Vor der Seßhaftwerdung und dem Aufkommen der Landwirtschaft lebte der Mensch als Jäger und Sammler. Um diesen Befund weiter zu präzisieren: Den Männern fiel die Rolle des Jägers zu, die Frauen betätigten sich als Sammlerinnen eßbarer Pflanzen.
Für die Energiebereitstellung der steinzeitlichen Ernährung bedeutet dies cum grano salis: Die Männer hatten für die Versorgung mit Proteinen zu sorgen, die Frauen waren für die Kohlenhydrate zuständig. Ein Sonderfall, der jedoch in ganz besonderer Weise die Entwicklung bestimmter genderrelevanter Interaktionsmuster beleuchtet, sind die proteinreichen Hülsenfrüchte. Zu diesen komme ich weiter unten.
Diese Zuordnung der Energieträger zu den Geschlechtern ist ein Umstand, der leider in der aktuellen Diskussion um optimale Ernährungsweisen wie auch beim Nachdenken über den angemessenen Umgang der Geschlechter miteinander nicht die gebührende Beachtung findet. Dabei kann der bis heute nachwirkende Einfluß der steinzeitlichen Nahrungsbeschaffung auf die Genderthematik gar nicht hoch genug veranschlagt werden.
Zugleich zeigt sich hier, daß bestimmte Phänomene wie z.B. die mittlerweile epidemische Ausmaße annehmende Adipositasproblematik keineswegs Erscheinungen der modernen Welt sind, sondern bereits im Jungpaläolithikum ihre Vorläufer hatten. An dieser Erkenntnis führt angesichts der Vielzahl archäologischer Funde in Gestalt üppiger Venusfigurinen wie z.B. der berühmten Venus von Willendorf kein Weg vorbei. Schon vor zehntausenden von Jahren also zeigte sich eine Korrelation von Adipositas und dem allzu einseitigen Umgang mit Kohlenhydraten. Lange wurden die auf uns gekommenen Statuetten als religiöse Bildnisse interpretiert. Im Lichte moderner Erkenntnisse zur menschlichen Ernährungsgeschichte hingegen lassen sie sich als bloße Problemanzeigen entmystifizieren.
Der stets auf Wanderschaft befindliche Steinzeitmensch kannte noch keine gemeinsamen Mahlzeiten zu bestimmten Tageszeiten. Die gab es nur, wenn etwas da war, und das war immer dann der Fall, wenn nach den Streifzügen zum Zwecke der Nahrungsbeschaffung noch etwas für den gemeinsamen Verzehr übrig blieb. Was naturgemäß selten der Fall war. Das meiste fiel bereits während des Jagens und Sammelns dem allgegenwärtigen Hunger zum Opfer. Es ist also davon auszugehen, daß die Männer sich vorwiegend von Proteinen ernährten, die Frauen dagegen von Kohlenhydraten.
Da das Matriarchat als ursprüngliches humanes soziales Ordnungsprinzip unstrittig feststeht, ist auch davon auszugehen, daß die kohlenhydratbasierte Ernährung die genuine Form der Energiezufuhr darstellte. Die männliche Emanzipation vollzog sich mit der Entdeckung der Jagd. Zunächst dürfen wir uns diese im Wortsinn als spielerischen Wettlauf zwischen Mensch und Tier vorstellen. Schon hier also schlägt eine Sternstunde des späteren Laufsports: Das Laufen wurde dem Menschen als initiales Werkzeug seines einmaligen evolutiven und sozialen Werdeganges mit auf den Weg gegeben. Laufen ist geradezu der alles entscheidende Faktor für die gesamte menschliche Entwicklung der letzten mindestens 40.000 Jahre.
Der jungpaläolithische und mesolithische Mann versuchte, mit Hasen, Hirschkühen, Büffeln, ja sogar Mastodonten Schritt zu halten. Dies gelang in der Regel nicht. Der zunehmend aufkommenden Frustration konnte im Prinzip auf zweierlei Weise begegnet werden: Erhöhung der eigenen Leistung oder Minderung der Leistung des Gegners. Die Möglichkeiten des erstgenannten Ansatzes waren alsbald erschöpft. Die Trainingstheorie war über rudimentäre Anfänge noch nicht hinausgekommen, und so etwas wie Doping gab es bekanntlich noch nicht. Es blieb also die zweite Alternative. Schon bald fand der Mann heraus, daß sich aus Hölzern und Steinen vorzügliche Instrumente zur Behinderung der Tiere gewinnen ließen, mit denen sie sich maßen. Zunächst beschränkten die Männer sich darauf, den Tieren während des Laufes Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Die Wettkampfsituation sorgte jedoch schon nach kurzer Zeit für die Freisetzung eines signifikanten Aggressionspotentials, und es dauerte nicht lange, bis es zu ersten Todesfällen unter den Tieren kam. Zunächst noch ungewollt, wurden diese zunehmend billigend in Kauf genommen und schließlich sogar beabsichtigt.
Damit war die Waffe geboren. Zunächst der einfache Knüppel (später verfeinert zum mehrfach verwendbaren Bumerang), dann auch Speere sowie Pfeil und Bogen. Auch im modernen Nordic Walking dürfen wir einen Nachhall dieser Techniken zur Leistungssteigerung durch Holzstücke unterschiedlicher Art erkennen.
Von der Tötung der Tiere währte es wiederum nicht lange, bis der Mann quasi als Urform des Dopings eine neue, magische Art der mutmaßlichen sportlichen Leistungssteigerung entdeckte: die Übernahme der Kräfte des Besiegten durch dessen Einverleibung. Der Mann erkannte mithin, daß die besiegten Gegner eßbar waren. Mit der Erschließung dieser Kulturtechnik mit ihren neuartigen Energieträgern war für den Mann des ausgehenden Matriarchats der Weg aus der weiblichen Unterdrückung frei, deren Inbegriff eine kohlenhydratbasierte Ernährung gewesen war. Vom dicken und trägen Schoßhündchen der das gesamte Leben kontrollierenden Matronen mutierte der Mann zum autarken und schlanken Patron, der er im Prinzip bis heute geblieben ist, sieht man einmal von denjenigen Gesellschaften ab, in denen der Mann inzwischen wieder zu einer vorwiegend kohlenhydratbasierten Ernährung zurückgekehrt ist.
Nach wie vor ist unser Alltag reich an Symbolen und Riten, welche diese männliche Vorherrschaft darstellen und sichern sollen: Mag auch die Küche der angestammte Raum der Frau sein - der Gartengrill, auf dem ein Großteil der jährlich verzehrten Fleischmenge zubereitet wird, ist und bleibt dem Mann vorbehalten. Aber auch über die Erzeugnisse der Küche verfügt der Mann: Traditionell ist er es, der den Sonntagsbraten anschneidet und die Verteilung der proteinreichen Beute vornimmt.
Aber auch die Frauen haben diese Zusammenhänge früh erkannt und mit der ihnen eigenen Methode des sanften Drucks gegengesteuert. Inbegriff dieser Entwicklung ist die Kultivierung der Hülsenfrüchte. Sie gaben den Frauen erstmals die Möglichkeit, abseits der Jagd größere Mengen an Proteinen unter ihre Kontrolle zu bringen. Von den Männern wurde diese schleichende Aufholjagd des mittlerweile schwächeren Geschlechts i.d.R. überhaupt nicht bemerkt. Zu den wenigen Ausnahmen zählte der Vorsokratiker Pythagoras, der zeitlebens vor dem Verzehr von Bohnen warnte. Über den Grund dafür ist viel spekuliert worden, aber letztlich kommt nur die Sorge vor dem Verlust der maskulinen Prävalenz durch weiblich kontrollierte Proteine in Frage.
Meist jedoch ging dieser Versuch der Rückeroberung der paläolithischen weiblichen Vorherrschaft völlig unbemerkt vor sich. Vor diesem Hintergrund ist noch nicht einmal besonders erstaunlich, daß ausgerechnet dort, wo wir die idealtypische Darstellung des überkommenen Männlichkeitsideals vermuten, nämlich im Westernfilm, das weibliche Element eine derart tragende Rolle spielt: Das über dem abendlichen Lagerfeuer gegrillte Büffelsteak ist kaum ohne Baked Beans als Beilage denkbar. Auch aus der Küche des Iran, der bei uns gemeinhin als Hort eines gynophoben männlichen Absolutismus gilt, sind Bohnen ebensowenig wegzudenken wie Linsen aus der Küche des nicht minder männerzentrierten Indien. Alles Indizien dafür, wer hier im Schatten männlicher Dominanz zur wahren Herrschaft aufzuschwingen sich unterfängt.
Welche Rolle kommt nun den innovativsten und unter Läufer/inne/n meistdiskutierten Ansätzen zu einer artgerechten menschlichen Ernährung zu?
Auf der einen Seite sehen wir die Low-Carb-Bewegung. Dies ist der Versuch der Wiedergewinnung der in einigen Teilen der Welt inzwischen verloren gegangenen männlichen Vorherrschaft, und durch das Mittel der Rückkehr zu derjenigen männlichen Ernährungsweise, die einst am Anfang der Entwicklung des Menschen zur Krone der Schöpfung stand. Mit dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen ist diese Ernährungsweise nur schwer zu vereinbaren. Um sie auch den Frauen schmackhaft zu machen, wird deshalb kolportiert, sie mache schlank. Im Prinzip bedarf es dieses Winkelzuges jedoch nicht, da sich Frauen inzwischen nahezu alle traditionell männlichen Unarten zu eigen gemacht haben, vom Rauchen bis zum Kriegsdienst. Und so bleibt eben auch höchst fraglich, ob eine flächendeckende Rückkehr zur Low-Carb-Diät eine erneute Vorherrschaft des Mannes begünstigen könnte.
Auf der anderen Seite stehen die Befürworter der sog. Paläo-Diät. Diese Bewegung ist weitaus diffuser. Vor allem ist nicht klar, ob die Forderung nach einer steinzeitlichen Ernährungsweise impliziert, daß die Kohlenhydrate wieder den Frauen, die Proteine den Männern vorbehalten sein sollen. Es herrscht eher der Eindruck vor, daß die genuin weibliche Ernährung zugunsten einer vorwiegend proteinbasierten Diät aufgegeben werden soll. Hinsichtlich der Energiebereitstellung deckt sich die Paläo-Diät also weitgehend mit dem Low-Carb-Konzept. Betont wird hier jedoch in erster Linie der geschlechterübergreifende Charakter des Nahrungsmittelangebotes. Die Maxime der Rückkehr zu den Anfängen ist also vermutlich zu verstehen als eschatologische Friedensvision einer alles umgreifenden und vereinenden androgynen Harmonie. Die diätetische Innovation, die vor Jahrtausenden der einen Hälfte der Menschheit die Befreiung von der Unterdrückung durch die andere Hälfte ermöglichte und so zur Initialzündung für die menschliche Erfolgsgeschichte wurde, soll nun der gesamten Menschheit dienstbar gemacht werden. Diese Sehnsucht erhebt den Paläo-Ansatz in den hohen Rang einer Religion, in der endlich einmal der Mensch im Mittelpunkt aller Bestrebungen steht, und zwar unabhängig von seiner biologischen oder sozialen Geschlechtlichkeit.
Es zählt zu den bezeichnenden Charakteristika dieser Entwicklung, daß das Laufen, das bereits am Anfang der ersten Hominisation stand, nun wiederum so eng mit dem Übergang zum neuen Paläomenschen verwoben ist.
Ernährung und Laufen im Spiegel der Geschlechterrollen
1Дуа кинум йах иди, ту пуц ца бофт тар ту-хез йатов̌!