22675
von voxel
Hallo zusammen,
hier mein Rennbericht vom Rotterdam Marathon am 9. April 2017:
Die Vorbereitung lief diesmal ganz gut, ich konnte sie mit einem sehr guten Gefühl abschließen und ins Tapering einsteigen. Eine Woche vor Rotterdam kamen aber einige private Dinge dazwischen, so dass ich mich gezwungen sah den Lauf abzusagen. Das Hotel und die Zugfahrt wurden storniert. Der mentale Fokus auf den Wettkampf ging verloren.
Trotzdem habe ich die Saltin Diät bis Mittwoch noch durchgehalten. Es war eine Mischung aus Nostalgie, Selbstbestrafung und dem Gedanken die Chancen zu wahren, falls es doch noch irgendwie klappen würde.
Diesmal war die Saltin Diät aber besonders hart. Am Montag und Dienstag hatte ich nur noch Essen im Kopf und surfte ständig auf chefkoch.de um mir heimlich Bilder von Süßspeisen anzuschauen. Dabei legte ich mir eine Liste an von allem was ich unbedingt essen wollte, wenn diese Diät endlich vorbei wäre. Ab Mittwoch konnte ich endlich wieder Kohlenhydrate essen und tue das seitdem leider ununterbrochen…. Und arbeite akribisch die Liste ab. ;-)
Mentale Vorbereitung, visualisieren, viel Trinken und Schlaf – diese Mittel der Vorbereitung kamen diesmal nicht zum Einsatz. Auch die Standard Greifeinheiten wie 4x2000m im MRT und 4x1000 habe ich nicht gemacht.
Am Samstagabend habe ich vor lauter Frust nach dem Abendessen noch diverse Toastbrot – „Arme Ritter“ mit Zimt, Zucker und Nutella verspeist, bis mein Magen so voll war, dass ich zwei Cognac zur Verdauung gebraucht habe.
Unerwarteter Weise konnte ich kurz danach am späten Abend noch einrichten, dass ein Start beim Marathon doch noch möglich wurde.
Aber es blieben nur noch wenige Stunden und als einzige Option eine lange Autofahrt von rund 500km am Sonntagmorgen ins Ungewisse. Alternativ hatte ich noch kurz über den Hannover Marathon nachgedacht, aber dieser war auch nicht viel näher, fing aber schon um 9 Uhr statt 10 Uhr an, Nachmelden wäre zwar möglich, aber nein jetzt blieb ich bei Rotterdam.
Wo sollte ich parken, komme ich rechtzeitig zur Startnummer, in welcher Pace sollte ich anlaufen? Sind die Muskeln nach der Autofahrt verspannt? Alles offene Fragen, die mich bewegten.
Immerhin ging das Packen schnell. Nach einigen Marathons habe ich mittlerweile eine funktionierende Packstrategie. Die geladene Uhr, ein paar Gels und Gelchips, die ich auf Vorrat gekauft habe, mein bewährtes Laufoutfit, die Asics Hyperspeed und ein paar Salztabletten sowie diesmal neu ein Monster Energy Drink für unmittelbar vor dem Lauf.
Voller Aufregung habe ich natürlich kaum Schlaf gefunden, alle halbe Stunde habe ich auf die Uhr geschaut und um 3.50 Uhr bin ich dann einfach aufgestanden. Nach einem Kaffee und einer Dusche habe ich mich mit etwas Proviant ins Auto gesetzt und bin Richtung Rotterdam gedüst.
Auf der Fahrt habe ich 2 Brötchen mit Honig und Marmelade verdrückt, der Magen war noch sehr gut gefüllt.
Die Autobahnen waren frei, ich kam schnell durch und fand einen guten Parkplatz etwas außerhalb an einer Metrostation, ich kam mit vielen anderen Läufern stressfrei zum Start, so dass ich vor 9 Uhr schon an der Messe meine Startnummer hatte. Dort nutzte ich ausgiebig die Toiletten und konnte mich langsam auf den Lauf einstellen. An die Müdigkeit und die suboptimalen Bedingungen verschwendete ich keinen Gedanken.
Dann hatte ich aber große Probleme den richtigen Platz für die Kleiderbeutelabgabe zu finden. Nach langem Umherirren konnte ich 500m entfernt alles abgeben und kam erst kurz vor 10 Uhr zurück in die Nähe des Startbereichs, zu dem aufgrund der Menschenmasse kaum Durchkommen war.
Dabei bemerkte ich dass mir zu warm war, es gab nicht den Hauch einer Wolke und ich schwitzte schon, da die pralle Sonne ganz schön einheizte. Einen kurzen Moment ärgerte ich mich, dass es nach all dem Stress wieder mal zu heiß ist und ich zudem zu spät zum Start komme.
Nachdem ich mich durch all die ausgelassenen und fröhlichen Gestalten durchgekämpft hatte sah ich dass ich mich im falschen Startbereich in einem der hinteren Startblöcke befand. Bei zehntausenden Teilnehmern und einer engen Strecke macht es schon einen Unterscheid wo man startet. Mittlerweile war es 9.57 Uhr durch.
Zum Glück konnte ich an einer Stelle durch den Bauzaun in die Parallelstraße schlüpfen und landete sogar richtig ein paar hundert Meter vor dem richtigen Startblock. Die kurze Zeit zum Startschuss nutzte ich noch um so weit wie möglich nach vorne zu huschen und es ging dann schon los.
Eigentlich wollte ich ursprünglich mit einer 1:21 bis 1:21:30 anlaufen um mit einer schnelleren Hälfte eine Endzeit um 2:42 hinzubekommen. Aber angesichts des schlechten Taperings und der warmen Temperaturen beschloss ich die erste Hälfte konservativ in 1:22 zu laufen. Weiterhin hatte ich beschlossen die erste Hälfte völlig emotionslos und energieschonend zu laufen, sozusagen auf Autopilot mitzuschwimmen, mich dann bis km 27-28 durchzuwursteln und dann zur 15 km Endbeschleunigung anzusetzen.
Die ersten Kilometer ging es gleich über die Erasmus Brücke es war zwar ein Anstieg aber ich spürte nur eine große Dankbarkeit, dass ich hier sein durfte. Ich lief einfach nach Gefühl beobachtete die schöne Aussicht, die Schiffe, den Sonnenschein und die vielen Menschen an der Strecke, registrierte einen Helikopter und ein breites Lächeln setzte sich mir ins Gesicht. Die Uhr zeigte irgendwas von 3:54er Pace an, ich nahm es wahr, aber es lies mich seltsam kalt. Nach der Brücke erinnerte ich mich daran, dass ich mich mit Gefühlen zurückhalten wollte, ich wollte die Emotionen aufsparen. Jetzt hieß es energieschonend Strecke zu machen.
So habe ich zu den weiteren Kilometern kaum Erinnerungen. Ich habe Kilometer um Kilometer wie eine Maschine abgespult immer auf der Suche nach einem guten Vordermann, der kürzesten Linie, dem Schatten und einem energieschonenden Laufstil. Ich hatte keine orthopädischen Probleme und fühlte mich ganz gut.
Ich hing mich an drei Niederländische Läufer dran, die die Strecke offensichtlich sehr gut kannten und ein sehr konstantes Tempo anlegten. Das klappte bis km 15 sehr gut. Diese gingen ohne Vorkommnisse vorbei. Dann musste der Gruppenleader auf das Dixi –Klo. Dabei lief er einen kleinen Spurt, hechtete hinter die Absperrung kollidierte fast mit wütenden Müttern und rüttelte wahnsinnig an der Plastiktür um dahinter zu verschwinden. Die anderen zwei liefen weiter aber mit minimal langsamerer Geschwindigkeit. Sie wollten wohl auf ihn warten. Das wollte ich zunächst auch, aber nach ca. 500m merkte ich wie die Zeit mir davon lief und er nicht kam, also zog ich alleine weiter. Ich schloss immer wieder Lücken, fand nun aber keine feste Gruppe mehr.
Irgendwann war die Halbmarathonmarke erreicht in 1:22:09. Der Kurs war etwas welliger als ich dachte, aber es ließ sich trotzdem ganz gut laufen. Ich bin in der Tat die erste Hälfte nur locker mitgeschwommen und habe durch die Nase geatmet.
Nun wurde es wirklich immer wärmer, ein plötzlicher Sommerausbruch, aber ich fühlte mich noch stark. Bei jedem Verpflegungsstand kippte ich mir Wasser über den Kopf was für eine sehr kurze Kühlung sorgte.
Ein wenig ärgerte mich dass meine Uhr ungenau ging und jeden Kilometer früher abstoppte. So war meine Durchschnittspace laut Uhr immer bei 3:51 aber in Wirklichkeit lag ich permanent etwas drüber.
Kurz nach Kilometer 22 hatte ich ein kleines Tief und mir wurde klar, dass die schwerere Hälfte angebrochen war. Ich spürte zum ersten Mal deutlicher die körperliche Anstrengung. Nach einem weiteren Koffein Gel ging es mir etwas besser, aber ich hatte plötzlich ebenso das dringende Bedürfnis nach einem Dixieklo.
Ich wollte aber auf keinen Fall so viel Zeit verlieren wie der Kollege. Also wartete ich bis das Bedürfnis sehr stark wurde, sprang kurz in die Hecke direkt am Straßenrand und war nach wenigen Sekunden wieder auf der Strecke. Das ist nochmal gut gegangen.
Langsam kam die hohe Erasmus Brücke wieder näher. Rotterdam ist da ähnlich wie Mainz, etwa beim Km 26 kommt man auf die Brücke und hat danach die letzten 15 km vor sich. Die Stimmung auf der Strecke war nun grandios. Von überall kamen Anfeuerungsrufe mit meinem Namen. Oft vorgeschaltet von einem französischem „Allez!“.
Das erinnerte mich an den Nizza Marathon und verlieh mir neue Energie. Zusammen mit der Musik im Innnenstadtbereich ließ ich langsam Emotionen zu und änderte meinen mentalen Fokus von Autopilot auf dankbar und emotional. Leider verfiel ich nun von einem Extrem ins andere. An einer Passage tönten die Black Eyes Peas im ohrenbetäubenden Lärm einen Partykracher. "I gotta feeling that tonight's gonna be a good night" und ich sang voller Kraft mit, animierte die Massen am Straßenrand zum Applaus und beschleunigte euphorisiert auf eine Pace um die 3:30 und schneller. Dabei überholte ich laut singend und winkend, dutzende Läufer und die Massen wurden wild. Ich lief wie im Rausch! "Go out and smash it! Smash it!"
Plötzlich merkte ich was für einen Unfug ich gerade trieb, dachte an Laktatüberschuss und bremste mich sofort wieder ein, auf eine normalere Pace. Trotzdem überholte ich weiter und versuchte zügig zu laufen. Bei Kilometer 30 spürte ich erste Anzeichen von Bauchkrämpfen aber durch die Atmung und Konzentration versuche ich gegenzuhalten und weiter Gas zu geben. So war ich zwischen Kilometer von 30 bis 35 am Schnellsten in 19:05 min unterwegs. Jetzt nur noch 7 km, der Kreislauf hatte noch Reserven, trotz Wärme war mein Puls geschätzt noch im grünen Bereich, aber muskulär wurde es unrunder. Der Bauchbereich machte Probleme und ich wusste dass ich in Frankfurt ab km 40 große Probleme damit hatte.
Jetzt war es wichtig die Geschwindigkeit zu halten aber nicht zu verkrampfen. Aber das war nicht einfach, Beine, Füße und Bauch liefen nicht mehr ganz rund und jetzt setzte eine gewisse Ermüdung ein. Ich rechnete immer wieder die Zeit hoch, es lief auf eine 2:44 hinaus, ich müsste mich noch richtig verschnellern um eine angestrebte 2:43 zu erreichen. Egal ich peitschte mich vorwärts, mein Laufstil wurde schlechter, aber es war ja nicht mehr weit.
Jetzt musste ich mehr kämpfen. Mit Km 40 kam der erste Krampf im Bauch doch noch durch, genauso wie letztes Jahr in Frankfurt zur genau gleichen Zeit. Das kann doch nur psychischer Natur sein, dachte ich und beschloss nur kurz langsamer zu werden, den Muskeln eine kleine Entspannung zu ermöglichen um dann wieder im alten Trott weiter zu machen. Und es hat einigermaßen geklappt. Von Km40 auf 41 verlor ich etwa 20-25 Sekunden, der einzige Kilometer mit einer 4 vorm Komma und dann konnte ich im Schlussspurt zurück auf eine 3:45 beschleunigen. Mittlerweile merkte ich dass meine Körperhaltung ziemlich schief und der Laufstil unsauber war, aber ich gab noch mal alles.
Der letzte Kilometer war wieder von frenetischen Massen begleitet, die den wankenden ins Ziel hechtenden verbissenen Läufer wunderbar anfeuerten.
Nach 2:44:41 konnte ich die Arme heben und war endlich im Ziel.
Splits; 1:22:09 und 1:22:32
Die zweite Hälfte war doch etwas langsamer als gewollt, die steigenden Temperaturen und die muskuläre Ermüdung haben den negativen Split nicht mehr zugelassen.
Alles in allem ein schöner Lauf, der im Nachhinein schneller vorbei war als gedacht. Rotterdam kann man weiterempfehlen. Gute Stimmung und Organisation.
Und jetzt seid ihr bald dran! Ich wünsche den Hamburgern vorab noch ein schönes Tapering und einen tollen Lauf am Sonntag!