - wenn sie richtig mit ihren Schwächen umgehen. So wie Frau Mockenhaupt es doch jetzt auch tut. Sie sieht ein, dass sie einen Fehler gemacht hat. Damit sollte es doch auch gut sein, immer gleich die nationale Repräsentanz als Aufhänger für ein emotionales Gepolter aufgrund ihres Fehlers heran zu ziehen, halte ich für, gelinde gesagt, Schwachsinn. Vorbild bedeutet heute leider allzu oft, dass man den perfekten Menschen darzustellen hat. Und das geht eigentlich immer in die Hose.
Aber anscheinend muss es ja so sein, dass die Sportler hier irgendeinem höheren Ziel dienen, Deutschland würdig vertreten müssen, damit wir in der Welt als ein erfolgreiches, sympathisches, starkes Land gesehen werden. Diese Begründung halte ich für 1. oberflächlich und 2. ziemlich abgedreht oder sagen wir lieber unendlich altbacken
So, Mittagspause um...