Moin. Auch wenn ich Rolli völlig Recht gebe und ich diesen schönen Faden nicht verwässern will, möchte ich doch die Chance nutzen, Agha meine "steile These" zu erläutern. Leider war es mir aufgrund einer Dienstreise nicht eher möglich.
aghamemnun hat geschrieben:Steile These. Vor allem setzt sie voraus, daß der Mensch in allem, was er denkt, sagt und tut, unbeirrt am gefährlichsten Ort verharrt, den es für einen Menschen geben kann, nämlich in der Mitte des eigenen Weltbildes.
In erster Linie ist
mein Weltbild entsprechend
meinem Menschenbild: Rational und nicht psychologisch.
„Der Mensch existierte nicht vom Anbeginn der Zeit. Die Erde war vor dem Menschen da und wird es wohl auch noch länger sein […] Tatsächlich unterliegt der Mensch der Macht der Natur, die vor und nach der Existenz des Menschen über dessen Leben und Daseinsberechtigung entscheidet.“ (Kant)
Des Weiteren stimme ich mit den Ansichten von Nietzsche weitgehend überein. Ich versuche dir mal, meinen Standpunkt zu verdeutlichen:
Ich glaube nicht an das Menschliche als universelle Idee, als etwas Allgemeingültiges, sondern an den Menschen als Individuum, das sich selbst überwinden kann. Selbstüberwindung nicht im Sinne von Leistung – Selbstüberwindung kann für jeden etwas anderes bedeuten, da es keine festgeschriebene Identität des Einzelnen gibt.
Der Übermensch ist bei Nietzsche das Gegenteil einer heroischen Figur: Um sich selbst zu überwinden, muss man dem
Leid und Schmerz die Stirn bieten. Eine Vereinfachung der Welt (sagen wir in
Gut und Böse), mündet meiner Meinung nach in einer verfälschten Wahrnehmung, während ich mich den schwierigen Aspekten dieser Welt stellen möchte. Es geht also um Stärke, nicht um Macht. Hier muss differenziert werden (zwischen
potestas und
pollentia). Die Macht (im Sinne von Verfügungsgewalt) ist der Stärke nicht gewachsen.
Stärke meint (m)ein Verhältnis zu sich selbst, das sich aus Begegnungen mit anderen entwickelt. Diese Stärke soll aber nicht erlangt werden, um andere zu unterjochen: Wille zur Macht <> Wille zur Herrschaft. „Verhasst ist mir das Folgen und das Führen.“ (Nietzsche)
Manchmal ist es allerdings nötig zu befehlen (über sich selbst oder etwas außerhalb des eigenen selbst), oder auch zu gehorchen (auf das eigene Innere oder eine Instanz, die größer ist, als man selbst). Der Begriff des „Übermenschen“ ist ambivalent. Ich möchte die Verwandtschaft mit meinen Artgenossen pflegen, nur ist
endgültige Befriedigung (Sättigung sollte niemals satt machen) nicht mein Ziel, sondern einen
tanzenden Stern zu gebären, wie es Nietzsche wohl formuliert hätte, um mich mal weit aus dem Fenster zu lehnen.
Der
Typus Mensch, der nicht mehr auf politische Veränderungen hofft, sondern seinen Ehrgeiz darin sieht, sein Dasein zu verlängern und die Rechte, die er erlangt hat, aufrechtzuerhalten, widerstrebt mir.
An einen Gott (oder Gottheiten) zu glauben, führt meiner Meinung nach zu einem falschen äußerlichen Blickwinkel, da es den Menschen von der Verantwortung befreit,
sein Leben zu verändern. Gott und Heldentum sind Ideale, welche die Entwicklung des Menschen behindern oder sagen wir, nicht gerade hilfreich sind, da sie ein trügerisches Bild von Sicherheit darstellen.
Ein Rationalist [...] würde wahrscheinlich auch kaum laufen gehen.Jedenfalls nicht aus Freude an der Sache. Sowas wäre irrationale Gefühlsduselei.
Genau das Gegenteil ist der Fall!
Ich spiele es mal durch: Das Laufen (bei Nietzsche: der Tanz) trägt seinen Zweck in sich selbst und befreit mich davon, ein Ziel jenseits meiner selbst haben zu müssen. Es gibt kein festgelegtes Ziel, keine endgültige Bestimmung (das Konzept des Übermenschen). Im Laufen/Tanz ist man fähig, einen Stern zu gebären. Es geht über das Begehren hinaus, es handelt sich um eine andere Art der Befriedigung. Ich strebe nach etwas jenseits von mir – nicht in einem transzendentalen Sinne, also keinem göttlichen Ideal entsprechend – sondern einem Jenseits von mir selbst, dem Gegenteil des Jenseits an sich.
„
Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Ich sage euch, ihr habt noch Chaos in Euch.“ (Also Sprach Zarathustra)
Das Übermenschliche ist folglich kein heiliges oder göttliches Ideal, sondern eher die „Weisheit des Leibes“. Das Übermenschliche steht am Ende einer beträchtlichen Arbeit an sich selbst: Sie versetzt sich in die Lage, etwas zu gebären, von dem wir gar nicht wussten, dass wir es in uns tragen. Die
Eroberung des selbst – die Selbstüberwindung – geht keineswegs regellos vonstatten: Das Übermenschentum ist keine Anarchie - Regeln sind der Rahmen, dessen Übertretung, die Selbstüberwindung erst ermöglichen.
Es ist wie mit dem Laufen/Tanz: Die Beherrschung stabiler Bedingungen ermöglichen erst die Anmut und die Leichtigkeit des Läufers bzw. Tänzers – ohne Regeln geht es nicht, sonst wäre der Tänzer/Läufer halt nur ein „gewöhnlicher“ Sterblicher.
Selbstüberwindung, also etwas zu gebären, was größer ist als man selbst, geschieht durch die Erziehung des Körpers. Der Körper ist als Ensemble von Trieben, Regungen oder Empfindungen (zu denen auch das Denken zählt, aber nicht nur) zu verstehen.