Kölnpfad 2015 – (k)ein Laufbericht
Ich möchte keinen Laufbericht schreiben. Über´s Laufen ist bereits alles geschrieben worden, außerdem setze ich doch nur einen Fuß vor den anderen, fertig. Aber das ganze Drumherum, das Davor, das Danach, all die Eindrücke unterwegs… Ich versuche, sie zu sortieren und den Bericht nicht episch lang werden zu lassen.
Wie es dazu kam:
Manfred hatte den Kölnpfadlauf als Highlight des Jahres geplant. Der Kölnpfad ist ein Ultralauf von 171km Länge rund um Köln. Ich bin mit ihm letztens 2 Etappen dieser Strecke nachts gelaufen, ab Porz-Wahn, falls ihr euch erinnert. Diese „Nachts-über-den-Friedhof-Geschichte“. Vorab gab es wohl Zweifel von Manfred, die gesamte Strecke zu absolvieren. Für mich steht außer Frage, diese Streckenlänge auch nur annähernd schaffen zu können. So kam die Run & Bike Idee auf. Tom Eller, der Veranstalter, hat für uns eine Ausnahme gemacht. Wir durften als Team teilnehmen, aber natürlich außerhalb der offiziellen Wertung, logisch. Danke an dieser Stelle an Tom, der mir damit die Möglichkeit gegeben hat, einen ersten „Ultra-Schnupperkurs“ machen zu dürfen. Und dies gleich bei so einem außergewöhnlichen Lauf!
Freitag / Anreise:
Start und Ziel befanden sich an einer kleinen Turnhalle in Köln-Dünnwald. Ich reiste bereits am Freitag an. Manfred und ich wollten uns vorab zur Pasta-Party treffen. Abends Pasta-Party, morgens um 6 Uhr Start: Da lohnt sich die Heimreise nach Düsseldorf nicht, also beschloss ich, vor Ort in der Turnhalle zu übernachten. Das Schöne daran: Man lernt seine Mitstreiter, den Veranstalter und die Support-Crew gleich in nettem und entspannten Rahmen kennen. Nun ja, Tom Eller war nicht entspannt, sondern eher schwer im Stress… Kein Wunder, er war für jeden und alles da. Die Übernachtung in der Turnhalle hatte was. Wann hatte ich zuletzt das Tor zum Geräteraum hochgeschoben und Matten rausgeholt? Kindheitserinnerungen kamen hoch.
Ich kam mit einigen Teilnehmern ins Gespräch und war erst sehr spät im Bett. Vielleicht hätte ich früher schlafen gehen sollen, aber wann trifft man schon auf solche faszinierenden Menschen? Ich kam mit einem sehr netten Pärchen ins Gespräch: Ricarda Bethke und Jens Vieler, zwei große Namen, wie ich später erfuhr. Beide haben schon unzählige krasse Läufe bestritten, die alle aufzuzählen würde den Rahmen sprengen. Eine kleine Kostprobe: Er ist Veranstalter der Tortour de Ruhr und Badwater Finisher, sie wird in 3 Wochen beim Badwater starten und wollte den Kölnpfad als Trainingsläufchen mitnehmen. Es war einfach zu spannend, ihren Geschichten und Erlebnissen zu lauschen. Viele grandiose Läufer.. ob Spartathlon-Finisher/innen, Wibolt Finisher (320km), 520km Etappenläuferinnen quer durch Australien und und und… Wahnsinn. Sogar die Weltmeisterin im 10fach Ironman Susanne Beisenherz war unter den Läufern. Und Klein-Lilly zwischen dem Who is Who der Ultraszene völlig blauäugig mittendrin. In welcher Sportart außer Laufen kommt man schon mit solchen grandiosen Sportlern zusammen? Und niemand hat schräg geguckt, mir abgeraten oder ist auch nur annähernd überheblich aufgetreten. Alle waren unglaublich nett und begeistert, dass mich das Thema Ultra interessiert und ich den Versuch starte, auf diese Art & Weise reinzuschnuppern. Als ich abends im Mädchen-Waschraum der Turnhalle zähneputzend zwischen einer Badwater- und einer Spartathlonläuferin stand, kamen mir dennoch leichte Zweifel, ob ich nicht völlig irre bin, hier mitzumachen zu wollen. Aber hey.. für mich war es nur ein Testballon, schauen wie weit ich komme. Irre bin ich nicht, wirklich irre sind die, die ernsthaft bei angekündigten 40 Grad morgen die vollen 171km laufen wollen!
Samstagmorgen/Start:
BÄM! Punkt 4:00 Uhr morgens und gleißend helles Licht lässt mich zusammenzucken. Aaah…. Hilfe, meine Augen!!! Die Turnhalle war mit einem Bewegungsmelder ausgestattet. Schon nachts das Problem, dass jedes Mal die riesigen Deckenfluter ansprangen, wenn jemand auf Toilette wollte. Und nun steht der erste meiner Mitschläfer.. äh Mitläufer bereits um 4 Uhr auf. Geht´s noch? Ich bin doch erst um 2 Uhr schlafen gegangen.. *
hmpf*
Nun ja, hilft ja nix. Aufstehen, duschen, anziehen, das leckere Frühstück steht schon bereit. Schon beim Frühstück fing ich wieder an zu schwitzen. Scheiße. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, ich SITZE und der Schweiß läuft runter. Mist verdammter. Wie soll das erst tagsüber beim Lauf werden? Ich erzähle meinem Sitznachbarn, dass ich schon oberhalb der 20 Grad Probleme beim Laufen habe und mich nicht erinnern kann, jemals oberhalb von 30 Grad laufen gegangen zu sein. Er schaut doch etwas besorgt. Naja. Das Wetter ist eigentlich auch total egal, denn ein Rückzieher kommt für mich sowieso nicht in Frage, egal ob es 40 Grad werden oder es draußen schneien sollte.
Plötzlich Panik! Da stehe ich um 4 Uhr auf, um 6 Uhr ist der Start, also total entspannt Zeit für alles… anscheinend zu entspannt herumgetrödelt! Ich sehe schockiert, dass es 5:42 Uhr ist und ich sitze hier noch mit meinem Müsli und dem Nutellabrot! Schnell alles in mich hineingeschoben, meine Sachen geholt und ab nach draußen. Tom gibt letzte Anweisungen und los geht´s. Die ersten Kilometer macht mir der Liter Milch im Magen etwas zu schaffen, aber Sanne lenkt mich davon hervorragend ab. Sanne ist eine Lauffreundin von Manfred, die uns die ersten 28km einfach nur so begleiten möchte. Total nette Frau, nette Idee, nettes Läufchen! Nur Manfred nölt von hinten, ich höre immer nur etwas wie: Lalalalalalaaaangweilig! Langweilt mich, langweilt mich… *
grins* Ich gebe entnervt auf und übernehme nach 20km das erste Mal das Rad. So kann er mit Sanne auch noch ein paar km laufen, bevor sie uns unserem Schicksal überlässt.
Weitere interessante Erfahrung: Bei „normalen“ Läufen ist der Unterschied zwischen schnellsten und langsamsten Läufer sehr groß. Das Feld reißt sehr schnell auseinander. Beim Ultra ist dies nicht der Fall. Die Läufer bleiben vergleichsweise lang zusammen.
Der Lauf:
Puh. Wir sind bei ca. bei km 120 ausgestiegen. Auf 120km passiert sehr viel. In den Beinen, im Kopf, auf der Strecke, bei den VPs… Erst Recht zu Zweit und vor allem bei dem Wetter. Alles niederschreiben geht einfach nicht. Vielleicht die Highlights: Das absolute Highlight war wohl die Sportanlage mit den Beachvolleyfeldern. Neben den Feldern gab Gartenduschen unter die wir uns in voller Montur gestellt haben. Bereits dort hätte ich Manfred fast verloren. Die Beachvolleyballerinnen sahen aber auch unverschämt gut aus. Gut, die Typen auch. Dennoch wollte ich lieber mit Manfred laufen. Manfred hingegen schien für einen Moment zu zweifeln, ob er mit mir weiterlaufen möchte… Die Dusche jedenfalls war Gold wert!!! Sie wird mir als „best shower in my whole life“ in Erinnerung bleiben. Manfred wird sie bestimmt auch ewig in Erinnerung bleiben. Wann steht man schon mal mit 3 hübschen Beachvolleyballerinnen bei 44 Grad unter der Dusche?
Witzig war noch die Story an der Beachtheke dort. Ich habe mir ein Grapefruitbier und ein Snickers bestellt. Die Flasche fast in einem Zug leer gesübbelt, das schmierige Snickers zur Hälfte an der Theke liegen lassen, um Toilette und Dusche aufzusuchen. Auf dem Rückweg kam ich wieder an der Theke vorbei, an der jetzt zwei Typen saßen. Vor dem einen lag ein Snickers, vor dem anderen stand ein Grapefruitbier - halb voll. Ich denke noch: „Wie geil, da ist ja noch was drin, haste gar nicht leer gemacht“ und grabsch mir Snickers und Flasche. Die beiden Typen fallen fast vom Hocker, die Kinnlade gaaaanz weit unten (tiefer als ihr Hosenbund). Was war? Mein Snickers hatte Manfred schon für mich mitgenommen und mein Getränk hatte ich wirklich leer gemacht, die beiden Typen hatten nur zufällig dasselbe bestellt wie ich zuvor. Die beiden waren völlig fertig. Da kommt eine fremde Frau, so mir nichts, dir nichts und nimmt denen ganz selbstverständlich ohne mit der Wimper zu zucken, Futter & Getränk weg und geht weiter. Der Zuckerfaden würde jetzt natürlich behaupten, ich sei einfach so verfressen, dass ich schon fremden Menschen alles weggrabsche. Aber nein, es handelte sich um eine einfache Verwechslung und ich war eben wegen der Hitze geistig nicht mehr ganz auf der Höhe. Sorry Jungs.
Lustig waren die Begegnungen mit dem Menschen unterwegs – wenn wir denn welche zu Gesicht bekamen. Streckenweise dachte ich, wir stünden kurz vor einem Atomangriff und Köln wäre evakuiert worden, nur wir hätten davon nichts mitbekommen. Kilometerweit haben wir keine Menschenseele gesehen. Anscheinend hatten sich alle Menschen in Freibädern, an Seen oder ins kühle Haus verzogen, niemand war draußen auf der Straße unterwegs.
Außer am Rhein, dort war natürlich alles brechend voll. Wir wurden ungläubig angestarrt wie Marsmännchen. Welcher Mensch ist da so bescheuert und läuft bei 40 Grad??? Und hey.. was trägt die für eine Startnummer? Auf der Startnummer stand „Kölnpfadlauf – 171km rund um Köln“. Wer näher hinschaute, schüttelte wild den Kopf und wer interessiert fragte, war völlig baff und hielt uns für total irre. Als ich so durch diese Hitze lief, musste ich den Leuten fast recht geben. Es war schon irgendwie irre – aber wir waren wirklich absolut safe unterwegs!
Die VPs waren übrigens super! Es gab mehr als ausreichend an Getränken und Essen. So eine große Auswahl habe ich noch nie gesehen. Die Support-Crews hatten allerbeste Laune. Jeder ankommende Läufer wurde nahezu gefeiert. Die Leute waren so motivierend und haben sich hervorragend um jeden gekümmert. Alle 35km gab es einen VP, aber wegen der Hitze wurde hier und dort noch ein paar kleine Supportstellen eingerichtet, meist von Bekannten der Läufer. Hier stand jemand mit einem Auto, der eine Kühltasche mit Getränken im Kofferraum hatte, dort stand jemand mit dem Rad und etwas Verpflegung. Irgendwo auf dem Feldweg später im Dunklen sah ich etwas am Wegesrand. Beim Näherkommen war es ein Karton, jemand hatte mit Edding „Support :-)“ draufgemalt und Wasser, Cola und Bananen hineingelegt. Tolle Aktion!
Eine weitere besondere Supportgeschichte am Rand, die mir die Siegerin des Laufs, Kristina Tille, im Ziel erzählte: Ein Jogger, der an dem Tag 17km gelaufen ist, erfuhr vom Kölnpfadlauf. Er war so dermaßen begeistert und beeindruckt, dass es Menschen gibt, die in der Hitze 10x so viel laufen müssen/wollen wie er, dass er seinen Respekt vor dieser Leistung ausdrücken wollte. Tini kämpfte sich in dunkler Nacht nach längst über 100km durch den Wald, da sah sie Lichter von weitem. Da hatte dieser Läufer Teelichter aufgestellt wie bei einer Fluglandebahn. Er hatte viel Wasser dabei und reichte ihr ein nasses Tuch zu einer Rolle gewickelt, welches eisgekühlt war. Ganz großes Kino!
Das Wetter:
Das Hitze war wirklich übel, teils schockierend heißer Wind, ich fühlte mich gut durchgegrillt, dennoch kamen wir viel viel viel besser klar, als wir erwartet hätten! Wir waren wirklich gut drauf. Die ersten 20km bin ich gelaufen, da war es zwar schon heiß, aber noch nicht mörderisch, die zweiten 20km bin ich auch gelaufen, obwohl wir da schon Mittagszeit hatten. Erst zwischen 42 und 53km gab es Gehpausen. In den Schattenstücken bin ich weiterhin gelaufen, in den Abschnitten in der prallen Sonne hingegen war es einfach nicht mehr möglich. Anderen Läufern ging es da aber auch nicht anders. Michael Irrgang, der den VP3 unter seinen Fittichen hatte, hat 44 Grad gemessen, die offizielle Meldung für Köln lautete 39,2 Grad im Schatten. Läuferisch aushalten ließ sich das Ganze nur mit einer Dauerkühlung durch nasse Kleidung. Wir haben durchgehend dafür gesorgt, dass die Kleidung nass war und dafür jede sich bietende Möglichkeit mitgenommen: Auf den Friedhöfen Kopf unter Wasserhahn, wo sonst die Gießkannen gefüllt werden. An Sportanlagen unter die Dusche, in den Rhein gesprungen, unter Rasensprenger gestellt, etc. Ich hatte zwei Baumwollshirts mit, weil sich Baumwolle so schön mit Wasser vollsaugt. Eins über den Oberkörper, das andere eingerollt im Nacken. Jeder war der Meinung, wenn wir die Tageshitze erst mal überstanden haben und die Nacht kommt, sind wir gerettet. Von wegen. Als die Sonne weg war, wurde es a) nicht viel kälter und b) hat die Hitze dem Organismus so viel Kraft gekostet, dass die Nacht nicht leichter werden konnte.. die Körner waren einfach weg.
Die Aufgabe:
Was ebenfalls eine neue Erfahrung war: Durchgehend Schweiß/Salz auf der Haut in Verbindung mit durchgehend nasser Kleidung führt zu fiesen Reibungsstellen. Nach 60km laufen und 60km Radfahren führt es zu Wunden, die niemand haben möchte. Das war auch mit der Hauptgrund für meinen späteren Ausstieg. Durch die Blume: Ich hätte keinen Meter mehr auf dem Rad sitzen können und mein Körper sieht auch etwas nach Folteropfer aus. Wir hatten noch 50km vor uns. 60km Lauf-km hinter mir plus 50km weitere – nein, soweit bin ich läuferisch längst noch nicht, dass ich das schaffen würde. Wir hätten noch 14h Zeit gehabt, das hätte für ein Schläfchen und eine gemütliche Wanderung gereicht, aber das wollte ich nicht. Natürlich sind alle Teilnehmer teils gegangen, was auch okay ist, aber nicht hauptsächlich. Es ist schließlich ein Lauf und keine Wanderung. Manfred war auch nicht mehr fit und wir saßen am Bahnhof Porz-Wahn für eine kurze Pause, dort wo bei unserem Nachtlauf vor ein paar Wochen alles begann. Es war einfach zu verlockend…. Wir wollten ja gar nicht aufhören, wir sind aus Versehen mit dem Rad in die Bahn gefallen, so wie der Kapitän der Costa versehentlich ins Rettungsboot gefallen ist... Ein schwacher Moment, der Zug fährt ein und schwupps, sitzt man drin.
Der Rückweg:
Wir sind also ganz aus Versehen mit dem Rad in die Bahn gefallen und zurück nach Dünnwald gefahren. Von dort aus mussten waren es noch 1 oder 2km bis zur Turnhalle. Ich konnte ja nicht mehr auf dem Rad sitzen, also bin ich den Rest noch gelaufen. Wir kamen beide recht gut mit dem Ausstieg klar. Ich hatte in der Bahn das Gefühl, das Manfred enttäuscht oder unzufrieden wirkte… Er verneinte, vielleicht war er einfach nur müde und kaputt, so wie ich auch. Oder wir haben uns nur gut zugeredet.. Das weiß man in solchen Momenten ja nicht so genau. Jedenfalls kamen wir zu dem Fazit, dass 60km laufen und 60km radfahren bei dieser Hitze schon recht okay sind und man sich dafür nicht schämen muss.
Das Ziel:
Das Team an der Turnhalle und die Fotografen standen bereit, johlten und applaudierten, als wir um die Ecke bogen. Das war mir schon unangenehm. Schließlich waren wir „Abbrecher“ die nach Hause kamen und keine echten Finisher. Und als mir auch noch klar wurde, dass bisher noch kein Finisher im Ziel war, ich also die Erste bin, die jetzt ins Ziel läuft, habe ich schnell einen Schlenker außen rum gemacht. Ich hätte es nicht richtig gefunden, durch das Ziel zu laufen. Also außen dran vorbei. Den Leuten war das übrigens völlig egal, gratuliert und umarmt haben sie uns trotzdem. Dies bekam ich auch in den folgenden Stunden mit. Jeder wurde gefeiert für seine Leistung in der Hitze, egal ob Abbrecher oder nicht. Egal, ob schnell oder langsam.
Tom hat uns das Kölnpfad-Bucket verliehen, welches auch jeder bekam, der die 100km absolviert hat. Da wir bei 120 raus sind, waren wir somit für ihn 100k Finisher. Leider hatte der gute Tom (Schlafmangel?) da einen Denkfehler. Wir sind zwar bei 120 raus, aber jeder „nur“ 60km gelaufen. Klar waren die 60km Radfahren in Laufgeschwindigkeit mit dicken Packtaschen und durch unwegsames Gelände bei der Hitze auch kein Spaß, dennoch waren wir nun mal keine echten 100k Läufer. Ich habe mich bedankt, aber aus Gründen der Fairness und des Respekts gegenüber den Einzelläufern das Bucket abgelehnt. Tom hat es zurückgenommen und uns dafür das Staffel-Bucket verliehen. Damit fühlte ich mich direkt viel wohler und so habe ich auch noch eine Aufgabe: Mir irgendwann das silberne Bucket zu holen.
Apres Run:
Ich bin noch bis 4 Uhr morgens mit den Leuten vor Ort wach geblieben. Wir saßen die ganze Nacht draußen und haben auf die Läufer gewartet, dabei sind richtig schöne Gespräche entstanden. Gegen 4 Uhr fielen mir die Augen zu und ich habe mich in die Turnhalle gelegt. Gegen halb 6 hörte ich Applaus und Pfiffe draußen. Zack, war ich von der Matte aufgesprungen und nach draußen gerannt. Der erste Läufer kam!! Oder eher die erste Läuferin: Sieger des Kölnpfads war Kristina Tille, nach ca. 23,5 Stunden. Wahnsinn! Sie hat mir übrigens ihre Wunden gezeigt, bevor sie in den Duschraum verschwunden ist… Kein Spaß. Ich wusste, wie sich meine anfühlen… wie sehr muss sie auf den 171km gelitten haben? Unfassbar.
Später in einem Gespräch zusammen mit Tini und Ricarda über Schmerz/Wunden kam ich schwer ins Grübeln. Ricarda erzählte von Fußschmerzen, die sie mal hatte. Sie dachte, die Socke hätte sich verschoben, zog ihren Schuh aus und wunderte sich, dass die Socke noch grade saß und dort keine Falte war. Tinis Antwort: „Lass mich raten: Nicht die Socke hat sich verschoben, dein Fuß hat sich verschoben. Nicht die Kleidung verschiebt sich, dein Körper verschiebt sich. Deshalb gucke ich unterwegs nie nach.“ Und wie ich da mit meinen eigenen verhauenen Körper hockte, Tini zugerichtet neben mir saß, wurde ich ziemlich ernst und mir kamen Zweifel, ob ich wirklich in eine Richtung will, in der man sich so zurichtet. Dass bereits Marathon eine Belastung für den Körper ist und nichts mehr mit „normaler gesunder Bewegung“ zu tun hat, wissen wir. Dass Ultras auch eine Belastung für den Körper sind und man 100km oder länger Spuren hinterlassen, ist mir auch klar.. aber hinterher wie ein halbes Folteropfer auszusehen? Will ich sowas?
Jetzt, einen Tag später, bin schon wieder darüber hinweg. ;-) Die ein zwei Blasen.. püh.. und gegen den Rest eben vorher richtig tapen oder einschmieren oder hinterher eben 2-3 Tage Wundsalbe drauf, was soll´s.
Fazit:
Kurz gezweifelt, ob ich meinem Körper sowas zumuten will. Dann noch ein Kommentar von Susanne, dass der erste „Ultra-Test“ gleich so abschreckend war, wäre schade. Dabei fand ich es überhaupt nicht abschreckend – im Gegenteil. Ich fühle mich bestätigt, dass Ultra die richtige Richtung für mich ist. Es bedeutet nicht einfach nur „länger laufen“. Nein. Es ist eine völlig andere Welt. Bei 10km Läufen oder HM ist alles so schnell vorbei. Das Läuferfeld ist anonym. Es starten zig tausende oder hunderte, man ist eine Nummer. Im Ziel ist es teils brechend voll, zig Läufer trudeln im Sekundentakt ein. Alles eher anonym und zu kurzweilig. Am Wochenende dagegen hatte man sehr viel Zeit zusammen. Es war nicht anonym. Der Veranstalter kannte jedes seiner Schäfchen mit Namen. Ich kannte irgendwann das Läuferfeld und sämtliche Leute der Support-Crew mit Namen. Wo hat man das sonst schon? Bei 10k oder HM nehme ich normalerweise keinen VP wahr und laufe so durch. Beim Marathon habe ich im Vorbeilaufen jemanden schnell was aus der Hand gegrabscht. Beim Ultra hat man die Zeit sich hinzusetzen, miteinander zu reden, etc. Obwohl ich diese Menschen Freitagabend das erste Mal gesehen habe, bin ich bis Sonntagnachmittag dort geblieben und habe mit einigen von ihnen stundenlang die ganze Nacht und den Tag vor der Turnhalle gesessen, die Straße hinuntergestarrt und gewartet, dass der nächste Läufer um die Ecke kommt. Und wir haben jeden Einzelnen feierlich begrüßt wie einen verlorenen Sohn, der heimkehrt. Dieses soziale Miteinander, das Persönliche, die Zeit, die man sich nimmt, das gibt es bei kürzeren Distanzen und großen Veranstaltungen eher nicht. Man hat einfach mehr davon und da man bekanntlich von schönen Erlebnissen im Leben zehrt, ist es eine leichte Rechnung. Ein Ultra bietet viel tiefere Erlebnisse als ein 10km Lauf. Damit möchte ich andere Distanzen nicht schlecht reden, aber mir persönlich gefallen die langen Geschichten besser, weil sie viel mehr Erlebnispotential über die rein sportliche Leistung hinaus bieten. Mir geht es nicht um 5 Sekunden schneller auf 5000m, sondern um Futter für die Seele (und den Magen) bei der Ausübung meiner Lieblingssportart.
Mein Teampartner:
Kein DANKE kann groß genug sein für die schönen Erlebnisse, die ich bisher durch Manfred hatte und die mein Leben in der letzten Zeit enorm bereichert haben. Die Rheinetappen, die mir bisher soooo wahnsinnig viel Spaß gemacht haben kamen durch Manfreds tolle Laufberichte auf. Mein erster und bisher einzige nächtlicher Waldlauf kam durch und mit Manfred zustande. Alleine hätte ich mich nie in den Wald begeben! Und alleine einen ersten Ultraversuch zu wagen wäre auch nicht am Wochenende ohne Manfred möglich gewesen. Ich hätte die Strecke niemals alleine gefunden. Ich wäre mit dem Proviant nicht klar gekommen, ich wäre viel nervöser gewesen. Mit Manfred an meiner Seite war ich total tiefenentspannt. Ich war sogar entspannter als er selber. Es war eine tolle Erfahrung. Nein, es waren bisher so einige tolle Erfahrungen, die wiederum andere tolle Erlebnisse und Bekanntschaften nach sich gezogen haben. Wie eine Kettenreaktion, die durch Manfreds Auftauchen auf der Bildfläche entstanden ist. DANKE DAFÜR! Du bist mein Held! 2facher Kölnpfad-Finisher über 171km, der sich mit mir Rookie abgibt und mich begleitet! DU BIST EINFACH GROßARTIG!
Und wer immer noch nicht genug hat, der kann
hier noch Manfred Laufbericht dazu nachlesen.
Fotos folgen.