Nun ist er wohl da, der Winter - morgens -3°C, dichter Nebel und eine dicke Rauhreifschicht über allem. Da muss ich dann wohl doch endlich mal in der Klamottenkiste kramen. Zum Vorschein kommen – erstmals in diesem Herbst – die langen Tights und ein paar leichte Handschuhe (ähnlicher Stoff wie die Tights). Eine Mütze oder mehr als die dünnere meiner beiden Laufjacken über dem kurzen Shirt ist mir noch zu affig. Die Klamottenwahl soll sich als goldrichtig erweisen. Die unterschiedliche Dampferzeugung bei Auf- und Abstiegen kann ich ausschließlich mit dem Reißverschluss der Jacke und durch mehrfaches An- und Ausziehen der Handschuhe perfekt kompensieren.
Beim Start immer noch -2°C. Immerhin kann man schon ahnen, wo die Sonne in etwa stehen müsste. Wenn sie denn stünde.

Ich will heute die volle "Panoramarunde" machen. Da geht's erstmal aufwärts zur Hohen Straße und da hoffe ich schon auf mehr Sonne. Und in der Tat, nach 100m fällt mein Blick auf ein paar Häuser rechts oberhalb, die etwa 30 Hm höher liegen und sich schon in ersten goldenen Sonnenstrahlen wohlig räkeln. Das kann ja "heiter" werden, ausnahmsweise mal wörtlich gemeint!. Aber erstmal geht es links ab, etwas abwärts, also noch tiefer rein in die Suppe, bevor der lange Anstieg beginnt. Auf dem Weg dorthin rekapituliere ich schnell noch einmal meinen Plan für heute: Im Prinzip möglichst langsam und ruhig, aber an den wenigen größeren Anstiegen und den vielen kleinen Wellen will ich immer beherzt hochlaufen, mit ordentlichem Fußabdruck und zweifelsfreier Flugphase. Dafür mittendrin und bergab auch mal sehr langsames Traben, um eine Laktatschwemme gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Nach knapp 2km erreiche ich die Hohe Straße und werde belohnt mit strahlendem Sonnenschein und herrlichem Blick auf die umliegenden Täler, auf deren Grund die Ortschaften im Nebel freilich nur zu erahnen sind. Die nächsten zwei KM sind mir vertraut - 0,8km bis zum Abweig der "Kurzrunde" auf ihren Rückweg, weitere 1,4 km bis zum Abzweig der "verkürzten Panoramarunde". Und dann habe ich sie vor mir: weitere 2,5 km "Neuland" auf der Hohen Straße, nun der "Panoramarunde" zugerechnet, die ich zuletzt im März 2019 gelaufen war. Echt jetzt? In der Zwischenzeit soviel K*cke passiert, dass ich diese herrliche Strecke seit 20 Monaten nicht mehr unter die Beine nehmen konnte?

Muss wohl so gewesen sein, wird aber ab jetzt wieder ganz anders! Das verspreche ich mir feierlich.
Den Abschnitt auf der Hohen Straße genieße ich immer ganz besonders und heute erst recht - den herrlichen Ausblick, das Gefühl, über allen Niederungen des Lebens zu schweben (na gut, manchmal auch nur zu trampeln

). Hier geht's zwar durchaus wellig zu, insgesamt aber stetig abwärts. Und ich bleibe bei meinem Plan - die eher kurzen Zwischenanstiege immer recht beherzt mit raumgreifenden Schritten auch noch über die Kuppe hinweg und dann 3 Gänge runterschalten und in gemütlichem Trab kurz ausruhen, bis wieder genug Luft vorhanden ist, zügig weiter abwärts zu laufen. Bei KM 6,5 zweigt meine heutige Tour links ab ins Kochertal. (Geradeaus warten noch zwei weitere Runden, die "Schnitzelrunde" und die "Neckarrunde", aber alles zu seiner Zeit.

)
Den etwas steileren Abstieg zum Kocher hinunter "fliegt es mich" frisch, aber entspannt im hohen 5er-Tempo hinunter - trügerischer Spaß, weil das Aufwachen auf dem flachen Talboden dann immer ziemlich abrupt erfolgt. Deshalb gönne ich mir hier für ein paar hundert Meter eine sehr langsame Trabphase, bevor ich bei KM 8 das Tempo vorübergehend auf ca. 7:20 anziehe. In Erwartung einiger weiterer Bodenwellen folgt ab KM 9 ein weiterer Bummel-Kilometer. Ab KM 10 wird's dann etwas zäh - die ersten Bodenwellen fliege ich zwar leichtfüßig hinauf, brauche für das Erholungstraben danach aber immer länger. So langsam spüre ich meine tapferen Beinchen, aber das war zu erwarten.
Bei KM 12 baut er sich dann vor mir auf, der berüchtigte steile Talausstieg. Knapp 40 Hm auf 500m klingen ja nicht wirklich bedrohlich, aber richtig fies ist die Tatsache, dass schon gleich zu Beginn eine eher 15%ige Steigung einem den Zahn komplett zieht. Danach sieht man vor sich, wie die Steigung von Schritt zu Schritt nachlässt, die Kräfte sind da aber schon weg und es bleibt Quälerei buchstäblich bis zur sanften Kuppe mit 0% Steigung - man hat also über die gesamte Strecke von 500m das Gefühl, als wären es durchgehend 15% Steigung. Hinzu kommt, dass dieses Monster die hinterhältige Angewohnheit hat, immer auf dem vorletzten Kilometer einer bis dahin schon anstrengenden Tour überraschend aus dem Unterholz zu brechen und einem mit breitem Grinsen den Weg zu versperren. So auch heute. Auf den ersten, noch nicht ganz so steilen Metern kann ich meinem Vorhaben, beherzt mit Flugphase zu laufen, noch halbwegs treu bleiben, aber dann ist es schlagartig vorbei. Die knautschige Teigmasse, vormals noch "meine Beine" genannt, verweigert schlagartig ihren Dienst und fließt nur noch wie Lava träge voran. Immerhin aber die einzige Lava, die bergauf fließt.

Ich kann eine Gehpause mit viel Willenskraft vermeiden, auch wenn die Paceanzeige zwischendrin mal eine "12" vor dem Doppelpunkt zeigt. Gut dass hier keine Spaziergänger unterwegs sind, die mich entspannt hätten überholen können.
Irgendwann ist der Berg aber geschafft und zur Erholung geht's ein paar Meter abwärts, bevor die letzten - in diesem körperlichen Zustand immer als absolut fies empfundenen - Bodenwellen kommen. Aber oh Wunder, auf einmal geht sogar der Plan wieder auf - ich kann tatsächlich diese letzten Anstiege aufrecht und in Würde laufen.
Zu Hause erwarten mich zwei "böse" Überraschungen - zum einen treffe ich erst direkt vor dem Mittagessen ein, so dass gerade noch Zeit zum Duschen bleibt, SAM aber komplett ausfallen muss, obwohl ich diese Übungen nie dringender gebraucht hätte als jetzt. Und zum anderen haben die Damen der Familie in der Zwischenzeit Pläne geschmiedet, welche meine geliebte Mittagsruhe - auch diese hätte ich heute doppelt dringend benötigt - im Ansatz zunichte machen. Ja, ja, sh*t happens.
Insgesamt
13,8 km mit
170 Hm in
7:47 km Running Index
RI = 42. Das Durchschnittstempo sieht bummeliger aus, als es sich tatsächlich anfühlte, da die stets recht beherzt gelaufenen Anstiege immer sofort durch gemütliche Trabpausen ausgeglichen wurden, um nicht im Laktat zu versinken. Am Schluss war es sogar so, dass die Anstiege eher schneller waren als die abschüssigen oder flachen Abschnitte. Strange enough, aber interessanter Trainingsreiz, den ich auch einen Tag später noch deutlich spüre…
