So, hat etwas länger gedauert, weil wie gesagt erstmal das Wohnmobil ausgeräumt und winterfest gemacht werden musste.
Vorgeplänkel
Es ist mal richtig angenehm, wenn man sein Bett keine 300m von der Start- und Ziellinie entfernt stehen hat. Und das schon am Vortag, so dass das Abholen der Startnummer nicht mal ein Spaziergang war.

Wie schon berichtet, bin ich morgens extra früh aufgestanden, weil es sich in den zwei Wochen vorher doch so eingeschlichen hatte, erst nach acht, manchmal auch erst gegen neun aufzustehen.
Nach einem guten Frühstück aus Kaffee und Butterbrot mit selbst gekochter Marmelade richte ich meine Klamotten und mache mich auf zum Warmlaufen. Es ist erstmal arschkalt. Soweit ich das jetzt noch bei den nächstliegenden Wetterstation abrufen kann, waren es um 09:00 Uhr ganze 6 oder 7°C. Ich ziehe mir - ich glaube, zum ersten Mal nach diesem Sommer - meine Laufjacke an und trabe in einer Seitenstraße ein wenig hin und her. Fühlt sich irgendwie doof an, die Beine schlafen noch. Nach einem knappen Kilometer eine erste Steigerung - O.M.G., wie soll das heute gehen? Aber schon die zweite Steigerung ist besser und die dritte flutscht einfach nur noch so. Immer wieder erstaunlich, was so ein paar Steigerungen regelmäßig bewirken.
Meine Verdauung hat bis jetzt plangemäß funktioniert, aber irgendwas war da, was mich jetzt schon zum fünften Mal die weiße Schüssel aufsuchen lässt. Vor dem Einlaufen hatte ich es noch in der Stadthalle erledigt, zuletzt freilich schon schlangestehend, da sich die Arena doch merklich gefüllt hatte. Jetzt, 20 min. vor dem Start, versuche ich es gleich gar nicht erst "öffentlich-rechtlich". Auch dafür ist es schließlich saugut, ein WoMo dabei zu haben. Kipchoge dürfte wohl auch kaum vor einem Dixieklo Schlange stehen, wenn's ihn drückt.

Damit sei das Thema Verdauung endgültig abgehakt - während des Rennens blieb diesbezüglich jedenfalls alles gut.
12 min. vor dem Start schlendere ich wieder Richtung Startblock. Gähnende Leere. Ich halte links und rechts nach Katz Ausschau, sehe sie aber nicht. So bewege ich mich im fast leeren Startblock langsam nach vorne, immer links und rechts in die Zuschauer peilend. Nichts. Schläft Katz noch seelig ? (Nachträglich weiß ich ja, dass sie heute 12 min. früher losgerannt ist als sonst.

) Eine Sekunde lang amüsiert mich die Idee, hier ganz vorne in der ersten Reihe stehen zu bleiben und mit den schwarzen oder weißen Kenianern zu starten. Nee, TV-Interviews möchte ich jetzt aber doch nicht geben. Also drehe ich mich um, um ans Ende des Feldes zu gehen, da wo ich hingehöre - und pralle gegen eine Wand. Innerhalb von drei oder vier Minuten hat sich der Startblock komplett gefüllt, und zwar ziemlich eng gedrängt. Ich schlüpfe durch ein paar Lücken - auf allzu viel Widerstand stößt man ja nicht, wenn man sich nach hinten durchdrängeln will. Aber das Feld wird immer dichter und ich gebe es auf. Ich denke, ich stehe so etwa am Ende des vorderen Drittels, maximal im vorderen Bereich des zweiten Drittels. Hier sollten eigentlich diejenigen stehen, die so um die 5:00/km laufen. Diese Episode erklärt wohl auch zur Genüge, warum Katz und ich uns vor dem Start verpassten.
Wettkampf
Der Startschuss fällt und ich komme ungewohnt schnell über die Linie, habe nur drei Gedanken: bremsen, bremsen, und nochmal bremsen. Trotzdem bin ich auf den ersten 500m mit 5:54/km natürlich viel zu schnell. Es ist unglaublich, welchen Sog eine losstürmende Meute erzeugt, auch wenn man sich noch so sehr dagegen stemmt. Auf der zweiten Hälfte des ersten Kilometers habe ich mich schon auf 6:30/km eingebremst - also nix passiert. Trotzdem gerät der ganze erste KM mit 6:15 natürlich zu schnell.
Den ersten Trubel hinter mir, beginne ich, meinen Laufstil zu sortieren und in mich hinein zu horchen. Die Beine fühlen sich immer noch etwas schläfrig an, aber sonst alles gut. 6:22 für den zweiten KM. Irgendwo hier zieht links ein junges Ding an mir vorbei, auf der rechten Schulter des Laufshirts prangt der Schriftzug "Katz". Ich rufe "Hallo Katz!" Sie dreht sich verdutzt um und erkennt mich dann. Kurzes Abklatschen, gute Wünsche ausgetauscht und ich bin froh, dass sie gleich weiter zieht und nicht meint, mir aus lauter Pietät ein betreutes Laufen angedeihen lassen zu müssen. Von der Sorte soll ich später noch ein recht nerviges Exemplar kennenlernen ...
Während KM 3 - dem letzte fast flachen - normalisiert sich alles soweit, auch das Tempo von nun 6:33 entspricht so etwa meinem Plan. Und schon geht's in den erst noch sanften, dann deutlicheren Anstieg. Ganz oben am Waldrand, mit fast 2 km Vorsprung, sehe ich die ganz flotten Hirsche als winzige Punkte enteilen.

KM 4 geht noch in 6:57 weg, da erst die zweite Hälfte die durchschnittlichen 3 % Steigung aufweisen. KM 5 mit durchgehend 2,7% bremst mich schon auf 7:10 herunter, aber das war noch erwartbar. Allerdings hämmert mein Puls nun schon mit 164 / 180 = 91,1 % im Dauerbetrieb und das ist mal gar nicht gut. Ein kleiner Zwischenabstieg verschafft mir etwas Luft, bevor es weiter hinauf geht zur ersten Verpflegungsstelle. Ich greife mir Iso und Tee, danach auch nochmal Wasser. Strikt nötig war's noch nicht, aber besser zu früher als zu spät. Die Flüssigkeitaufnahme gelingt mir ganz ordentlich so wie geplant - nur ganz kurz abstoppen beim Aufnehmen jedes Schlucks, aber weitertraben während des langsamen Hinunterschluckens. So brauche ich für diese 140m zwar ausbaufähige 9:49/km, aber gemessen an den 8:00/km, bei denen ich ansonsten während dieses Kilometers schon angelangt bin, ist das kein allzu großer Verlust. Und trotzdem drei Becher sauber und vollständig geleert. Und alles bei 3,1% Steigung auf diesem Kilometer.
Weitere 800m später ist dieser erste Anstieg vorbei und es geht für 200m flott bergab in den Wald. Das Tempo erholt sich auf insgesamt 7:42. Kilometer 8 ist mit 2% etwas flacher und deshalb nach 7:26 erledigt. Irgendwo hier kommt der Punkt, wo ich nochmal auf das Thema "betreutes Laufen" eingehen muss. Da läuft eine junge Frau - sehr schweigsam und mit sichtlicher Mühe - in etwa mein Tempo. Begleitet wird sie von einer etwa gleichaltrigen Freundin (vermutlich), die offenbar viel besser drauf ist und aus reiner Pietät neben ersterer herläuft. Irgendwann aber ist im Hintern dieser Begleiterin ein Schwarm Hummeln nicht mehr zu bändigen - sie läuft mal locker voraus und lässt sich dann wieder zurückfallen oder wartete mit Trippelschrittchen auf der Stelle, bis ich sie fast über den Haufen rennen muss. Dann wieder läuft sie rückwärts dicht vor der Behüteten her, macht Faxen und quasselt wie ein Buch, wobei die Adressatin selbst keinen Mucks hervorbringt, vermutlich weil sie genau so brotfertig ist wie ich bereits. Mir geht das ziemlich bald auf den Keks, weil ich mehrfach mein Tempo ändern muss, um dem Gekasper zu entgehen. Irgendwann zieht die "Betreuerin" dann endgültig an mir vorbei und ward fortan nicht mehr gesehen. Also, wenn jemand mir
so über den Berg helfen wollte ("Ich lauf' schon mal vor"), dann würde ich mich herzlich bedanken und mein Heil in uneinholbarer Flucht suchen.
Kilometer 9 ist anfangs flach, und da läuft's ganz angenehm, aber die restlichen 750m mit 3,2% Steigung bremsen mich wieder ein auf insgesamt 7:45. KM 10 ist etwas wellig, bei 9,6 km beginnt wieder ein längerer Anstieg. Ein Zuschauer mit spanisch anmutender Flagge (irgendwas in gelb-rot jedenfalls) ruft mir aufmunternd zu: "Letzter Anstieg!" Ich denke bei mir, verarschen kann ich mich alleine, rufe ihm hörbar aber nur die topografisch korrekte Aussage zu: "der
vorletzte!". Gut, wenn man das Höhenprofil vorher gründlich studiert hat, sonst wäre die Enttäuschung vor dem wirklich letzten Anstieg wohl maßlos gewesen. Bis hierher war ich bei meinem Testlauf vor einer Woche gekommen, ab jetzt beginnt Neuland für mich. 7:51 für KM 10, incl. Verpflegungsstand. Kurzes Gefällstück, ich kann etwas Tempo aufnehmen, so knapp über 6:30. Der letzte Anstieg während KM 13 ist nicht wirklich heißersehnt, aber auch nicht so dramatisch, weil er mit nur 2% Steigung doch etwas flacher ausfällt als befürchtet.
Und dann, bei 12,9 km, geht es sanft abwärts. Die Quälerei ist endlich vorbei. Denke ich. Nach einer Kurve tut sich vor mir ein Abgrund namens "Unterbränd" auf: 7,4% Gefälle über gut 500m in den Ort hinein. Ich lasse mich fallen und obwohl ich bei jedem Schritt kräftig bremsen muss, bin ich hier mit 5:15 bis 5:45/km unterwegs. Es kommt mir leicht vor nach der endlosen Kraxelei, aber in Wahrheit ist das hier womöglich der Anfang vom drohenden Ende. Den Verpflegungsstand hake ich fast schon routiniert ab (120m mit 8:28/km). Ein darauf folgender Minianstieg von 2 Hm über 500m fällt mir jetzt aber schon ziemlich schwer. Endlich geht es jetzt kontinuierlich bergab, bei 4 bis 5% Gefälle stellen sich 6:00 bis 6:10/min. ein.
Bei KM 15,8 begehe ich den entscheidenden Fehler. Mir drückt schon seit einigen Kilometern die Blase, anfangs nicht stark, als Mann kann man sowas schließlich wegdrücken.

Jetzt aber wird der Druck stärker. Und da ich weiß, dass ich sehr bald nur noch freies Feld vor mir haben werde, halte ich den hiesigen Ort für am besten geeignet, diesem Druck stattzugeben. An einem schütteren Büschlein als Alibi-Sichtschutz muss es nun sein und ich gebe "Wasser marsch", aber es kommt - erstmal nix.

Der Druck ist stark, aber es kommt nix, die Sekunden verrinnen. Saublöd ist das !!!

Nach einer halben Ewigkeit setzt der befreiende Regen ein, und letztendlich dann doch so ausgiebig, dass sich diese Pause wirklich lohnt. Aber 68 Sekunden hat mich dieses Vergnügen gekostet, was verschmerzbar klingt, mich aber vermutlich im Endeffekt die 2:30er Endzeit gekostet haben wird, weil ich bereits hier beginne, an ihr zu zweifeln.
Kräftig mit mir hadernd laufe ich weiter, schaffe die nächsten fast 2 km nochmal in 6:32/km. Bei KM 17,7 die letzte Verpflegungsstelle. Hier klappt's nicht mehr so perfekt, muss eine halbe Minute durchwandern, um eine halben Becher pappsüßen Tees (man kann es auch übertreiben mit den Kalorien!) runterzuwürgen. Das Wasser, das ich zum Nachspülen dringend gebraucht hätte, verpasse ich, weil der Typ an der Ausgabe etwas verpeilt ist. Er steht auf der linken Straßenseite und hat je enen Wasserbecher in jeder Hand. Ein Verfolger dicht hinter mir ruft "Wasser" und auch ich strecke zeitgleich meine Hand aus. Hätte der Wasserspender seinen linken Becher mir und den rechten Becher dem Verfolger gleichzeitig hingehalten, hätten wir beide was davon gehabt. Aber was macht der Unglücksrabe ? Hält "meinen" linken Becher dem Verfolger hin und den rechten irgendwo ins Nirvana, wo niemand drankommt. Ich ärgere mich nur kurz, kämpfe mit dem widerlich klebrigen Nachgeschmack des viel zu süßen Tees nun halt etwas länger, werde aber alsbald von einem kurzen Minianstieg (3 Hm auf 50m) abgelenkt, d.h. komplett ausgebremst - nichts geht mehr, ich muss ein paar Schritte gehen. Es ist genau hier, dass ich zum erstenmal eine Hochrechnung auf die Endzeit anstelle. Nach 18,0 km liege ich bei 2:08:30. Ohne die idiotische Pinkelpause hätte ich noch 21:30 Zeit für 3,1 km. Mit knapp 7:00 für den Rest hätte es noch passen können. Aber irgendwie kann ich gerade nicht mehr klar denken und bin der Meinung, ich müsse jetzt 6:20/km oder so laufen und das war ausgeschlossen. (Gut, der GPS-Fehler war tatsächlich noch nicht berücksichtigt.) Deshalb schieße ich hier die 2:30 h endgültig in den Wind, will aber unbedingt die PB unter 2:33 schaffen. Mit ein paar weiteren kurzen Pausen an jedem kleinen Mini-Hügelchen schaffe ich es auch tatsächlich, wenigstens auf PB-Kurs zu bleiben. Die letzten 300m schaffe ich sogar noch so etwas wie einen Endspurt mit 6:08/km.
Im Ziel empfängt mich eine bereits sichlich erholte Katz mit einem Isogetränk. Ich hänge erstmal über der Reling wie auf Butterfahrt nach Helgoland bei Windstärke 10 - bin einfach nur brotfertig. Wir tauschen uns kurz aus und ich verabschiede mich schnell. Da meine Frau nicht an der Strecke steht, weiß ich, dass es ihr nicht super gut geht, wie sich heute früh schon ankündigte.
Nachgeplänkel
Der Rest ist schnell erzählt. Nach kurzem Bericht drehe ich noch eine kurze Barfußrunde (1,1 km) auf der Wiese mit dem Ausweichparkplatz östlich der Umgehungsstraße. Eine unglaubliche Qual für die Beine, aber geradezu eine Wohltat für die Füße. Dann duschen im WoMo - so müssen sich die Profis fühlen, abgeschirmt und umsorgt im eigenen Motorhome, ohne Fanrummel und ohne Fußpilzgefahr.
Insgesamt 1,5 + 21,1 + 1,1 = 23,7 km mit 210 Hm in
2:32:09 in 7:21/km (bis 18,0 km warens's noch 7:09/km).
Da wir an diesem vermutlich letzten traumhaft schönen Wochenende befürchten, bei späterer Abfahrt in einen massiven Rückreiseverkehr vom Bodensee Richtung Stuttgart zu geraten, machen wir uns sehr schnell auf den Heimweg. Zwar hatte ich vorher davon geträumt, noch kurz eine Mütze voll Schlaf zu nehmen, aber dann wäre ich vermutlich so schnell nicht wieder aufgestanden. Während der ersten Stunde der Rückfahrt muss ich mich ziemlich konzentrieren, aber dann bin ich auch schon wieder fit. Ohne den kleinsten Stau kommen wir zu Hause an.
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Mit einem Tag Abstand muss ich meine erste schönredende Bewertung von gestern etwas korrigieren. PB ist ja schön und gut, ebenso das Plus an Höhenmetern gegenüber Heilbronn nicht zu unterschätzen. Aber wenn die Ausgangsbasis nichts weiter ist als der im letzten Drittel Ende ebenfalls völlig verkackte Trolli, dann relativiert sich der Jubel halt doch etwas. Lassen wir mal die Zeit außen vor - was mich unterm Strich nun doch einigermaßen ärgert, ist die Tatsache, dass ich mir trotz einigen Hügeltrainings meine Kräfte wieder nicht richtig einteilen konnte und dass ich auf den letzten gut 3 km wieder ziemlich den Fokus verlor. Fehler darf man bekanntlich ja machen, aber allzu oft wiederholen sollte man sie besser nicht. Das ändert aber nichts daran, dass ich meinen Spaß an diesem Lauf hatte, soweit man 91% HFmax als spaßig empfinden kann.
Wer ein paar Höhenmeter, teilweise auf Waldwegen, nicht scheut und nicht unbedingt auf die Massenevents mit zig Pimpilliarden Teilnehmern fixiert ist, der ist beim Schwarzwald(halb)marathon bestens aufgehoben. Professionell organisiert (50 Jahre Tradition lassen grüßen) und dennoch sehr übersichtlich, fast familiär. Für Frauen müsste es eigentlich Pflicht sein, einmal im Leben in Bräunlingen zu starten. War das doch der weltweit allererste Marathon, bei dem von Beginn an Frauen zugelassen waren. Wie manche von uns vielleicht noch wissen, galt vor 50 Jahren Ausdauersport für Frauen durchaus noch als höchst gefährlich in Bezug auf Gesundheit, Gebärfähigkeit, Küchenkompetenz und sittliches Verhalten. Oder so ähnlich.
Und wer gleich noch ein paar Urlaubstage dranhängen will - die Wutachschlucht und andere Sehenswürdigkeiten sind gleich um die Ecke.