Feuerwehrmann (Zeitreise in die Gegenwart)
Kapitel 4
Relativ lange schon ist „lange“ relativ kurz…
Bevor ich nun weiter am Unumstößlichen seziere, um letztendlich zu versuchen dem Vergessen ein Schnippchen zu schlagen, möchte ich einen ganz bestimmten Teil aus meinem Leben vorstellen. Einen Teil, der meines Erachtens deutlich macht, wie verzerrt die Wahrnehmung der Zeit sein kann, wenn sie erst einmal vorbei ist: den Obst und Gemüse Laden meiner Eltern.
Besagter Laden gehörte zu meinem Leben und ich kannte ich nie eins ohne ihn.
Meine ersten Schritte machte ich in diesem Laden, meine ersten Worte sowieso und wenn ich später aus der Schule kam, waren meine Eltern immer - Sie ahnen es bereits - im Laden.
Bis ich sechsundzwanzig war (Da haben sie ihn aufgegeben) war das Geschäft für mich quasi ein Naturgesetz, es war einfach da.
Mutti und Vatti betrieben das Ding 33 Jahre lang (In Worten: Dreiunddreißig) Ich möchte behaupten, dass sich da eine gewisse Routine nicht vermeiden ließ. Nicht dass diese Jahre wie weggewischt wären, dafür kramt Vaddern viel zu oft und viel zu gerne bei jeder sich bietenden Gelegenheit, eine Unzahl an Anekdoten über sein Grünhöker Leben aus, die in der Häufigkeit ihres Erzähltwerdens nur noch von den Anekdoten über mich selbst übertroffen werden. Aber selbst die immense Anzahl an, zugegebenermaßen oft wirklich köstlichen Geschichten, füllt keine 33 Jahre. Ich bin mir sicher, dass ich das erschreckender finde, als mein Vater. Ich betrachte das Geschäft nach wie vor als das Lebenswerk meiner Eltern, sie waren eine Institution in der Gegend, das ist unbestritten. Und dann, ZACK, vorbei.
Ich habe mich immer gewundert, wie locker sie das weggesteckt haben. Ok, zum Schluss war es schon Quälkram, weil es mit der Konstitution meines Vaters rapide bergab gegangen war, aber ich hatte erwartet, dass das lachende Auge ebenbürtige Konkurrenz von seinem weinenden Gegenüber bekommen würde. Ich hatte kurze Zeit sogar die Befürchtung, dass die Ehe darunter leiden könnte, weil einfach der gemeinsame Strang nicht mehr da war, an dem die beiden so lange gezogen haben. Ich finde den Gedanken gar nicht so abwegig, dass man sich überhaupt nicht mit der Situation anfreunden kann nun viel mehr Freizeit miteinander gestalten zu müssen. aber Pustekuchen… Muttern geht voll und ganz in ihrem Garten auf und hat den grünen Daumen quasi neu definiert. Mit den übrigen Fingern hat sie den Computer für sich entdeckt und macht aus langweiligen Urlaubsfilmen, ziemlich kurzweilige Reisedokumentationen, mit Überblendungen, passender Begleitmusik, Vor- und Abspann und brennt das ganze auch noch souverän auf DVD’s.
Und Vadder? Da er wegen der Gesundheit ein paar Jahre früher aufhören musste als geplant, hat er einen Job bei einer Bank angenommen, in der Hauspostabteilung.
Mittlerweile ist er innerhalb dieser Abteilung auch schon wieder sozusagen der Chef, arbeitet 40 Stunden die Woche (Im Gegensatz zu ca. 80 während der Zeit in dem Geschäft) und tut so, als hätte er nie was anderes gemacht, unglaublich.
Für mich ist das immer noch ein Wechselbad. Ich bewundere meine Eltern. Für ihre Vergangenheit sowieso und erst recht für die Gegenwart, in dessen neuen Lebensumständen sie sich völlig problemlos zurechtfinden, so soll es ja wohl auch sein und trotzdem bekomme ich diese Zahl nicht aus dem Kopf. Dreiunddreißig! Das ist fast ein halbes Menschenleben und wenn man meine Eltern mal als das rechnet was sie sind, nämlich eine Einheit, dann ist es sogar ein ganzes Menschenleben. Dreiunddreißig Jahre in denen der Beruf den Tagesablauf bestimmt hat. Im Falle meines Vaters hieß das um 04:00 aufstehen um auf den Großmarkt zu fahren, ab 07:00 im Laden sein um die Waren auszulegen, um 08:00 den Laden geöffnet haben, zwi-schen 13:00 und 15:00 Mittagspause, um 18:00 Laden zu, um 19:00 zu Hause, bis 20:00 Buchführung, um 20:15 Nachrichten, vielleicht noch einen Film schauen und dann ab, in die Heia… Und da ist jetzt noch nicht der Tannenbaumstand im Winter, die Balkonbepflanzung in einer großen Wohnanlage im Frühjahr und der allgemeine Stress vor Feiertagen wie Ostern und Weihnachten mit einberechnet.
Für Hobbies war da nicht allzu viel Spielraum, das ist wohl leicht einzusehen.
Für mich kam nie in Frage, das Geschäft zu übernehmen. Mal abgesehen, davon, dass mir das viel zu viel Arbeit gewesen wäre, schien mir der reine Zeitaufwand auch immer absurd hoch.
Und immer wieder diese Zahl…. Dreiunddreißig. Nennen Sie mich neurotisch, oder ewig gestrich, aber wenn man jetzt daran zurückdenkt hätten es genau so gut auch nur fünf Jahre sein können, weil die Geschäftsaufgabe mittlerweile auch schon wieder acht Jahre her ist und eben einfach vorbei. Aber wir sprechen hier von einem Drittel Jahrhundert!
Und? Was heißt das nun? Auf jeden Fall nichts anderes, als dass meine Eltern irre viel gearbeitet haben und nun Gott sei Dank noch fit genug sind, das Leben danach auch noch genießen zu können. So weit so gut, denn die Tatsache, dass ich den jetzigen 40 Stunden Job meines Vaters als „Ein Leben nach der Arbeit“ bezeichne, verdeutlicht vielleicht ein kleines bisschen, was dieser Gemüseladen an Aufwand gefressen hat. Aber hätten sie es anders machen können? Oder vielleicht anders machen wollen? Bis ich angefangen habe dieses Buch zu schreiben hatte ich tatsächlich kaum mal ernsthaft mit meinen Eltern genau darüber gesprochen. Beim Schreiben merkte ich, dass meine ganzen Thesen zu dem Thema auf eigenen Annahmen, oder besser muss ich sagen, Überzeugungen beruhen. Erst daraufhin habe ich mich mit ihnen zusammen gesetzt und wollte von ihnen wissen, wie sie die ganzen 33 Jahre denn nun im Rückblick betrachten. Zu der Frage, ob sie es hätten anders machen können konnte ich schon vor dem Gespräch sagen: nein, es ging nicht anders. Mein Vater ist mit vierzehn Jahren aus der Schule gekommen und bei seinem eigenen Vater in die Lehre gegangen. Etwas anderes, als das Geschäft der Eltern weiter zu führen, stand überhaupt nie zur Debatte.
Interessanter für mich war ja nun die Antwort auf das „anders machen WOLLEN“. Würden sich Abgründe auftun? Würde ich zu hören bekommen, dass die beiden oft darüber nachgedacht haben, was wohl gewesen wäre wenn…?
Natürlich nicht! Ein bisschen verwundert und fast schon besorgt in was für einer Gefühlswelt ich mich da gerade bewege, haben sie das ganz klar verneint. Sie haben sich einfach nie die Frage gestellt, bzw. sich nie infrage gestellt. Natürlich gab es nervige Zeiten, wo das Geschäft schlecht lief, wo die Angst vor dem, was werden wird, einen langen Schatten geworfen hat, aber grundsätzliche Unzufriedenheit oder gar echte Zweifel sind ihnen fremd gewesen.
Ein erfüllter Lebensabschnitt war es ohne Zweifel und ein ebenfalls unbestritten ist das große Loch, welches der Laden, mit allem was er für die ganze Gegend bedeutet hat, hinterlassen hat. Meine Eltern haben diesen Laden gelebt. Es ging nicht um Gemüse, es ging darum, dass sie sich all die Jahrzehnte ohne Probleme gegen Aldi und Co. durchsetzten konnten, weil man eben zu „Staudts“ ging und nicht einfach nur zum Grünhöker. Und genau das finde ich ja so krass. Ein ganze Periode, mit allen Höhen und Tiefen… ZACK“ vorbei...
Wenn ich nur wissen würde warum mir der Gedanke solche Angst macht. Ich denke manchmal wirklich, ich stehe außen vor und gucke mir das Leben um mich rum nur an.
Mein eigener beruflicher Werdegang zeugt auch davon, wie sehr ich mich letztendlich schwer damit tue, einzurasten.
Nach meinem missglückten „Einstand“ in der Gesamtschule, hatte ich mich einigermaßen berappelt und einen recht ordentlichen Realschulabschluss hingelegt. Obwohl ich sogar in die Oberstufe hätte gehen können, wollte ich unbedingt aus der Schule und eine Lehre machen. 1989 hatte ich dann meine Ausbildung zum Triebwerkmechaniker bei der Lufthansa beendet. Keiner hatte mich darauf vorbereitet, was mich nach erfolgreichem Abschluss erwarten sollte, nämlich ein Leben mit Spätschichten, in einer Kunstlichthalle mit steinalten Kollegen (alle so um die 35).
War die Ausbildung selber noch spannend und abwechslungsreich, herrschte als Geselle nun eine Tristesse, die in einer nahezu unglaublich hochspezialisierten Arbeit bestand: in der „Rotormontage“, einer der zahlreichen einzelnen Unterabteilungen der Triebwerkshalle, war nun das Auswuchten von Turbinen, der Lohn meines Gesellenbriefes. Drei Jahre hab ich den Beruf gelernt, um von da an letztendlich immer das Selbe zu tun. Wohlgemerkt mit lauter Leuten die Schnauzbärte trugen und Hypotheken als Tagesthema hatten. Da ich das noch ganz gut weiß, ist das ein ziemlich guter Einblick darin, wie alt man mit 35 Jahren aus der Sicht eines 22 Jährigen ist. –Also ich hab die armen Geschöpfe immer bedauert.
Ich bezweifele, dass ich damals, seherische Fähigkeiten hatte. Es ist einfach so, dass ich mich mit Routine eben schon immer sehr schwer getan habe. Mit anderen Worten: Die Aussicht, die nächsten 45 Jahre diesen Beruf auszuüben, machte mich, gelinde gesagt, eher unfroh. Mit 22 war ich zwar nicht gerade weise, aber immerhin helle genug um zu erkennen, dass die Möglichkeiten noch mal was Neues anzufangen im Laufe des Lebens eher weniger werden dürften. Also nutzte die Chance eines Aufhebungsvertrages, der zu der Zeit angeboten wurde um betriebsbedingten Kündigungen aufgrund schlechter Wirtschaftslage zu vermeiden. Ich strich meine Abfindung ein und machte mich vom Acker.
Hochtrabende Pläne hatte ich nicht gerade, ich hatte einfach keinen Bock mehr ein Dasein als in einen Blaumann gewandte Ameise im Bau zu fristen.
Wenn ich nun zurückblicke, gibt es ohne Zweifel eine Menge Augenblicke, in denen ich daran gezweifelt habe, ob das damals die richtige Entscheidung gewesen ist nicht bei der Lufthansa zu bleiben. Wäre ich da geblieben, ich hätte in der Tat einige finanziell magere Jahre weniger gehabt. Ganz zu schweigen von der relativen Sicherheit, mit der ich im Berufsleben gestanden hätte. Aber ich bereue es nicht. Und das sage ich sogar noch einmal: „Ich bereue es nicht“. Es ist wieder etwas sehr Triviales, was mich das mit Gewissheit sagen lässt, aber es ändert nichts daran, dass es zutrifft: Ich weiß ganz genau, hätte ich damals nicht gekündigt, wäre ich all die Jahre immer unzufriedener geworden. Immer hätte ich daran denken müssen, was ich wohl hätte anfangen können, wenn ich nur damals die Courage gehabt hätte in den Sack zu hauen. Wenn ich auch nun weniger verdiene, so blicke ich doch auf 12 Jahre zurück in denen ich:
Eine weitere Ausbildung als Kommunikationselektroniker absolviert habe, direkt danach folgte ein komplettes Jahr Praktikum in einem Tonstudio. Als abzusehen war, dass das dort nichts wird mit dem Geldverdienen, wurde ich für ein halbes Jahr Computerfachverkäufer, bis ich 1996 schließlich endgültig in die EDV gewechselt habe und zwar in einem Dienstleistungsunternehmen. Seither folgten noch zwei Firmenwechsel, von denen der eine freiwillig war und der andere nicht.
Das sind Eckdaten, die mir wichtig sind. Ich denke schon, dass ich mich an mehr Einzelheiten aus meinem Berufsleben erinnern kann, als beispielsweise mein bester Freund, den ich damals bei der Ausbildung bei Lufthansa kennen gelernt hatte. Er ist tatsächlich dort geblieben, sogar in derselben Abteilung in der er nach der Ausbildung angefangen hat. Mit Erschrecken hat er jüngst festgestellt, dass es bis zu seinem 20 jährigen Betriebsjubiläum keine zwei Jahre mehr hin sind.
Ich habe in derselben Zeit, viele neue Menschen kennengelernt, gehofft, gelitten, gejubelt und gekotzt und ohne ein 20 Jähriges Jubiläum abwerten zu wollen, muss ich für mich feststellen, dass ich über meinen Weg recht froh bin.
Die Tatsache, dass ich trotz der beiden Firmenwechsel auch in meinem jetzigen Beruf langsam aber sicher schon wieder unzufrieden werde, habe ich bis vor kurzem, verdrängt....
(Aktuelle Anmerkung vom 04.03.2015: Der Laden meiner Eltern ist mittlerweile seit 20 Jahren Geschichte, sie erfreuen sich immer noch bester Gesundheit und mein Kumpel arbeitet immer noch bei Lufthansa und hat nächstes Jahr sein 30 Jähriges... )
PS: Auf das nächste Kapitel können sich Manche hier schon mal freuen, da gehts um dieses Mann/Frau Ding, Beziehung(skriesen) usw...
