Sonntag
Erstmals 30km, Gaspar Hernandez - Sosúa
Der Wecker ist auf 4:30 gestellt, jedoch bin ich bereits um 3:30 vor Aufregung hellwach. Es ist noch zu früh zum Losgehen, sonst wäre ich nur im Dunkeln unterwegs. So trödle ich etwas rum, ziehe mich gemächlich an, mache leichte Gymnastik, bereite das Frühstück vor etc. Kurz nach vier bin ich unterwegs zur Haltestelle der Sammeltaxis, ohne zu wissen, in welche Richtung es gehen soll. Als mir ein Sammeltaxi entgegen kommt und die Lichthupe bedient (noch Plätze frei) gebe ich ein Handzeichen, es hält an und ich steige ein Richtung
Gaspar Hernandez. Vor dieser Strecke habe ich ehrlich gesagt etwas Schiß, da die ersten 5 km durch nahezu unbewohntes Gebiet führen und nicht mit Strassenbeleuchtung zu rechnen ist. Egal, jetzt sitze ich hier drin, es geht zügig ostwärts und ich betrachte gedankenversunken die komplette Strecke, die ich nachher zurückstrampeln darf. In Sabaneta nehmen wir noch 2 rundliche, übrig gebliebene Freizeit-Dirnen mit, die gleich versuchen mit mir ins Gespräch zu kommen. Jedoch beschäftigt mich meine Mission zu sehr, als daß ich darauf eingehen könnte. Die Straße zieht mich in ihren Bann. Zu meiner Erleichterung stelle ich fest, daß meine ersten Kilometer nicht komplett unbeleuchtet sind. Zwischen einigen längeren dunklen Passagen stehen immer mal wieder 2 oder 3 Strassenlaternen.
Auf meine Anfage bestätigt mir der Fahrer, daß wir in
Las Canas sind, einer Siedlung mit einer handvoll Hütten und Häusern entlang der Strasse. Mein Ausgangspunkt also, Start meiner Heimreise mit 30km plus 2km Auslauf.
Die Strasse gehört jetzt mir in diesem verlassenen Nest. Einige Meter gehe ich zunächst, um langsam in Bewegung zu kommen. Um 5:19Uhr bei ca 19 Grad schalte ich um in Laufbewegung und setze gleichzeitig meine Uhr in Gang. Vor einer der letzten Hütten grüßt mich freundlich eine Oma, die mit dem Besen vor ihrer Bleibe zu gange ist. Ich wünsche ihr einen angenehmen Tag und laufe auf die Dunkelheit zu. Ein etwas unangenehmes Gefühl weicht sogleich der totalen Überwältigung. Ein Sternenhimmel wie ich ihn vermutlich nie gesehen habe. Die wenigen Sternbilder, die mir geläufig sind, finde ich nicht, weil am Himmel einfach alles leuchtet und strahlt. Die Milchstrasse ist deutlich erkennbar. Meine Lampe ist die einzige Lichtverschmutzung weit und breit und ich kann nicht anders, als immer wieder den Kopf in den Nacken zu legen und nach oben zu schauen, nachdem ich die nächsten paar Meter abgestrahlt und als schlaglochsicher eingestuft habe. Meine Angst vor dem unheimlichen alleine-in-der-Finsternis-Laufen ist wie weg geblasen. Die üblichen Anfangszipperlein und ein Gefühl des unrunden Laufens werde ich jedoch nicht los. Dann bei km 4 Alarm im Unterleib. Was ich da zu Hause so zeitig zu Stande gebracht hatte, war wohl nicht ausreichend. Die Semmelknödel mit Soße des Vorabends wollten entsorgt werden. Kurz überlege ich, ob ich mich einfach in die Strassenmitte setzte, kann mich aber doch noch beherrschen. Ein Trampelpfad durch die Büsche bei genau 5km kommt mir passend und ich bin froh an dem mitgebrachten Klopapier. 100m Gehpause genehmige ich mir nach dem Zeremoniell und bin wieder in der Spur, in Richtung nächste Strassenlaterne. Die nächsten 5km vergehen jetzt flott, ich habe keine Zweifel mein Ziel zu erreichen und komme bereits auf die ersten Lichter Sabanetas zu. Eine Gehpause von 200m gestehe ich mir ein und nutze diese um etwas Studentenfutter zu naschen. Dann als ich wieder loslaufe bemerke ich wie eine dunkelbraune oder schwarze Kuh mitten auf der Strasse vor mir her trottet. Die Stacheldrähte beidseitig der Strasse geben mir keine Möglichkeit sie irgendwie von der Strasse zu scheuchen und meine Qualifikation als Kuhbändiger ist mangelhaft. Plötzlich kommt irgendjemand entgegen und schreckt die Kuh in die andere Richtung. Sie heizt an mir vorbei, prima, aus den Augen aus dem Sinn. Ich mache mich schon bereit einen Unfallknall hinter mir zu hören, aber glücklicherweise ist kein Auto unterwegs. Autofahren nachts ist einfach immer für eine Überraschung gut.
Wenig später nehme ich ein Licht vor mir wahr und merke, es kommt relativ schnell auf mich zu. Kein Geräusch zu hören. Was ist das jetzt? Plötzlich bemerke ich zwei Lichter übereinander, etwas unruhig wackelnd und husch... im letzten Moment erkenne ich einen Rennradfahrer mit Lampe am Rad und Stirnlampe, der mir einen gewaltigen Schrecken einjagt. Irgendwie tröstet es mich dann doch, zu wissen, daß ich nicht der einzige Wahnsinnige auf der Strecke bin.
Kleine Gehpause (200m) bei km15 und es dämmert jetzt leicht. Die klare Brühe im 0,2l Fläschle ist zwar kalt aber schmeckt trotzdem bestens. Als ich wieder anlaufe bemerke ich plötzlich einen VP! Eine Señora hat am Strassenrand einen VP mit Kaffee und Keksen aufgebaut, für lokale Frühaufsteher offensichtlich. Mit der Suppe im Bauch verlockt es mich nur wenig und ich trotte also weiter
KM17. Die Lampe kann ich jetzt ausschalten und im Rucksack verstauen. Meine Beine fühlen sich plötzlich sehr schwerfällig an, so wie ich es etwa für km24 erwartet hätte. Den Ortseingang von Cabarete durchlaufend kommen mir jetzt Zweifel an meinem Vorhaben. Wenn sich die Füße jetzt schon so Scheiße anfühlen, wie soll das dann später werden? Im Ort schau ich mir im Vorbeilaufen die geschlossenen Geschäfte an, um auf andere Gedanken zu kommen. Die nächste Gehpause bei km20 sehne ich herbei und endlich kommt der 20. Piep, direkt an der Esso Tankstelle. Der Laden hier ist glücklicherweise schon geöffnet, zielstrebig nehme ich Cola und Powerade aus dem Kühlschrank. Die Klimaanlage an der Kasse läßt mich erstmal alles vergessen, einfach traumhaft. Dann Wechselgeld einstecken und weiter. Cola trinke ich zur Hälfte und entledige mich sofort der Flasche, noch 200m Gehpause. Dann fällt das Anlaufen schwer. Ich ziehe jetzt den feuchten Grasstreifen neben der Strasse vor, muß einfach weg von der Strasse! Kurz nach km21 nehme ich einen Trail, der am Strand lang geht. Es ist ein Umweg, aber Hauptsache mal keine Strasse mehr. Abgesehen davon laufe ich ja nicht auf einen Zielpunkt zu, sondern 30km, danach ist Schluß, egal wo ich dann bin!
Sand, Wurzeln, Steine zwingen mich die Schritte zu variieren und das tut gut! Es piept zum 22.Mal und jetzt weiß ich: Weniger als 8km fehlen, also nur noch 7,XXkm, das schaffe ich noch! Sage vor mich hin: „Ich schaffe es!“ Nochmal lauter. Dann schreie ich es hinaus: „Ich werde es schaffen!“ Zum Glück ist niemand in meiner Nähe, aber es fühlt sich gut an es hinaus zu schreien. Kurz nach dem Surferstrand Playa Encuentro ist der 25. Km vollbracht und die letzte Gehpause dehne ich diesmal auf 300m aus auf der schwierigen, steinigen Piste, die wieder zur Strasse führt. Mein Wasservorrat im Rucksack ist aufgebraucht und ich fische ein paar Münzen aus einer Tasche, um an einem kleinen Laden in ca 1,5km Entfernung Wasser kaufen zu können. Die Strasse hat mich wieder und es jetzt keine 5km mehr. Immer wieder rufe ich mir zu, daß ich es schaffen werde. Bei dem Laden angekommen beschließe ich kein Wasser mehr zu kaufen. Die 3,5km schaffe ich auch so, wofür nochmal Ballast holen.
Der 27. Km bringt mich, der wohl zu viele Ultralaufberichte gelesen hat und sich im Geiste selber schon für einen Ultra hält, auf den Boden der Tatsachen zurück. Die Schritte werden immer kleiner. Mache ich hier schon schlapp?
Als eine Horde Radfahrer in einem Affenzahn mir entgegenkommt grüßen wir uns und den Letzten brülle ich entgegen: „Ich komme gerade aus Gaspar Hernandez!“ Es hat sie sicher nicht interessiert, wenn es überhaupt bei ihnen ankam, aber das mußte einfach raus!
Jetzt nur noch die gerade Landstrasse lang, km28, km29 immer wieder mich anbrüllend...die letzten paar hundert Meter...da vorn ist die Tankstelle, dort kann ich Wasser kaufen..30km, aber die Tankstelle ist noch nicht da, komm, so weit schaffe ich es noch. Bei 30,2km biege ich dann in die Tankstelleneinfahrt ein. Geschafft. Glücklich.
3Stunden 28Minuten sind rum seit dem Start. Einem Bekannten, der dort Sandwich verkauft rufe ich zu: „Ich komme aus Gaspar Hernandez!“ Er lacht herzlich.
Im Shop kaufe ich mir Wasser und schütte erst mal die Hälfte über den Kopf und schlabbere den Rest, nach Hause spazierend. An der Kreuzung Richtung El Choco sprechen mich 3 Leute an, die ich von Volksläufen vom Sehen kenne und sie kennen mich auch. Natürlich erzähle ich als erstes „Ich komme aus...“ und wir quatschen eine Weile und tauschen Streckenkenntnisse und Telefonnummern aus. Sehr erfreulich, mal wieder auf ein paar Gleichgesinnte zu treffen.
Als ich weiterlatsche will mich noch ein Bekannter, der gerade des Weges kam, im Auto mitnehmen, , aber ich erkläre ihm, daß ich noch etwas zu Fuß gehen will und erzähle ihm natürlich auch, wo ich gerade her komme.
Zu Hause angekommen erzähle ich auch den Kindern von dem Lauf. Die sind nur mäßig beeindruckt. Dann mache ich Frühstück und danach lege mich zum ersten Mal (von noch weiteren Malen an diesem Tag) hin.
Montag
Feiertag. Den wollte ich nutzen um von den 30km die unter der Woche dran sind schon mal einen Teil ab zu arbeiten. Da gegen 4Uhr nachmittags Ebbe war, wollte ich mir nach langer Zeit mal wieder einen Strandlauf, barfuß 10km,
gönnen. Mein unbarmherziger Plan, den ich mir aufgebürdet habe enthielt keine Strandeinheit.
Kurz vor 4 laufe ich bei 28Grad los und merke schon, das wird kein Vergnügen heute. Der gestrige Lauf steckt mir noch mehr in den Knochen als ich es mir zugestehen will. Noch keine 1000m bin ich gelaufen und wundere mich wie weit eigentlich 10km sind. Von
gönnen kann hier keine Rede sein. Das wird eine Zumutung. Kurz vor dem Ende der Bucht, die genau 2,5km mißt denke ich zurück an die Zeit, als es noch ein Fernziel war, diese Bucht einmal komplett zu durchlaufen. Wenigstens darüber bin ich hinweg. Kurzer Fotostop bei der Wende und zurück. Mann, ist das weit. Während ich mich über nassen Sand und Gischt schleife, merke ich, daß heute nicht meine Beine den Schwachpunkt bilden, sondern meine allgemeine Verfassung. Ich fühle mich restlos ausgelaugt. Laufen am Nachmittag mit vollem Bauch war eh nie mein Ding.
Zurück am Ausgangspunkt verwerfe ich die Gedanken es bei 5km zu lassen. Solange meine Beine nicht weh tun, sehe ich keinen Grund zum Abbruch. Also, zweite „Runde“. Warum habe ich kein Wasser dabei? Die Baseballmütze schön ins Gesicht gezogen , um meine Nase vor Sonnenbrand zu schützen trabe ich weiter. Irgendwann merke ich wie 50m vor mir 4 junge muskulöse Burschen joggen. Träume ich, oder wird der Abstand immer kürzer? 6‘20er Pace überrascht mich dann doch. Nach einigen hundert Metern geben 2 der 4 Sportler auf. An den beiden anderen ziehe ich langsam aber sicher vorbei und fühle mich plötzlich nicht mehr so kaputt. Gut, letzte Wende bei 7,5km, jetzt habe ich wieder die komplette Bucht vor Augen, Sch..., da muß ich jetzt durch. Der letzte km wird zur echten Probe und ich schaue mehr auf die Uhr als sonstwo hin. Als es vorbei ist gehe ich noch rund 500m und bin froh, daß ich es hinter mir habe.
Mittwoch
3 Einheiten Lauf-ABC mit um 6:20, 7km. Auf dem ersten km übermäßig fit, dann stark nachlassend. Ab km3 Nieselregen, war aber ok. Die letzte EB zögerte ich lang hinaus, mangels Kraft. Spitze war 3’16. Bei den Beschleunigungen denke ich immer, es könnte noch einen Zacken mehr gehen, habe aber Angst zu stürzen, irgendwie kommen die Beine da nicht mehr richtig mit. Egal. Zu Hause ziemlich geschafft und emotionslos. Wieder ein Punkt abgehakt.