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von RunningPotatoe
Hmmm, irgendwie hänge ich bei dieser Diskussion ein wenig zwischen den Stühlen. Weil ich glaube, beide Seiten in etwa zu verstehen, starte ich mal einen Vermittlungsversuch. Aber wirklich nur einen einzigen.
Zunächst mal: Der NordicNeuling betrachtet - im Gegensatz zu manch anderem hier - richtig betriebenes Walking als vollwertige Alternative zum Laufen, und das vor allem bei Lauftempi, die sich mit dem Walking überlappen. Wenn er das empfiehlt, tut er das aus lauteren Motiven und keinesfalls um jemanden niederzumachen oder was auch immer.
Gleichwohl gibt es Leute, die sich mit dem Walken - aus welchen Gründen auch immer - nicht anfreunden können oder wollen. Zu denen gehöre auch ich - einfach aufgrund meiner persönlichen Vorurteile oder was auch immer. Ich will einfach laufen oder was immer ich dafür halte. Ich verstehe, dass es auch Sorrel so geht, und das ist ihr gutes Recht. Soweit also kein Grund, sich in die Haare zu kriegen.
Nun gibt es in diesem Forum eine beträchtliche Fraktion von Leuten, die sagen, Laufen mit einem Tempo unterhalb eines bestimmten Bereichs sei "kein richtiges Laufen". Manche (einige wenige) meinen das arg elitär, aber um solche Flitzpiepen geht es hier gar nicht. Die meisten (und dazu gehöre auch ich) haben die schmerzhafte Erfahrung gemacht, dass sehr langsames Laufen zu einem schlechten Laufstil führt, hier allgemein als "Schlurfen" verschrien. Bei nicht wenigen führt das zu Knieschmerzen, Verspannungen im Rücken/Schulterbereich oder anderen Unannehmlichkeiten. Deshalb und nur deshalb haben diese Leute eine gewisse Berechtigung zu sagen, zu langsames Laufen sei nicht gut.
Wo die Grenze (oder besser: der Grenzbereich) zwischen "vernünftigem" Laufen und abträglichem Schlurfen liegt, ist individuell und auch vom Trainingszustand und daraus resultierenden Ansprüchen abhängig. Üblicherweise werden hier Zeiten zwischen 7:00 und 7:30/km genannt. Das schließt freilich nicht aus, dass jemand mit einer blitzsauberen Lauftechnik auch 8:00/km laufen kann, ohne Unannehmlichkeiten zu bekommen. (Was aber hypothetisch ist, da die meisten, die eine blitzsaubere Technik beherrschen sowieso meist viel schneller laufen können und auch laufen) Auch mag es Anfänger geben, die ohne eine solche Technik ebenfalls problemfrei mit 8:00 oder langsamer dahinschlurfen können. Sehr wahrscheinlich ist das m.E. aber nicht.
Man kann nun durchaus die Meinung vertreten (und ich tue das), dass es besser ist, sich erstmal auf den kürzeren Strecken bis sagen wir 10k eine Grundlage und Grundschnelligkeit anzueignen, die deutlich über der Schlurfgrenze liegt. Das befähigt einen, das für längere Wettkampfstrecken erforderliche Training längerer Strecken einfach besser und weniger belastend wegzustecken. Zwar ist es heutzutage üblich, dass Laufanfänger sich am liebsten gleich die ganz großen Ziele HM oder gar M vornehmen; sinnvoll scheint mir das nach meinen Erfahrungen aber nicht.
Ich persönlich bin vor 11 Jahren (mit damals 55 J.) meinen ersten und einzigen HM in 1:47:15 gelaufen, worauf ich stolz war und auch heute noch stolz bin. Dann folgte eine 9jährige Laufpause mit 15+ kg Gewichtszunahme. Als ich vor 1,5 Jahren dann doch wieder ins Laufen einstieg, musste ich feststellen, dass (a) meine Erfolge von damals eben auch der Schnee von damals waren und dass (b) der Wiedereinstieg mit 66 J. um einiges langsamer geht als früher. Trotzdem setzte ich mir - heute sage ich: iditotischerweise !!! - zum Ziel, möglichst bald wieder möglichst weit kontinuierlich laufen zu können, egal wie langsam.
Weil ich das nach meinem heutigen LaLa zufällig mal nachgeschaut hatte, hier ein kleiner Vergleich:
Trotz durchaus moderater Steigerung meiner LaLa-Distanz von Woche zu Woche war mein erster Lauf über 18 km im März 2015 die absolute Katastrophe. Ich brauchte sage und schreibe 2:56h, mir taten auf der zweiten Hälfte die Knie und die Schultern weh wie Sau. Das habe ich im Mai 2015 noch einmal wiederholt. Es ging etwas besser: 19,8 km in 2:45, allerdings mit 10 min. Sitzpause (nicht mitgerechnet). Danach beschloss ich, erstmal auf den 10 km besser zu werden und überhaupt mal die Sub 60 wieder zu knacken. Die langen Läufe hatte ich erstmal für etliche Monate drastisch gekürzt. Erst seit wenigen Wochen sind die 15 km wieder überschritten. Heute bin ich erstmals wieder 18,1 km gelaufen in 2:01:34 h. Es war von Anfang bis Ende kontrolliert, nichts tat mir (oder tut mir jetzt noch) weh. Ich habe einfach mit meinem gezielten 10k Trainingsprogramm so viel Kraft und Grundlagenausdauer aufgebaut, dass mir diese 18 km jetzt gar nichts ausmachen. Dabei habe ich in den letzten 9 Monaten fast keinen Lauf langsamer als 7:00/km bestritten. Das war meine Prämisse dabei.
Um auf den Punkt zu kommen: Auch ich würde nach meinen Erfahrungen empfehlen, immer ein gewisses Mindesttempo zu laufen (welches jeder für sich selbst herausfinden muss). Wenn das nicht lange durchhaltbar ist, lieber kurz oder in Intervallen (d.h. mit Gehpausen) laufen, aber nicht zu früh zu lange Strecken kraftlos dahinschlurfen. Aber wenn jemand das trotzdem tun will, will ich ihn/sie nicht davon abhalten. Aber wenn lange Strecken im Schlurftempo, dann gleichzeitig auch so viel Speedtraining auf kurzen Strecken, dass man diesen m.E. nach ungesunden Tempobereich so schnell wie möglich verlassen kann.