13
von Ethan
Ich muss damals etwa 7-8 Jahre alt gewesen sein. Schon als Kind war ich von Filmen fasziniert. Ich sah zu der Zeit "Die Reise zum Mittelpunkt der Erde", nach dem Roman von Jules Verne. Eine Forschertruppe macht sich auf - der Titel verrät es - den Mittelpunkt der Erde zu erkunden. Was für ein Unterfangen! Gebannt starrte ich - wie nur die Augen von Kindern es können - auf den Bildschirm. Besonders als Kind fiel es mir schwer, Fiktion und Realität auseinander zu halten; ist ja auch schwierig, wenn alles neu ich. Oder ich war nichts besonders helle, auch eine Möglichkeit, lässt sich abschließend nicht mit Gewissheit sagen. Ist auch völlig nebensächlich, wie diese ganze Geschichte hier.
Egal warum, ich beschloss nun auch, den Mittelpunkt der Erde zu erkunden. Ich hatte zuvor einen Globus geschenkt bekommen und erklärt bekommen, dass die Erde rund ist - faszinierend. Also muss es ja - wie im Film - eine Mittelpunkt geben!
Mit Schaufel, Spaten, diversen Behältnissen und einer Spitzhacke, die ich kaum tragen konnte, betrat ich - bereit zur Mission - den Garten. Meiner doch recht verdutzten Familie erklärte ich voller Stolz mein Vorhaben. Gelächter war nicht die Reaktion, die ich erwartet hatte. Besonders bei meiner Mutter wunderte es mich, die hatte den Film doch mit mir gesehen! Ich bat um Aufklärung. Meine Eltern sagten lapidar, dass es einfach nicht möglich sei. Außerdem war das doch nur ein Film. Nur ein Film? Die waren da doch - und wurden halt einfach dabei gefilmt! Mein Opa - auch noch mit heutigem Wissen - ein weiser Mann, erklärte mir lang und breit, mit Wörtern die ich noch nie gehört hatte, warum das nicht möglich sei. "Hmm. Opa hat doch immer recht, aber hier, da irrt er sich. Das werde ich ihm beweisen!", dachte ich noch, als mein Onkel die Situation auf die ihm stets eigene Art löste: "Lasst den Kleinen doch buddeln, dann merkt er es schon von selbst irgendwann. Außerdem ist er dann beschäftigt und schläft früh." Was? Mein Onkel? Mein Patenonkel? "Du Verräter", dachte ich. So viele Playmobil-Schlachten haben wir gemeinsam geschlagen, Seite an Seite gekämpft, ewige Treue geschworen - bis in den Tod hinein. Ihm habe ich stets alle auch noch so (un)wichtigen Geheimnisse anvertaut.
Auch wenn mein Onkel nicht an mich glaubte, doch gab er mir durch seinen Einwand die Legitimation für mein Vorhaben, den meine Mutter damit kommentierte, dass sie sich hoch erfreut fühlte, später noch waschen zu dürfen, was ihr sonst eigentlich wenig Freude bereitete. Ja, auch für Ironie war ich nicht empfänglich.
Während ich noch darüber nachdachte, ob mein Onkel nun Freund oder Feind ist, machte ich mich frisch an´s Werk. Ich war noch motivierter als zuvor, da ich jetzt den Beweis schuldig war, schlauer als alle anderen zu sein, die mir - übereinstimmend und sehr gut begründet - davon abrieten. Aber sowas hält mich doch nicht auf! Ich weiß es besser und werde vom Kind zum Familienoberhaupt aufsteigen. Ich werde bei wichtigen Besprechungen nicht mehr raus gehen müssen, sondern alle werden sich in meinem Kinderzimmer versammeln, mir Süßigkeiten schenken und mich um Rat zu sämtlichen Lebenslagen bitten, nachdem ich dann wiederholt von meiner Reise zum Mittelpunkt der Erde berichtet hätte (angefangen stets an der Stelle, wo mir alle abrieten).
Ich will es nicht zu spannend machen: Die Mission ist gescheitert, obwohl ich alles gab - nicht aufgeben wollte. Ich gab natürlich nicht zu, versagt zu haben "Mein Plan wäre aufgegangen, hab mir nur weh getan, deshalb musste ich aufhören." verteidigte ich mich. "Na klar, so war es", wurde mir bestätigt. Diesmal verstand sogar ich die Ironie. Nicht nur versagt zu haben, sondern auch die Häme und Spott ertragen zu müssen, tat wirklich weh. "Wir haben es dir ja gesagt" - ein Satz den jedes Kind hasst. Aber den nächsten Tag wartete schon das nächste Abenteuer - nichts ist vergänglicher als ein Gestern zu Kindertagen.
Ich war ein kleines Kind, die Erfahrung hat mich geprägt, sonst wäre sie mir nicht so lebhaft im Gedächtnis geblieben. Habe ich etwas daraus gelernt? Sicherlich. Kinder müssen manchmal Erfahrungen machen, obwohl ihnen alle davon abraten.
„Wenn man gut durch geöffnete Türen kommen will, muß man die Tatsache achten, daß sie einen festen Rahmen haben." (Robert Musil)